Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IA 314



120 Ia 314

45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27.
Dezember 1994 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft und Strafkassationshof
des Kantonsgerichts Freiburg (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 36 Abs. 4 BV, Art. 8 EMRK; Telefonabhörung, Verwertung von
sog. Zufallsfunden.

    Art. 36 Abs. 4 BV und Art. 8 EMRK garantieren das Telefongeheimnis;
Zulässigkeit von Einschränkungen dieser Garantie (E. 2a).

    Der Gesprächspartner einer rechtmässig überwachten Person geniesst
einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz; er kann grundsätzlich
verlangen, dass die Telefongespräche nicht bekanntgegeben und ihm gegenüber
nicht verwertet werden (E. 2c).

    Sollen derartige Telefongespräche zu Lasten des Gesprächspartners
als sog. Zufallsfunde verwertet werden, müssen die Voraussetzungen für
eine Telefonüberwachung auch diesem gegenüber erfüllt sein. Die Prüfung
ist nachträglich in dessen Strafverfahren vorzunehmen (E. 2c).

    Im vorliegenden Fall verstösst die Verwertung der Zufallsfunde weder
materiell noch formell gegen die Verfassung (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- Das Kriminalgericht des Sensebezirkes sprach G. des wiederholten
schweren Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig und
verurteilte ihn zu einer Zusatzstrafe von sieben Jahren Zuchthaus. Es
hielt es als erwiesen, dass G. an X. grössere Mengen Heroin und Kokain
verkauft und geliefert sowie weitere Betäubungsmittel zum Kaufe angeboten
hatte. Es stützte seinen Schuldspruch u.a. auf überwachte Telefongespräche
zwischen G. und X.

    G. focht das Urteil mit Kassationsbeschwerde beim Strafkassationshof
des Kantonsgerichtes Freiburg an und beanstandete u.a. die Verwertung
der Telefonabhörprotokolle. Der Strafkassationshof wies die Beschwerde
ab; er erachtete die Verwendung der Telefonabhörbänder und -protokolle
für zulässig.

    G. hat dagegen beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde erhoben
und im Zusammenhang mit der Telefonabhörung insbesondere eine Verletzung
von Art. 36 Abs. 4 BV geltend gemacht.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht im Zusammenhang mit der Abhörung
der Telefongespräche und deren Verwertung eine Verletzung seines
Anspruches auf Unverletzlichkeit des Telefongeheimnisses und damit von
Art. 36 Abs. 4 BV sowie von Art. 4 BV geltend. Er führt aus, dass der
Telefonanschluss am Wohnort des als Zeugen einvernommenen X. aufgrund
einer Anordnung der Neuenburger Untersuchungsbehörden überwacht worden
sei. Diese Telefonkontrolle erlaube es indessen nicht, dass Gespräche,
die er als Gesprächspartner mit X. geführt haben soll, von den Freiburger
Untersuchungsbehörden verwendet und im Strafprozess gegen ihn verwertet
werden. Das Abstellen auf solche Beweise verletze ihn in seinen
verfassungsmässigen Rechten.

    a) Art. 36 Abs. 4 BV gewährleistet die Unverletzlichkeit des Post-
und Telegrafengeheimnisses. Nach Lehre und Rechtsprechung gehört zum
Schutzbereich dieser Verfassungsbestimmung auch das Telefongeheimnis. Die
Verfassungsgarantie verbürgt den am Post-, Telefon- und Telegrafenverkehr
beteiligten Personen eine Privat- und Geheimsphäre und schützt damit ihre
individuelle Freiheit und Persönlichkeit. Das Telefongeheimnis im Sinne
von Art. 36 Abs. 4 BV geht der als ungeschriebenes Grundrecht geltenden
allgemeineren Garantie der persönlichen Freiheit vor (vgl. zum Ganzen BGE
109 Ia 273 S. 279 f., mit zahlreichen Hinweisen). Das Telefongeheimnis
ist im weiteren nach Rechtsprechung und Doktrin auch durch Art. 8
EMRK garantiert (vgl. BGE 109 Ia 273 S. 280, Urteile des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte i.S. Lüdi, Ziff. 39, [Publications
de la Cour Européenne des droits de l'homme, Série A vol. 238 = EuGRZ
1992 S. 300], i.S. Kruslin, Ziff. 26 [Série A vol. 176-A], i.S. Klass,
Ziff. 41 [Série A vol. 28 = EuGRZ 1979 S. 278], mit weitern Hinweisen).

