Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IV 266



119 IV 266

50. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. September
1993 i.S. I. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 19 Ziff. 1 Abs. 5 BetmG; unbefugter Besitz von Betäubungsmitteln.

    Wer einem anderen für das Verstecken von Betäubungsmitteln seine
Wohnräumlichkeiten zur Verfügung stellt, duldet deren Hinterlegung nicht
bloss passiv und ist nicht nur Gehilfe, sondern macht sich selbständig,
durch aktives Tun wegen unbefugten Besitzes von Betäubungsmitteln strafbar.

Sachverhalt

    A.- Das Kantonsgericht St. Gallen sprach I. mit Urteil vom 7.
Dezember 1992 in zweiter Instanz der schweren Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz schuldig und verurteilte ihn zu 12 Monaten Gefängnis
unter Anrechnung der Untersuchungshaft von 17 Tagen. Den Vollzug der
Freiheitsstrafe schob es unter Gewährung einer Probezeit von zwei Jahren
bedingt auf.

    Gegen diesen Entscheid führt I. eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde,
mit der er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben, es sei
auf Gehilfenschaft zur Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu
erkennen und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt in ihrer
Vernehmlassung Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde. Das Kantonsgericht St.
Gallen hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Vorinstanz legte ihrem Entscheid folgenden Sachverhalt
zugrunde: Im Rahmen einer Hausdurchsuchung der vom Beschwerdeführer
benutzten Räumlichkeiten wurden in seiner Wohnung 0,3 Gramm Heroin sowie
0,1 Gramm Haschisch und in einem von ihm gemieteten Zimmer im Restaurant
"Rössli" 37 Gramm Kokain, abgepackt in neun Plastiksäcklein, und 9,5
Gramm Heroin in einer Hose im Wandschrank aufgefunden. Gestützt auf die
Angaben des Beschwerdeführers nahm die Vorinstanz an, dieser habe einem
ihm bekannten A. beim Abfüllen der Drogen geholfen. Ferner habe er ihm
erlaubt, das Rauschgift in seinem Zimmer kurzfristig zu verstecken sowie
0,3 Gramm Heroin und 0,1 Gramm Haschisch in der Wohnung seines Bruders
zu deponieren. Nach den Feststellungen der ersten Instanz sei A. einige
Tage später im Restaurant "Rössli" erschienen und habe gegenüber dem
Beschwerdeführer versichert, dass er die Drogen wieder an sich genommen
habe. Davon sei der Beschwerdeführer ausgegangen, bis die Polizei die
Betäubungsmittel anlässlich der Hausdurchsuchung gefunden habe.

    b) Aufgrund dieses Sachverhalts erklärte die Vorinstanz
den Beschwerdeführer der qualifizierten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 in Verbindung mit
Ziff. 2 lit. a BetmG schuldig. Sie führte aus, der Beschwerdeführer
habe die Betäubungsmittel im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 5 BetmG
besessen. Das ebenfalls in Frage kommende unbefugte Lagern gemäss
Abs. 3 derselben Bestimmung werde von der Tathandlung des unbefugten
Besitzens mitumfasst. Der Tatbestand des unbefugten Besitzens liege
stets vor, wenn der Täter Betäubungsmittel anders als auf dem vom Gesetz
vorgeschriebenen Weg erlangt habe. Der Beschwerdeführer habe die von
A. mitgeführten Drogen spätestens zu dem Zeitpunkt in diesem Sinne
erlangt, als sich jener verabschiedet habe, um seinen Stoff später
wieder abzuholen. Er habe dadurch die tatsächliche Möglichkeit des
Zuganges zu der Sache gehabt. Ebenfalls sei der Wille, die Sache den
tatsächlichen Möglichkeiten gemäss zu beherrschen, vorhanden gewesen,
da der Beschwerdeführer die Betäubungsmittel A. zur Verfügung gehalten
und für ihn aufbewahrt habe. Indem der Beschwerdeführer bereit war,
die Hinterlegung der Betäubungsmittel zu dulden, habe er im Sinne des
Betäubungsmittelgesetzes daran Besitz begründet.

