Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 6



119 II 6

2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. April 1993 i.S. F.
gegen M. und Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter für Rekurse in
Rechtsöffnungs-, Konkurs- und Arrestsachen (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Rechtsöffnung für Unterhaltsbeiträge an das Kind (Art. 156 ZGB;
Art. 81 Abs. 1 SchKG).

    Der Elternteil, dem die Kinder zugeteilt werden, kann sowenig auf
einzelne künftige Unterhaltsbeiträge als auf den Unterhaltsanspruch
als solchen, welcher dem Kind gegenüber dem andern Elternteil zusteht,
verzichten. Es ist willkürlich, wenn der Rechtsöffnungsrichter eine
Verzichterklärung mit solchem Inhalt als Urkunde betrachtet, womit die
Tilgung der Schuld bewiesen werden könne.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Das tatsächliche Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass
das Schreiben vom 14. Dezember 1984 nicht von ihr stamme, ist neu und
damit unzulässig (BGE 117 Ia 3 E. 2). Die Beschwerdeführerin hätte allen
Grund gehabt, diese Behauptung schon gegenüber dem Einzelrichter für
Rekurse in Rechtsöffnungs-, Konkurs- und Arrestsachen des Kantonsgerichts
St. Gallen vorzubringen, nachdem der unterhaltspflichtige Vater in seiner
Rekursschrift vom 23. Oktober 1992 ausgeführt hatte, die geschiedene
Ehefrau habe ihm mit Schreiben vom 14. Dezember 1984 mitgeteilt, sie
verzichte ab 1. Januar 1985 auf jeglichen finanziellen Beitrag von ihm.

    Es ist daher davon auszugehen, dass die gesetzliche Vertreterin der
Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 14. Dezember 1984 den Verzicht auf
die nach dem 1. Januar 1985 fälligen Unterhaltsbeiträge erklärt habe. Das
ist klarerweise ein Verzicht auf künftige Unterhaltsbeiträge.

    b) Nun kann aber - wie der erstinstanzliche Richter im kantonalen
Verfahren richtig erkannt hat - der Elternteil, dem die Kinder zugeteilt
werden, nicht für die Zukunft auf deren Unterhaltsanspruch gegen den
andern Elternteil verzichten (BÜHLER/SPÜHLER, N. 231 zu Art. 156 ZGB;
N. 197 zu Art. 158 ZGB). Selbst der Verzicht in dem besonderen Fall,
wo der Inhaber der elterlichen Gewalt in der Lage ist, für den ganzen
Lebensaufwand der Kinder zu sorgen, steht immer unter dem Vorbehalt der
Art. 157 und 286 Abs. 2 ZGB (BÜHLER/SPÜHLER, loc. cit.); das heisst,
er muss durch eine richterliche Anordnung bekräftigt sein (BGE 107
II 12). Auch HEGNAUER/BREITSCHMID (Grundriss des Kindesrechts, 3.
Auflage Bern 1989, Rz. 23.05), worauf im angefochtenen Entscheid Bezug
genommen wird, haben "nur den jeweils fällig gewordenen Beitrag" vor
Augen, wenn sie den Verzicht als zulässig erachten und die definitive
Rechtsöffnung für Beiträge, auf welche der gesetzliche Vertreter des
Kindes verzichtet hat, ausschliessen. Das geht deutlich auch aus der dort
zitierten Abhandlung von HEGNAUER (ZVW 1986, S. 60) hervor. Ein Verzicht
auf künftige Beiträge, wie ihn die gesetzliche Vertreterin im Schreiben
vom 14. Dezember 1984 erklärt hat, liefe am Ende auf einen Verzicht auf
den Anspruch als solchen hinaus, was einhellig als unzulässig erachtet wird
(BÜHLER/SPÜHLER, N. 231 zu Art. 256 ZGB; HEGNAUER, ZVW 1986, S. 60).

    Die Beschwerdeführerin wendet sich auch zu Recht gegen die Auffassung
des Einzelrichters, dass "durch ein Unterlassen betreibungsrechtlicher
Massnahmen" auf einzelne Unterhaltsbeiträge verzichtet worden sei. Wenn
diese Aussage im angefochtenen Urteil durch den Zusatz "... aber immer
auf dem Hintergrund des fraglichen Verzichtschreibens vom 14. Dezember
1985 [recte 1984]" gestützt wird, so ändert das nichts an ihrer
Unrichtigkeit. Wie gesagt, kommt jenem Schreiben keine Rechtswirkung zu,
weil darin der Verzicht auf künftige Unterhaltsleistungen erklärt wird,
und es vermag daher eine "konkludente Handlung" nicht zu unterstützen. Das
Absehen von der Betreibung kann, solange nicht Verjährung eingetreten ist,
grundsätzlich nicht als Untergang der Forderung gedeutet werden.

    Entscheidend ist in der Tat auch - wie die Beschwerdeführerin mit Recht
betont -, dass der Erlass und die Tilgung der Schuld durch Urkunde bewiesen
werden müssen (Art. 81 Abs. 1 SchKG; BGE 115 III 100 E. 4, 104 Ia 15, 102
Ia 367). Die hier zur Diskussion stehende Urkunde sieht, was als unzulässig
erachtet wird, den Erlass künftiger Unterhaltsbeiträge vor und taugt aus
diesem Grund nicht für den Beweis des Schuldenerlasses. Anderseits kann
ein Verzicht auf die Unterhaltsbeiträge im Unterlassen der Betreibung
nicht erblickt werden, weil es an der Urkunde fehlt.

    c) Dadurch, dass die Mutter der Gläubigerin am 11. März 1985 zwei
Unterhaltsbeiträge von je Fr. 660.-- an den Beschwerdegegner retourniert
hat, hat sie auf fällige Beiträge verzichtet, was an sich ohne richterliche
Genehmigung zulässig wäre (BGE 107 II 10 ff.). Indessen beruft sich
der Beschwerdegegner diesbezüglich auf keine Urkunde, welche im Sinne
des Art. 81 Abs. 1 SchKG die Tilgung durch Erlass der Schuld beweisen
würde. Auf das Schreiben vom 14. Dezember 1984 kann er sich aus den
dargelegten Gründen nicht stützen.