Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 249



119 II 249

50. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Juli 1993 i.S. D.
gegen T. (Berufung) Regeste

    Architektenvertrag; Haftung für Überschreitung des Kostenvoranschlags
(Art. 398 Abs. 2 OR).

    Wird die vereinbarte Bausumme infolge eines ungenauen
Kostenvoranschlags überschritten, haftet der Architekt bei Verschulden für
den dem Bauherrn dadurch entstandenen Vertrauensschaden. Dieser Schaden
errechnet sich aus der Differenz zwischen den effektiven Erstellungskosten
und dem subjektiven Wert der Baute, der sich aufgrund der Vertragsgrundlage
ergibt.

Sachverhalt

    A.- Die Parteien schlossen am 24. September 1984 einen
Architektenvertrag nach SIA-Formular ab. Darin übertrug T.,
Bauherr (Kläger), an D., Architekt (Beklagter), "für die Planung des
Einfamilienhauses mit Atelierhaus in Siglistorf AG die Architekturarbeiten
(Vorprojekt, Bauprojekt, Detailstudien, Kostenvoranschlag,
Ausführungspläne, Ausschreibung, Oberleitung der Bauausführung,
Rechnungswesen und örtliche Bauführung) gemäss Skizzen und approximativer
Kostenberechnung, datiert vom 15. Juli 1984". Die Parteien vereinbarten
ein Pauschalhonorar von Fr. 64'000.--, zahlbar in vier Raten. Die
voraussichtlichen Baukosten betrugen Fr. 650'000.--; vorgesehener
Fertigstellungstermin war Herbst 1985. Kostenüberschreitungen durch den
Architekten sollten dem Bauherrn aufgrund der Submissionsunterlagen sofort
mitgeteilt und durch Kürzung des Bauprogramms aufgefangen werden.

    Der Beklagte erstellte am 12. Februar 1985 aufgrund der
Baueingabepläne vom 22. Oktober 1984, der Unternehmerofferten sowie der
Referenzpreise (Stand 1984/1985) einen detaillierten Kostenvoranschlag
mit Gesamtkosten von Fr. 705'000.--. Gestützt darauf reichte der Kläger
ein Finanzierungsgesuch bei der Aargauischen Kantonalbank Baden ein.

    B.- Am 2. April 1985 erhielt der Kläger die Baubewilligung, worauf am
3. Juni 1985 mit den Bauarbeiten begonnen wurde. Am 24. Juni 1985 teilte
der Beklagte dem Kläger schriftlich mit, der Kostenvoranschlag werde um
ca. Fr. 100'000.-- überschritten. In der Folge kam es zu Differenzen
zwischen den Parteien, was dazu führte, dass der Beklagte seine
Verpflichtungen per 20. Januar 1986, 10.15 Uhr, einstellte und jegliche
weitere Verantwortung und Haftung ab diesem Zeitpunkt ablehnte. Mit
Schreiben vom 29. Januar 1986 wies der Kläger die Schlussrechnung und die
Vorgehensweise des Beklagten zurück. Ab dem Zeitpunkt des Rücktritts des
Architekten führte der Kläger die Bauleitung selbst. Das Haus war im März
1986 bezugsbereit, fertiggestellt indessen erst im September 1986. Die
Bauabrechnung wies am Schluss eine Gesamtsumme von Fr. 1'415'985.10
auf. Der Kläger bestritt einen Teil der Bauunternehmerrechnung,
der Rechnung des Beklagten sowie anderer Rechnungen. Nach seiner
Auffassung fiel von der gesamten Kostenüberschreitung von Fr. 710'985.10
(Fr. 1'415'985.10)./. Fr. 705'000.--) lediglich ein Anteil von
Fr. 116'781.50 zu seinen Lasten. Die darüber hinausgehende Summe von
Fr. 594'203.60 lastete er dem Beklagten an.

    C.- Am 20. Oktober 1986 klagte T. vor Bezirksgericht Frauenfeld
und verlangte, D. sei zu verpflichten, ihm Fr. 345'179.35 nebst Zins
zu bezahlen. Nach Einholung eines Gutachtens vom 27. Mai 1988, der
Erläuterung dazu vom 12. Oktober 1988 sowie der Befragung verschiedener
Zeugen hiess das Bezirksgericht mit Urteil vom 15. Mai 1991 die Klage im
Umfang von Fr. 108'981.50 nebst Zins gut.

