Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IA 321



120 Ia 321

46. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 21.
Dezember 1994 i.S. Verein für den Einsatz ökologisch und ökonomisch
sinnvoller PVC Produkte gegen Amt für Technische Anlagen und Lufthygiene
(ATAL) sowie Hochbauamt des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 84 OG; Kantonale Merkblätter über "ökologisches Bauen".

    Beweisverfahren (Offizialmaxime): Die Stellungnahme eines Bundesamts,
das in einem bestimmten Sachbereich über Fachkenntnisse verfügt, wird
gestützt auf Art. 95 Abs. 1 OG als Amtsbericht zu den Akten genommen
(E. 1).

    Die kantonalen Merkblätter über "ökologisches Bauen" sind Empfehlungen
ohne Rechtsverbindlichkeit für Personen ausserhalb der Verwaltung
(E. 3b). Sie enthalten vorwiegend blosse Dienstanweisungen an Beamtinnen
und Beamte, die mit Submissionsgeschäften betraut sind (E. 3c), und haben
auch über diesen Bereich hinaus keine Aussenwirkungen (E. 3d).

Sachverhalt

    A.- Das Amt für Technische Anlagen und Lufthygiene (ATAL) und das
Hochbauamt des Kantons Zürich (HBA) haben im November 1993 unter dem
Titel "OEKOLOGISCH BAUEN" Merkblätter nach Baukostenplan (BKP) für
Ausschreibungen herausgegeben.

    Im Vorwort zu diesen Merkblättern schreibt der Kantonsbaumeister
des Kantons Zürich an die Adressaten unter anderem, sie würden als
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder als Beauftragte mit den vorliegenden
Arbeitsblättern einmal mehr aufgerufen, den ökologischen Aspekten im
Bauen ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. In den letzten Jahren seien
verschiedene Gesetze und Verordnungen zum Schutz der Umwelt entstanden,
und die Kenntnis der Umweltproblematik weite sich aus. Von allen am Bau
Beteiligten sei eine umweltbewusste Haltung gefordert. Zu deren Umsetzung
in die tägliche Arbeit müssten die rechtlichen Vorgaben bekannt sein
und die Kenntnisse über das vorhandene Wissen erweitert werden. Diesem
Zweck sollten die Merkblätter dienen; die nach Baukostenplan geordneten
Arbeitsblätter sollten insbesondere ermöglichen, die ökologischen
Aspekte bis ins Detail zu verwirklichen. Die Blätter seien indessen
unvollständig und würden sogar Widersprüche aufweisen wie etwa in den
Bereichen Ökologie/Ökonomie, Ökologie/Hygiene und Haltbarkeit, weshalb man
um zeitintensive Abwägungen nicht herumkommen werde. Die Hinweise in den
Arbeitsblättern sollten dabei als Arbeitshilfe dienen und zu selbständigem
Abwägen zwischen verschiedenen Lösungsmöglichkeiten anregen, da für jede
Bauaufgabe aufeinander abgestimmte Konstruktions- und Materialentscheide
zu treffen seien.

    Hierauf werden zehn Leitsätze wiedergegeben, die einen allgemeinen
Orientierungsrahmen für ökologisches Verhalten im Bauen bilden sollten;
die ökologische Gewichtung könne im Einzelfall unterschiedlich sein. Die
Leitsätze sieben und acht haben zum Beispiel folgenden Wortlaut:

    "7. Baumaterialien aus erneuerbaren und einheimischen Rohstoffen
   bevorzugen

    Die Verwendung von erneuerbaren Rohstoffen belastet, bei Beachtung
   nachhaltiger Nutzung, die Rohstoffhaushalte längerfristig nicht. Durch
   den

    Einsatz von einheimischen (europäischen) Rohstoffen wird die Umwelt
durch
   kürzere Transportwege weniger belastet.

    8. Schwierig zu entsorgende Baumaterialien möglichst vermeiden

    Um künftige Entsorgungsprobleme zu vermeiden, sollen in Neu- und
Umbauten
   möglichst keine Materialien oder Materialkombinationen verwendet werden,
   die schwierig zu entsorgen sind. Das betrifft vor allem Materialien und

    Produkte, die nach VVS (Verordnung über den Verkehr mit Sonderabfällen
vom

    12.11.1986) als Sonderabfall zu behandeln sind, ferner Stoffe, die nach

    StoV nicht unschädlich vernichtbar (verbrennbar) sind, sowie

    Verbundmaterialien und -bauteile, die sich nur schwer trennen und
deshalb
   nicht verwerten lassen."

