Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 V 494



119 V 494

70. Urteil vom 10. November 1993 i.S. L. gegen Öffentliche
Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn und Versicherungsgericht des
Kantons Solothurn Regeste

    Art. 8 Abs. 1 lit. e, Art. 11 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 und 2
AVIG. Tage, an denen der Arbeitnehmer zwar nicht mehr gearbeitet hat,
die aber vom Arbeitgeber im Falle der ungerechtfertigten Entlassung bis
zum Ablauf der massgebenden Kündigungsfrist noch zu entlöhnen waren,
gelten als Beitragszeit im Sinne von Art. 13 AVIG. Bestätigung der unter
altem Recht in ARV 1977 Nr. 25 S. 135 ergangenen Rechtsprechung.

Sachverhalt

    A.- Rita L. arbeitete vom 1. April 1990 bis am 24. Januar 1991 in
der Firma B. in O. Auf diesen Zeitpunkt war das Anstellungsverhältnis
von der Arbeitgeberin aufgelöst worden. Vom 24. Januar bis 30. April
1991 war Rita L. krankheitsbedingt arbeitsunfähig (Zeugnis des
Dr. med. M. vom 15. September 1992), danach führte sie bis im August 1992
den elterlichen Haushalt. Im September 1992 meldete sich Rita L. bei der
Arbeitslosenversicherung an und beantragte Taggelder ab 1. September 1992.

    Mit Verfügung vom 26. Oktober 1992 verneinte die Öffentliche
Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung, weil die Versicherte innert der massgeblichen
Rahmenfrist nicht während mindestens 6 Monaten eine beitragspflichtige
Beschäftigung ausgeübt habe.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn mit Entscheid vom 4. Februar 1993 ab.

    C.- Rita L. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen
Antrag auf Zusprechung von Arbeitslosenentschädigung.

    Das Kantonale Arbeitsamt Solothurn äussert sich im ablehnenden
Sinne. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit schliesst auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    D.- Das Eidg. Versicherungsgericht hat vom Kantonalen Arbeitsamt
Solothurn ergänzende Unterlagen eingeholt und die Akten des Arbeitsgerichts
O. über den von der Versicherten gegen die ehemalige Arbeitgeberin
geführten arbeitsrechtlichen Prozess beigezogen. Diese Unterlagen
hat es der Öffentlichen Arbeitslosenkasse des Kantons Solothurn am
15. September 1993 zur Stellungnahme zugestellt; die Arbeitslosenkasse
hat auf Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Kognition)

Erwägung 2

    2.- Eine der gesetzlichen Voraussetzungen für den Anspruch auf
Arbeitslosenentschädigung besteht darin, dass der Versicherte die
Beitragszeit erfüllt hat oder von der Beitragszeit befreit ist (Art. 8
Abs. 1 lit. e AVIG). Die Beitragszeit hat erfüllt, wer innerhalb der
Rahmenfrist nach Art. 9 Abs. 3 AVIG während mindestens sechs Monaten eine
beitragspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat (Art. 13 Abs. 1 AVIG). Die
Rahmenfrist für die Beitragszeit beginnt zwei Jahre vor dem Tag, an
welchem der Versicherte erstmals sämtliche Anspruchsvoraussetzungen
erfüllt (Art. 9 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 AVIG). Von der Erfüllung
der Beitragszeit ist gemäss Art. 14 Abs. 1 AVIG u.a. befreit, wer
innerhalb der Rahmenfrist während insgesamt mehr als zwölf Monaten
wegen Schulausbildung, Umschulung oder Weiterbildung (lit. a), wegen
Krankheit oder Unfalls (lit. b) oder wegen Aufenthalts in einer Haft-,
Arbeitserziehungs- oder in einer ähnlichen Anstalt (lit. c) nicht
in einem Arbeitsverhältnis stand und deshalb die Beitragszeit nicht
erfüllen konnte. Ebenfalls von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind
Personen, die wegen Trennung oder Scheidung ihrer Ehe, wegen Invalidität
oder Todes des Ehegatten oder aus ähnlichen Gründen oder wegen Wegfalls
einer Invalidenrente gezwungen sind, eine unselbständige Erwerbstätigkeit
aufzunehmen oder zu erweitern, falls das betreffende Ereignis nicht mehr
als ein Jahr zurückliegt (Art. 14 Abs. 2 AVIG).

