Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 227



119 II 227

46. Urteil der I. Zivilabteilung vom 25. Mai 1993 i.S. E. AG gegen C. AG
(Berufung) Regeste

    Kaufvertrag; Vereinbarung, wonach der Kaufpreis in "100% WIR" zu
erbringen ist.

    1. Ist zwischen den Vertragsparteien ohne weitere Angaben
"WIR-Zahlung" vereinbart worden, werden die Buchungsaufträge aber von
der WIR-Genossenschaft nicht ausgeführt, so gilt die Vermutung, dass die
Buchungsaufträge dem Verkäufer zahlungshalber und nicht an Zahlungsstatt
übergeben worden sind (E. 1 u. 2).

    2. In einem solchen Fall ist der Verkäufer berechtigt, vom Käufer
Barzahlung zu verlangen, wenn ihm keine mangelnde Sorgfalt hinsichtlich
der Erfüllung des auftragsähnlichen Rechtsverhältnisses vorzuwerfen ist,
das mit der Hingabe der Leistung erfüllungshalber zwischen ihm und dem
Käufer entstanden ist (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die C. AG kaufte im September 1988 von der E. AG einen Computer
samt Zubehör zum Preis von Fr. 19'542.--, zahlbar in "100% WIR". In
jenem Zeitpunkt waren beide Vertragspartner nicht Mitglieder der
Wirtschaftsring-Genossenschaft WIR; die Verkäuferin war es nie gewesen,
und die Käuferin war ein Jahr vorher aus der Genossenschaft ausgetreten.

    Die Käuferin liess der Verkäuferin noch vor der Lieferung des
Kaufgegenstandes 13 WIR-Buchungsaufträge von Dritten im Gesamtbetrag
von Fr. 19'425.25 zukommen. Als die Genossenschaft die Buchung
dieser Aufträge verweigerte, verlangte die Verkäuferin die Zahlung
des Kaufpreises in Schweizerfranken. Dazu glaubte sie sich deswegen
berechtigt, weil ihre Mahnung erfolglos geblieben und als Folge davon
nach den Geschäftsbedingungen der Genossenschaft die WIR-Schuld zu einer
Schuld in Bargeld geworden sei. Die Käuferin verweigerte indessen eine
Zahlung in Schweizerfranken.

    Auf Klage der E. AG wurde die C. AG mit Urteil des Kantonsgerichts
Nidwalden vom 4. Dezember 1991 zur Zahlung von Fr. 19'542.-- nebst 5%
Zins seit 1. Februar 1989 verpflichtet.

    Die Beklagte appellierte an das Obergericht des Kantons Nidwalden, das
den Entscheid der Vorinstanz mit Urteil vom 12. Juni 1992 aufhob und die
Klage nur noch insoweit guthiess, als es die Beklagte dazu verpflichtete,
der Klägerin "Fr. 116.75 mittels WIR-Buchungsauftrag zu begleichen".

    Die Klägerin hat das Urteil des Obergerichts mit Berufung angefochten,
die vom Bundesgericht zur Hauptsache gutgeheissen wird.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Im schriftlichen Kaufangebot vom 22. September 1988, das von
der Beklagten mit Brief vom 26. September 1988 angenommen wurde, ist
die Zahlungsart für den Kaufpreis ohne weitere Angaben mit "100% WIR"
umschrieben. Über die Folgen möglicher Störungen des Verrechnungsablaufes
und darüber, ob die mit "WIR" gemeinten Buchungsaufträge im Rahmen des von
der Wirtschaftsring-Genossenschaft organisierten Verrechnungsverkehrs
zahlungshalber oder an Zahlungsstatt beigebracht würden, bestanden
im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unstreitig keine ausdrücklichen
Abmachungen zwischen den Parteien (vgl. allgemein zur WIR-Genossenschaft
und zum Verrechnungsverkehr: BGE 95 II 178 ff. E. 3; GRAF in ZBJV 114,
1978, S. 31 ff.; WEBER, N. 129 f. zu Art. 84 OR; OTT in SJZ 54, 1958,
S. 145). Die Klägerin will indessen aus dem Umstand, dass Zahlung in "100%
WIR" vereinbart war, durch Auslegung nach dem Vertrauensprinzip ableiten,
die Geschäftsbedingungen der Genossenschaft seien Vertragsbestandteil
geworden. Sie hält dabei sowohl die Geschäftsbedingungen für
"offizielle WIR-Teilnehmer" wie auch jene für "stille WIR-Teilnehmer"
für anwendbar (vgl. zu dieser Unterscheidung: MARCEL LAUTNER, Der
"WIR"-Verrechnungsverkehr, Diss. Zürich 1962, S. 76 ff.). Dem Obergericht
wirft die Klägerin vor, es habe die Anwendbarkeit der Bedingungen für
"offizielle WIR-Teilnehmer" zu Unrecht verneint und in Verletzung von
Art. 8 ZGB nicht abgeklärt, ob nicht auch jene für "stille WIR-Teilnehmer"
Vertragsbestandteil geworden seien.

    Auch nach Auffassung der Klägerin ist jedoch die vom Obergericht
verneinte Frage der Anwendbarkeit der erwähnten Geschäftsbedingungen nur
insoweit entscheiderheblich, als beide Ausgaben eine gleichlautende
Regelung darüber enthalten, wie der WIR-Gläubiger vorgehen muss,
wenn die WIR-Forderungen vom Schuldner nicht rechtzeitig beglichen
werden. Danach sind solche Forderungen spätestens innerhalb von dreissig
Tagen nach Rechnungsstellung zu begleichen, anderslautende Abmachungen
vorbehalten. Der WIR-Gläubiger hat sodann bei Fälligkeit seiner Forderung
dem Schuldner schriftlich eine einwöchige Mahnfrist anzusetzen, worauf die
Forderung bei Nichtbezahlung sofort ganz in Bargeld fällig wird (Ziff. II.9
der Geschäftsbedingungen für offizielle WIR-Teilnehmer und Ziff. II.3
der Geschäftsbedingungen für stille WIR-Teilnehmer). Da sich zeigen
wird, dass die im Fall fehlender vertraglicher Abmachungen anwendbare
gesetzliche Regelung zum gleichen Ergebnis führt, kann offenbleiben, ob
die Erwägungen des Obergerichts, die sich mit der Frage der Anwendbarkeit
der Geschäftsbedingungen befassen, gegen Bundesrecht verstossen. Nicht
zu prüfen sind deshalb auch die von der Klägerin mit der Berufung gegen
diese Erwägungen erhobenen Rügen.

Erwägung 2

    2.- a) Ist zwischen Schuldner und Gläubiger nicht vereinbart worden
oder ist streitig, ob eine Leistung als zahlungshalber oder als an
Zahlungsstatt erfolgt zu gelten habe, so wird nach Lehre und Rechtsprechung
eine Leistung zahlungshalber vermutet (BGE 89 II 341 E. 3; von TUHR/ESCHER,
Allg. Teil des schweiz. Obligationenrechts, Bd. II, S. 14 BUCHER, Schweiz.
Obligationenrecht Allg. Teil, 2. Aufl., S. 312; SCHRANER, N. 118 der
Vorbemerkungen zu Art. 68-96 OR; WEBER, N. 144 der Vorbemerkungen zu
Art. 68-96 OR). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Gläubiger,
der vom Schuldner eine andere als eine Geldleistung anzunehmen bereit
ist, nicht auch noch die Gefahr tragen soll, dadurch schlechter gestellt
zu werden. Dieser Grundgedanke ist zwar im Obligationenrecht nicht
in allgemeiner Form festgehalten worden. Er hat aber in verschiedenen
Einzelbestimmungen seinen Niederschlag gefunden (vgl. Art. 116 Abs. 2,
Art. 172, Art. 467 Abs. 1 und Art. 1103 OR).

    b) Wie es sich verhält, wenn die Vertragsparteien ohne weitere
Angaben "WIR-Zahlung" vereinbart haben, die Buchungsaufträge aber von
der Genossenschaft nicht ausgeführt werden und eine Umbuchung durch die
WIR-Zentrale nicht erfolgt, hatte das Bundesgericht in seinen früheren
veröffentlichten Urteilen nicht zu entscheiden. In einem Fall, der den
Verkauf von WIR-Guthaben betraf, hat das Bundesgericht zwar angenommen,
die Abtretung dieser Guthaben sei zahlungshalber erfolgt und es fehle
an der Erfüllung, wenn der Empfänger die Buchungsaufträge erfolglos zur
Umbuchung vorweise (BGE 102 II 342). Auf den vorliegenden Fall, in dem es
ausschliesslich um die Frage geht, welche Rechtsfolge eintritt, wenn das
vertraglich vereinbarte Zahlungsmittel der WIR-Buchungen nicht zur Tilgung
der Schuld führt, lässt sich die damalige Betrachtungsweise nicht ohne
weiteres übertragen. Im Ergebnis rechtfertigt es sich aber auch hier,
auf die Vermutung abzustellen, dass die Übergabe der Buchungsaufträge
an die Klägerin als Leistung erfüllungshalber erfolgt ist. Die sich
gegenüberstehenden Interessen der Parteien sind nämlich nicht wesentlich
anders zu gewichten als in jenen Fällen, in denen die bereits erwähnte
allgemeine Regel zur Anwendung kommt. Es leuchtet deshalb ebenfalls
ein, dass die Klägerin, welche der Beklagten ermöglichen wollte, die
Kaufpreisschuld in anderer Form als mit Geld zu begleichen, nicht auch noch
vermutungsweise das Risiko tragen soll, dadurch einen Verlust zu erleiden.

    Die Vermutung einer Leistung zahlungshalber käme somit nur dann
nicht zum Zuge, wenn die Beklagte aus einer insoweit eindeutigen
Willensäusserung der Klägerin auf die Vereinbarung einer Leistung an
Zahlungsstatt hätte schliessen dürfen. Eine solche Äusserung fehlt
jedoch. Sie lässt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht
daraus ableiten, dass ein Vorauszahlungsverkauf vereinbart war und die
Klägerin nach dem Vertragsschluss die ihr von der Beklagten zugestellten
WIR-Buchungsaufträge widerspruchslos entgegengenommen hat. Der Umstand,
dass die Beklagte in den Begleitbriefen von "Anzahlungen" sprach, musste
die Klägerin nicht zum Widerspruch veranlassen, da dieser Begriff unter den
gegebenen Umständen mehrdeutig war. Aus dem Schweigen der Klägerin lässt
sich deshalb nichts zu Gunsten der Beklagten ableiten. Entsprechendes
gilt sodann für den Brief vom 12. Dezember 1988, in dem die Klägerin
auf den noch "ausstehenden Saldo" hingewiesen hat. Auch diese Äusserung
war nicht eindeutig; sie durfte jedenfalls von der Beklagten nicht als
Einverständnis mit der Hingabe der WIR-Buchungsaufträge an Zahlungsstatt
verstanden werden. Schliesslich ist ein solches Einverständnis auch
nicht darin zu sehen, dass die Klägerin den Kaufgegenstand geliefert hat,
ohne zuvor abzuwarten, ob die WIR-Buchungsaufträge ausgeführt würden.

Erwägung 3

    3.- a) Mit der Hingabe der Leistung erfüllungshalber entsteht
zwischen Gläubiger und Schuldner ein auftragsähnliches Rechtsverhältnis,
das den Gläubiger verpflichtet, sich mit der gebotenen Sorgfalt um
die Verwertung der Ersatzleistung zu bemühen (SCHRANER, N. 109 f. der
Vorbemerkungen zu Art. 68-96 OR; WEBER, N. 130 ff. der Einleitung und
Vorbemerkungen zu Art. 68-96 OR). Dieser Verpflichtung ist die Klägerin
denn auch nachgekommen. Dass ihre Bemühungen nicht erfolgreich waren,
kann ihr nicht angelastet werden. Die Weigerung der WIR-Genossenschaft,
den Buchungsaufträgen Folge zu geben, ist unstreitig auf das Verhalten
der Beklagten zurückzuführen, welche diese Aufträge unter Verletzung der
Geschäftsbedingungen der WIR-Genossenschaft an die Klägerin weitergegeben
hat. Der Klägerin ist somit keine mangelnde Sorgfalt hinsichtlich der
Erfüllung des zur Beklagten bestehenden auftragsähnlichen Verhältnisses
vorzuwerfen. Sie war deshalb nach der mit Brief vom 27. Dezember
1988 mitgeteilten Zurückweisung der Buchungsaufträge durch die
WIR-Genossenschaft berechtigt, von der Beklagten die Zahlung des
Kaufpreises in Bargeld zu verlangen. Das hat sie mehrmals, zuletzt
mit Brief vom 30. Januar 1989, ohne Erfolg getan. Ihre vorher und auch
nachher in der gerichtlichen Auseinandersetzung erklärte Bereitschaft,
eventuell eine Tilgung des Kaufpreises durch WIR-Umbuchungen anzunehmen,
kann ihr die Beklagte nicht entgegenhalten, da sie selbst diesen Vorschlag
stets abgelehnt hat. Das gilt, wie aus der Berufungsantwort hervorgeht,
auch hinsichtlich des Buchungsauftrages "Steiner" über Fr. 5'000.--. Ob die
von der Klägerin erhobene Rüge, die Vorinstanz habe in diesem Zusammenhang
mit der Abweisung ihres gesamten Rechtsbegehrens die Dispositionsmaxime
verletzt, im Berufungsverfahren überhaupt zu hören wäre, kann deshalb
offenbleiben.

    b) Aus diesen Gründen ist die Berufung gutzuheissen, soweit damit
die Aufhebung des angefochtenen Urteils verlangt wird. Der materielle
Hauptantrag der Klägerin, mit dem sie die Zahlung von Fr. 19'542.--
nebst 5% Zins seit 30. Januar 1989 und von Fr. 60.-- Betreibungskosten
verlangt, kann dagegen vom Bundesgericht nur teilweise gutgeheissen
werden. Gegen das Zinsbegehren und jenes um Ersatz der Betreibungskosten
erhebt die Beklagte zwar keine Einwendungen. Aus dem angefochtenen Urteil
ergibt sich indessen, dass die Klägerin vor dem Obergericht lediglich
die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils verlangt hatte, mit dem
der Beginn des Zinsenlaufes auf den 1. Februar 1989 festgelegt war und
keine Betreibungskosten zugesprochen waren. Der etwas weiter gehende
materielle Hauptantrag ist insoweit neu und daher unzulässig (Art. 55
Abs. 1 lit. c OG).