    Im nächsten Abschnitt wird unter dem Titel "Hinweise für die
Anwendung" erklärt, die Arbeitsblätter richteten sich in erster Linie
"an die Baufachleute unserer Ämter sowie an die von uns beauftragten
Architekten und Ingenieure. Sie sind anzuwenden für Neu- und Umbauten,
ebenso für Unterhaltsarbeiten. Es wird empfohlen, sie auch anzuwenden für
Bauten der Beamtenversicherungskasse und für Bauten, die Staatsbeiträge
erhalten." Weiter wird in diesem Abschnitt festgehalten, Bauten
würden zusammengesetzt aus einer grossen Zahl von Arbeitspositionen,
welche über Arbeitsbeschriebe verschiedener Arbeitsgattungen an die
Unternehmer zur Ausführung gelangten. In Ausrichtung auf Submissionen
sei für die Arbeitsblätter das Ordnungsprinzip des Baukostenplanes (BKP)
übernommen worden. Zu vielen Arbeitsgattungen wolle die Behörde mit
den Arbeitsblättern durch Hinweise auf kritische Materialien oder auf
problematische Entsorgungswege den Anwendern Entscheidungshilfen bieten.

    In den Merkblättern selbst werden dann in detaillierten Listen
verschiedene Materialien (für Erdbewegungen, Baumeisterarbeiten,
Spenglerarbeiten, Fenster, Bedachungsarbeiten, usw.) in
"problematisch" und "ökologisch empfehlenswert" aufgeteilt und einander
gegenübergestellt. Dabei werden Materialien aus PVC (Polyvinylchlorid)
an verschiedenen Stellen als problematisch und PVC-freie Produkte als
ökologisch empfehlenswert bezeichnet (Merkblätter BKP 211, 221, 224,
226, 230 ff., 241-243, 251-255, 271, 281, 282). Verschiedentlich wird
darauf hingewiesen, Produkte aus PVC seien nicht unschädlich vernichtbar
(die Höchstwerte für unschädliche Vernichtbarkeit nach Stoffverordnung [SR
814.013], Anhang 4.11., würden überschritten). In bezug auf Kabelmaterial,
Rohre und Kanäle aus PVC wird erklärt, diese Materialien seien in der
Entsorgung problematisch, im Brandfall setzten sie sehr giftige und
korrosive Gase frei. Halogenfreie Produkte enthielten hingegen kein PVC;
ihr Brandverhalten sei gegenüber PVC besser.

    Gegen diese Merkblätter führt der Verein für den Einsatz ökologisch
und ökonomisch sinnvoller PVC Produkte mit Eingabe vom 14. Januar 1994
staatsrechtliche Beschwerde und beantragt im wesentlichen, die Merkblätter
seien aufzuheben; eventualiter seien sie insoweit aufzuheben, als alle
Aussagen in bezug auf PVC für nichtig erklärt werden.

    Mit Präsidialverfügung vom 12. Juli 1994 wurde das Eidgenössische
Departement des Innern (EDI) zur Vernehmlassung eingeladen. Im Auftrag
des EDI kam das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL)
am 30. September 1994 dieser Einladung nach. Es beantragt, auf die
staatsrechtliche Beschwerde sei nicht einzutreten.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, es fehle der
Präsidialverfügung vom 12. Juli 1994, mit welcher das Eidgenössische
Departement des Innern (EDI) zu einer Stellungnahme an das Bundesgericht
eingeladen worden sei, die gesetzliche Grundlage. Insbesondere würden
die Art. 93 und 95 OG die Einholung einer solchen Stellungnahme nicht
zulassen. Dies ist unzutreffend. Die Stellungnahme vom 30. September
1994, welche das BUWAL im Auftrag des EDI eingereicht hat, stellt
einen Amtsbericht dar, dessen Beizug durch das Bundesgericht gestützt
auf Art. 95 Abs. 1 OG durchaus zulässig ist. Nach dieser Bestimmung
ordnet der Instruktionsrichter die zur Aufklärung des Sachverhalts
erforderlichen Beweismassnahmen an; für das Beweisverfahren im Sinne
von Art. 95 Abs. 1 OG gilt die Offizialmaxime (BGE 107 Ia 187 E. 2b S.
191 mit Hinweis). Dabei kann das Bundesgericht selbständig massgebliche
Sachverhaltsfeststellungen vornehmen. Als Beweismittel kommen vor allem
Urkunden, Augenscheine sowie die Einholung von Amtsberichten zur Anwendung
(WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, 2. Auflage,
S. 382). Der Antrag, die Stellungnahme des EDI vom 30. September 1994
sei aus den Akten zu weisen, ist daher abzuweisen.