    Die Unverletzlichkeit des Post-, Telefon- und Telegrafengeheimnisses
ist nach dem Text von Art. 36 Abs. 4 BV ohne Vorbehalt
gewährleistet. Dennoch ist nach Lehre und Rechtsprechung unbestritten,
dass dieses Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann, soweit dies auf
gesetzlicher Grundlage, im öffentlichen Interesse und unter Wahrung des
Grundsatzes der Verhältnismässigkeit erfolgt (BGE 109 Ia 273 S. 280,
mit Hinweisen). In gleicher Weise kann nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK in
das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und
des Briefverkehrs eingegriffen werden, wenn dieser Eingriff gesetzlich
vorgesehen ist und eine Massnahme darstellt, die in einer demokratischen
Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung
und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit
und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig
ist (vgl. die oben erwähnte Strassburger Rechtsprechung).

    b) In erster Linie rügt der Beschwerdeführer, dass die
Telefonüberwachung ihm gegenüber auf keiner hinreichenden gesetzlichen
Grundlage beruhe. Er räumt zwar ein, dass die Telefonüberwachung gegenüber
X. in Tentlingen (Kanton Freiburg) von den Neuenburger Behörden gestützt
auf die Neuenburger Strafprozessordnung für die Zeit vom 21. September
1990 bis zum 20. März 1991 rechtmässig angeordnet worden ist und
deren Resultate im Verfahren gegen X. verwertet werden durften. Für
die Verwendung dieser Telefonaufzeichnungen ihm gegenüber durch die
Freiburger Behörden habe es indessen an den formellen und materiellen
Voraussetzungen im Kanton Freiburg selber gefehlt. Die Massnahme sei
nämlich von keinem freiburgischen Richter genehmigt worden und zeitlich
nicht beschränkt gewesen.

    Demgegenüber haben das Kriminalgericht und der Strafkassationshof
ausgeführt, sogenannte Zufallsfunde aus einer richterlich bewilligten
Telefonüberwachung zu Lasten eines Dritten seien verwertbar, wenn die
neu entdeckte Straftat bzw. der entsprechende Verdacht für sich genommen
die Anordnung der Telefonüberwachung erlaubt hätte; die in einem Kanton
rechtmässig erhobenen Beweise dürften in einem andern Kanton auch ohne
formelles Rechtshilfegesuch verwertet werden. Die vom freiburgischen Recht
erforderte zeitliche Beschränkung von Überwachungsmassnahmen auf sechs
Monate sei auch ohne entsprechende Anordnung der Neuenburger Behörden
erfüllt gewesen; im übrigen werde auf die weiteren, über die sechs Monate
hinausgehenden Abhörprotokolle nicht abgestellt. Schliesslich könnten
nach der Rechtsprechung unter Umständen auch unrechtmässig erhobene
Beweise verwertet werden.

    c) Wie dargelegt bestreitet der Beschwerdeführer die Rechtmässigkeit
der Telefonüberwachung, wie sie von den Neuenburger Behörden gegenüber
X. angeordnet worden ist, nicht. Nach Art. 171a der neuenburgischen
Strafprozessordnung (StPO/NE) kann eine solche Überwachung entsprechend den
Bestimmungen von Art. 66 ff. BStP verfügt werden (vgl. JÉRÔME BÉNÉDICT,
Le sort des preuves illégales dans le procès pénal, Diss. Lausanne 1994,
S. 205 ff.).

