Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IA 95



120 Ia 95

14. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 25.
Februar 1994 i.S. Kt. BS gegen B. u. Mitb. sowie Appellationsgericht
(als Verwaltungsgericht) des Kt. BS (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 88 OG, Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV; Parteifähigkeit (Legitimation)
eines Kantons bei Lohnstreitigkeit im öffentlichen Dienstrecht (Basler
Kindergärtnerinnen).

    Ein Kanton kann ein gestützt auf Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV ergangenes
Urteil seines Verwaltungsgerichts weder in der Sache selber (E. 1) noch
in bezug auf angebliche Verfahrensfehler (E. 2) mit staatsrechtlicher
Beschwerde anfechten. Frage offengelassen, wie es sich bei einem
privatrechtlichen Dienstverhältnis verhalten würde (E. 1c/cc).

Sachverhalt

    A.- Basler Kindergärtnerinnen, Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen
gelangten am 27. Oktober 1987 mit dem Begehren an den Regierungsrat, es
sei ihnen gestützt auf Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV für das Jahr 1986 ein je
separat berechnetes Lohnguthaben nachzuzahlen; inskünftig und rückwirkend
ab 1. Januar 1987 sei ihnen überdies eine Besoldung auszurichten, die
einer um zwei Lohnklassen höheren Einstufung entspreche. Der Regierungsrat
wies diese Anträge am 21. Juni 1988 ab. Die betroffenen Lehrerinnen
rekurrierten hierauf an das Appellationsgericht als Verwaltungsgericht,
das am 23. März 1990 zwar teilweise eine Verletzung von Art. 4 Abs. 2
Satz 3 BV feststellte, den Rekurs indessen abwies, da es die Ausgestaltung
einer verfassungsmässigen Lösung dem Gesetzgeber vorbehalten wollte.

    Am 31. Mai 1991 hiess das Bundesgericht eine hiergegen gerichtete
staatsrechtliche Beschwerde gut (BGE 117 Ia 262 ff.), worauf das
Verwaltungsgericht am 9. Juli 1993 den Beschluss des Regierungsrats vom 21.
Juni 1988 aufhob und die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückwies. Es war nach Beizug eines Experten zum Schluss
gekommen, dass die 19 Lehrerinnen ab 1. November 1987 tatsächlich Anspruch
auf eine um zwei Lohnklassen höhere Besoldung hätten.

    Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hat gegen diesen Entscheid
eine staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, auf die das Bundesgericht
nicht eintritt

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein Rechtsmittel zum
Schutz der Träger verfassungsmässiger Rechte gegen Übergriffe der
Staatsgewalt. Solche Rechte stehen grundsätzlich nur dem Bürger zu, nicht
aber dem Gemeinwesen als Inhaber hoheitlicher Gewalt. Öffentlichrechtliche
Korporationen - wie Kantone und Gemeinden oder ihre Behörden - können gegen
Akte anderer Staatsorgane, die sie als Träger hoheitlicher Befugnisse
treffen, demnach in der Regel nicht staatsrechtliche Beschwerde
führen. Eine Ausnahme besteht nur insofern, als sie sich gegen eine
Verletzung ihrer durch das kantonale Recht gewährleisteten Autonomie oder
Bestandesgarantie zur Wehr setzen (vgl. BGE 116 Ia 252 E. 3b S. 255, 114 Ia
168 E. 2a S. 170). Wie Private generell zur staatsrechtlichen Beschwerde
legitimiert sind öffentlichrechtliche Körperschaften dagegen, wenn sie
nicht hoheitlich handeln, sich auf dem Boden des Privatrechts bewegen oder
sonstwie als dem Bürger gleichgeordnete Rechtssubjekte auftreten und durch
den angefochtenen Akt wie eine Privatperson betroffen werden (BGE 119 Ia
214 E. 1a S. 216, 113 Ia 336 E. 1a S. 338, 112 Ia 356 E. 5a S. 363; WALTER
KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Aufl., Bern 1994,
S. 212 ff., ANDREAS AUER, Die schweizerische Verfassungsgerichtsbarkeit,
Basel/Frankfurt a.M. 1984, S. 196 ff., N. 345 ff.). Ob diese
Voraussetzungen erfüllt sind, bestimmt sich nicht in erster Linie danach,
mit wem die Körperschaft in einem Rechtsverhältnis steht, sondern aufgrund
der Rechtsnatur des Verhältnisses, das der Auseinandersetzung zugrunde
liegt (WILHELM BIRCHMEIER, Über die Legitimation des Staates, der Gemeinde
und der Behörden zur staatsrechtlichen Beschwerde an das Bundesgericht,
in: ZBl 51/1950 S. 127; MARGRIT BAUMANN, Die Legitimation des Gemeinwesens
zur staatsrechtlichen Beschwerde, Diss. ZH 1955, S. 89).