Erwägung 3

    3.- a) Mit staatsrechtlicher Beschwerde können Hoheitsakte
angefochten werden, die in irgendeiner Weise die Rechtsstellung des
einzelnen Bürgers berühren, indem sie ihn verbindlich und erzwingbar
zu einem Tun, Unterlassen oder Dulden verpflichten oder sonstwie seine
Rechtsbeziehung zum Staat autoritativ festlegen (BGE 114 Ia 452 E. 1a,
S. 455 mit Hinweisen). Das Bundesgericht stellt primär auf den materiellen
Inhalt des angefochtenen Hoheitsakts und nicht auf dessen Bezeichnung
ab (Urteil des Bundesgerichts vom 30. Mai 1984 in ZBl 85/1984, S. 538
ff. E. 5c; RHINOW/KRÄHENMANN, Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband
Nr. 9 IV). Die umstrittenen Merkblätter und Leitsätze fallen unter den
Begriff der Verwaltungsverordnung, die mit staatsrechtlicher Beschwerde nur
anfechtbar ist, wenn sie über den Verwaltungsbereich hinaus Aussenwirkungen
auf die Rechtsstellung der Bürger entfaltet und wenn gestützt auf sie
keine Verfügungen getroffen werden, deren Anfechtung möglich ist und
den Betroffenen zugemutet werden kann (BGE 114 Ia 452 ff. E. 1a, S. 455
mit Hinweisen).

    b) Die angefochtenen Merkblätter enthalten Grundsätze für die
ökologisch ausgerichtete Wahl von Baumaterialien, welche von ihrem Inhalt
her lediglich Wertungshilfen für die Materialauswahl darstellen, diese
jedoch nicht verbindlich regeln. Die Bewertung der Materialien in den
einzelnen Blättern soll als Arbeitshilfe dienen und zum Abwägen zwischen
verschiedenen Lösungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung der Auswirkungen
auf die Umwelt anregen. Die Merkblätter richten sich ausdrücklich nur an
"Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter" der öffentlichen Verwaltung sowie an
"Beauftragte". Adressat ist somit vor allem ein verwaltungsinterner Kreis
von Beamtinnen und Beamten sowie von diesen beauftragte verwaltungsexterne
Architekten und Ingenieure. Weitere Personen werden durch diese
Verwaltungsverordnung nicht verpflichtet. Soweit sie an Personen ausserhalb
der Verwaltung verteilt oder von solchen beigezogen und verwendet werden,
stellen die Merkblätter für diese Personen unverbindliche Empfehlungen
dar, und damit keine mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren
Hoheitsakte, weil solchen Empfehlungen jede Rechtsverbindlichkeit fehlt
(vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 11. September 1989 in ZBl 92/1991,
S. 117 f.; BGE 108 Ia 264 E. 5 S. 268; KÄLIN, aaO, S. 129). Dabei ist
unerheblich, ob Art. 6 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom
7. Oktober 1983 (USG) als gesetzliche Grundlage für die umstrittenen
Merkblätter betrachtet werden kann.