    Eine Berufung des Beklagten und Anschlussberufung des Klägers wies
das Obergericht des Kantons Thurgau mit Urteil vom 24. März 1992 ab und
schützte die Klage im selben Betrag.

    D.- Das Bundesgericht weist die vom Beklagten gegen das
obergerichtliche Urteil eingelegte Berufung ab, soweit es darauf eintritt,
und bestätigt den angefochtenen Entscheid.

Auszug aus den Erwägungen:

            Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 3

    3.- Der Beklagte rügt, die Vorinstanz gehe von einem falschen
Schadensbegriff aus, wenn sie den Schaden als Differenz zwischen dem
detaillierten Kostenvoranschlag und den effektiven Kosten, das heisst
als Mehrkosten, berechne. Er hafte lediglich für die Ungenauigkeit der
Kostenberechnung, weshalb er dem Kläger nur den Vertrauensschaden zu
ersetzen habe. Ein solcher Schaden sei dem Kläger jedoch nicht entstanden,
da zwischen dem Vermögensstand, den er ohne enttäuschtes Vertrauen auf
den Kostenvoranschlag auswiese, und dem aktuellen Vermögensstand keine
Differenz bestehe.

    a) Die Bemessung des Schadens ist nach bundesgerichtlicher
Rechtsprechung grundsätzlich eine vom kantonalen Richter abschliessend
zu beurteilende Tatfrage. Rechtsfrage und vom Bundesgericht im
Berufungsverfahren zu prüfen ist einzig, ob der kantonale Richter
den Rechtsbegriff des Schadens verkannt (BGE 116 II 486 E. 4a) oder
Rechtsgrundsätze der Schadensberechnung verletzt hat (BGE 117 II 628
E. 12a, 116 II 444 E. 3a, je mit Hinweisen).

    b) Nach Art. 398 Abs. 2 OR, welche Bestimmung auf das vorliegende
Vertragsverhältnis anzuwenden ist, haftet der Beauftragte dem
Auftraggeber für getreue und sorgfältige Ausführung des ihm übertragenen
Geschäfts. Er hat zum Nutzen und nicht zum Schaden des Auftraggebers zu
handeln. Namentlich hat der beauftragte Architekt einen Kostenvoranschlag
sorgfältig zu erstellen und die Baukosten ständig daraufhin zu überprüfen,
ob sie sich im Rahmen des Voranschlags halten (BGE 108 II 198 E. a,
mit Hinweisen).

    aa) Im Rahmen der Haftung des Architekten bei Überschreitung des
Kostenvoranschlags ist zwischen der Haftung für verursachte Zusatzkosten
und jener für Bausummenüberschreitung, das heisst für die Überschreitung
der durch Kostenvoranschlag berechneten Bausumme, zu unterscheiden. Der
Grund für die Bausummenüberschreitung - wie sie hier vorliegt - besteht
darin, dass die vom Architekten erstellte Kostenberechnung ungenau
war. Die Ungenauigkeit des Voranschlags kann sich etwa ergeben aus dem
Nichtberücksichtigen von Einzelleistungen, aus einem Rechnungsfehler,
der mangelhaften Abklärung des Baugrunds, dem falschen Abschätzen der
erforderlichen Leistungsmengen, des Umfangs von Regiearbeiten oder
der erwarteten Preise (GAUCH, Überschreitung des Kostenvoranschlages -
Notizen zur Vertragshaftung des Architekten (oder Ingenieurs), BR 1989,
S. 79 ff., 80). Nach zutreffender Auffassung stellt ein ungenauer
Kostenvoranschlag - wobei dem Architekten mit Rücksicht auf die damit
verbundenen Unsicherheiten eine Toleranzgrenze zugebilligt wird - eine
unrichtige Auskunft des Architekten über die zu erwartenden Baukosten
dar. Es liegt eine Schlechterfüllung des Vertrags vor, wofür der
Architekt bei Verschulden haftet. Nach GAUCH (aaO, S. 81) richtet sich
die Haftung für Falschauskunft auf den Ersatz des "Vertrauensschadens",
der dem Bauherrn daraus erwächst, dass er auf die Richtigkeit des
Kostenvoranschlags vertraut und dementsprechend seine Dispositionen
getroffenen hat. Dieser Schaden kann namentlich darin bestehen, dass das
Bauwerk auf billigere Weise hätte realisiert werden können.

