Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 93



119 II 93

21. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. März 1993 i.S. L.
gegen Bankhaus D. (Berufung) Regeste

    Anwendung und Nachweis des ausländischen Rechts (Art. 43a und 65 OG,
Art. 16 Abs. 1 Satz 3 IPRG).

    Unter den Berufungsgrund von Art. 43a lit. b OG fällt auch die Rüge,
die Vorinstanz habe offensichtlich zu Unrecht festgestellt, der Inhalt des
ausländischen Rechts sei nicht nachgewiesen (E. 2c/aa). Anforderungen an
den Nachweis des ausländischen Rechtsinhaltes bei vermögensrechtlichen
Ansprüchen (E. 2c/bb). Voraussetzungen, unter denen das Bundesgericht
ausländisches Recht im Berufungsverfahren selbst anwenden kann (E. 2c/cc).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- c) Der Beklagte rügt, das Obergericht des Kantons Zug habe
Bundesrecht dadurch verletzt, dass es bezüglich der Frage, ob ein
Darlehensvertrag zustande gekommen und ob die Darlehensvaluta dem
Darlehensnehmer zugeführt worden sei, deutsches Recht nicht angewandt
bzw. dem Beklagten vorgeworfen habe, er habe das deutsche Recht nicht
nachgewiesen.

    aa) Die durch das IPRG geänderten Bestimmungen des OG finden
Anwendung auf Rechtsmittel gegen Entscheide, die nach dem 1. Januar 1989
ergangen sind (BGE 115 II 301 E. 1). Gegen das Urteil vom 12. November
1991 kann somit gemäss der neuen Vorschrift von Art. 43a Abs. 1 OG mit
Berufung vorgebracht werden, es sei nicht ausländisches Recht angewandt
worden, wie es das schweizerische internationale Privatrecht vorschreibe
(lit. a) bzw. es sei zu Unrecht festgestellt worden, die Ermittlung des
ausländischen Rechts sei nicht möglich (lit. b). Darunter fällt auch die
Rüge, die Vorinstanz habe offensichtlich zu Unrecht festgestellt, der
Inhalt des ausländischen Rechts sei nicht nachgewiesen worden (POUDRET,
N. 4 zu Art. 43a OG).

    bb) Handelt es sich wie hier um vermögensrechtliche Ansprüche, so
kann der Nachweis des ausländischen Rechtsinhaltes den Parteien überbunden
werden (Art. 16 Abs. 1 Satz 3 IPRG). Dabei geht es um den Nachweis, nicht
um einen Beweis im eigentlichen Sinn, so dass die gewöhnlichen Beweisregeln
nicht anwendbar sind. Hingegen ist das rechtliche Gehör zu beachten
und zu vermeiden, dass eine Partei durch die Anwendung fremden Rechts
überrascht wird (VON OVERBECK, Die Ermittlung, Anwendung und Überprüfung
der richtigen Anwendung des anwendbaren Rechts, in: Die allgemeinen
Bestimmungen des IPRG, Veröffentlichungen des Schweizerischen Instituts für
Verwaltungskurse an der HSG, St. Gallen 1988, S. 101 und 104; SCHWANDER,
Einführung in das internationale Privatrecht, Allgemeiner Teil, 2. Auflage
1990, S. 192 Fn. 11). Die Zuger Zivilprozessordnung kennt in § 55 Abs. 2
eine entsprechende Bestimmung. Die kantonalen Instanzen scheinen indes
Sinn und Tragweite dieser Vorschriften verkannt zu haben. Es geht nicht
um die Schlüssigkeit allfälliger Parteigutachten, sondern allein darum,
dass die ausländischen Rechtsquellen (einschlägige Gesetzesbestimmungen)
und allenfalls ausländische Literatur (insbesondere Kommentare) oder
Urteile aufgezeigt werden. Dies jedoch wurde in dem vom Beklagten
eingereichten Gutachten, im klägerischen Gegengutachten sowie in einer
weiteren Stellungnahme seitens des Beklagten zur Genüge getan. Der Einwand
der Vorinstanz, dieser hätte aufgrund der den Prozess beherrschenden
Eventualmaxime noch ein gerichtliches Gutachten beantragen oder vom Gericht
die Einholung von Auskünften im Sinne des Europäischen Übereinkommens
vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht verlangen
müssen, ist angesichts der Tatsache, dass es um den Inhalt des Rechts
eines Nachbarlandes geht, unverständlich. Die Rechtsanwendung auf den
konkreten Fall aber ist, ob nun deutsches Recht oder schweizerisches
als Ersatzrecht angewandt wird, ohnehin nicht Aufgabe eines Gutachters,
sondern allein jene des Richters. Schliesslich kann ganz allgemein wohl
kaum behauptet werden, die Ermittlung des deutschen Darlehensrechts sei für
ein schweizerisches Gericht nicht möglich, so dass im Sinne von Art. 16
Abs. 2 IPRG als ultima ratio zur lex fori zurückzukehren sei. Es ergibt
sich somit, dass die Rüge des Beklagten insofern begründet ist, als die
kantonalen Instanzen in bezug auf das Zustandekommen und die Wirkungen
des behaupteten Darlehensvertrags nicht deutsches Recht angewandt haben.

    cc) Gemäss Art. 65 OG kann das Bundesgericht ausländisches Recht im
Berufungsverfahren selbst anwenden, wenn dieses neben dem Bundesrecht zur
Anwendung gelangt, durch die Vorinstanz nicht angewandt worden ist und sich
inhaltlich ohne Weiterungen, insbesondere nach dem Schrifttum, ermitteln
lässt (POUDRET, N. 3 zu Art. 65 OG; MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen
Rechtsmittel in Zivilsachen, S. 111; KNOEPFLER/SCHWEIZER, Précis de
droit international privé suisse, Bern 1990, S. 180 Rz. 554). Diese
Voraussetzungen sind hier erfüllt. Denn einerseits ist eine zentrale
Frage nach schweizerischem Recht zu beurteilen, nämlich jene, ob
A. gültig für die X. AG gehandelt hat bzw. ob ein allfälliger Missbrauch
seiner Vertretungsmacht der Klägerin entgegengehalten werden kann. Das
einschlägige deutsche Recht anderseits lässt sich ohne Weiterungen
bestimmen.