    c) Der Beschwerdeführer räumt ein, dass er sich der Gehilfenschaft zur
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig gemacht habe, indem
er A. behilflich gewesen sei, die Betäubungsmittel zu portionieren. Indes
wendet er sich gegen den Schuldspruch der Mittäterschaft zum qualifizierten
Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz. Er macht geltend, für eine
Verurteilung gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 5 BetmG genüge eine blosse
faktische Herrschaftsmöglichkeit über die Betäubungsmittel nicht. Aus
der bestehenden Herrschaftsmöglichkeit könne zudem auch nicht auf einen
diesbezüglichen Herrschaftswillen geschlossen werden. Der Herrschaftswille
sei nicht bereits dann gegeben, wenn ein Gegenstand im Zugriffsbereich
eines anderen liege. Der subjektive Tatbestand sei nur dann erfüllt. wenn
sich die Tathandlung nicht auf ein blosses Dulden beschränke, sondern
zusätzlich ein eigener Herrschaftswille gegeben sei.

    Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, er habe Art. 19 Ziff. 1
Abs. 3 und 5 BetmG auch nicht durch Unterlassen im Sinne eines unechten
Unterlassungsdelikts erfüllt. Er habe von der Existenz der Drogen erst
Kenntnis erhalten, als diese sich bereits in seiner Wohnung befunden
hätten. A. sei nicht bereit gewesen, diese wieder mitzunehmen. In dieser
Situation könne die Duldung der Lagerung nicht strafbar sein.

Erwägung 3

    3.- a) Gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 5 BetmG macht sich
strafbar, wer unbefugt Betäubungsmittel lagert, versendet, befördert,
ein-, aus- oder durchführt bzw. unbefugt besitzt, aufbewahrt, kauft
oder sonstwie erlangt. Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, dass
er seinem Bekannten A. erlaubt habe, für kurze Zeit in seinem Zimmer
und in der Wohnung seines Bruders Betäubungsmittel zu verstecken. Zu
prüfen ist, ob der Beschwerdeführer dadurch selbständig einen der in
Art. 19 Ziff. 1 BetmG umschriebenen Tatbestände erfüllt oder als Gehilfe
lediglich einen untergeordneten, vom Gesetz nicht als selbständiges Delikt
erfassten Beitrag geleistet hat. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang,
dass Art. 19 Ziff. 1 BetmG nahezu alle Unterstützungshandlungen, die
bei anderen Tatbeständen als Teilnahmehandlungen erfasst werden, als
selbständige Handlungen umschreibt. So hat nach der Rechtsprechung jede
dieser in Art. 19 Ziff. 1 BetmG aufgeführten Handlungen die Bedeutung eines
selbständigen Straftatbestandes und untersteht der vollen Strafdrohung,
wer in eigener Person einen dieser gesetzlichen Tatbestände objektiv und
subjektiv erfüllt (BGE 118 IV 397 E. 2c, 106 IV 72 E. 2b).

    b) In Frage kommen im zu beurteilenden Fall die Tathandlungen des
Lagerns und Besitzens bzw. Aufbewahrens gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und
5 BetmG. Die romanischen Gesetzestexte sprechen in diesem Zusammenhang
von "entreposer", "posséder" und "détenir" bzw. von "depositare",
"possedere" und "detenere". Besitz und Lagerung sind schon im Gesetz
betreffend Betäubungsmittel vom 2. Oktober 1924 als strafbare Handlungen
bezeichnet worden (AS 41 [1925] 439, Art. 11 Abs. 1; vgl. auch Art. 33
und 36 Ziff. 1 des Einheits-Übereinkommens über die Betäubungsmittel vom
30. März 1961, für die Schweiz in Kraft getreten am 22. Februar 1970
[SR 0.812.121.01]). Die Tathandlung des Aufbewahrens wurde durch die
Gesetzesrevision vom 8. Oktober 1951 eingefügt (AS 1952 241, Art. 19
Ziff. 1 Abs. 3).

