Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 216



119 II 216

44. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Mai 1993
i.S. Renato Domedi Architekt HTL AG gegen Staat Aargau (Berufung) Regeste

    Haftung aus Grundbuchführung (Art. 955 ZGB); Verjährung des
Schadenersatzanspruchs (Art. 60 Abs. 1 OR).

    1. Unterliegen die Kantone für Vermessungsfehler ihrer
Nachführungsgeometer der zivilrechtlichen Haftung aus
Grundbuchführung? Frage offengelassen (E. 3).

    2. Absolute Verjährung nach Art. 60 Abs. 1 OR. Die Zehnjahresfrist
läuft für den Schadenersatzanspruch aus Art. 955 ZGB unabhängig von der
Kenntnis, die der Gläubiger von seinem Anspruch hat, ab der schädigenden
Handlung. Die rechtswidrig erfolgende Eintragung im Grundbuch setzt mit
ihrem Abschluss unweigerlich den Fristenlauf in Gang (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Am 26. November 1927 verkaufte Adolf L. als Eigentümer des
im Grundbuch Brittnau eingetragenen Grundstücks Nr. 679, Kat. Plan 56,
Parz. 1044, eine Teilfläche von 13,97 a als Neuparzelle Nr. 1279, Kat. Plan
56, Parz. 1930, an Frieda und Gotthilf F. zu hälftigem Eigentum. Nachdem
die beiden Miteigentümer am 1. Juni 1935 eine Teilfläche von 0,26 a an
Elise S.-F. verkauft hatten, verblieb ihnen eine Restfläche von 13,71
a, welche in der Folge als Flächeninhalt im Grundstücksbeschrieb des
Grundbuchs angegeben war.

    Mit Kaufvertrag vom 9. September 1985 erwarb die Renato Domedi
Architekt HTL AG das Grundstück Nr. 1279, Grundbuch Brittnau, zum
Preise von Fr. 100.-- pro m2. Im Zuge einer Neuparzellierung stellte der
Nachführungsgeometer des Bezirks Zofingen fest, dass der Flächeninhalt
der Parz. 1930 des genannten Grundstücks im Jahre 1927 aufgrund eines
Berechnungsfehlers des damaligen Nachführungsgeometers um 100 m2 zu gross
angegeben war, und er nahm mit Mutationstabelle 2956 vom 25. Februar 1989
die entsprechende Flächenkorrektur vor. Mit Parzellierungsbegehren vom
1. März 1989 beantragte die Renato Domedi Architekt HTL AG dem Grundbuchamt
Zofingen, im Grundbuch sei neu ein Flächeninhalt von 12,71 a einzutragen.

    Die Renato Domedi Architekt HTL AG klagte am 1. Februar 1991 gegen
den Staat Aargau auf Bezahlung eines Betrages von Fr. 10'000.-- nebst
Zins zu 5% seit dem 5. Oktober 1989. Das Bezirksgericht Aarau bejahte
mit Urteil vom 26. Februar 1992 eine Haftung des Staates Aargau aus
Grundbuchführung und verpflichtete diesen, der Renato Domedi Architekt
HTL AG den eingeklagten Betrag nebst entsprechendem Zins zu bezahlen. Mit
Entscheid vom 16. Oktober 1992 hiess das Obergericht des Kantons Aargau
die Appellation des Staates Aargau gut, hob das Urteil des Bezirksgerichts
auf und wies die Klage ab.

    Gegen diesen Entscheid ist die Renato Domedi Architekt HTL AG
mit Berufung an das Bundesgericht gelangt. Sie beantragt, das Urteil
des Obergerichts sei aufzuheben und der Staat Aargau zu verpflichten,
der Klägerin einen Betrag von Fr. 10'000.-- nebst Zins zu 5% seit dem
5. Oktober 1989 zu bezahlen.