Erwägung 3

    3.- a) Die Arbeitslosenkasse hat in der angefochtenen Verfügung vom
26. Oktober 1992 festgestellt, dass die Beschwerdeführerin innert der
massgeblichen zweijährigen Rahmenfrist von September 1990 bis September
1992 nur während 4 Monaten und 25,2 Tagen eine beitragspflichtige
Beschäftigung ausgeübt habe. Sie hat sich dabei auf die Angaben im
Anmeldeformular gestützt, wonach das Anstellungsverhältnis mit der Firma
B. am 24. Januar 1991 aufgelöst wurde und die Beschwerdeführerin "seither
nicht mehr gearbeitet" habe. Demgemäss hat die Arbeitslosenkasse die
Anspruchsberechtigung wegen Nichterfüllens der Mindestbeitragszeit von
sechs Monaten verneint.

    b) Aus den im vorliegenden Verfahren beigezogenen Akten des
Arbeitsgerichts O. ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin am
24. Januar 1991 von ihrer Arbeitgeberin fristlos entlassen worden war. Die
Beschwerdeführerin focht die Kündigung in der Folge als ungerechtfertigt an
und machte Lohnansprüche bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist
Ende April 1991 sowie zuwenig ausgezahltes Feriengeld von gesamthaft
Fr. 9'489.-- geltend. Das Arbeitsgericht O. sprach der Beschwerdeführerin
für die Zeit vom 26. Januar bis 30. April 1991 Lohnguthaben von brutto
Fr. 8'398.-- sowie eine Ferienentschädigung von Fr. 870.-- abzüglich
Warenbezüge von Fr. 562.-- zu. Demgemäss verpflichtete es die Arbeitgeberin
mit Urteil vom 6. Mai 1991, der Beschwerdeführerin gesamthaft Fr. 8'706.--
brutto zu bezahlen. Das Urteil erwuchs am 28. Mai 1991 unangefochten
in Rechtskraft.

    c) Das Eidg. Versicherungsgericht hat unter der Herrschaft des bis
1983 gültig gewesenen Bundesgesetzes über die Arbeitslosenversicherung
vom 22. Juni 1951 entschieden, dass jene Tage, an denen der Arbeitnehmer
zwar nicht mehr gearbeitet hat, die aber vom Arbeitgeber im Falle
der ungerechtfertigten Entlassung bis zum Ablauf der massgebenden
Kündigungsfrist noch zu entlöhnen waren, für den Nachweis der regelmässigen
Erwerbstätigkeit gemäss Art. 24 Abs. 2 lit. b AIVG als Arbeitstage
anzurechnen sind (ARV 1977 Nr. 25 S. 135). An dieser Rechtsprechung ist
auch unter dem neuen, seit 1. Januar 1984 geltenden Recht festzuhalten.

    Zu den Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung
gehört gemäss Art. 8 Abs. 1 AVIG unter anderem, dass der Versicherte
einen anrechenbaren Arbeitsausfall erlitten hat (lit. b). Nach Art. 11
Abs. 3 AVIG ist derjenige Arbeitsausfall nicht anrechenbar, für welchen
dem Arbeitslosen Lohnansprüche oder wegen vorzeitiger Auflösung des
Arbeitsverhältnisses Entschädigungsansprüche zustehen. Ein ungerechtfertigt
Entlassener hat somit keinen Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung,
solange ihm der Lohn weitergezahlt wird. Die entlöhnten Tage sind
jedoch - entsprechend der Rechtsprechung gemäss ARV 1977 Nr. 25
S. 135 - als Beitragszeit im Sinne von Art. 13 AVIG anzurechnen
(vgl. auch GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz,
N. 83 zu Art. 11 AVIG). Damit wird erreicht, dass der Versicherte, der
ungerechtfertigt entlassen wurde, aber wegen der Lohnfortzahlungspflicht
des Arbeitgebers bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist keine
Arbeitslosenentschädigung beziehen kann, hinsichtlich der Erfüllung der
Anspruchsvoraussetzungen nicht schlechter gestellt ist, als wenn er bis
zum ordentlichen Kündigungstermin gearbeitet hätte.

    d) Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die Zeit vom
26. Januar bis 30. April 1991, für welche der Beschwerdeführerin
mit rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts O. vom 6. Mai 1991
Lohnguthaben zugesprochen wurden, als Beitragszeit anzurechnen ist. Die
Sache ist deshalb an die Arbeitslosenkasse zurückzuweisen, damit sie unter
diesem Gesichtspunkt die Beitragszeit der Beschwerdeführerin innert der
massgeblichen zweijährigen Rahmenfrist vor der ersten Stempelkontrolle im
September 1992 neu berechne. Sodann wird sie die übrigen Voraussetzungen
gemäss Art. 8 Abs. 1 AVIG zu prüfen und gestützt darauf über den Anspruch
der Beschwerdeführerin auf Arbeitslosenentschädigung neu zu befinden
haben. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es sich für die
Beschwerdeführerin nicht nachteilig auswirken darf, falls das Arbeitsamt
sie im Anschluss an den Erlass der angefochtenen Verfügung vom 26. Oktober
1992 nicht mehr zur Stempelkontrolle zugelassen hat (nicht publizierte
Urteile H. vom 5. Oktober 1993 und C. vom 12. September 1990).

Erwägung 4

    4.- (Unentgeltliche Verbeiständung)