    b) Der Kanton Basel-Stadt wird durch den angefochtenen Entscheid nicht
wie ein Privater, sondern als Träger hoheitlicher Befugnisse getroffen,
ohne dass Autonomie- oder Bestandesaspekte zur Diskussion stünden:
Sämtliche Beschwerdegegnerinnen, denen das Verwaltungsgericht gestützt
auf das kantonale Besoldungsgesetz und Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV eine höhere
Einstufung und Lohnnachzahlungen zugesprochen hat, stehen als Beamtinnen in
einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis. Ihr Status wird ausserhalb
privatrechtlicher Regeln aufgrund öffentlichrechtlicher Erlasse bestimmt
(vgl. Art. 342 Abs. 1 lit. a OR; HERMANN SCHROFF/DAVID GERBER, Die
Beendigung der Dienstverhältnisse in Bund und Kantonen, St. Gallen 1985,
S. 27 f.); das öffentlichrechtliche Dienstverhältnis zeichnet sich als
Sonderstatusverhältnis gerade dadurch aus, dass der Betroffene in eine
besondere Beziehung zum Gemeinwesen tritt, das ihm gegenüber nicht wie
ein Privater, sondern - auch im Besoldungssektor - aufgrund staatlicher
Prärogative handelt (vgl. PIERRE MOOR, Droit administratif, Bd. III, Bern
1992, S. 219, Ziff. 5.2.2; MAX IMBODEN/RENÉ A. RHINOW, Schweizerische
Verwaltungsrechtsprechung, Basel/Frankfurt a.M. 1986, S. 1079, Nr. 147,
B. III.). Das Bundesgericht hat es deshalb wiederholt abgelehnt, das
Gemeinwesen mit Bezug auf Geldforderungen aus dem Dienstverhältnis dem
Beamten wie eine Privatperson gegenüberzustellen (WILHELM BIRCHMEIER,
aaO, S. 127; bereits unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom
26. September 1946 i.S. EinwGde Grenchen c. W. G. und RR SO, E. 1;
vgl. auch BGE 103 Ia 58 ff.).
   c) Was der Beschwerdeführer hiergegen vorbringt, überzeugt nicht.

