Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 391



119 II 391

78. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 9. September 1993 i.S.
Galerie X. gegen T. Inc. (Berufung) Regeste

    Internationales Privatrecht; örtliche Zuständigkeit,
Gerichtsstandsvereinbarung.

    1. Berufungsfähigkeit gemäss Art. 49 OG (E. 1).

    2. Anwendbarkeit des Lugano-Übereinkommens (LU) in zeitlicher Hinsicht
(Art. 54 Abs. 1 LU, Art. 17 Abs. 1 LU; E. 2).

    3. Bedeutung des Formerfordernisses gemäss Art. 5 Abs. 1 IPRG (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die T. Inc. hat anlässlich einer von der Galerie X. am
22. Juni 1990 in Bern durchgeführten Auktion unter anderem die
Pablo Picasso zugeschriebene graphische Arbeit "La Minotauromachie"
für Fr. 2'150'000.-- zuzüglich 10% Kommission ersteigert. Aufgrund der
langjährigen Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien wurde der Käuferin
das Blatt ohne vorherigen Eingang der Zahlung zugestellt. Diese hat bis
heute lediglich einen Teilbetrag des Kaufpreises bezahlt; offen sind
anscheinend noch Fr. 1'814'755.--. Als Grund für die Nichtbezahlung
macht die Käuferin geltend, der Druck trage entgegen den klägerischen
Zusicherungen nicht die Unterschrift von Picasso.

    Im Oktober/November 1991 erhob die T. Inc. gegen die Galerie X. eine
Klage beim Bundeszivilgericht des südlichen Bezirks von New York.
Streitgegenstand im amerikanischen Verfahren ist grundsätzlich auch der
Auktionskauf vom 22. Juni 1990. Die Galerie X. klagte ihrerseits gegen
die T. Inc. am 27. November 1991 beim Handelsgericht des Kantons Bern
auf Zahlung eines Betrages von Fr. 1'887'975.-- nebst Zins. Auf Antrag
der Beklagten beschränkte der Berner Instruktionsrichter das Verfahren
auf die Fragen der Rechtshängigkeit der Streitsache und der örtlichen
Zuständigkeit. Mit Urteil vom 14. Dezember 1992 wies das Handelsgericht
die Klage mangels örtlicher Zuständigkeit zurück.

    Gegen dieses Urteil führt die Galerie X. erfolglos Berufung beim
Bundesgericht.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen selbständigen
Entscheid eines oberen kantonalen Gerichts über die Zuständigkeit,
der gemäss Art. 49 Abs. 1 OG wegen Verletzung bundesrechtlicher
Zuständigkeitsvorschriften mit Berufung angefochten werden kann (vgl. auch
GERHARD WALTER, Zum Zusammenhang von "Berufungsfähigkeit" und anwendbarem
Recht, AJP/PJA 1993 S. 943 ff.). Die Verletzung zivilprozessualer
Bestimmungen in Staatsverträgen ist ebenfalls mit Berufung zu rügen
(BGE 117 Ia 83). Die Klägerin sieht eine Verletzung bundesrechtlicher
Vorschriften über die internationale und die örtliche Zuständigkeit
darin, dass das Handelsgericht Art. 5 IPRG nicht richtig und Art. 113
IPRG überhaupt nicht angewendet habe. Weiter beanstandet sie, dass die
Vorinstanz die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht aufgrund
von Art. 17 Abs. 1 des Lugano-Übereinkommens vom 16. September 1988
über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LU) geprüft und bejaht
habe. Die Berufung erweist sich somit grundsätzlich als zulässig.

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin richtet ihre Berufung vorab gegen die Nichtanwendung
von Art. 17 Abs. 1 LU durch das Handelsgericht. Dieser Einwand stützt sich
entgegen der Meinung der Beklagten auf eine Sachbehauptung, die bereits
im kantonalen Verfahren aufgestellt worden ist, nämlich auf die Frage,
ob eine gültige Gerichtsstandsvereinbarung vorliege. Der Einwand ist
daher zulässig und vorweg zu prüfen, da die Zuständigkeitsregeln des
Lugano-Übereinkommens gegenüber nationalen Zuständigkeitsvorschriften
Vorrang haben und damit auch jene des IPRG verdrängen.

