Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IV 54



119 IV 54

10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Februar 1993 i.S. M.
gegen Öffentliches Amt des Kantons Wallis (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 110 Ziff. 5, Art. 251 Ziff. 1 StGB; Falschbeurkundung.

    Der Urkundencharakter eines Schriftstückes ist relativ. Es kann mit
Bezug auf bestimmte Aspekte Urkundencharakter haben, mit Bezug auf andere
nicht (E. 2c/aa).

    Ermächtigt der Bauherr den bauleitenden Architekten, die
Unternehmerrechnungen im Sinne der SIA-Normen zu genehmigen, darf er
sich darauf verlassen, dass der Architekt seiner Prüfungspflicht in
jeder Hinsicht nachkommt. Die in der schriftlichen Genehmigung einer
Unternehmerrechnung liegende wahrheitswidrige Erklärung des Architekten,
die genehmigte Rechnung sei inhaltlich richtig, erfüllt den Tatbestand
der Falschbeurkundung (E. 2d).

Sachverhalt

    A.- Das Kantonsgericht Wallis befand M. mit Urteil vom 26.
Mai/17. Juni 1992 zweitinstanzlich schuldig des gewerbsmässigen Betrugs,
der Urkundenfälschung, der Erschleichung einer Falschbeurkundung sowie
des wiederholten Pfändungsbetrugs und bestrafte ihn in Ausfällung einer
teilweisen Zusatzstrafe zum Urteil des Kreisgerichts Oberwallis für den
Bezirk Leuk vom 30. Januar 1981 mit 20 Monaten Zuchthaus, abzüglich 354
Tage Untersuchungshaft.

    B.- M. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der einzige Schuldspruch, den der Beschwerdeführer mit
einer hinreichenden Begründung anficht, ist die Verurteilung wegen
Falschbeurkundung im Zusammenhang mit Aushubarbeiten.

    a) Eine Falschbeurkundung gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB begeht, wer eine
rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet oder beurkunden lässt,
in der Absicht, jemanden am Vermögen oder an anderen Rechten zu schädigen
oder sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen.

    b) Die Vorinstanz führt aus, die auf Veranlassung des Beschwerdeführers
erstellten Rechnungen der Gebrüder T. AG vom 17. Juni 1980 und
6. Juli 1980 seien unwahr, d.h. inhaltlich unrichtig gewesen, weil
die Firma T. nur für rund Fr. 70'000.-- und nicht für Fr. 210'000.--
Aushubarbeiten ausgeführt habe. Der Beschwerdeführer habe diese Rechnungen
mit dem Kontrollstempel der Bauleitung versehen und "zur Bezahlung
freigegeben". Die Herstellung der erwähnten inhaltlich unwahren Rechnungen
an sich stelle noch keine Falschbeurkundung dar. Es gehe hier jedoch
nicht nur um inhaltlich falsche Rechnungen, sondern um auf Veranlassung
des Architekten hin erstellte und schliesslich von ihm visierte und
bestätigte Rechnungen. Durch die Bestätigung hätten die Rechnungen
beweisbildende Kraft erhalten. Sie seien geeignet und bestimmt gewesen,
die Bauherren von der Wahrheit der behaupteten Tatsachen zu überzeugen,
seien doch alle von den Handwerkern hergestellten Rechnungen vorerst
dem Architekten zur Kontrolle und Visierung vorgelegt worden. Dadurch
hätten die Rechnungen erhöhte Überzeugungskraft gewonnen und seien damit
als Beweismittel geeignet. Die Prüfung der vom Bauunternehmer gestellten
Rechnung durch den bauleitenden Architekten solle dem Bauherrn objektive
Gewähr bieten, dass die in der Rechnung aufgeführten Leistungen, soweit
sie vom Bauleiter bestätigt wurden, tatsächlich erbracht worden sind. Der
Rechnungskontrolle durch den Bauleiter komme für die Abrechnung zwischen
dem Unternehmer und dem Besteller zentrale Bedeutung zu. Der Bauherr
müsse sich daher auf die Angaben des von ihm mit der Bauleitung betrauten
Architekten verlassen können. Diesem komme im Verhältnis zum Bauherrn eine
ähnliche Vertrauensstellung zu wie dem Arzt gegenüber der Krankenkasse.
Der auf der Rechnung des Unternehmers angebrachte Kontrollstempel mit
der Unterschrift des bauleitenden Architekten sei nach der Verkehrsübung
bestimmt und geeignet, den Beweis für die Wahrheit der gegebenenfalls
berichtigten Rechnung zu erbringen, und verleihe damit diesem Schriftstück
Urkundencharakter. Als Aussteller der Urkunde sei dabei, da die Rechnung
erst durch die Bestätigung des bauleitenden Architekten Urkundenqualität
erlange, der Bauleiter, hier also der Beschwerdeführer, zu betrachten. Dies
gelte im vorliegenden Fall umso mehr, als die fraglichen Rechnungen nach
der Weisung des Beschwerdeführers erstellt worden seien.

    c) aa) Der Urkundencharakter eines Schriftstückes ist relativ. Es
kann mit Bezug auf bestimmte Aspekte Urkundencharakter haben, mit Bezug
auf andere nicht. So können die auf Veranlassung des Beschwerdeführers
erstellten Rechnungen unabhängig davon, ob sie inhaltlich richtig sind,
Urkunden für den Beweis der Tatsache darstellen, dass die entsprechende
Erklärung durch die entsprechende Baufirma abgegeben worden ist. An diesen
Rechnungen können deshalb prinzipiell Urkundendelikte begangen werden,
etwa durch ihre unzulässige Veränderung (Urkundenfälschung) oder, je nach
Umständen, durch ihre Beseitigung (Urkundenunterdrückung). Mit dieser
Aussage, dass die Rechnungen prinzipiell Urkundencharakter haben können,
ist jedoch noch keine Antwort darauf gegeben, ob sich der Beschwerdeführer
der Falschbeurkundung schuldig gemacht hat, indem er die Erstellung
inhaltlich unrichtiger Rechnungen veranlasst und sie anschliessend mit
seinem Visum als richtig bestätigt hat.

    bb) Bei der Falschbeurkundung geht es allein darum, dass die in
der Urkunde enthaltene Erklärung nicht mit der Wahrheit übereinstimmt,
wobei nach allgemeiner Ansicht die einfache schriftliche Lüge keine
Falschbeurkundung darstellt. Nach Lehre und Rechtsprechung darf eine
Falschbeurkundung, also eine Art qualifizierte schriftliche Lüge, nur dann
angenommen werden, wenn allgemeingültige objektive Garantien die Wahrheit
der Erklärung gewährleisten, wie sie u.a. in der Prüfungspflicht einer
Urkundsperson und in gesetzlichen Vorschriften gefunden werden können,
die, wie etwa die Bilanzvorschriften der Art. 958 ff. OR, gerade den
Inhalt bestimmter Schriftstücke näher festlegen. Blosse Erfahrungsregeln
hinsichtlich der Glaubwürdigkeit irgendwelcher schriftlicher Äusserungen
genügen dagegen nicht, mögen sie auch zur Folge haben, dass sich der
Geschäftsverkehr in gewissem Umfang auf die entsprechenden Angaben verlässt
(BGE 117 IV 38 E. d; 118 IV 364 E. 2a mit Hinweisen).

    cc) In seiner neueren Rechtsprechung hat das Bundesgericht deshalb
eine Falschbeurkundung in folgenden Fällen verneint: Erstellen einer
Rechnung für nicht ausgeführte Arbeiten (BGE 117 IV 35 ff.); zuhanden
einer Anlegerin ausgestellte inhaltlich unrichtige Bestätigung, wonach der
Aussteller einen von der Anlegerin einem Dritten übergebenen Geldbetrag auf
treuhänderischer Basis verwalte und einen bestimmten Jahreszins entrichten
werde (BGE 117 IV 168 mit Hinweis); Erstellen von inhaltlich unwahren
Regierapporten (BGE 117 IV 165 ff.); Ausstellung von Lohnabrechnungen
auf den Namen einer Person, die nicht mit dem wirklichen Arbeitnehmer
identisch war (BGE 118 IV 364).

    dd) Umgekehrt erfüllt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung
die Erstellung eines unrichtigen Krankenscheines den Tatbestand der
Falschbeurkundung. Denn mit einem Krankenschein macht der Arzt gegenüber
der Krankenkasse Leistungen für sich oder den Patienten geltend. Aufgrund
seiner besonderen Stellung ist er zur wahrheitsgetreuen Angabe verpflichtet
und deshalb auch besonders glaubwürdig (BGE 117 IV 169 f. unter Hinweis
auf BGE 103 IV 184). Dem Krankenschein kommt somit eine über eine blosse
Rechnung hinausgehende qualifizierte Funktion zu.

    In BGE 103 IV 184 wurde dies im einzelnen wie folgt begründet: Eine
Überprüfung namentlich der vom Arzt verzeichneten Anzahl Konsultationen
im Einzelfall durch die Kasse sei nicht möglich und in der Regel auch
nicht zumutbar. Der Arzt stehe nicht nur zu seinem Patienten, sondern
auch zur Krankenkasse, mit der er vertraglich verbunden sei, in einem
besonderen Vertrauensverhältnis. Hinzu komme, dass durch den von der
Ärztegesellschaft mit dem Krankenkassenverband abgeschlossenen Vertrag
die Ärzte sich verpflichtet hätten, jeder unberechtigten Inanspruchnahme
der Kasse entgegenzuwirken.

    d) Es erhebt sich die Frage, ob der bauleitende Architekt, der die
Rechnungen der Unternehmer zu prüfen und gegebenenfalls zu genehmigen hat,
sich in einer vergleichbaren Stellung befindet.

    aa) Nach der SIA-Norm 118, Art. 153-156, wickelt sich die
Schlussabrechnung wie folgt ab: Der Unternehmer reicht seine Rechnung
der Bauleitung ein (Art. 154 Abs. 1). Diese prüft sie und gibt dem
Unternehmer über das Ergebnis Bescheid (Art. 154 Abs. 2). Ergeben sich
bei der Prüfung keine Differenzen, so gilt die Schlussabrechnung mit dem
Prüfungsbescheid der Bauleitung als beidseitig anerkannt. Allfällige
Differenzen sind baldmöglichst zu bereinigen (Art. 154 Abs. 3). Die
durch die Schlussabrechnung ermittelte Forderung des Unternehmers wird
mit dem Prüfungsbescheid der Bauleitung fällig (Art. 155 Abs. 1). Der
Prüfungsbescheid der Bauleitung bedeutet eine für den Bauherrn verbindliche
Anerkennung (GAUCH/SCHUMACHER, Kommentar zur SIA-Norm 118, Art. 38-156,
Zürich 1992, Art. 154 N 24).

    bb) Nach der SIA-Ordnung 102 gehört zu den Aufgaben der Bauleitung die
Kontrolle der Rechnung und Zahlungsanweisungen sowie der Abschluss der
Unternehmer- und Lieferantenrechnungen (Art. 4.4; vgl. RUDOLF SCHWAGER,
Die Vollmacht des Architekten, in: GAUCH/TERCIER, Das Architektenrecht,
Freiburg 1986, N 813).

    cc) Den SIA-Normen kommt als einem privaten Regelwerk keine allgemeine
Verbindlichkeit im Sinne eines Gesetzes oder einer Verordnung zu. Dies
ändert jedoch nichts daran, dass sie jedenfalls in den Bereichen, in denen
sie inhaltlich nicht zu beanstanden sind, für diejenigen, die sich ihnen
unterwerfen, von ähnlich hoher Bedeutung wie ein Gesetz sind (BGE 117 IV
168 mit Hinweisen). Es rechtfertigt sich deshalb für die Frage, welche
Stellung dem bauleitenden Architekten bei der Genehmigung von Rechnungen
zukommt, auch auf Regeln der SIA-Ordnung zurückzugreifen, und zwar auch
dort, wo sich die Parteien diesen nicht direkt unterworfen haben, aber
konkludent von der Geltung einer Regel der SIA-Ordnung ausgehen. Deshalb
braucht auf die Bedenken, die gegen das SIA-Regelwerk vorgebracht werden
(vgl. BGE 109 II 461 E. e; GAUCH, Der Werkvertrag, 3. A. N 865; SCHWAGER,
aaO, N 809), hier nicht eingegangen zu werden.

    dd) Der Bauherr ist in der Regel schon mangels fachlicher Kenntnisse
nicht in der Lage zu überprüfen, ob Unternehmerrechnungen richtig
sind. Jedenfalls bei grösseren Bauten fehlt ihm dazu häufig auch
die Zeit. Wenn er deshalb den bauleitenden Architekten ermächtigt,
die Unternehmerrechnungen im Sinne der SIA-Normen zu genehmigen, dann
verlässt er sich darauf, dass der Architekt aufgrund seiner besonderen
fachlichen Kenntnis und der ihm übertragenen besonderen Aufgabe seiner
Prüfungspflicht in jeder Hinsicht nachkommt. Aufgrund der besonderen
Stellung des bauleitenden Architekten im Verhältnis zwischen Bauherr und
Unternehmer darf er sich auch darauf verlassen. Der Architekt, der die
Pflicht zur ordnungsgemässen Prüfung der Schlussabrechnung übernommen hat,
befindet sich insoweit in einer garantenähnlichen Stellung in bezug auf
das Vermögen des Bauherrn. Die in der Genehmigung der Unternehmerrechnung
liegende Erklärung des bauleitenden Architekten, die genehmigte Rechnung
sei inhaltlich richtig, stellt deshalb mehr als eine einfache schriftliche
Lüge dar. Sie erfüllt den Tatbestand der Falschbeurkundung gemäss Art. 251
Ziff. 1 StGB. Die Beschwerde erweist sich demnach insoweit als unbegründet.