Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 222



119 II 222

45. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. April 1993 i.S. M.
gegen E. (Berufung) Regeste

    Vertrag über die Veräusserung und Übernahme einer ärztlichen Praxis;
Schutz der Persönlichkeitsrechte der Patienten (Art. 28 ZGB, Art. 20 OR).

    1. Soweit mit einem solchen Vertrag allgemein der Goodwill der Praxis
veräussert wird, ist eine Widerrechtlichkeit unter dem Gesichtspunkt des
Persönlichkeitsschutzes nicht ersichtlich (E. 2a).

    2. Soweit damit der übernehmende Arzt berechtigt wird, über die
Patientenkartei zu verfügen, ist eine Vertragsnichtigkeit aufgrund der
heutigen Gesetzgebung zu verneinen (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- Der 1914 geborene Arzt E. betrieb während vieler Jahre eine
gynäkologische Praxis in gemieteten Räumen in B. Er suchte 1989 einen
Praxisübernehmer, mit dem er am Anfang eine Praxisgemeinschaft bilden
wollte, aus welcher er dann in einem späteren Zeitpunkt auszuscheiden
beabsichtigte. Interessiert an einer solchen Praxisübernahme war M., der
damals als angestellter Arzt in einem öffentlichen Spital tätig war. Zu
einem Vertragsschluss kam es jedoch nicht. Kurz darauf erlitt E. einen
Verkehrsunfall, an dessen Folgen er am 10. Januar 1990 starb. Als Erben
hinterliess er seine Ehefrau und den im Jahre 1978 geborenen Sohn G.

    Am 27. Januar 1990 fand in den Praxisräumen eine Zusammenkunft statt,
an der M. und Frau E. sowie deren Rechtsberaterin C. teilnahmen. Im Rahmen
dieser Zusammenkunft wurde zwischen Frau E., die zugleich als Vertreterin
ihres Sohnes handelte, und M. mündlich vereinbart, dass dieser die
gynäkologische Praxis zum Preis von Fr. 70'000.-- übernehmen werde. Die
mündliche Vereinbarung wurde von Fürsprecherin C. am 30. Januar 1990
schriftlich bestätigt. Danach sollten im Kaufpreis, der mit der Übernahme
der Praxis fällig wurde, insbesondere "sämtliche Krankengeschichten der
Patientinnen von Dr. med. E." enthalten sein.

    Mit Brief vom 29. Januar 1990 an Fürsprecherin C. hatte M. seinerseits
mitgeteilt, er habe am Vortag bei der Durchsicht eines Teiles der
Krankengeschichten festgestellt, dass die Karteiunterlagen grösstenteils
unleserlich und zudem mit unverständlichen Aufzeichnungen versehen seien;
unter diesen Umständen stellten diese Unterlagen keinen grossen Goodwill
der Praxis dar, weshalb die von Frau E. geforderte Entschädigung zu hoch
sei. R. M. schlug vor, den Goodwill der Praxis im vorgesehenen Zeitpunkt
der Übernahme durch einen neutralen Experten schätzen zu lassen. In
ihrem Antwortschreiben vom 2. Februar 1990 lehnte Fürsprecherin C. den
Vorschlag ab.

    Nachdem die Erben E.'s das Mietverhältnis über die Praxisräume
gekündigt hatten, wurden sie an M. vermietet, der ab Dezember 1990
darin seine ärztliche Praxis betrieb. Über eine Herabsetzung der
Goodwillentschädigung kam auch in der Folge keine Einigung zustande.

    Im März 1991 reichten Frau E. und ihr Sohn G. beim Appellationshof des
Kantons Bern Klage gegen M. ein. Die Kläger verlangten die Zahlung von Fr.
70'000.-- nebst 6% Zins seit 1. April 1990 als Goodwillentschädigung und
von Fr. 11'312.-- nebst 5% Zins seit 15. Juli 1990 als Entschädigung für
die anstelle des Beklagten bezahlten Mietzinse.

    Mit Urteil vom 7. Juli 1992 hiess der Appellationshof die Klage im
wesentlichen gut. Eine vom Beklagten gegen dieses Urteil eingereichte
Berufung wird vom Bundesgericht abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Ein Vertrag, der einen widerrechtlichen Inhalt hat, ist gemäss
Art. 20 Abs. 1 OR nichtig. Widerrechtlich im Sinne dieser Bestimmung
ist ein Vertrag nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dann, wenn
sein Gegenstand, der Abschluss mit dem vereinbarten Inhalt oder sein
mittelbarer Zweck gegen objektives Recht verstösst. Dabei kann es sich
sowohl um Bundesrecht wie auch um kantonales Recht handeln. Voraussetzung
der Nichtigkeit ist jedoch, dass diese Rechtsfolge ausdrücklich im
betreffenden Gesetz vorgesehen ist oder sich aus Sinn und Zweck der
verletzten Norm ergibt (BGE 117 II 48 E. 2a, 287 E. 4a je mit Hinweisen).

