Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IV 164



119 IV 164

28. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. April
1993 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen
U. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 23 Abs. 1 ANAG; Erleichtern der rechtswidrigen Einreise.

    Als "rechtswidrige Einreise" in die Schweiz ist grundsätzlich die
Überschreitung der politischen Landesgrenze zu verstehen. Bei der Einreise
über eine Grenzstelle ist der Tatbestand jedoch erst erfüllt, wenn der
Täter den Grenzposten passiert hat oder wenn er die Grenzkontrolle umgeht.

Sachverhalt

    A.- Der in S./D wohnhafte U. führte am 15. November 1990, gegen
20.30 Uhr, mit seinem Personenwagen drei albanische Staatsangehörige,
die weder Pass noch Visum besassen, zum Zollamt Ramsen/SH, das sich ca. 60
Meter im Landesinnern auf schweizerischem Hoheitsgebiet befindet. Bei der
Ausweiskontrolle wurden U. und seine drei Mitfahrer angehalten und, da
sich die Albaner nicht ausweisen konnten, der Kantonspolizei Schaffhausen
übergeben.

    Mit Strafbefehl vom 19. November 1990 erklärte das
Untersuchungsrichteramt des Kantons Schaffhausen U. des Erleichterns
der rechtswidrigen Einreise schuldig und verurteilte ihn zu 14 Tagen
Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug und einer Busse von Fr. 80.--. Auf
Einsprache hin sprach der 2. Präsident des Kantonsgerichts Schaffhausen
als Einzelrichter in Strafsachen U. mit Urteil vom 20. November 1991 von
Schuld und Strafe frei.

    In teilweiser Gutheissung einer gegen dieses Urteil von der
Staatsanwaltschaft erklärten Berufung sprach das Obergericht des Kantons
Schaffhausen U. am 6. November 1992 des versuchten Erleichterns der
rechtswidrigen Einreise schuldig und verurteilte ihn zu 14 Tagen
Gefängnis, unter Einrechnung von vier Tagen Untersuchungshaft, mit
bedingtem Strafvollzug unter Gewährung einer Probezeit von zwei Jahren,
sowie zu einer Busse von Fr. 80.--.

    Die Staatsanwaltschaft führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
und beantragt, das angefochtene Urteil sei insoweit aufzuheben, als es den
Angeklagten lediglich der versuchten Widerhandlung gegen das Bundesgesetz
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer für schuldig erklärt,
und die Sache sei zur Verurteilung wegen (vollendeten) Erleichterns der
rechtswidrigen Einreise an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das Obergericht
des Kantons Schaffhausen hat auf Gegenbemerkungen, U. auf Vernehmlassung
verzichtet.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 23 Abs. 1 ANAG macht sich unter anderem strafbar,
wer rechtswidrig das Land betritt oder darin verweilt (al. 4) und
wer im In- oder Ausland die rechtswidrige Ein- oder Ausreise oder das
rechtswidrige Verweilen im Lande erleichtern oder vorbereiten hilft
(al. 5). Der französische und italienische Gesetzestext unterscheiden
nicht zwischen "betreten" und "einreisen", sondern sprechen bei beiden
Bestimmungen von "entrer" ("celui qui entre..."; "celui qui ... facilite
ou aide à préparer une entrée...") bzw. "entrare" ("chiunque entra...";
"chiunque ... facilita od aiuta a preparare l'entrata..."; vgl. auch
alt Art. 23 Abs. 1 al. 3 des BG über Aufenthalt und Niederlassung der
Ausländer vom 26. März 1931: "wer ... das Land betritt...", bzw. "celui qui
entre...", AS/RO 1933, S. 286). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz
lässt sich aus einer grammatikalischen Auslegung somit nicht ein
Bedeutungsunterschied der beiden Begriffe ableiten. Die Differenz ist
rein redaktionell bedingt und dürfte davon herrühren, dass der Tatbestand
gemäss Art. 23 Abs. 1 al. 5 ANAG in der Fassung des Gesetzes vom 26. März
1931 noch nicht enthalten war (vgl. ROSCHACHER, Die Strafbestimmungen
des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer vom
26. März 1931 (ANAG), Diss. Zürich 1991, S. 84 zu den Ungereimtheiten
hinsichtlich der rechtswidrigen Ausreise).

