Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IV 250



119 IV 250

47. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 16. September 1993
i.S. H. u. S. gegen Generalprokurator des Kantons Bern Regeste

    Art. 346 StGB; Gerichtsstand; Veröffentlichung amtlicher geheimer
Verhandlungen (Art. 293 StGB) mittels Radio und Fernsehen.

    1. Für strafbare Handlungen, die durch das Mittel von Radio und
Fernsehen begangen werden, gilt grundsätzlich der Ort des Sendestudios
als Ausführungsort (E. 2).

    2. Die Strafverfolgungsbehörde, die - ausgehend von offensichtlich
falschen rechtlichen Gesichtspunkten - ihre Zuständigkeit anerkennt, obwohl
es an einem örtlichen Anknüpfungspunkt in ihrem Kanton fehlt, überschreitet
das ihr bei der Bestimmung des Gerichtsstandes zustehende Ermessen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Dr. H. wird als verantwortlichem Redaktor vorgeworfen,
amtliche geheime Verhandlungen veröffentlicht zu haben, indem in
der Sendung "Rundschau" des Schweizer Fernsehens DRS vom 15. Januar
1992 Interview-Abschnitte aus einer als Beweismittel beschlagnahmten
Gesprächsaufzeichnung mit Aussagen wiedergegeben wurden. H. erklärte
anlässlich einer Einvernahme vom 20. Januar 1992, Fürsprecher S. habe
ihm die Untersuchungsakten herausgegeben bzw. zur Verfügung gestellt.

    Am 30. Januar 1992 eröffnete der Untersuchungsrichter von Thun gegen
H. und S. ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren. Dieses wurde am
17. Juli 1992 abgeschlossen; gleichzeitig wurde die Strafverfolgung durch
Einleitung einer abgekürzten Voruntersuchung eröffnet gegen H. wegen
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Art. 293 StGB) und
gegen S. wegen Beihilfe dazu.

    Am 23. März 1993 erachtete der Untersuchungsrichter die Voruntersuchung
als vollständig und erklärte diese als geschlossen. Gleichzeitig
beantragte er, die beiden Beschuldigten dem Gerichtspräsidenten von Thun
zur Beurteilung zu überweisen. Durch Zustimmung des stellvertretenden
Prokurators vom 13. April 1993 wurde der Antrag zum Beschluss erhoben.

    Anlässlich der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter von Thun vom
18. August 1993 bestritten die Beschuldigten vorfrageweise die örtliche
Zuständigkeit, worauf der Gerichtspräsident die Akten dem Generalprokurator
des Kantons Bern überwies. Dieser anerkannte mit Beschluss vom 18. August
1993 die Gerichtsbarkeit des Kantons Bern.

    B.- Mit Gesuchen vom 26. bzw. 31. August 1993 beantragen S. bzw. H. der
Anklagekammer des Bundesgerichts, es seien die Behörden des Kantons Zürich
berechtigt und verpflichtet zu erklären, ihre Strafsache zu beurteilen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt unter Hinweis
auf den Beschluss des Generalprokurators des Kantons Bern, die Gesuche
abzuweisen und den Gerichtsstand Kanton Bern zu bestätigen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Dem Gesuchsteller H. wird zur Last gelegt, kopierte Akten aus
einer geheimen Strafuntersuchung, die er vom Gesuchsteller S. erhalten
hat, veröffentlicht und damit den Tatbestand von Art. 293 Abs. 1 StGB
(Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen) erfüllt zu haben.

    Übergeben wurden die Akten in Thun, d.h. im Kanton
Bern. Veröffentlicht, d.h. einem grösseren Personenkreis bekannt gemacht,
wurden sie durch die Ausstrahlung des Beitrages.

    Die Übergabe der Akten an den Gesuchsteller H., d.h. an eine einzelne
Person erfüllt dabei entgegen der Auffassung des Generalprokurators
des Kantons Bern noch nicht den Tatbestand der Veröffentlichung
(vgl. STRATENWERTH, BT II, S. 298 N 49).

    b) Für strafbare Handlungen, die durch das Mittel von Radio und
Fernsehen begangen werden, besteht kein Art. 347 StGB entsprechender
Sondergerichtsstand, weshalb grundsätzlich der Ausführungsort im Sinne von
Art. 346 StGB massgebend ist (BUESS, Strafrechtliche Verantwortlichkeit
und Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden, Diss. Bern 1991;
RIKLIN, Pressedelikte im Vergleich zu den Rundfunkdelikten, ZStrR 1981,
S. 194; SJZ 1967 Nr. 79)...