    aa) Soweit er geltend macht, er habe im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren wie die Rekurrentinnen Parteistellung gehabt, verkennt er, dass
es hierauf nicht ankommt (vgl. E. 1a und BGE 60 I 230 E. 3 S. 234). Hat
das dem Streit zugrundeliegende Rechtsverhältnis hoheitlichen Charakter
und wird das betroffene Gemeinwesen wie hier in hoheitlichen Befugnissen
berührt, kann es sich auch nur im Rahmen einer Autonomiebeschwerde
auf eigene Vermögensinteressen berufen (BGE 119 Ia 216 E. 1b u. c mit
Hinweisen). Der Hinweis, das Bundesgericht habe dem Beschwerdeführer in
seinem Urteil vom 31. Mai 1991 die Kosten auferlegt, womit anerkannt
sei, dass "in vorliegendem Verfahren die Vermögensinteressen des Kantons
gleich denjenigen eines Privaten im Vordergrund" stünden, geht am Problem
vorbei: Kantonen dürfen nach Art. 156 Abs. 2 OG in der Regel dann keine
Kosten auferlegt werden, wenn das Bundesgericht in Angelegenheiten, die
ihren amtlichen Wirkungskreis betreffen, angerufen wird und zudem keine
Vermögensinteressen des Kantons berührt sind. Aus der Kostenauflage
kann deshalb nicht geschlossen werden, der Beschwerdeführer werde durch
die Lohngleichheitsproblematik wie ein Privater betroffen; hoheitliches
Handeln schliesst kantonale Vermögensinteressen nicht aus. Nichts anderes
ergibt sich aus der vom Beschwerdeführer angerufenen Praxis, wonach
öffentlichrechtliche Körperschaften zur staatsrechtlichen Beschwerde
gegen Rechtsöffnungsentscheide zugelassen wurden (BGE 88 I 107). Bei
der Vollstreckung von Geldforderungen tritt die öffentlichrechtliche
Körperschaft dem Schuldner in gleicher Weise und im gleichen Verfahren
entgegen wie ein privater Gläubiger; diese Situation kann nicht
mit dem vorliegenden Fall verglichen werden, wo Ansprüche aus einem
öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis als solche umstritten sind.

    bb) Soweit der Beschwerdeführer behauptet, bei der Regelung von Art. 4
Abs. 2 Satz 3 BV handle es sich um Bundesverwaltungsrecht, weshalb eine
Verletzung dieser Bestimmung eigentlich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
geltend zu machen wäre, dringt seine Kritik nicht durch: Lohnansprüche aus
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV bestehen - öffentlichrechtlich - nur im Rahmen des
kantonalen Dienstrechts, welches die Besoldungsfrage regelt. Bedienstete
können sich gegen eine Lohnregelung, die den Grundsatz der gleichen
Besoldung bei gleichwertiger Arbeit verletzt, auf das in Art. 4 Abs. 2
Satz 3 BV verankerte verfassungsmässige Individualrecht berufen; der
Entscheid der kantonalen Behörde stellt - wie jener im Anwendungsbereich
des Doppelbesteuerungsverbots (Art. 46 Abs. 2 BV) - nicht eine in Anwendung
von Bundesverwaltungsrecht ergangene Verfügung im Sinne von Art. 5 VwVG
dar. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat nur Entscheide zum Gegenstand,
die sich auf öffentliches Recht des Bundes unterhalb der Verfassungsstufe
stützen (vgl. GEORG MÜLLER, Kommentar BV, Art. 4, Rz. 147 und 148
Fn. 366; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich,
Bern 1985, S. 111 Ziff. 6). Bereits vor Einführung von Art. 4 Abs. 2
BV waren angeblich geschlechtsbedingte Besoldungsdiskriminierungen im
öffentlichen Dienstrecht der Kantone und Gemeinden mit staatsrechtlicher
Beschwerde geltend zu machen (vgl. BGE 103 Ia 517, 105 Ia 120), woran sich
mit der Ergänzung von Art. 4 BV durch den Absatz 2 nichts geändert hat.