    Die Einreise in die Schweiz und das Betreten des Schweizer Territoriums
bedeuten somit das gleiche. Gemeint ist in beiden Fällen grundsätzlich die
Überschreitung der politischen Landesgrenze. Unklar bleibt jedoch auch bei
dieser Sachlage, ob in den Fällen, in denen der offizielle Grenzübergang
nicht mit dem Überqueren der politischen Landesgrenze zusammenfällt,
sondern sich innerhalb des schweizerischen Staatsgebietes befindet,
die Einreise in die Schweiz im Sinne des Gesetzes schon beim Betreten
schweizerischen Territoriums oder erst beim Passieren der Grenzkontrolle
erfolgt.

    b) Gemäss Art. 7 Abs. 1 der Verordnung über Einreise und Anmeldung
der Ausländer vom 10. April 1946 (SR 142.211) hat die Ein- und Ausreise
über bestimmte, vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement für
den grossen Grenzverkehr als offen bezeichnete Grenzübergangsstellen und
Landungsplätze zu erfolgen. Jedes Überschreiten der Grenze ausserhalb
einer für den grossen Grenzverkehr geöffneten Grenzübergangsstelle ist
rechtswidrig. Das Betreten der Schweiz über die grüne Grenze, ausserhalb
eines offiziellen Grenzübergangs ist somit immer rechtswidrig. Erfolgt
die Einreise über eine Grenzstelle, liegt der wesentliche Gesichtspunkt
im Passieren des offiziellen Grenzübergangs. Liegt der Grenzposten wie im
zu beurteilenden Fall bereits innerhalb des schweizerischen Gebiets, so
bedeutet das Überschreiten der politischen Landesgrenze allein noch keine
rechtswidrige Einreise bzw. kein rechtswidriges Betreten der Schweiz. Die
Einreise erfolgt erst beim Passieren des Grenzpostens oder aber bei der
Umgehung der Grenzkontrolle. Dasselbe gilt im übrigen für die Einreise
auf dem Luftweg. Auch in diesem Fall betritt der Ausländer die Schweiz
erst nach der Passkontrolle (so ROSCHACHER, aaO, S. 28).

    Im umgekehrten Fall, bei dem die Grenzkontrolle etwa in einer
Gemeinschaftsanlage im Ausland stattfindet, muss die Einreise denn auch
bereits mit dem Passieren des Grenzpostens als erfolgt betrachtet werden
(vgl. nicht publizierter Entscheid des Kassationshofs vom 10. Juni
1988 i. S. EZV gegen H. für die Feststellung des Verstosses gegen die
Vignettenpflicht gemäss Art. 1 der Verordnung über die Abgabe für die
Benützung von Nationalstrassen vom 12. September 1984 (NSAV; SR 741.72)
ausserhalb der schweizerischen Landesgrenze). Würde aber der Auffassung
der Beschwerdeführerin gefolgt, wäre in einem solchen Fall trotz Passierens
des Grenzpostens eine rechtswidrige Einreise ausgeschlossen.

    Zum selben Ergebnis führt Art. 13a AsylG (SR 142.31), nach welcher
Bestimmung der Flüchtling sein Asylgesuch bei der Einreise an einem
geöffneten Grenzübergang stellen muss, was voraussetzt, dass die Einreise
erst beim Passieren des Grenzübergangs erfolgt (vgl. auch Art. 13d AsylG
und Art. 5 Asylverordnung 1, SR 142.311). Etwas anderes ergibt sich
auch nicht aus dem Zollgesetz (ZG; SR 631.0). Zwar fällt nach Art. 2
Abs. 1 ZG die Zollgrenze grundsätzlich mit der politischen Landesgrenze
zusammen. Eine Zollwiderhandlung begeht aber, wer die Zollkontrolle zu
umgehen sucht (vgl. Art. 74 und 76 ZG).