Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 473



119 II 473

95. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1993 i.S.
Rösch Waschmittel AG gegen Lever AG (Berufung) Regeste

    Art. 3 Abs. 1 lit. c MSchG; Markenschutz; Verwechslungsgefahr zwischen
zwei Marken.

    Keine Verwechslungsgefahr besteht zwischen den für Waschmittel
bestimmten Marken "Radion" und "Radomat".

Sachverhalt

    A.- Die Sunlight AG war Inhaberin der erstmals am 6. April 1935 für
Waschmittel hinterlegten Marke "Radion". Mit Eintrag vom 13. März 1987
wurde die Firma Sunlight AG in Lever AG geändert. Die Rösch Waschmittel AG
produziert und verkauft in der Schweiz ihrerseits verschiedene Waschmittel,
wobei sie eines davon unter der Marke "Radomat" vertreibt. Sie hinterlegte
diese Wortmarke am 8. Juli 1987.

    Mit Schreiben vom 21. Juli 1989 teilte die Lever AG der Rösch
Waschmittel AG mit, die Marke "Radomat" sei mit "Radion" stark
verwechselbar, weshalb sie aufgefordert werde, die Marke in Zukunft nicht
mehr zu verwenden. Die Rösch Waschmittel AG antwortete am 8. August 1989,
sie teile diese Auffassung nicht und könne die erbetene Bestätigung,
die Marke "Radomat" nicht zu benutzen, nicht abgeben. Am 1. Februar 1991
stellte die Lever AG fest, dass die Rösch Waschmittel AG der Aufforderung
nach Löschung der Marke "Radomat" nicht nachgekommen sei, und beharrte auf
ihrem ursprünglichen Begehren. Auch die Rösch Waschmittel AG bekräftigte
ihren bereits früher eingenommenen Standpunkt.

    Die darauf von der Lever AG erhobene Unterlassungs- und
Nichtigkeitsklage wurde vom Handelsgericht des Kantons St. Gallen mit
Urteil vom 6. April 1993 geschützt. Die Beklagte hat dieses Urteil mit
Berufung angefochten, die vom Bundesgericht gutgeheissen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beklagte wirft dem Handelsgericht in zweifacher Hinsicht
eine Verletzung von Bundesrecht vor. Zum einen, macht sie geltend, habe
das Gericht unzutreffenderweise die von ihr erhobene Verwirkungseinrede
abgewiesen. Zum andern habe die Vorinstanz in Verletzung von Art. 3
Abs. 1 lit. c und Art. 13 MSchG (SR 232.11) entschieden, die beiden
Marken "Radomat" und "Radion" seien verwechselbar, d.h. zu wenig
unterscheidungskräftig. Wie es sich mit dem ersten Vorbringen verhält,
kann offenbleiben, da sich - wie zu zeigen sein wird - der zweite Einwand
als begründet erweist und die Klage aus diesem Grund in Gutheissung der
Berufung abzuweisen ist.

    a) Das neue Bundesgesetz vom 28. August 1992 über den Schutz von Marken
und Herkunftsangaben (MSchG, AS 1993 274 ff.) ist mit Ausnahme von Art. 36
am 1. April 1993 in Kraft getreten. Nach Art. 76 Abs. 1 MSchG unterstehen
die beim Inkrafttreten dieses Gesetzes hinterlegten oder eingetragenen
Marken - abgesehen von hier nicht interessierenden Ausnahmen - von
diesem Zeitpunkt an dem neuen Recht. Mit dem Handelsgericht ist somit
vom neuen Gesetz auszugehen. Gemäss Art. 3 Abs. 1 lit. c MSchG sind vom
Markenschutz ausgenommen Zeichen, die einer älteren Marke ähnlich und
für gleiche oder gleichartige Waren oder Dienstleistungen bestimmt sind,
so dass sich daraus eine Verwechslungsgefahr ergibt. Wie die Vorinstanz
zu Recht erkannt hat, hält diese Bestimmung einen markenrechtlichen
Grundsatz fest, der, allerdings in anderer Formulierung, schon in Art. 6
aMSchG enthalten war. Ein Zeichen ist demnach dann vom Markenschutz
ausgeschlossen, wenn wegen seiner Ähnlichkeit mit einer älteren Marke
für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, wobei es auch
nach neuem Recht dem Richter obliegt, anhand allgemeiner und objektiver
Kriterien zu beurteilen, ob eine Verwechslungsgefahr besteht oder nicht
(Botschaft des Bundesrates zum MSchG, BBl 1991 I 21). Da das MSchG in
diesem Punkt materiell keine neue Regelung enthält, können weiterhin zum
alten Recht ergangene Entscheide beigezogen werden.