    Die Beklagte bestreitet, dass die Voraussetzungen für die Anwendung
von Art. 17 Abs. 1 LU im vorliegenden Fall in persönlich-räumlicher sowie
in zeitlicher Hinsicht erfüllt sind. Sie wendet ein, die Bestimmungen
des Lugano-Übereinkommens seien für sie nicht massgebend, da sie
ihren Sitz in den USA und damit nicht in einem Vertragsstaat habe. Ob
für die Anwendbarkeit von Art. 17 des LU der Zuständigkeitsbezug
zu einem Vertragsstaat ausreicht, kann hier offenbleiben, da das
Übereinkommen bereits in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung finden
kann. Art. 54 Abs. 1 LU enthält den Grundgedanken der Nichtrückwirkung,
der grundsätzlich für alle Bestimmungen gilt, also auch für Klagen, die
sich auf eine Gerichtsstandsvereinbarung stützen. Für Klagen kommen die
Zuständigkeitsregeln des Übereinkommens nur dann zum Zuge, wenn diese im
Zeitpunkt der Klageerhebung im betreffenden Staat Gültigkeit hatten (BGE
119 II 72 und 79; Botschaft des Bundesrates zum Lugano-Übereinkommen vom
21. Februar 1990, BBl 1990 II 329; IVO SCHWANDER, Zeitlich gestaffelte
Anwendbarkeit des Lugano-Übereinkommens, AJP/PJA 1992 S. 1145; MONIQUE
JAMETTI GREINER, Überblick zum Lugano-Übereinkommen über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen, ZBJV 128/1992 S. 49; MADELEINE HOFSTETTER SCHNELLMANN,
Die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Lugano-Übereinkommen, Diss. Basel
1992, S. 21 f. mit weiteren Hinweisen). Dies war vorliegend nicht
der Fall, hat die Klägerin den Prozess doch mit Klage vom 27. November
1991 anhängig gemacht, d.h. vor dem 1. Januar 1992, dem Zeitpunkt des
Inkrafttretens des Lugano-Übereinkommens für die Schweiz. Entgegen der
Auffassung der Klägerin vermag die Zuständigkeitsordnung des Übereinkommens
bei Prozessen, die am 1. Januar 1992 bereits hängig waren, keine Änderung
zu bewirken. Massgebend ist allein die Rechtslage bei Klageerhebung
(IVO SCHWANDER, aaO, S. 1147; MADELEINE HOFSTETTER SCHNELLMANN, aaO,
S. 23 mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.- Für den Fall der Nichtanwendbarkeit von Art. 17 LU macht
die Klägerin geltend, die zwischen den Parteien abgeschlossene
Gerichtsstandsvereinbarung sei anhand von Art. 5 IPRG zu beurteilen und
als gültig zu betrachten. Sie bringt insbesondere vor, das Handelsgericht
gehe zu Unrecht davon aus, die Sachnorm von Art. 5 IPRG für die Form von
Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Privatrecht verlange
die beidseitige Schriftlichkeit. Dass jede oder zumindest die sich
verpflichtende Partei ihre Willenserklärung schriftlich abgeben müsse,
sei nicht erforderlich. Wesentlich sei allein, dass die vereinbarte
Gerichtsstandsklausel zu Beweiszwecken in Textform vorliege. Eine
Gerichtsstandsvereinbarung könne durch Verwendung von Formularverträgen
zustande kommen, die eine entsprechende Klausel enthielten; je nach
Gewandtheit und Geschäftskundigkeit der Parteien seien verschieden strenge
Massstäbe anzulegen. Mit den schriftlichen, in jedem Auktionskatalog
enthaltenen Auktionsbedingungen könne der vereinbarte Gerichtsstand
zweifelsfrei belegt werden. Die Anforderungen des Gesetzes seien damit
erfüllt.
   a) Art. 5 Abs. 1 IPRG lautet wie folgt:

    "Gerichtsstandsvereinbarung

    Für einen bestehenden oder für einen zukünftigen Rechtsstreit über
   vermögensrechtliche Ansprüche aus einem bestimmten Rechtsverhältnis
   können die Parteien einen Gerichtsstand vereinbaren. Die Vereinbarung
   kann schriftlich, durch Telegramm, Telex, Telefax oder in einer andern
   Form der Übermittlung, die den Nachweis der Vereinbarung durch Text
   ermöglicht, erfolgen. Geht aus der Vereinbarung nichts anderes hervor,
   so ist das vereinbarte Gericht ausschliesslich zuständig."

