Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 120 IA 236



120 Ia 236

35. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 14.
November 1994 i.S. S. gegen Gemeinde V. und Verwaltungsgericht des Kantons
Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4, 31 BV; Gebot der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen.

    Zwischen Bäckereien/Konditoreien und Bäckereien/Konditoreien mit
angegliedertem Gastwirtschaftsbetrieb (Café) besteht in bezug auf den
Betriebsteil Bäckerei/Konditorei eine direkte Konkurrenz (E. 1).

    Die Gewährung längerer Ladenöffnungszeiten für kombinierte Betriebe
verletzt den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Das Gesetz der Gemeinde V. über die öffentlichen Ruhetage vom
7. Dezember 1986 (Ruhetagsgesetz, RG) schreibt vor, dass die Läden an
öffentlichen Ruhetagen (d.h. an Sonn- und Feiertagen) geschlossen zu
halten sind (Art. 3 Abs. 2 RG). Eine Ausnahme gilt nach Art. 5 Abs. 2
RG für Bäckereien und Konditoreien, welche an öffentlichen Ruhetagen
bis 12.00 Uhr geöffnet sein dürfen. Sonderregelungen sind in Art. 5
Abs. 3-5 RG auch für Apotheken, Kioske, Blumengeschäfte und Sportgeschäfte
vorgesehen. Nach Art. 6 RG kann der Gemeindevorstand in Ausnahmefällen
auf ein speziell begründetes Gesuch einer Berufsgruppe hin weitergehende
Sonderbewilligungen erteilen.

    Eine vom Gemeindevorstand vorgeschlagene Teilrevision des
Ruhetagsgesetzes, wonach unter anderem Bäckereien und Konditoreien an
öffentlichen Ruhetagen die Offenhaltung von 06.00 bis 18.00 Uhr gestattet
sein sollte, wurde von den Stimmbürgern am 27. September 1992 abgelehnt.

    S. führt in der Gemeinde V. eine Bäckerei/Konditorei. Weil
er sein Verkaufsgeschäft in den Monaten Januar bis März 1993
unerlaubterweise jeweils auch am Sonntagnachmittag geöffnet hatte,
wurde er vom Gemeindevorstand am 26. März 1993 wegen wiederholter
vorsätzlicher Verletzung des Ruhetagsgesetzes mit Fr. 600.-- gebüsst. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies einen hiegegen erhobenen
Rekurs am 7. September 1993 ab.

    Das Bundesgericht heisst die von S. gegen diesen Entscheid erhobene
Beschwerde gut und hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer beruft sich in erster Linie auf das Gebot
der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen. Er beanstandet, dass seine
Bäckerei/Konditorei in bezug auf die Möglichkeit der Ladenöffnung an Sonn-
und Feiertagen gegenüber zwei anderen solchen Betrieben mit angegliedertem
Restaurant bzw. Café ungleich behandelt werde. Während diesen Betrieben
die ganztägige Offenhaltung (mit Verkauf über die Gasse) an öffentlichen
Ruhetagen durch eine Sonderbewilligung des Gemeindevorstandes gestattet
worden sei, müsse er sein Geschäft bereits am Mittag schliessen.

    a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes zu Art. 31 BV hat der
Staat, wenn er durch polizeiliche oder sozialpolitische Massnahmen die
Ausübung von Handel und Gewerbe beschränkt, unter anderem das Gebot der
Gleichbehandlung der Gewerbegenossen zu beachten. Ob Art. 31 BV damit einen
besonderen Anspruch auf Gleichbehandlung gewährleistet, der nicht schon
aus dem allgemeinen (für den Bereich der Wirtschaftsfreiheit allenfalls
sachbezogen zu konkretisierenden) Gleichbehandlungsgebot von Art. 4 BV
folgt, ist in der neueren Doktrin umstritten und wurde vom Bundesgericht
in jüngeren Entscheiden offengelassen (vgl. BGE 119 Ia 433 E. 2b S. 436
und 445 E. 3a S. 450, je mit Hinweisen); die Frage kann auch hier
offenbleiben. Der in der Rechtsprechung zu Art. 31 BV entwickelte, aus
dem Gedanken der Wettbewerbsneutralität staatlicher Massnahmen folgende
qualifizierte Gleichbehandlungsanspruch steht jedenfalls nur direkten
Konkurrenten zu (BGE 119 Ia 433 E. 2b S. 436 f., mit Hinweisen).

    b) Zwischen dem Betrieb des Beschwerdeführers und den von ihm genannten
beiden anderen kombinierten Betrieben besteht in bezug auf die diesen
angegliederte Bäckerei/Konditorei eine direkte Konkurrenzsituation; der
Beschwerdeführer und die beiden anderen Betriebe wenden sich hinsichtlich
des Verkaufs von Bäckerei- und Konditoreiwaren als Angehörige der
gleichen Branche mit den gleichen Angeboten an das gleiche Publikum,
um das gleiche Bedürfnis zu befriedigen (BGE 119 Ia 433 E. 2b S. 436 f.,
mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer kann sich damit zur Anfechtung der
gegen ihn ergangenen Busse und der ihr zugrunde liegenden unterschiedlichen
Ladenschlussordnung nicht nur auf das allgemeine Gleichbehandlungsgebot,
sondern auf den weitergehenden Grundsatz der Gleichbehandlung der
Gewerbegenossen berufen.