    a) Gegenstand des Praxisübernahmevertrags bildeten einerseits
einige wenige Instrumente und Geräte, deren Wert bei der Bestimmung des
Übernahmepreises von Fr. 70'000.-- unwesentlich war, und andererseits der
Goodwill der Praxis. Darunter wird im allgemeinen der wirtschaftliche Wert
verstanden, der für den Übernehmer eines Betriebs in der Chance besteht,
die bisherigen Kunden für sich zu gewinnen und sich so eine Grundlage für
sein eigenes Unternehmen zu schaffen (vgl. zum Goodwill eines Restaurants:
BGE 93 II 459 E. 4, und einer Arztpraxis: UHLENBRUCK, in Laufs/Uhlenbruck,
Handbuch des Arztrechts, S. 134 Rz. 1 und S. 136 Rz. 7). In ihren
Rechtsschriften bezeichnen die Parteien denn auch damit übereinstimmend
den "potentiellen Kundenkreis" als Gegenstand des Vertrages. Insoweit
ist aber eine Widerrechtlichkeit des Praxisübernahmevertrages nicht
ersichtlich. Etwas anderes lässt sich auch nicht dem vom Beklagten
zitierten Urteil des Deutschen Bundesgerichtshofs vom 11. Dezember
1991 entnehmen (abgedruckt in NJW 1992, S. 737-741). Dieser Entscheid
geht - in Übereinstimmung mit der deutschen Lehre und Rechtsprechung
(vgl. UHLENBRUCK, aaO, S. 134 Rz. 1) - von der grundsätzlichen Gültigkeit
des Praxisübernahme- oder -veräusserungsvertrages aus und erklärt ihn
lediglich insoweit für nichtig, als er den Praxisveräusserer auch ohne
Einwilligung der betroffenen Patientinnen und Patienten verpflichtet,
dem Erwerber die Patienten- und Beratungskartei zu übergeben (E. I 3).

    b) Einig sind sich die Parteien allerdings auch darin, dass der
Verkauf des Goodwills nur dann einen Sinn hatte, wenn der Beklagte
Namen und Adressen der Patientinnen des verstorbenen Dr. E. verwenden
und hinsichtlich solcher Patientinnen, die sich von ihm behandeln
lassen wollten, auch die Krankengeschichten einsehen durfte. Nach
ausdrücklicher Vereinbarung sollte denn auch der Beklagte das Recht haben,
die Patientinnen des verstorbenen Dr. E. selbst anzuschreiben, um ihnen
die Praxisübernahme mitzuteilen; zudem sollten sämtliche schriftlichen
Unterlagen bezüglich der Patientinnen mit der Praxisübernahme in den
Gewahrsam des Beklagten übergehen.

    aa) Die Personendaten der Patientenkartei einer Arztpraxis
sind grundsätzlich dem durch Art. 28 ZGB geschützten Geheimbereich
der betreffenden Patientinnen und Patienten zuzurechnen (vgl. zur
Unterscheidung von Geheim-, Privat- und Gemeinbereich BGE 118 IV 45
E. 4 mit Hinweisen). Daten über die Gesundheit gehören nach Art. 3
lit. c Ziff. 2 des - im jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht in
Kraft stehenden - Bundesgesetzes über den Datenschutz denn auch zu den
besonders schützenswerten Personendaten (BBl 1992 III 960). Die Weitergabe
solcher Daten bedeutet in der Regel eine Persönlichkeitsverletzung der
Patientinnen und Patienten, die nur dann nicht widerrechtlich ist, wenn
sie durch Einwilligung der Betroffenen, durch ein überwiegendes privates
oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist (Art. 28
Abs. 2 ZGB).

    bb) Den Anforderungen des Persönlichkeitsschutzes kann bei einer
Praxisübergabe in der Regel ohne weiteres entsprochen werden, wenn der
die Praxis veräussernde Arzt genügend Zeit zur Verfügung hat, um seinen
Patientinnen und Patienten die beabsichtigte Praxisübergabe anzuzeigen und
Weisungen zur Behandlung der Daten bzw. ihre Einwilligung zur Weitergabe
der Krankengeschichten an einen Nachfolger einzuholen. Im Falle des Todes
eines praktizierenden Arztes ist es zwar denkbar, dass die ehemaligen
Patienten von einer Person zur Behandlung ihrer Daten befragt werden
können, welche ihrerseits - etwa als ehemalige Hilfsperson des Verstorbenen
- mit Einverständnis der Betroffenen in die Daten Einblick hatte. Steht
jedoch eine solche Person nicht zur Verfügung, so müssen Dritte die
betroffenen Patientinnen oder Patienten anfragen, was mit deren Unterlagen
geschehen soll. Dafür müssen sie praktisch in dem Umfange Einsicht in
die Patientenakten nehmen, als dies zur Einholung von Weisungen seitens
der Betroffenen bzw. zum Erhalt einer allfälligen Einwilligung für die
Herausgabe der Akten an einen Nachfolger erforderlich ist.