    In formeller Hinsicht ist die Gerichtsstandsvereinbarung nach
Art. 5 IPRG ein Vertrag sui generis. Sie bedarf der einfachen
Schriftlichkeit. Nicht erforderlich ist, dass die Vereinbarung in
einem gegenseitig unterzeichneten Vertragsdokument enthalten ist
(Botschaft des Bundesrates zum IPRG-Gesetz vom 10. November 1982,
BBl 1983 I 300). Dem Formerfordernis entspricht auch ein Briefwechsel,
im Unterschied zu Art. 13 OR ebenso ein Schriftwechsel unter Verwendung
moderner Kommunikationstechniken, soweit die Einigung der Parteien über
eine Gerichtsstandsvereinbarung dadurch deutlich zum Ausdruck kommt.
Notwendig ist, dass jede Partei ihre Willenserklärung schriftlich oder
in einer der erwähnten andern Kommunikationsformen abgibt (HANS REISER,
Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz, Diss. Zürich 1989,
S. 124 f.; PAUL VOLKEN, Conflits de juridictions, entraide judiciaire,
reconnaissance et exécution des jugements étrangers, in: Le nouveau
droit international privé suisse, Lausanne 1988, S. 242; GABRIELLE
KAUFMANN-KOHLER, La clause d'élection de for dans les contrats
internationaux, Diss. Basel 1980, S. 99). Während sich das IPR-Gesetz
gegenüber technischen Neuerungen im Bereich der Kommunikationstechnik
aufgeschlossen zeigt und sich mit einer in ihrer Substanz aufs äusserste
reduzierten Schriftform begnügt, die Schriftlichkeit an sich aber nicht
in Frage stellt, haben das Europäische Übereinkommen über die gerichtliche
Zuständigkeit und die Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen (GVÜ) sowie
das Lugano-Übereinkommen gegenüber den im Handelsverkehr gebräuchlichen
Formen des Vertragsschlusses eine Öffnung vollzogen und die Bedeutung
der Schriftlichkeit im Handelsverkehr insofern relativiert, als u.U. der
Nachweis durch Text entfallen kann. In bezug auf den letzteren Punkt
sind die formellen Voraussetzungen der Gerichtsstandsvereinbarung
im IPR-Gesetz folglich enger gesetzt als in den beiden Europäischen
Übereinkommen (HANS REISER, aaO, S. 127; FRANK VISCHER, Das internationale
Vertragsrecht nach dem neuen Schweizerischen IPR-Gesetz, BJM 1989 S. 185;
ALFRED E. VON OVERBECK, Les élections de for selon la loi fédérale sur
le droit international privé du 18 décembre 1987, in FS Max Keller,
Zürich 1989, S. 618). Der klägerische Hinweis auf die bundesrätliche
Botschaft, wonach von Kaufleuten angenommen werden dürfe, dass sie mit
Handelsgebräuchen vertraut seien und deshalb mit Gerichtsstandsklauseln
in Formularverträgen rechnen müssten (BBl 1983 I 301), bezieht sich auf
den in Abs. 2 von Art. 5 IPRG ausgedrückten Schutzgedanken und ändert
nichts daran, dass die Formvorschriften gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung
auch von Kaufleuten einzuhalten sind.

    b) Im Lichte dieser Ausführungen geht die Klägerin fehl mit ihrem
Einwand, nach Art. 5 IPRG sei die beidseitige Schriftlichkeit nicht
erforderlich. Die in den klägerischen Auktionsbedingungen enthaltene
Gerichtsstandsklausel hätte die Beklagte vielmehr in einer der genannten
Formen schriftlich annehmen müssen, um der Formvorschrift von Art. 5
Abs. 1 IPRG zu genügen. Wie von der Vorinstanz für das Bundesgericht im
Berufungsverfahren verbindlich festgestellt und von der Klägerin zudem
nicht in Abrede gestellt, mangelt es an einer solchen Annahme seitens
der Beklagten. Die Klägerin geht lediglich davon aus, die Beklagte
habe die in den Auktionsbedingungen enthaltene Gerichtsstandsklausel
gekannt. Dies reicht zur Verbindlichkeit der Klausel nicht aus, da damit
der angestrebte Schutzzweck der Formvorschrift von Art. 5 Abs. 1 IPRG,
d.h. die nötige Sicherheit in bezug auf die Annahme einer Prorogation,
nicht erreicht wird. Der vom Handelsgericht gezogene Schluss, die
im vorliegenden Fall einseitig festgelegte Gerichtsstandsklausel sei
ungültig und komme demzufolge zwischen den Parteien nicht zum Tragen,
lässt sich daher nicht beanstanden.