    Die Rechtmässigkeit der Abhörung von X. bedeutet für sich alleine
nicht, dass die Gespräche des Beschwerdeführers als sogenannte
Zufallsfunde ohne weiteres in der Strafverfolgung gegen ihn verwendet
werden dürften. Als Gesprächspartner von X. geniesst der Beschwerdeführer
aus Art. 36 Abs. 4 BV einen eigenständigen verfassungsmässigen Schutz
(vgl. BGE 109 Ia 273 S. 279 und E. 8 S. 290; JÖRG P. MÜLLER, Die
Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, Bern 1991, S. 50). Nach
tatsächlich erfolgter, rechtmässiger Abhörung kann sich der grundrechtliche
Anspruch naturgemäss nicht mehr auf die Abwehr des Grundrechtseingriffes
richten. Soll die Verfassungsgarantie nicht vollkommen ihres Inhaltes
entleert werden, kann der Abwehranspruch nunmehr zum Inhalt haben, dass die
entsprechenden Gespräche nicht bekannt- und weitergegeben und nicht gegen
den Gesprächspartner verwendet werden. Wenn im Strafverfahren dennoch zu
Lasten des Betroffenen darauf abgestellt werden soll, ist erforderlich,
dass die materiellen und formellen Voraussetzungen für den Eingriff in das
Telefongeheimnis und die Abhörung aufgrund einer nachträglichen Prüfung
auch diesem gegenüber erfüllt sind. Diese Prüfung kann im eigentlichen
Strafprozess vorgenommen werden (vgl. BGE 117 Ia 10).

    d) Die materiellen Voraussetzungen für eine Telefonüberwachung sind
in Art. 20a der Freiburger Strafprozessordnung (StPO/FR) umschrieben. Sie
entsprechen im wesentlichen der Regelung von Art. 66 ff. BStP und damit
auch den Bestimmungen der neuenburgischen Strafprozessordnung. Die
Telefonabhörung ist nach Art. 20a StPO/FR insbesondere zulässig,
wenn ein Verbrechen oder Vergehen, dessen Schwere oder Eigenart den
Eingriff rechtfertigt, Gegenstand der Strafverfolgung ist und wenn andere
Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sind oder die notwendigen
Ermittlungen ohne die Überwachung wesentlich erschwert würden. Der
Beschwerdeführer rügt nicht, bzw. nicht in einer den Erfordernissen von
Art. 90 Abs. 1 OG genügenden Weise, dass diese materiellen Voraussetzungen
nach Art. 20a StPO/FR für ihn nicht gegeben wären. Seine einzige Kritik
geht dahin, dass in der Genehmigung der Telefonüberwachung durch die
Neuenburger Behörden keine zeitliche Begrenzung vermerkt war. Diese Rüge
erweist sich indessen als zum vornherein unbegründet, da sich die zeitliche
Beschränkung auf sechs Monate bereits aus Art. 66bis BStP i.V.m. Art. 171a
StPO/NE ergibt. Aus dem Verfahren der Überwachung von X. ergibt sich denn
auch, dass sich der neuenburgische Instruktionsrichter der Begrenzung
auf sechs Monate bewusst war und beim Präsidenten der neuenburgischen
Anklagekammer um eine entsprechende Verlängerung ersuchte. In materieller
Hinsicht kann demnach aufgrund der vorgebrachten Rügen nicht gesagt werden,
dass der Beschwerdeführer, gegen den im wesentlichen wegen ähnlicher
Verbrechen und Vergehen untersucht worden war wie im Falle von X., nicht
auch selber einer Telefonüberwachung hätte unterworfen werden können. In
diesem Sinne ist in der Literatur davon die Rede, dass Zufallsfunde
verwertet werden dürfen, wenn die Telefonüberwachung auch gegenüber dem
Dritten hätte angeordnet werden dürfen (vgl. ROBERT HAUSER, Kurzlehrbuch
des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage Basel 1984, S. 207;
NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 2. Auflage Zürich 1993, Rz. 769 S. 230;
NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, Bern 1994, S. 400
f.; DAVID HÜPPI, Zufallsfunde aus genehmigten Telephonüberwachungen, in:
SJZ 86/1990 S. 397; LEO STAUB, Tonaufnahmen als Mittel zur Aufdeckung
von Straftaten, Diss. Zürich 1985, S. 193 ff.; BÉNÉDICT, aaO, S. 211 f.;
vgl. differenzierend Kassationsgericht des Kantons Zürich, ZR 86/1987
Nr. 96 S. 237).

    Damit stellt sich die weitere vom Beschwerdeführer aufgeworfene
Frage, ob die von den Neuenburger Strafverfolgungsbehörden angeordnete
Telefonüberwachung ihm gegenüber von einer freiburgischen Behörde hätte
bestätigt und von einem freiburgischen Richter hätte genehmigt werden
müssen. Das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung ergibt sich
aus Art. 20d StPO/FR sowie aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
zur Telefonabhörung (BGE 109 Ia 273 E. 10 S. 295); es soll angesichts
der geheim gehaltenen Massnahme den verfassungsrechtlichen Schutz des
Betroffenen sicherstellen (vgl. JÖRG P. MÜLLER, aaO, S. 50 f.). Dieses ist
in bezug auf X. erfüllt. Hinsichtlich der Überwachung des Beschwerdeführers
selber hätte ein freiburgischer Richter die Überwachung weder ein zweites
Mal anordnen noch aber aufheben können. Da die Überwachung der Gespräche
bereits rechtmässig erfolgt ist, kann sich die richterliche Kontrolle
nicht auf die vorgängige Bewilligung beziehen; der Richter hat vielmehr
im nachhinein lediglich zu prüfen, ob die Telefonaufzeichnungen bekannt-
und weitergegeben und als Beweismaterial verwendet werden dürfen. Der
Strafrichter übt diese Kontrolle im Rahmen des Strafverfahrens aus
(vgl. BGE 117 Ia 10). Diese richterliche Prüfung der Verwertbarkeit
ist im vorliegenden Fall auf entsprechende Rüge des Beschwerdeführers
im eigentlichen Strafprozess sowohl durch das Kriminalgericht als auch
durch den Strafkassationshof unter dem Gesichtswinkel der Verwertbarkeit
der Telefonprotokolle tatsächlich vorgenommen worden. Damit erweist sich
auch die Rüge der fehlenden richterlichen Überprüfung als unbegründet.

    Bei dieser Sachlage handelt es sich bei den Abhörprotokollen um
rechtmässige Beweise, deren Verwertung gegenüber dem Beschwerdeführer in
materieller und formeller Hinsicht vor der Verfassung standhält. Entgegen
der Auffassung der kantonalen Behörden ist es damit nicht erforderlich, auf
die Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Europäischen Gerichtshofes
für Menschenrechte zur Verwertung von unrechtmässigen Beweisen abzustellen
(BGE 109 Ia 244, Urteil des Gerichtshofes i.S. Schenk, Série A vol. 140 =
EuGRZ 1988 S. 390; vgl. auch JÖRG P. MÜLLER, aaO, S. 304 ff.). Nach dieser
Rechtsprechung können in Abwägung der entgegenstehenden Interessen auch
gewisse unrechtmässig beschaffte Beweise zu Lasten eines Angeschuldigten
verwendet werden. Die Berücksichtigung von Indizien, die sich auf die
unbefugte Aufnahme eines Telefongesprächs stützen, verstösst nicht
schlechterdings gegen Art. 4 BV sowie Art. 6 und Art. 8 EMRK. Das gilt
selbst dann, wenn die Aufzeichnung von einer Privatperson eigenmächtig
vorgenommen worden ist. Der Richter hat bei diesem Entscheid einerseits das
Interesse des Staates an der Abklärung eines Verdachts und andererseits
die persönlichen Rechte eines Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Bei
sehr schweren Straftaten überwiegt das öffentliche Interesse an der
Wahrheitsfindung das Interesse des Angeklagten an der Geheimhaltung
(vgl. auch nicht publiziertes Urteil i.S. L. vom 15. Februar 1994). Wie
dargetan, braucht wegen der Rechtmässigkeit der erhobenen Beweise auf diese
Rechtsprechung nicht abgestellt zu werden. Wenn sie zur Anwendung käme,
würde im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der Bekämpfung
des Drogenhandels wohl den Vorrang verdienen.

    Daraus ergibt sich, dass die Verwertung der Telefonkontrollen durch
die Strafgerichte nicht gegen das Telefongeheimnis im Sinne von Art. 36
Abs. 4 BV verstösst.