    c) Besitz im Sinne des BetmG meint nicht den Zustand als solchen,
sondern ein dafür kausales Verhalten, nämlich die Herbeiführung und
Aufrechterhaltung des illegalen Zustands. Der Tatbestand ist demnach
erfüllt, wenn der Täter anders als auf dem im Gesetz vorgeschriebenen
Weg Betäubungsmittel erlangt hat (ALFRED SCHÜTZ, Die Strafbestimmungen
des Bundesgesetzes über die Betäubungsmittel ..., Diss. Zürich 1980,
S. 123 f.; ebenso GÜNTER HEINE, Landesbericht Schweiz, S. 569, in
JÜRGEN MEYER, Betäubungsmittelstrafrecht in Westeuropa, Freiburg i.Br.
1987). Besitz im Sinne des BetmG setzt entsprechend dem Gewahrsamsbegriff
beim Diebstahl Herrschaftsmöglichkeit und Herrschaftswille voraus. Dabei
umfasst Herrschaftsmöglichkeit die tatsächliche Möglichkeit des Zugangs
zur Sache und das Wissen darum, wo sie sich befindet, und bezeichnet
Herrschaftswille den Willen, die Sache der tatsächlichen Möglichkeit
gemäss zu beherrschen (BGE 115 IV 104 f. E. 1c aa; GÜNTER STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, 4. Aufl., Bern 1993, § 13 N 79
ff.; vgl. auch MARTIN SCHUBARTH, Kommentar Strafrecht, Bes. Teil, 2. Band,
N 54 f. zu Art. 137). Bei Sachen innerhalb der eigenen Herrschaftssphäre,
deren Vorhandensein jederzeit festgestellt werden kann, genügt ein
entsprechender genereller Herrschaftswille (STRATENWERTH, aaO, § 13 N 88).

    Die Vorinstanz stellte verbindlich fest, der Wille des
Beschwerdeführers habe sich, indem er die Hinterlegung der Betäubungsmittel
geduldet habe, darauf gerichtet, den Stoff für A. aufzubewahren. Dadurch
habe der Beschwerdeführer an den sich in seinem Zugriffsbereich befindenden
Betäubungsmitteln Besitz im Sinne des BetmG erlangt. Sie nahm dabei an,
sowohl Herrschaftsmöglichkeit als auch Herrschaftswille seien gegeben,
und bejahte aufgrund dessen den Besitz. Dies ist entgegen der Auffassung
des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden. Wohl spricht die Vorinstanz
zum Teil bloss von einem Dulden des Beschwerdeführers. Indem sie aber
in verbindlicher Weise Herrschaftswille und Herrschaftsmöglichkeit
feststellte, verstand sie das Dulden der Hinterlegung nicht als passives
Verhalten (vgl. zur entsprechenden Problematik bei der Begünstigung BGE 117
IV 467 E. 3). Vielmehr ging sie davon aus, der Beschwerdeführer habe A. die
Örtlichkeiten zur Verfügung gestellt, wo dieser die Drogen verstecken
konnte, und die Hinterlegung somit aktiv unterstützt. Daraus ergibt
sich sein Besitz an den in seinen Räumlichkeiten versteckten Drogen. Der
Beschwerdeführer hat bei dieser Sachlage selbständig gegen das BetmG
verstossen und sich nicht bloss der Gehilfenschaft schuldig gemacht.

    d) Ob der Tatbestand des Lagerns ebenfalls erfüllt ist, kann
offenbleiben, da die Vorinstanz dies dem Beschwerdeführer nicht zur Last
legte. Sie ging (irrtümlicherweise) davon aus, der Besitz von Drogen
umfasse immer auch das Lagern (vgl. SCHÜTZ, aaO, S. 111). Sie zog damit
einen selbständigen Tatbestand des Lagerns - im Ergebnis hier wohl zu
Recht - gar nicht in Betracht.

    Bei diesem Ergebnis ist nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer
durch Unterlassen im Sinne eines unechten Unterlassungsdelikts gegen
Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und 5 BetmG verstossen hat.