    b) Unbestritten ist, dass zwischen den durch die beiden Zeichen
gekennzeichneten Waren vorliegend Warengleichartigkeit besteht, da sowohl
"Radion" wie "Radomat" als Bezeichnung für Waschmittel benützt werden. Zu
Recht nicht angefochten wird ausserdem die Auffassung des Handelsgerichts,
für die Frage der genügenden Unterscheidbarkeit seien die beiden Marken
als solche, wie sie eingetragen sind, unabhängig von der jeweiligen
Ausstattung, zu vergleichen.

    c) Die Verwechslungsgefahr wird als Rechtsfrage vom Bundesgericht
frei geprüft. Dies gilt auch insoweit, als sie sich nach dem Verständnis
des allgemeinen Publikums, welches die streitigen Leistungen in Anspruch
nimmt, beurteilt. Der Begriff der Verwechslungsgefahr ist dabei für den
Bereich des gesamten Kennzeichnungsrechts ein einheitlicher (BGE 117 II
199 E. 2a S. 201, 116 II 365 E. 4a S. 370, je mit weiteren Hinweisen).

    Grundfunktion bzw. Zweck der Marke ist, die gekennzeichneten
Waren von ähnlichen oder gleichartigen Waren zu unterscheiden, um
eine Individualisierung der Waren oder auch des Herstellers durch die
Verbraucher zu ermöglichen, die so in die Lage versetzt werden sollen,
ein einmal geschätztes Produkt aus der Menge gleichartigen Angebots
wiederzufinden (CARL-STEPHAN SCHWEER, Die erste Markenrechts-Richtlinie
der Europäischen Gemeinschaft und der Rechtsschutz bekannter Marken,
Diss. Freiburg im Breisgau, 1992, S. 31 mit Hinweisen). Dabei hat der
angerufene Richter die Unterscheidbarkeit zweier Marken gemäss ständiger
Rechtsprechung nach dem Gesamteindruck zu beurteilen, den sie insbesondere
beim kaufenden Publikum hinterlassen, der jedoch auch durch einen einzelnen
Bestandteil entscheidend beeinflusst werden kann (BGE 112 II 362 E. 2
S. 364 mit Hinweisen; KAMEN TROLLER, Manuel du droit suisse des biens
immatériels, Band I, S. 147 f. mit weiteren Hinweisen). Ein strenger
Massstab ist insbesondere anzulegen, wenn die Waren weitgehend identisch
sind und wenn es sich um Massenartikel des täglichen Gebrauchs handelt
(BGE 117 II 321 E. 4 S. 326 mit Hinweisen). Bei Marken, die nur aus einem
Wort bestehen, wird der Gesamteindruck durch deren Klang und Schriftbild
bestimmt. Der Klang seinerseits ist bedingt durch das Silbenmass,
die Aussprachekadenz und die Aufeinanderfolge der Vokale, während das
Bild vor allem durch die Wortlänge und durch die Gleichartigkeit oder
Verschiedenheit der verwendeten Buchstaben gekennzeichnet wird (BGE 102
II 122 E. 2 S. 126, 90 II 43 E. 5 S. 48, 88 II 378 E. 2).