    c) Die angefochtenen Merkblätter enthalten vorwiegend Dienstanweisungen
an Beamtinnen und Beamte, welche mit Submissionsgeschäften betraut
sind. So sollen die nach Baukostenplan geordneten Arbeitsblätter
ausdrücklich bei der Devisierung der einzelnen Arbeitsgattungen helfen,
die ökologischen Aspekte bis ins Detail zu verwirklichen. Es handelt
sich somit bei den Merkblättern und Leitsätzen in erster Linie um
Richtlinien, die bei der Durchführung von Submissionsverfahren zu
berücksichtigen sind. Verstösse gegen rein interne Richtlinien für
die vergebende Behörde kann der Bewerber regelmässig nicht mit einer
förmlichen Beschwerde, sondern nur mit einer Aufsichtsbeschwerde bei einer
oberen Verwaltungsinstanz rügen. Die Aufsichtsbeschwerde gibt ihm keinen
Anspruch auf Erledigung (BGE 103 Ib 154 ff. E. 2c). Submissionsvorschriften
stellen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts grundsätzlich keine
öffentlichrechtlichen Bestimmungen mit Rechtssatzcharakter dar. Soweit
der Bewerber aus der Submissionsordnung überhaupt Ansprüche ableiten kann,
sind sie privatrechtlicher Natur und daher vor dem Zivilrichter geltend zu
machen. Einzig wenn Submissionsbestimmungen den Schutz der unmittelbaren
Interessen der Bewerber bezwecken, bejaht das Bundesgericht implizit den
Rechtssatzcharakter solcher Bestimmungen (BGE 115 Ia 76 E. 1d S. 79, 102
Ia 533 ff.; KÄLIN, aaO, S. 122; RHINOW/KRÄHENMANN, aaO, Nr. 47 BV). In
solchen Fällen ist die staatsrechtliche Beschwerde nicht nur zulässig,
wenn diese Submissionsbestimmungen im einzelnen Anwendungsfall verletzt
werden, sondern es muss auch die abstrakte Normenkontrolle gegen sie
zugelassen werden. Die hier umstrittene Verwaltungsverordnung enthält keine
Submissionsgrundsätze und insbesondere keine solchen, welche den Schutz
der unmittelbaren Interessen der Bewerber bezwecken. Die angefochtenen
Merkblätter sollen vielmehr den vergebenden Behörden Entscheidungshilfen
für die Materialauswahl vermitteln und stellen insoweit keinen mit
staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbaren Hoheitsakt (Erlass) dar; ferner
ist die Legitimation des Beschwerdeführers nach Art. 88 OG zu verneinen
(BGE 115 Ia 76 E. 1d S. 79 mit Hinweis).

    d) Die Empfehlungen in den angefochtenen Merkblättern haben entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers auch ausserhalb des eben behandelten
Bereichs der Submission keine Aussenwirkung im Sinne der Rechtsprechung
des Bundesgerichts (BGE 114 Ia 452 E. 1a S. 455, 105 Ia 349 E. 2a S. 353;
KÄLIN, aaO, S. 143). Die vom Beschwerdeführer behauptete "Aussenwirkung"
bezieht sich nicht auf seine Rechtsstellung im Verhältnis zum Staat;
er beschwert sich vielmehr über allfällige indirekte im vorliegenden
Zusammenhang jedoch rechtlich unerhebliche Auswirkungen auf die
privatrechtliche Tätigkeit seiner Mitglieder.

    Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, dass die in den angefochtenen
Merkblättern enthaltenen Empfehlungen auch an die Baubewilligungsbehörden
gerichtet seien, welche diese im Baubewilligungsverfahren anzuwenden
hätten. Sie würden in diesem Sinne Aussenwirkungen entfalten. Selbst
wenn diese Behauptung des Beschwerdeführers zuträfe, was die
Baudirektion bestreitet und hier offengelassen werden kann, könnte
auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht eingetreten werden. Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine Verwaltungsverordnung
nur mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar, wenn gestützt auf
sie keine Verfügungen ergehen, deren Anfechtung möglich ist und den
Betroffenen zugemutet werden kann (BGE 114 Ia 455, 105 Ia 353). Für den
unwahrscheinlichen Fall, dass die umstrittenen Empfehlungen entgegen der
Darstellung der Baudirektion in einem baurechtlichen Bewilligungsverfahren
dennoch in unzulässiger Weise angewendet würden, könnten der Bauherr
oder die betroffenen Nachbarn die Baubewilligungsverfügung ohne weiteres
anfechten, und eine entsprechende Anfechtung wäre auch zumutbar.

    e) Nach dem Gesagten sind die angefochtenen Merkblätter als
Verwaltungsverordnung ohne Aussenwirkung und damit ohne Erlasscharakter zu
bezeichnen. Sie stellen keinen staatlichen Hoheitsakt dar und sind somit
nicht mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar. Auf die staatsrechtliche
Beschwerde kann daher nicht eingetreten werden.