    cc) Der Beschwerdeführer beruft sich schliesslich vergeblich auf
das Urteil in BGE 113 Ia 107 ff., worin das Bundesgericht dem privaten
Arbeitgeber die Befugnis zugestanden hat, bei einem Streitwert unter
Fr. 8'000.-- die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV im privaten
Arbeitsrecht mit staatsrechtlicher Beschwerde überprüfen zu lassen. Der
Entscheid ist in der Literatur auf Kritik gestossen (vgl. CHARLES-ALBERT
MORAND, L'érosion jurisprudentielle du droit fondamental à l'égalité
entre hommes et femmes, in: Charles-Albert Morand (éd.), L'égalité entre
hommes et femmes, Lausanne 1988, S. 92 f.; SUZETTE SANDOZ, L'inapplicable
article 4 al. 2 de la constitution fédérale, in: Die Gleichstellung von
Frau und Mann als rechtspolitischer Auftrag, Festschrift für Margrith
Bigler-Eggenberger, Basel/Frankfurt a.M. 1993, S. 306 ff.; ANDREAS AUER,
Les mesures positives et l'art. 4 al. 2 Cst., in: AJP 11/1993 S. 1341
[Fn. 43]). Im vorliegenden Zusammenhang genügt festzuhalten, dass sich
die entsprechenden Ausführungen auf den zivilrechtlichen Gehalt von
Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV bezogen haben, wobei das Bundesgericht einen
Rechtsstreit zwischen Privaten zu beurteilen hatte; hier ist dagegen
strittig, ob ein Kanton ein Urteil seines Verwaltungsgerichts, das ihn in
hoheitlicher Tätigkeit trifft, wegen einer angeblich falschen Anwendung
verfassungsmässiger Rechte des Bürgers mit staatsrechtlicher Beschwerde
anfechten kann, was mit Blick auf das Wesen dieses Rechtsmittels zu
verneinen ist. Ob das Gemeinwesen, wenn es sein Personal privatrechtlich
anstellt, legitimiert wäre, bei einem Streitwert unter Fr. 8'000.--
(vgl. Art. 46 OG) eine falsche Anwendung von Art. 4 Abs. 2 Satz 3 BV
mit staatsrechtlicher Beschwerde geltend zu machen, braucht hier nicht
entschieden zu werden. Immerhin handelt der staatliche Arbeitgeber auch
in diesen Fällen in Erfüllung öffentlicher Aufgaben und bestimmt sich
regelmässig auch in diesem Zusammenhang die Besoldung der Bediensteten
nach den generell-abstrakten Regeln des öffentlichen Dienstrechts.

Erwägung 2

    2.- Trotz fehlender Legitimation in der Sache kann ein Beschwerdeführer
die Verletzung von Verfahrensvorschriften rügen, deren Missachtung
eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG
erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich in diesem Fall
nicht aus der Berechtigung in der Sache, sondern aus jener, am Verfahren
teilzunehmen. Kommt einem Beschwerdeführer gestützt auf das kantonale
Recht Parteistellung zu, kann er eine Verletzung jener Parteirechte rügen,
die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund
von Art. 4 BV zustehen (BGE 119 Ia 4 E. 1). Diese Rechtsprechung gilt für
öffentlichrechtliche Korporationen, die mit hoheitlichen Aufgaben betraut
sind, nur insofern, als die entsprechenden Rügen in engem Zusammenhang
mit jener einer Verletzung der Autonomie oder Bestandesgarantie stehen
(vgl. BGE 116 Ia 52 E. 2 S. 54 und 252 E. 3b S. 255, 113 Ia 332 E. 1b
S. 333). Der aus Art. 4 BV abgeleitete Anspruch auf rechtliches Gehör
soll als verfassungsmässiges Individualrecht den Bürger gegen staatliche
Hoheitsakte schützen; er ermöglicht einer hoheitlich handelnden
Behörde nicht, sich unabhängig von Autonomie oder Bestandesgarantie
gegen allfällige (prozessuale) Fehler einer im Rechtsmittelverfahren
übergeordneten Instanz zur Wehr zu setzen (vgl. BGE 112 Ia 356 E. 6b
S. 367; Urteil i.S. Munizipalgemeinde Bürchen vom 26. Oktober 1987, in:
ZBl 89/1988 E. 1c S. 331 f.; unveröffentlichtes Urteil vom 2. Juni 1993
i.S. EinwGde Reinach c. RR BL, E. 3a); auch unter diesem Gesichtswinkel ist
auf die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde somit nicht einzutreten.