    cc) Eine zweckmässige und unter allen Gesichtspunkten auch für die
betroffenen Patientinnen und Patienten befriedigende Behandlung der Daten
ist in diesem letzten Falle aufgrund der heutigen Gesetzgebung nicht
erkennbar. Die Patientinnen und Patienten haben ein berechtigtes Interesse
daran, dass die schriftlichen Unterlagen nicht vernichtet werden, sondern
im Falle der Fortführung der Behandlung durch eine andere Ärztin oder einen
anderen Arzt zur Verfügung stehen, damit sich diese möglichst zuverlässig
über die Krankengeschichte informieren können. Die Pflicht zur Aufbewahrung
der Patientenunterlagen wird im Kanton Bern denn auch nach Art. 20 Abs. 2
des kantonalen Gesundheitsgesetzes den praktizierenden Ärzten für die
Dauer von zehn Jahren vorgeschrieben. Die Erben des Verstorbenen haben
zwar faktisch Zugang zu den Daten und treten als Gesamtnachfolger in
dessen Rechtsstellung ein. Das Auftragsverhältnis erlischt jedoch mit
dem Tod des Arztes (Art. 405 Abs. 1 OR), und die Verpflichtung der Erben
gegenüber den Patientinnen und Patienten beschränkt sich im wesentlichen
auf die Rechenschaftsablage, die Herausgabe und die Abrechnung (Art. 400
und 402 OR). Wenn sie dieser Verpflichtung in der Weise nachkommen, dass
sie die Praxis mitsamt den Unterlagen an einen fachkundigen Nachfolger
übertragen, so ist dieses Vorgehen - solange eine datenschutzrechtlich
befriedigendere Regelung nicht erlassen worden ist - durch das überwiegende
Interesse der Patientinnen oder Patienten gerechtfertigt.

    dd) Zwar wäre denkbar, die Patientenkartei zu verschliessen und bei
einer staatlichen Stelle wie der kantonalen Aufsichtsbehörde über die
Ärzte zu hinterlegen. Eine Einsichtnahme durch eine Drittperson ist auch
in diesem Falle insoweit unvermeidlich, als Betroffene in der Folge ihre
Unterlagen anfordern. Unter dem Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes
ist indessen eine Rechtfertigung für die Einsichtnahme mangels möglichen
Einverständnisses der Betroffenen durch eine staatliche Stelle nicht ohne
weiteres vorzuziehen. Der strafrechtlich durch Art. 321 StGB geschützte
Geheimbereich wird grundsätzlich auch durch Bekanntgabe an Drittpersonen
verletzt, die ihrerseits der Geheimhaltungspflicht unterliegen (vgl. BGE
106 IV 132). Entscheidend ist vielmehr das Vermögen der Drittperson
zur Wahrnehmung der objektiven Interessen der Personen, deren Daten in
Frage stehen.

    ee) Mit der Übernahme der Patientenkartei hat der Beklagte zwar
nicht das Recht erhalten, ohne Einwilligung der Patientinnen in
deren Krankengeschichten Einsicht zu nehmen. Die Einsichtnahme in die
Patientenunterlagen durch nicht in das ärztliche Mandatsverhältnis
einbezogene Personen ist nur insoweit gemäss Art. 28 Abs. 2 ZGB
gerechtfertigt, als dies zur Wahrnehmung objektiver Interessen der
Betroffenen erforderlich ist. Die Kläger haben dem Beklagten vertraglich
das Recht übertragen können, insoweit in die Unterlagen Einsicht zu nehmen,
als dies zur Kontaktaufnahme mit den Patientinnen erforderlich war. Die von
den Parteien angestrebte Übertragung des Goodwills bzw. des potentiellen
Kundenkreises kann auf diese Weise praktisch erreicht werden. Soweit sich
die Patientinnen in der Folge vom Beklagten hätten behandeln lassen, hätten
sie auch in die Einsichtnahme in ihre Krankengeschichte eingewilligt. Für
die Patientinnen, die ihm kein Mandat zur ärztlichen Behandlung anvertraut
hätten, hätte der Beklagte mit der faktischen Übernahme der Kartei
auch die Verpflichtung übernommen, die Unterlagen nach deren Weisung
herauszugeben. Wie es sich damit verhält, ist jedoch nicht Gegenstand des
vorliegenden Verfahrens. Die von den Parteien angestrebte Übertragung
des Goodwills der Arztpraxis war jedenfalls unter Respektierung der
Persönlichkeit der betroffenen Patientinnen durchführbar. Der Vertrag
ist daher entgegen der Auffassung des Beklagten nicht nichtig im Sinne
von Art. 20 OR.