    bb) Bei der Ermittlung des Schadens kann diesfalls nicht auf den
Mehrwert der Baute, den diese durch die Kostenüberschreitung erfahren hat,
abgestellt werden. Die Anrechnung des vollen Mehrwerts bedeutete eine
Benachteiligung des Bauherrn, soweit dieser den Mehrwert nicht gewollt
hat. Es kann für die Schadensberechnung infolgedessen nicht einfach die
objektive Wertsteigerung der gesamten Liegenschaft in Anschlag gebracht
werden, sondern es ist von einem subjektiven Wert, den die Baute für
den betreffenden Bauherrn aufweist, auszugehen (vgl. unveröffentlichter
Entscheid des Bundesgerichts vom 8. Oktober 1992 i.S. C. gegen la société
en commandite R., E. 2a; RAINER SCHUMACHER, Die Haftung des Architekten
aus Vertrag, in Das Architektenrecht, N. 677 S. 191). Der Schaden des
Bauherrn, den dieser durch die Überschreitung des Kostenvoranschlags
erleidet und der mit GAUCH (aaO) als Vertrauensschaden zu bezeichnen ist,
entspricht daher nicht dem objektiven Minderwert der Baute, sondern ergibt
sich aus der Differenz zwischen den effektiven Erstellungskosten und dem
subjektiven Wert der Baute. Er stellt die vertragsbezogene Verschlechterung
der Vermögenslage des Bauherrn dar. Zur Berechnung des Schadens ist dabei
immer von der Vertragsgrundlage auszugehen. Wird während der Bauausführung
von dieser vertraglichen Vereinbarung abgewichen, stellen die dadurch
verursachten Mehraufwendungen einen subjektiven Schaden des Bauherrn
dar. Dazu gehören auch solche Mehrkosten, die nicht vom Bauherrn verursacht
und vom Architekten pflichtwidrig nicht vorausgesehen wurden. Der Architekt
haftet indessen nicht für Mehrkosten für Unvorhersehbares.

    Diese Grundsätze der Schadensberechnung ergeben sich auch aus
sinngemässer Anwendung von Art. 672 Abs. 3 ZGB, wonach es nicht
auf die objektive Wertsteigerung, die das Grundstück durch den Bau
bzw. die Kostensteigerung erfahren hat, ankommt, sondern einzig auf das
persönliche Interesse des Grundeigentümers an dem Bau (BK-MEIER-HAYOZ,
N. 18 zu Art. 672 ZGB; vgl. auch BGE 99 II 149 E. c). Ein Mehrwert, der vom
Bauherrn nicht gewollt und für ihn nutzlos ist oder dessen Berücksichtigung
zu einer untragbaren finanziellen Belastung des Bauherrn führt, ist daher
von der Anrechnung auszunehmen (GAUCH, aaO, S. 85).

    Nach dem Gesagten errechnet sich der Vertrauensschaden daher
aus der Differenz zwischen den objektiven Erstellungskosten und dem
subjektiven Wert der Baute, der sich aufgrund der Vertragsgrundlage
ergibt. Ist die Berechnung des subjektiven Mehrwerts für den betroffenen
Bauherrn unmöglich, bedürfen die Existenz und das Ausmass des Mehrwerts
der Schätzung des Richters gemäss Art. 42 Abs. 2 OR (SCHUMACHER, aaO,
N. 679 S. 192).

    c) Das Obergericht wendet die oben dargelegten Grundsätze an
und berücksichtigt, dass nicht einfach auf den objektiven Sachwert
abgestellt werden kann. Es geht gestützt auf die Expertise von effektiven
Erstellungskosten von Fr. 1'351'526.85 und einem objektiven Gegenwert von
Fr. 1'331'276.85 aus, der sich aus den effektiven Baukosten, abzüglich der
nicht wertvermehrenden Investition von Fr. 20'250.-- ergebe. Die Kosten,
von denen der Kläger aufgrund des Kostenvoranschlags und der gewünschten
Mehrleistungen auszugehen hatte, beziffert es mit Fr. 1'085'600.--. Diese
Summe setzt sich wie folgt zusammen: Kosten gemäss Kostenvoranschlag von
Fr. 705'000.--, Toleranzzuschlag von Fr. 70'500.--, Eigenleistungen des
Bauherrn von Fr. 7'700.-- und Mehrleistungen von Fr. 302'400.--. Ebenfalls
zu den vom Bauherrn zu vertretenden Kosten rechnet es einen Betrag
für diverse Arbeiten von Fr. 28'963.85, die nicht als Mehrleistungen
zu qualifizieren seien, sowie einen Teil des Architektenhonorars von
Fr. 19'000.--. Es lastet dem Kläger infolgedessen einen Betrag von
insgesamt Fr. 1'133'563.85 an. Den Schaden ermittelt die Vorinstanz in der
Differenz zwischen den effektiven Erstellungskosten von Fr. 1'351'526.85
und den zu Lasten des Bauherrn fallenden Kosten von Fr. 1'133'563.85 mit
Fr. 217'963.--. Da beide Parteien an der Verursachung der Mehrkosten
mitschuldig seien, halbiert sie den ermittelten Schadensbetrag und
verpflichtet den Beklagten zur Bezahlung von Fr. 108'981.50.

    Diese Schadensberechnung der Vorinstanz ist bundesrechtlich nicht zu
beanstanden. Das Obergericht geht richtigerweise nicht vom objektiven Wert
des Hauses aus, sondern rechnet dem Kläger den subjektiven, einen auf der
Vertrauensbasis gemäss Vertrag beruhenden Mehrwert an. Der Kläger plante
ein Einfamilienhaus mit Atelier für Fr. 650'000.--. Gemäss detailliertem
Kostenvoranschlag vom 12. Februar 1985 sollte es Fr. 705'000.-- kosten.
Berücksichtigt man eine Toleranzgrenze von 10%, ergibt sich ein Betrag
von Fr. 775'500.-- bzw. von Fr. 783'200.-- unter Hinzurechnung
von Eigenleistungen. Von diesem Höchstbetrag musste der Kläger bei
Baubeginn ausgehen. Werden zu dieser Summe die vom Kläger zu vertretenden
Mehrleistungen von Fr. 302'400.-- addiert, ergibt sich ein Betrag von
Fr. 1'085'600.--. Dieser Betrag ist als subjektiver Wert zu verstehen, den
das Haus für den Kläger aufweist. Es ist daher nicht bundesrechtswidrig,
wenn das Obergericht diesem subjektiven Wert die effektiven Baukosten
von Fr. 1'351'526.85 abzüglich einzelner Positionen (Fr. 28'963.85 für
diverse Arbeiten und Fr. 19'000.-- an Architektenhonorar) gegenüberstellt
und die Differenz von Fr. 217'963.-- als Schaden bezeichnet. Überdies
ist festzuhalten, dass die einzelnen Positionen, namentlich der Wert des
Hauses, vom Beklagten nicht bzw. nicht substantiiert bestritten werden. Die
Rüge erweist sich daher als unbegründet.

    d) Aus den oben dargelegten Gründen ist auch das Eventualvorbringen
des Beklagten unbegründet, wonach dem Kläger insofern kein Schaden
entstanden sei, als sämtliche Leistungen wertvermehrend gewesen seien,
mit Ausnahme von Fr. 20'250.--, welche die Vorinstanz als nicht
wertbildende Investitionen bezeichne und die ebenfalls nicht in seinen
Verantwortungsbereich fielen. Der Kläger habe sich den vollen Mehrwert
des Hauses anrechnen zu lassen. Nach dem Gesagten ist vom subjektiven
Mehrwert des Hauses auszugehen, da es unbillig wäre, dem Bauherrn die
gesamte, ihm aufgedrängte Mehrwertsteigerung als Vorteil anzurechnen.