Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 V 370



119 V 370

53. Auszug aus dem Urteil vom 29. Oktober 1993 i.S. N. gegen Kantonales
Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit, Bern und Verwaltungsgericht des
Kantons Bern Regeste

    Art. 47 Abs. 1 AVIG (Geltendmachung der Schlechtwetterentschädigung
bei der Arbeitslosenkasse), Art. 69 Abs. 1 AVIV (Meldepflicht über den
wetterbedingten Arbeitsausfall bei der kantonalen Amtsstelle).

    - Der dreimonatige Fristenlauf zur Geltendmachung der
Schlechtwetterentschädigung bei der Arbeitslosenkasse beginnt nach Ablauf
der jeweiligen Abrechnungsperiode gemäss Art. 68 AVIV; dies unabhängig
davon, ob die kantonale Amtsstelle ihre Verfügung über einen Einspruch
(Art. 48 Abs. 2 AVIG) gegen die Rechtzeitigkeit oder die Anrechenbarkeit
der gemeldeten Arbeitsausfälle getroffen hat.

    - Rz. 77 des BIGA-Kreisschreibens über die Schlechtwetterentschädigung,
welche die Frist zur Geltendmachung ab dem Tag der Zustellung der Verfügung
über den Entscheid der kantonalen Amtsstelle betreffend ihren Einspruch
(bzw. des Rekursentscheides darüber) laufen lässt, ist bundesrechtswidrig.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 47 Abs. 1 AVIG macht der Arbeitgeber den Anspruch
auf Schlechtwetterentschädigung innert drei Monaten nach Ablauf jeder
Abrechnungsperiode bei der Arbeitslosenkasse geltend.

    Neben dieser Geltendmachung des Anspruchs bei der Kasse hat der
Arbeitnehmer seiner Meldepflicht gegenüber der kantonalen Amtsstelle zu
genügen. Er muss ihr spätestens am 5. Tag des folgenden Kalendermonats
den wetterbedingten Arbeitsausfall melden (Art. 69 Abs. 1 AVIV). Die
kantonale Amtsstelle prüft die Anrechenbarkeit des Arbeitsausfalls
in meteorologischer Hinsicht und die Rechtzeitigkeit der Meldung
(GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, N 6 und 37 zu
Art. 45). Sie trifft darüber eine Verfügung. Verneint sie die Erfüllung
dieser Voraussetzungen, so spricht das Gesetz von einem Einspruch. Bejaht
sie die Erfüllung, so erhebt sie keinen Einspruch (Art. 48 Abs. 2 AVIG).

    Die Kasse ihrerseits prüft die übrigen Voraussetzungen, so etwa, ob
einem Arbeitnehmer aufgrund der speziellen Art seines Arbeitsverhältnisses
im Sinne von Art. 42 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 3 AVIG keine
Schlechtwetterentschädigung zukommen kann, und legt den anrechenbaren
Arbeitsausfall für eine Abrechnungsperiode in bezug auf den/die gemeldeten
Arbeitnehmer nach Art. 43 Abs. 2, 3 und 4 AVIG fest (GERHARDS, aaO,
N 5 zu Art. 43, N 10 ff. zu Art. 47-48). Sodann richtet sie, wenn die
kantonale Amtsstelle keinen Einspruch erhoben hat, die Entschädigung aus
(Art. 48 Abs. 2 AVIG).

Erwägung 3

    3.- a) Streitig und zu prüfen ist nach den Anträgen der Parteien
nun die Frage, ob die Frist von drei Monaten für die Geltendmachung des
Anspruchs bei der Kasse erst zu laufen beginnt, nachdem die kantonale
Amtsstelle darüber entschieden hat, dass sie gegen die Ausrichtung der
Entschädigung keinen Einspruch erhebt. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe
und Arbeit (BIGA) stellt sich in seinem Kreisschreiben in Rz. 77 auf
diesen Standpunkt und die Beschwerdeführerin macht sich denselben zu eigen.

    Die besagte Rz. 77 hat folgenden Wortlaut:

    "Da die Zustimmung zur Ausrichtung der Schlechtwetterentschädigung
   (Entscheid der kantonalen Amtsstelle, eventuell Rekursinstanz) erst nach

    Ablauf der Abrechnungsperiode erfolgt, in welcher die Ausfälle
angefallen
   sind, beginnt die Frist der Geltendmachung am Tag nach der Zustellung
   des

    Entscheides."

    b) Die Beschwerdeführerin führt dazu aus, laut der ihr vom
Abteilungschef Arbeitslosenkasse des BIGA erteilten telefonischen
Auskunft gründe die Aussage in der besagten Rz. auf einem Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts vom 6. Dezember 1985 in Sachen B. (E. 2
publiziert in BGE 111 V 398). In jenem Fall sei es um den Anspruch auf
Leistungen der Arbeitslosenversicherung zum Besuch eines Kurses zur
Umschulung, Weiterbildung oder Eingliederung nach den Art. 59 ff. AVIG
gegangen. Wie bei der Schlechtwetterentschädigung sehe Art. 86 (Abs.
2) AVIV eine Dreimonatsfrist zur Geltendmachung des Anspruchs vor,
laufend ab Anfall der Kosten. Das Eidg. Versicherungsgericht habe klar
und deutlich festgehalten, dass die Frist sinnvollerweise nicht zu laufen
beginnen könne, solange der diesbezügliche Grundsatzentscheid nicht
gefällt sei. Die Beschwerdeführerin zitiert die entsprechende Erwägung
(E. 6b in fine) aus jenem Urteil wie folgt:

    "En effet, le délai en question - dont la nature juridique et la
   légalité n'ont pas besoin d'être examinées en l'espèce - ne saurait
   courir tant et aussi longtemps que l'autorité compétente n'a pas donné
   son accord à la fréquentation du cours ni, par conséquent, lorsqu'elle
   a refusé celui-ci et que sa décision fait l'objet d'une procédure de
   recours. On ne voit pas, en effet, à quoi servirait la production par
   l'assuré des documents relatifs aux frais du cours qu'il a fréquenté
   lorsque le principe même de son droit aux prestations est contesté
   dans le cadre d'une procédure juridictionnelle."

    c) Ob das BIGA durch das erwähnte Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts zum Erlass der in Frage stehenden Rz. 77
veranlasst worden ist oder ob andere Überlegungen massgeblich oder
untergeordnet mitbeteiligt waren, kann dahingestellt bleiben. Denn
unabhängig davon muss geprüft werden, ob die Schlussfolgerung in diesem
Urteil auch auf den vorliegenden Fall, in dem es um die Ausrichtung von
Schlechtwetterentschädigung und nicht von Kurskosten geht, zu übertragen
ist.

Erwägung 4

    4.- Die Verfahren für die Geltendmachung dieser Entschädigungen
unterscheiden sich insoweit nicht, als hier wie dort zwei Behörden
oder Organe beteiligt sind, die beide tätig werden müssen, bevor
einem Ansprecher eine Entschädigung ausgerichtet wird. Bei der
Schlechtwetterentschädigung ist es zunächst die kantonale Amtsstelle,
die in einer Verfügung "Einspruch" oder keinen solchen erhebt, und dann
die Arbeitslosenkasse, welche über die Ausrichtung der geltend gemachten
Entschädigung entscheidet. Bei der Vergütung von Kurskosten muss zuerst
die kantonale Amtsstelle ihre "Zustimmung" zum Kursbesuch geben (Art. 60
Abs. 2 AVIG), worauf die Kasse die nachgewiesenen Auslagen ersetzt
(Art. 61 Abs. 3 AVIG, Art. 85 AVIV).

    Die Verfahren unterscheiden sich indessen in zwei wesentlichen Punkten:

    a) Beim Kursbesuch steht der Entscheid über die Zustimmung zu
demselben durch die kantonale Amtsstelle klar im Mittelpunkt. Dies ist
die eigentliche Hürde, die der Ansprecher zu nehmen hat. Die Kasse hat
hierauf nur noch weitgehend die Funktion einer Zahlstelle. Gestützt auf
die ihr einzureichenden Unterlagen vergütet sie dem Kursteilnehmer die
Auslagen. Bei dieser Ausgestaltung des Verfahrens liegt es auf der Hand,
dass der Versicherte nicht gezwungen sein soll, die Unterlagen für die
letzteren einzureichen, wenn der eigentliche Entscheid, ob er überhaupt
auf Kosten der Arbeitslosenversicherung am Kurs teilnehmen kann, noch
gar nicht rechtsgültig gefallen ist.

    Anders liegen die Verhältnisse bei der Schlechtwetterentschädigung. Den
beiden Entscheiden der kantonalen Amtsstelle und der Kasse kommt je eine
eigene spezifische und für das Erlangen der Schlechtwetterentschädigung
ähnlich wichtige Bedeutung zu. Jedes der beiden Organe hat die Erfüllung
der vorstehend erwähnten Voraussetzungen (E. 2) zu prüfen. Die erste zu
nehmende Hürde bei der kantonalen Amtsstelle ist keineswegs gewichtiger. Im
Gegenteil. Es wird nicht ihre "Zustimmung" verlangt, sondern nur, dass sie
nicht durch einen "Einspruch" das Verfahren hemmt. Dieser Ausdruck weist
darauf hin, dass im Normalfall keine Einwendungen der kantonalen Amtsstelle
erwartet werden. Ist aber der Entscheid der kantonalen Amtsstelle nicht
als im Mittelpunkt liegend zu betrachten, so rechtfertigt es sich nicht,
die Frist für die Geltendmachung der Entschädigung bei der Kasse erst
beginnen zu lassen, wenn die kantonale Amtsstelle entschieden hat.

    b) Hinzu kommt der Umstand, dass die Geltendmachung von
Schlechtwetterentschädigungen von der Natur der Sache her kein zeitliches
Hinausschieben erträgt, weil die Erfüllung der Voraussetzungen durch
die Kasse nicht mehr genügend sicher geprüft werden kann. Dieses
Anliegen ist denn auch der Grund, dass das Eidg. Versicherungsgericht
die Dreimonatsfrist als Verwirkungsfrist versteht (BGE 114 V 123 E. 3a
mit Hinweisen). Würde die Frist, wie es die erwähnte Rz. vorsieht, erst
von der Zustellung der Verfügung der kantonalen Amtsstelle an zu laufen
beginnen, könnten die Verhältnisse für die Kasse bis zu ihrem Entscheid
wegen Zeitablaufs undurchsichtig und damit unüberprüfbar werden. - So
wurde beispielsweise im vorliegenden Fall die Verfügung der kantonalen
Amtsstelle nach erst knapp drei Monaten erlassen. Damit hätte die Frist
für die Geltendmachung fast sechs Monate betragen.

    Anders verhält es sich beim Ersatz der Auslagen für einen
Kursbesuch. Hier liegen Rechnungen, Bescheinigungen, Billette und
dergleichen vor (Art. 85 AVIV), deren Verlässlichkeit durch eine zeitliche
Verzögerung nicht in Frage gestellt wird.

    Aus diesen Gründen kann die Schlussfolgerung aus dem Urteil des
Eidg. Versicherungsgerichts in Sachen B. nicht auf die Ausrichtung von
Schlechtwetterentschädigungen übertragen werden. Rz. 77 des Kreisschreibens
über die Schlechtwetterentschädigung des BIGA erweist sich folglich als
bundesrechtswidrig, wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat.