Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IV 113



119 IV 113

19. Urteil der Anklagekammer vom 17. August 1993 in Sachen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Verhöramt des Kantons
Appenzell A.Rh. Regeste

    Art. 5, 6, 348 StGB. Verbrechen und Vergehen von Schweizern gegen
Schweizer im Ausland; Bestimmung des Gerichtsstandes.

    1. Ist aufgrund von Art. 5 und 6 StGB materiell schweizerisches
Strafrecht anwendbar, so gelten die Bestimmungen des IRSG über die
stellvertretende Strafverfolgung nicht; ein förmliches Übernahmebegehren
des ausländischen Tatortstaates bildet in diesem Fall nicht Voraussetzung
der schweizerischen Gerichtsbarkeit (E. 1).

    2. Sind sowohl die Voraussetzungen von Art. 5 als auch jene von Art. 6
StGB erfüllt, so ergibt sich die schweizerische Gerichtsbarkeit gestützt
auf Art. 6 in Verbindung mit Art. 5 StGB (E. 2).

    3. Massgebend für die Bestimmung des Wohnortes im Sinne von
Art. 348 StGB ist grundsätzlich jener im Zeitpunkt der Übermittlung des
ausländischen Übernahmeersuchens durch das Bundesamt für Polizeiwesen
an eine kantonale Behörde (E. 3a). Dieser Grundsatz gilt nicht, wenn
der Ehemann der Beschuldigten ohne deren Mitwirkung nach Anhebung der
ausländischen Strafverfolgung den bisherigen Familien-Wohnort verlegt hat
und nach den Umständen nicht zu erwarten ist, dass auch die Beschuldigte
allenfalls wieder an diesem Ort mit ihrer Familie zusammen wohnen wird
(E. 3d).

Sachverhalt

    A.- Der schweizerischen Staatsangehörigen B. wird vorgeworfen,
anlässlich eines Ferienaufenthaltes mit ihrem Ehemann und ihren beiden
Kindern in Vomp/A am 8. Februar 1993 ihren vierjährigen Sohn Raphael
mit einem Stoffgürtel erdrosselt zu haben. Sie befindet sich seither
aufgrund einer Anordnung des zuständigen Untersuchungsrichters in der
geschlossenen Abteilung des Landesnervenkrankenhauses Hall/A. Gegen
B. wurde eine Voruntersuchung wegen Mordes eröffnet.

    Die Familie B. wohnte damals in Gais/AR. Anlässlich ihrer Einvernahme
vom 16. Februar 1993 sprach sich B. gegen die von der Staatsanwaltschaft
gewünschte Übernahme der Strafverfolgung durch die Schweiz aus; es wurde
ihr Rechtsanwalt Dr. M. als Verfahrenshelfer bestellt.

    B.- Am 7. Juli 1993 ersuchte das Bundesministerium für Justiz
der Republik Österreich gestützt auf eine Sachverhaltsdarstellung
der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 23. Juni 1993 das Bundesamt für
Polizeiwesen, die Strafverfolgung von B. zu übernehmen.

    Das Bundesamt für Polizeiwesen ersuchte am 13. Juli 1993 das Verhöramt
des Kantons Appenzell A.Rh., die Beschuldigte durch die zuständigen
Gerichtsbehörden des Kantons Appenzell A.Rh. ins Recht fassen zu lassen.

    Am 15. Juli 1993 lehnte das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. eine
Übernahme der Strafverfolgung ab, da sich die Beschuldigte am 10. April
1993 in Gais/AR abgemeldet und neuen Wohnsitz in Dübendorf/ZH begründet
habe, wo somit gemäss Art. 348 StGB auch der Gerichtsstand liege.

    Ein Ersuchen des Bundesamtes für Polizeiwesen vom 20. Juli 1993,
den Fall zu prüfen und allenfalls bei den österreichischen Behörden ein
Auslieferungsgesuch zu stellen, wies die Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich am 23. Juli 1993 ab, da die Beschuldigte und ihr Sohn im Zeitpunkt
der Deliktsbegehung Wohnsitz in Gais/AR gehabt hätten. Der Umstand,
dass der Ehemann seit Juni 1993 in Dübendorf Wohnsitz habe, ändere an
der Zuständigkeit der Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. nichts.

    Nachdem ihm die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich die Akten
zugestellt hatte, sandte das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. die
Akten wieder an das Bundesamt für Polizeiwesen, da seines Erachtens
die Verhältnisse im Zeitpunkt des ausländischen Ersuchens massgebend
seien; auch die Beschuldigte sei durch ihren Ehemann in Dübendorf bei
der Einwohnerkontrolle angemeldet worden. Sollte man davon ausgehen,
die Beschuldigte habe zu dieser Zeit in der Schweiz über keinen gültigen
Wohnsitz verfügt, wäre gemäss Art. 348 StGB der Heimatkanton St. Gallen
zuständig.

    C.- Mit Gesuch vom 2. August 1993 beantragt die Staatsanwaltschaft des
Kantons Zürich der Anklagekammer des Bundesgerichts, den Gerichtsstand
festzulegen; die Behörden des Kantons Zürich seien mit Sicherheit nicht
zuständig, die Strafverfolgung der Beschuldigten zu übernehmen.

    Das Verhöramt des Kantons Appenzell A.Rh. beantragt, die Behörden
des Kantons Zürich, eventuell jene des Kantons St. Gallen zuständig
zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

             Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Der beschuldigten schweizerischen Staatsbürgerin wird zur
Last gelegt, in Österreich ihren Sohn, ebenfalls Schweizer Staatsbürger,
getötet zu haben.

    b) Obwohl die Tat in Österreich ausgeführt wurde, haben die
österreichischen Behörden dem Bundesamt für Polizeiwesen beantragt,
die in Österreich gegen die Beschuldigte wegen Mordes (§ 75 StGB/A)
angehobene Strafverfolgung zu übernehmen.

    c) Die Übernahme einer im Ausland angehobenen Strafverfolgung
wird geregelt in Art. 85 ff. IRSG (Vierter Teil: Stellvertretende
Strafverfolgung), nach welcher Bestimmung die Schweiz unter bestimmten
Voraussetzungen auf Ersuchen des aufgrund des Territorialitätsprinzips
primär zuständigen Tatortstaates (vgl. BGE 108 IV 147) an dessen Stelle die
Strafgewalt ausüben kann; eine solche stellvertretende Strafverfolgung
erfasst Verfahren, die sowohl gegen Schweizerbürger als auch gegen
Ausländer gerichtet sein können (BBl 1976 II 467). Diese Form der
internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen ist zu unterscheiden von
derjenigen aufgrund originärer schweizerischer Gerichtsbarkeit (vgl. BBl
1976 II 466 f.). Denn die Bestimmungen des IRSG über die stellvertretende
Strafverfolgung gelten nicht, wenn die Tat aufgrund anderer Vorschriften
der schweizerischen Gerichtsbarkeit unterworfen ist (Art. 85 Abs. 3 IRSG;
BGE 117 IV 379 E. 5c; SCHULTZ, Das neue Schweizer Recht der internationalen
Zusammenarbeit in Strafsachen, SJZ 1981 S. 106; vgl. auch Sten.Bull. SR
1977, 634 zum heutigen Art. 94 Abs. 3): Die Schweiz - wie im übrigen
auch die anderen Staaten - bestimmt in autonomer Weise die Grenzen ihrer
eigenen strafrechtlichen Zuständigkeit; sie hat dies mit den Art. 3 bis
7 StGB getan (BGE 117 IV 376 E. 4e).

    d) Zu prüfen ist daher zunächst, ob die konkrete Tat aufgrund dieser
Bestimmungen (insb. Art. 4 bis 6 StGB) materiell dem schweizerischen
Strafrecht, d.h. der schweizerischen Straf(rechts)hoheit bzw. der
schweizerischen Gerichtshoheit (SCHULTZ, Strafrecht, Allg. Teil I,
S. 108 ff.) unterworfen ist (BGE 117 IV 375 f.). Für Delikte, die gemäss
Art. 3-7 StGB unter die schweizerische Straf- bzw. Gerichtshoheit fallen,
muss es im übrigen einen schweizerischen Gerichtsstand geben (BGE 82 IV
70; SCHMID, Strafprozessrecht, N. 382).

    e) Ergibt diese Prüfung, dass die schweizerische Gerichtsbarkeit zu
bejahen ist, so ist die Auslandstat nach schweizerischem Recht zu verfolgen
und zu beurteilen, ohne dass dazu ein Übernahmebegehren des ausländischen
Tatortstaates erforderlich wäre (vgl. BGE 76 IV 211 f.; vgl. auch TRECHSEL,
Kurzkommentar StGB, Art. 6 N. 1; vgl. STRATENWERTH, Strafrecht, Allg. Teil
I, S. 92; vgl. SCHWANDER, aaO, Nr. 70; vgl. LOGOZ, Commentaire CPS,
partie générale, S. 48); die schweizerischen Strafverfolgungsbehörden
haben daher auch ohne solches Ersuchen ohne weiteres tätig zu werden,
sobald sie von der Auslandstat Kenntnis erhalten.

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 6 Ziff. 1 StGB ist der Schweizer, der im Ausland
ein Verbrechen oder ein Vergehen verübt, für welches das schweizerische
Recht die Auslieferung zulässt, sofern die Tat auch am Begehungsort
strafbar ist, dem schweizerischen Strafgesetzbuch unterworfen, wenn er
sich in der Schweiz befindet oder der Eidgenossenschaft wegen dieser Tat
ausgeliefert wird.

    Voraussetzung für die Anwendung von Art. 6 StGB ist nicht, dass
der Täter auch tatsächlich ausgeliefert wird, sondern es genügt, dass
er für die ihm zur Last gelegte Auslandstat ausgeliefert werden könnte
(vgl. SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, Nr. 70). Dies ist
der Fall, wenn das schweizerische Recht dafür die Auslieferung an sich
zulässt (vgl. BGE 79 IV 51). Diese Frage entscheidet sich nach Art. 35
Abs. 1 lit. a IRSG (TRECHSEL, aaO, Art. 6 N. 3). Nach dieser Bestimmung
gelten als Auslieferungsdelikte Taten, die nach dem Recht sowohl der
Schweiz als auch des ersuchenden Staates mit einer freiheitsbeschränkenden
Sanktion im Höchstmass von mindestens einem Jahr oder mit einer schwereren
Sanktion bedroht sind. Dies trifft auf das der Beschuldigten vorgeworfene
Tötungsdelikt zu: Die der Beschuldigten zur Last gelegte Tat ist nach
§ 75 StGB/A mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder mit
lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen; auch die hier allenfalls in
Frage kommenden Art. 111 (vorsätzliche Tötung), 112 (Mord), 113 (Totschlag)
und 117 (fahrlässige Tötung) StGB/CH sind alle mit Freiheitsstrafen im
Höchstmass von mehr als einem Jahr bedroht und damit Auslieferungsdelikte
im Sinne von Art. 35 Abs. 1 lit. a IRSG.

    Aus diesen Gründen unterliegt die im vorliegenden Fall zu verfolgende
Auslandstat schon aufgrund von Art. 6 StGB der schweizerischen
Gerichtsbarkeit bzw. Strafrechtshoheit.

    b) Nach Art. 5 Abs. 1 StGB wird ebenfalls dem schweizerischen
Strafgesetzbuch unterworfen, wer im Ausland gegen einen Schweizer ein
Verbrechen oder ein Vergehen verübt, sofern die Tat auch am Begehungsort
strafbar ist, wenn er sich in der Schweiz befindet und nicht an das
Ausland ausgeliefert, oder wenn er der Eidgenossenschaft wegen dieser
Tat ausgeliefert wird.

    Diese nicht auf Auslieferungsdelikte beschränkte Bestimmung ist im
vorliegenden Fall offensichtlich ebenfalls anwendbar. Damit ergibt sich
auch gestützt auf diese Bestimmung im vorliegenden Fall die schweizerische
Gerichtsbarkeit bzw. Gerichtshoheit.

    c) Im vorliegenden Fall wären nach dem Gesagten die Art. 5 und 6
StGB anwendbar. Die Frage der Konkurrenz dieser beiden Bestimmungen
hat das Bundesgericht dahingehend entschieden, dass die richtige Lösung
beim Zusammentreffen der Voraussetzungen von Art. 5 und 6 StGB (Täter
und Opfer sind Schweizer) nicht im Vorrang und der ausschliesslichen
Anwendbarkeit der einen oder anderen Norm liege, sondern die beiden
Bestimmungen sinngemäss zu kombinieren seien; der Schweizer, der im
Ausland gegen einen Schweizer delinquiert habe, müsse sich in der
Schweiz für jede solche Straftat (nicht nur für Auslieferungsdelikte)
verantworten (BGE 108 IV 84). Dieser Entscheid hat Zustimmung gefunden
(REHBERG, Strafrecht I, S. 44; NOLL/TRECHSEL, aaO, S. 48; TRECHSEL, aaO,
Art. 5 N. 9); SCHULTZ sah sich durch den Entscheid veranlasst, auf seine
früher vertretene Auffassung zurückzukommen und in solchen Fällen Art. 6
StGB den Vorrang gegenüber Art. 5 StGB einzuräumen (ZBJV 1984, S. 4).

    d) Die schweizerische Gerichtsbarkeit ergibt sich somit im vorliegenden
Fall gestützt auf Art. 6 in Verbindung mit Art. 5 StGB, deren Anwendung
entgegen der Auffassung des Gesuchsgegners, der von der - nach dem oben
Ausgeführten unzutreffenden - Anwendbarkeit von Art. 85 IRSG ausgeht,
keineswegs zweifelhaft ist.

Erwägung 3

    3.- a) Steht die schweizerische Gerichtsbarkeit nach dem Gesagten
im vorliegenden Fall fest, bleibt die Festlegung eines Gerichtsstandes
in Anwendung von Art. 348 StGB (vgl. BGE 108 IV 146 E. 2). Nach dieser
Bestimmung befindet sich der Gerichtsstand am Wohnort des Beschuldigten,
mangels eines solchen am Heimatort.

    Der Wohnort im Sinne von Art. 348 StGB ist nicht gleichbedeutend mit
den zivilrechtlichen Wohnsitz im Sinne von Art. 23 ZGB. Der Wohnort eines
Beschuldigten befindet sich am Ort des Mittelpunktes seines Lebens, in der
Regel also dort, wo er für sich und seine Familie eine Wohnung eingerichtet
hat und bewohnt oder wo er gewöhnlich nächtigt; die Behörden dieses Ortes
stehen ihm am nächsten, kennen ihn und können seiner am besten habhaft
werden (BGE 97 IV 152 mit Hinweis).

    Der Wohnort kann unter dem Gesichtspunkt von Art. 348 StGB erst eine
Rolle spielen vom Zeitpunkt an, in welchem zu entscheiden ist, welcher
Kanton die Strafverfolgung zu führen habe. Erhalten die schweizerischen
Behörden durch ein Übernahmebegehren einer ausländischen Behörde von der
strafbaren Handlung Kenntnis, die ein Schweizer im Ausland begangen hat,
so kann daher der Gerichtsstand nur begründet werden entweder durch den
Wohnort des Beschuldigten im Augenblick, in dem das Übernahmebegehren
bei den schweizerischen Behören eintrifft, oder durch den Wohnort im
Zeitpunkt, in dem das Bundesamt für Polizeiwesen das Begehren an eine
kantonale Behörde weiterleitet, wobei grundsätzlich auf letzteren Zeitpunkt
abzustellen ist (BGE 76 IV 268 E. 3).

    Für die Strafverfolgung ist es ohne Bedeutung, ob der Beschuldigte
überhaupt einen Wohnort und ob er stets nur einen einzigen hat;
ein Bedürfnis, in diesem Zusammenhang Art. 24 ZGB anzuwenden, besteht
grundsätzlich nicht; es ist in aller Regel auch überflüssig, da bei Fehlen
eines Wohnortes subsidiär ein anderer Gerichtsstand zur Verfügung steht
(SCHWERI, Interkantonale Gerichtsstandsbestimmung in Strafsachen, N. 197);
entscheidend ist, dass die Strafbehörde rasch und auf einfache Weise
feststellen kann, ob sie zur Verfolgung des Beschuldigten verpflichtet ist
(vgl. BGE 76 IV 269).

    b) Das Ehepaar B. hatte seit 30. Juni 1986 Wohnsitz in Gais/AR,
wo sie bis zum 10. April 1993 wohnten. Vom 15. April 1993 bis 31. Mai
1993 war nur der Ehemann B. in Nürensdorf/ZH gemeldet; am 1. Juni 1993
meldete B. die ganze Familie bei der Einwohnerkontrolle in Dübendorf/ZH an.