Erwägung 2

    2.- Die vom Beschwerdeführer beanstandete Statuierung ungleicher
Ladenschlusszeiten stellt eine Ungleichbehandlung der Gewerbegenossen
dar. Es kann sich einzig fragen, ob der Umstand, dass die beiden
privilegierten Betriebe an eine Gastwirtschaft angegliedert sind, die
beanstandete Ungleichbehandlung sachlich zu rechtfertigen vermag.

    a) Das Verwaltungsgericht hat dies ohne nähere Begründung bejaht. Der
Gemeindevorstand spricht zwar von einer "unbefriedigenden Situation",
vertritt aber seinerseits den Standpunkt, dass die angefochtene
Ungleichbehandlung der beiden Doppelbetriebe sachlich begründbar
sei. Diese stellten, anders als der Betrieb des Beschwerdeführers,
Backwaren und Confiserie nicht nur für den Verkauf im Ladengeschäft her,
sondern auch für den Verzehr im eigenen Restaurant (Kaffeehaus). Solche
für den Kurortbetrieb wichtige Lokale seien Treffpunkt von Einheimischen
und Gästen und dürften nicht wie gewöhnliche Ladengeschäfte behandelt
werden. Das Personal dieser Unternehmen sei für die Herstellung der
Feinbackwaren und Patisserieprodukte notgedrungen ebenfalls an Sonntagen
im Einsatz; das gelte insbesondere auch für das Verkaufspersonal.
Eine getrennte Führung dieser kombinierten Betriebe wäre nur unter
Inkaufnahme schwerwiegender Nachteile möglich. Sie seien daher als Einheit
zu behandeln und einer anderen Gewerbekategorie zuzuordnen als eine
"einfache" Bäckerei/Konditorei. Die für die genannten "Café-Conditoreien"
erteilte Sonderbewilligung beruhe auf sachgerechten Überlegungen.

    b) Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Der Grundsatz der
Gleichbehandlung der Gewerbegenossen findet nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichts dort keine Anwendung, wo zwei verschiedene Berufs- oder
Gewerbekategorien lediglich in einem Nebenbereich ihrer Tätigkeit in
eine Konkurrenzsituation gelangen, wie das z.B. im Verhältnis zwischen
Apothekern und selbstdispensierenden Ärzten oder zwischen Apotheken
und Drogerien mit teilweise gleichem Warenangebot der Fall sein kann
(BGE 119 Ia 433 E. 2b S. 437, 89 I 27 E. 4; vgl. auch DANIEL WYSS,
Die Handels- und Gewerbefreiheit und die Rechtsgleichheit, Diss. Zürich
1971, S. 23). Hingegen wird dadurch, dass ein Gewerbebetrieb, der auch
allein geführt werden kann, organisatorisch oder baulich mit dem Betrieb
einer andern Branche verbunden wird, die direkte Konkurrenz zu den in
nicht kombinierter Form geführten Betrieben der betreffenden Branchen,
jedenfalls aus der Sicht dieser Einzelbetriebe, nicht aufgehoben (vgl. BGE
98 Ia 395 E. 5b S. 404; WYSS, aaO, S. 22 ff., insbesondere S. 27).

    Zwar können derartige Verbindungen zur Folge haben, dass der Betrieb
als Ganzes aus praktischen Gründen einer anderen Ordnung unterworfen
werden muss, als dies für Einzelbetriebe der betreffenden Branchen der
Fall ist (vgl. etwa BGE 88 I 231 betreffend Ladenschlussvorschriften
für Warenhäuser). Doch müssen Kantone und Gemeinden beim Erlass von
Vorschriften das Gebot der Wettbewerbsneutralität beachten. Ihre Regelungen
dürfen weder darauf ausgerichtet sein, allfällige organisatorische
Vorteile einer bestimmten Betriebsform oder -kombination zum Schutz
konkurrierender anderer Betriebsformen zu korrigieren, noch sollen sie
bestimmte Betriebsformen oder -kombinationen ohne stichhaltigen Grund
bevorteilen.

    c) Wohl erfordert eine Bäckerei/Konditorei mit angegliedertem
Restaurant, in dem auch eigene Patisserieprodukte zum Verzehr gelangen,
eine andere Personalorganisation als eine Bäckerei/Konditorei, die ihren
Umsatz lediglich in einem Verkaufsladen (bzw. durch externe Lieferungen)
erzielt. Dies ändert aber an der direkten Konkurrenz in bezug auf die
Möglichkeit des Ladenverkaufs (Warenabgabe über die Gasse), um die es
hier einzig geht, nichts. Eine unterschiedliche Behandlung ist sicher
soweit gerechtfertigt, als es den kombinierten Betrieben unabhängig
von den vorgeschriebenen Ladenschlusszeiten gestattet sein muss, die
selber hergestellten Patisserieprodukte zum Verzehr im Restaurant
anzubieten. Hingegen besteht kein zwingender Grund, dass während
der Öffnungszeiten des Restaurants auch ein Verkauf über die Gasse
stattfinden muss (andernfalls könnten z.B. auch Gastwirtschaftsbetriebe mit
angegliederter Metzgerei das Recht für sich in Anspruch nehmen, während
der Öffnungszeiten des Restaurants Fleischprodukte zu verkaufen). Das
vom Gemeindevorstand vertretene Anliegen, den kombinierten Betrieben
eine optimale Ausnützung ihrer Betriebsorganisation zu ermöglichen, muss
vor dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gewerbegenossen zurücktreten.
Die Möglichkeit, in Kaffeehäusern auch an Sonn- und Feiertagen Patisserie
einkaufen zu können, mag einem verbreiteten Bedürfnis entsprechen, doch
darf die Zulässigkeit eines solchen Verkaufes aus den genannten Gründen
nicht auf Bäckereien/Konditoreien mit angegliedertem Restaurant beschränkt
(bzw. diesen zeitlich in einem weitergehenden Umfang gestattet) werden.