    d) Wie die Vorinstanz zutreffend feststellt, besteht in bezug auf
die Aufeinanderfolge der Vokale insofern ein Unterschied, als sie bei
"Radion" "A-I-O" und bei "Radomat" "A-O-A" lautet. Ebenfalls richtig ist,
dass beide Marken an sich dreisilbig sind, wobei freilich in "Radion" die
beiden letzten Silben ("dion") infolge der Verbindung des "i" mit dem "o"
gewöhnlicherweise als nur eine Silbe gehört werden. Bei den zwei Zeichen
stimmt lediglich die erste Silbe, nämlich das "Ra", überein. Die weiteren
Silben "di" und "do" können deutlich unterschieden werden; bei "di" in
"Radion" ist der helle Vokal "i" vorhanden, während in "Radomat" das klar
unterscheidbare, dunklere "o" enthalten ist. Völlig verschieden lauten mit
"on" bzw. "mat" die dritten Silben. Mit Recht wendet die Beklagte ein,
die Übereinstimmung lediglich einer Silbe in zwei dreisilbigen Marken
könne nicht zu einem übereinstimmenden Gesamteindruck führen. Dies
selbst dann nicht, wenn mit dem Handelsgericht davon ausgegangen wird,
dass nicht nur "Radion", sondern auch "Radomat" wohl üblicherweise auf der
ersten und nicht auf der letzten Silbe betont wird. Die von der Vorinstanz
ebenfalls vorgenommene Aufteilung der Vergleichszeichen in die Bestandteile
"Rad-ion" und "Rad-omat" ergibt kein anderes Ergebnis. Wohl stimmen die
ersten drei Buchstaben ("Rad") überein, doch sind die restlichen deutlich
verschieden; den drei Buchstaben "I-O-N" stehen die vier Buchstaben
"O-M-A-T" gegenüber. Abgesehen davon, dass es fraglich ist, ob es sich
bei den Bestandteilen "ion" bzw. "(o)mat" um eigentliche Endungen handelt,
kann jedenfalls nicht gesagt werden, der Gesamteindruck werde entscheidend
durch den Bestandteil "Rad" geprägt. Dass, wie die Vorinstanz ausführt,
"Radion" und "Radomat" aufgrund ihres Wortklanges schliesslich gewisse
Ähnlichkeiten aufweisen, reicht nicht aus, um bei einer Beurteilung nach
dem Gesamteindruck eine Verwechslungsgefahr zu bejahen.

    Verwechslungsgefahr bedeutet nicht schon die blosse, entfernte
Möglichkeit einer Verwechslung, sondern sie setzt voraus, dass der
Durchschnittsverbraucher wahrscheinlich einer Verwechslung unterliegt
(BRUNNER/HUNZIKER, Die Verwechslungsgefahr von Marken und das erhöhte
Rechtsschutzbedürfnis des Markeninhabers im Marketing, in Marke und
Marketing, Bern 1990, S. 330). Dies ist hier entgegen der Ansicht
des Handelsgerichts zu verneinen, und zwar auch bei Anlegung des bei
Identität der Waren sowie bei Massenartikeln des täglichen Gebrauchs
verlangten strengen Massstabes. Denn einerseits ist davon auszugehen,
dass die schweizerische Durchschnittskäuferin - nicht zuletzt aufgrund
der intensiven Werbung - bezüglich Waschmittel über ein recht gutes
Erinnerungsvermögen verfügt und zwischen dem seit langem bekannten
"Radion" und der neuen Marke "Radomat" sehr wohl zu unterscheiden
vermag. Anderseits genügt die Gemeinsamkeit der ersten drei Buchstaben
("Rad") nicht für die Annahme, "Radion" und "Radomat" seien Serienmarken,
bzw. der Verkehr würde deswegen zur Annahme verleitet, die mit dem
zweiten Zeichen versehene Ware sei von derselben kommerziellen Herkunft
wie die mit dem ersten Zeichen versehene Ware. Dies träfe nur zu, wenn
der Verkehr aufgrund des Gesamteindruckes in der jüngeren Marke das
Originalzeichen zu erkennen vermöchte oder wenn der gleiche Wortstamm in
den beiden Zeichen nach Auffassung der Verbraucher auf ein bestimmtes
Unternehmen hinwiese (BRUNNER/HUNZIKER, aaO, S. 332 f.). Beides ist im
vorliegenden Fall zu verneinen. Sowohl das Schriftbild wie vor allem
auch der Wortklang schliessen bei einem Vergleich zwischen "Radion" und
"Radomat" die Verwechslungsgefahr aus, der Art. 3 Abs. 1 lit. c MSchG
bzw. Art. 6 Abs. 1 aMSchG begegnen soll (vgl. BGE 112 II 362 E. 2 S. 364).