    Erfolgt die strafbare Veröffentlichung durch den Täter wie im
vorliegenden Fall aus einem Fernsehstudio, so ist davon auszugehen, dass
der Ausführungsort an jenem Ort liegt, wo sich das Studio befindet bzw. wo
der Täter vor die Kamera tritt (und nicht etwa im ganzen Sendegebiet
des Schweizer Fernsehens DRS). Der Gesuchsteller H. hat daher - soweit
sich dies anhand der spärlichen Unterlagen beurteilen lässt - die ihm
vorgeworfene strafbare Handlung im Studio Leutschenbach, von wo die Sendung
ausgestrahlt (act. 1, S. 5) bzw. wo über die Ausstrahlung des Beitrages
entschieden wurde, im Sinne von Art. 346 StGB ausgeführt (vgl. auch BUESS,
aaO, S. 137; ebenso RIKLIN, aaO, S. 194); der gesetzliche Gerichtsstand
liegt daher im Kanton Zürich.

Erwägung 3

    3.- a) Im vorliegenden Fall ist der bernische Untersuchungsrichter
offenbar von Anfang an fälschlicherweise davon ausgegangen, das Delikt
sei im ganzen Sendegebiet vom Schweizer Fernsehen DRS verübt worden; der
Generalprokurator scheint demgegenüber davon auszugehen, die amtlichen
geheimen Verhandlungen seien bereits mit der Weitergabe deren Inhaltes
in Thun an den Gesuchsteller im Sinne von Art. 293 StGB veröffentlicht
worden. Auch letzteres ist, wie oben bereits ausgeführt, nicht der Fall,
denn dieser Vorgang stellt erst eine (straflose) Vorbereitungshandlung
des Gesuchstellers H. und die Gehilfenschaftshandlung des Gesuchstellers
S. dar, dem in der Anklage nicht vorgeworfen wird, selbständig den
Tatbestand von Art. 293 Abs. 1 StGB erfüllt zu haben.

    b) Mit Vernehmlassungen vom 2. bzw. 6. September 1993 hat sich die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich der Auffassung des Generalprokurators
des Kantons Bern angeschlossen. Damit wurde der Gerichtsstand im Kanton
Bern durch Vereinbarung der beiden beteiligten Kantone anerkannt.

    c) Vom gesetzlichen Gerichtsstand kann auch durch Vereinbarung unter
den Kantonen abgewichen werden, sofern die Kantone damit nicht das ihnen
zustehende weite Ermessen überschreiten und diesem Vorgehen nicht die
Interessen des Verletzten entgegenstehen (vgl. BGE 116 IV 86 E. 4a).

    Ein örtlicher Anknüpfungspunkt besteht im Kanton Bern zwar
insofern, als der Gesuchsteller H. sich die veröffentlichten Akten
in Thun aushändigen liess. Dieser Vorgang stellt in bezug auf den
Gesuchsteller H. noch keine eigentliche tatbestandsmässige Handlung der
Veröffentlichung dar. Die strafbare Handlung wird indessen nicht erst mit
jener Handlung verübt, die, wenn sie beendet wird, das eigentliche Delikt
ausmacht; denn zur Ausführung im Sinne von Art. 346 StGB gehört schon jede
Tätigkeit, die nach dem Plan des Täters auf dem Weg zur Verwirklichung
des Tatbestandes den letzten entscheidenden Schritt darstellt, von dem es
in der Regel kein Zurück mehr gibt, ausgenommen wegen äusserer Umstände,
die eine Weiterverfolgung der Absicht verunmöglichen oder erschweren; eine
blosse Vorbereitungshandlung ist für die Bestimmung des Gerichtsstandes
nicht massgeblich, sofern diese nicht ausnahmsweise ausdrücklich als
strafbar erklärt wird (BGE 115 IV 272 E. 1; vgl. SCHWERI, Interkantonale
Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, N 70).

    Die Übernahme der Akten in Thun kann nicht als letzter entscheidender
Schritt zur Veröffentlichung derselben bezeichnet werden; denn zu
diesem Zeitpunkt hätte der Gesuchsteller H. noch ohne weiteres von einer
Veröffentlichung absehen können; eine solche war damals offensichtlich
noch nicht unwiderruflich in die Wege geleitet. Die Aktenübergabe war
daher noch blosse (straflose) Vorbereitungshandlung und nicht bereits
Teil der Ausführung der strafbaren Handlung des Gesuchstellers H., die
als solche in Zürich mit der Ausstrahlung der Sendung vollendet wurde.

    Damit fehlt es in bezug auf den Gesuchsteller H. an einem örtlichen
Anknüpfungspunkt im Kanton Bern. Unter diesen Umständen sind die Behörden
des Kantons Bern bei der Anerkennung des Gerichtsstandes von offensichtlich
falschen Voraussetzungen ausgegangen, womit sie ihr Ermessen überschritten
haben (vgl. BGE 116 IV 88 E. d).

    Da der Ausführungsort in bezug auf den Gesuchsteller wie oben
ausgeführt offensichtlich in Zürich (Studio Leutschenbach) liegt, von wo
die Sendung ausgestrahlt wurde, ist der Gerichtsstand für den Gesuchsteller
H. auch in diesem Kanton zu bestimmen.

    d) Gemäss Art. 349 Abs. 1 StGB sind die Behörden des Kantons
Zürich damit auch für die Verfolgung und Beurteilung des Gesuchstellers
S. zuständig.