    Seit der Tat am 8. Februar 1993 befindet sich die Beschuldigte
in Österreich. Es liegt auf der Hand, dass der Aufenthalt im
Landesnervenkrankenhaus Hall/A keinen neuen Wohnort zu begründen vermag,
denn dort hält sich die Beschuldigte lediglich auf, bis die Frage des
schweizerischen Gerichtsstandes entschieden ist.

    c) Nach der oben dargelegten Rechtsprechung wäre davon auszugehen,
dass die Beschuldigte im massgeblichen Zeitpunkt der Weiterleitung des
Übernahmegesuches durch das Bundesamt für Polizeiwesen am 13. Juli 1993 an
die Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. über keinen eigentlichen Wohnort
mehr verfügte, da der Ehemann die Familienwohnung gekündigt und sich und
seine Familie am 10. April 1993 in Gais abgemeldet hatte.

    d) Diese Rechtsprechung kann indessen nicht ohne weiteres auch auf
den vorliegenden Fall angewandt werden. Die Beschuldigte wohnte nämlich
zusammen mit ihrem Ehemann und den Kindern seit Juni 1986, d.h. seit
fast sieben Jahren, in Gais/AR, wo sie damit zweifellos auch ihren
Lebensmittelpunkt hatte. Es sind daher auch die Behörden dieses Kantons,
die der Beschuldigten im Sinne der vorstehend dargelegten Rechtsprechung
am nächsten stehen, sie und ihre persönlichen Verhältnisse kennen und
damit auch in erster Linie dazu berufen sind, die Strafverfolgung zu
übernehmen. Daran ändert der Umstand nichts, dass der Ehemann nach Anhebung
der Strafuntersuchung gegen die Beschuldigte ohne Mitwirkung derselben den
bisherigen Familien-Wohnort Gais/AR aufgegeben hat und nun in Dübendorf/ZH
wohnt. Denn nichts deutet darauf hin, dass die Beschuldigte beabsichtigt,
überhaupt nach Dübendorf zu ziehen und dort zu verbleiben (vgl. dazu BGE
76 IV 270); aus dem Gutachten von Prof. Dr. med. P. vom 1. Juni 1993
ergibt sich vielmehr, dass der Ehegatte der Beschuldigten inzwischen eine
neue Beziehung aufgenommen habe; die Beschuldigte habe am 26. Mai 1993
erklärt, sie habe sich von ihrem Mann getrennt, weil dieser das gewünscht
habe. Unter diesen Umständen ist nicht zu erwarten, dass die Beschuldigte
allenfalls wieder mit ihrem Ehemann an dessen neuem Wohnort zusammenwohnen
wird. Da bis zur Abreise der Beschuldigten ins Ausland kurz vor der Tat
der Lebensmittelpunkt unzweifelhaft in Gais/AR lag, und die Beschuldigte
nichts unternommen hat, diesen aus eigenem Entschluss aufzuheben und an
einen anderen Ort zu verlegen, ist unter Berücksichtigung der erwähnten
Gründe, die für den Gerichtsstand des Wohnortes sprechen, davon auszugehen,
dass nach wie vor die Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. am besten
in der Lage sind, die Verfolgung und Beurteilung der Beschuldigten zu
übernehmen. In dieser besonderen Situation besteht somit kein Anlass,
auf den Gerichtsstand des Heimatortes zurückzugreifen (vgl. dazu auch
BGE 76 IV 270).

Entscheid:

              Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Es werden die Behörden des Kantons Appenzell A.Rh. berechtigt und
verpflichtet erklärt, die B. zur Last gelegte strafbare Handlung zu
verfolgen und zu beurteilen.