    Das Departement des Innern des Kantons Aargau schliesst auf Abweisung
der Berufung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Gestützt auf die Entstehungsgeschichte des Art. 955 ZGB hat
das Bundesgericht in einem älteren Entscheid festgehalten, die Führung
des Grundbuchs schliesse eine Haftbarkeit für die Grundbuchvermessung
nicht ein (BGE 57 II 569 f.). Nach der neueren Lehre bezieht sich
dieser Haftungsausschluss jedoch nur auf die der Anlegung des Grundbuchs
vorausgehende Grundbuchvermessung, nicht aber auf die Pläne, die im Rahmen
der Nachführung des Vermessungswerks erstellt werden. Die Tätigkeit
des Nachführungsgeometers, den die Parteien insbesondere bei einer
Parzellierung gezwungenermassen in Anspruch nehmen, gehöre zur Führung
des Grundbuchs. Ein dabei auftretender Vermessungsfehler müsse daher die
Haftung des Kantons auslösen (DESCHENAUX, Das Grundbuch, in Schweizerisches
Privatrecht, Bd. V/3/I, Basel 1988, S. 218, mit Hinweisen auf das
Schrifttum). Was die im Grundbuch eingetragene Grösse eines Grundstücks
betrifft, die sich nachträglich als falsch herausstellt, schliessen
einzelne Autoren dafür eine Haftung der Kantone aus Grundbuchführung zum
vornherein aus. Bei der Grösse oder dem Flächeninhalt eines Grundstücks
handle es sich um tatsächliche Angaben, welche im Unterschied zu den
in den Plänen enthaltenen Grenzziehungen am öffentlichen Glauben des
Grundbuchs nicht teilnehmen könnten (FRANZ JENNY, Die Verantwortlichkeit
im Grundbuchwesen, in ZBGR 46/1965, S. 85 f.; vgl. auch die an BGE 106 II
341 ff. geübte Kritik von LIVER, Die privatrechtliche Rechtsprechung des
Bundesgerichts im Jahre 1980, in ZBJV 118/1982, S. 128; a.M. HANS-PETER
FRIEDRICH, Fehler in der Grundbuchvermessung, ihre Folgen und ihre
Behebung, in ZBGR 58/1977, S. 154 f.).

    Ob die Haftung des Beklagten zu verneinen oder gar zu bejahen wäre,
kann indessen offenbleiben, wenn die Vorinstanz den Schadenersatzanspruch
zu Recht als verjährt betrachtet hat. Im folgenden ist daher zunächst
diese Frage zu prüfen.

Erwägung 4

    4.- Hinsichtlich der Verjährung des Schadenersatzanspruchs gestützt
auf Art. 955 Abs. 1 ZGB ist nach ständiger Rechtsprechung und fast
einhelliger Lehre Art. 60 OR entsprechend anwendbar (BGE 110 II 40 E. 4;
51 II 394; HOMBERGER, N. 11 zu Art. 955 ZGB; DESCHENAUX, aaO, S. 236;
STEINAUER, Les droits réels, Bd. I, 2. A., Bern 1990, S. 169, N. 618;
TUOR/SCHNYDER, Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 10. A., Zürich 1986,
S. 596; FRANZ JENNY, aaO, S. 75; BREHM, N. 7 zu Art. 60 OR; a.M. OSTERTAG,
N. 14 zu Art. 955 ZGB, der die allgemeine Verjährungsfrist von Art. 127
OR für anwendbar hält). Die Begründung findet sich in BGE 51 II 385 ff.,
wo darauf hingewiesen wird, dass die Haftung aus Grundbuchführung von
ihrer Ausgestaltung her der Haftung des Geschäftsherrn am nächsten
stehe. Deshalb rechtfertige es sich, die kurze Verjährungsfrist des
Art. 60 OR auch auf die Haftpflicht des Staates für die Grundbuchbeamten
gemäss Art. 955 ZGB anzuwenden (BGE 51 II 394). Diese Auffassung wurde
erst kürzlich vom Bundesgericht bestätigt (nicht veröffentlichtes Urteil
i.S. Staat Luzern vom 27. Februar 1991, E. 3b).

    a) Dass vorliegend die Verjährungsregelung gemäss Art. 60 OR zur
Anwendung kommt, wird von der Klägerin mit Recht nicht bestritten. Hingegen
hält sie gleich wie HANS-PETER FRIEDRICH (aaO, S. 143 f.) dafür, dass
ein Anspruch auf Schadenersatz gestützt auf Art. 955 Abs. 1 ZGB nicht
vor Kenntnis des Schadens verjähren könne.

    aa) Nach Art. 60 Abs. 1 OR verjährt der Anspruch auf Schadenersatz in
einem Jahre von dem Tage hinweg, wo der Geschädigte Kenntnis vom Schaden
und von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber
mit dem Ablauf von zehn Jahren, vom Tage der schädigenden Handlung an
gerechnet. Dem Wortlaut dieser Bestimmung lässt sich klar entnehmen,
dass die absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren im Gegensatz zur
Jahresfrist ab der schädigenden Handlung läuft, welche zugleich die
Haftung begründet. Der Vorinstanz ist folglich beizupflichten, wenn
sie das den Schaden verursachende Verhalten für massgeblich hält, und
nicht den Schadenseintritt oder den Zeitpunkt, in dem der Geschädigte
Kenntnis des Schadens erlangt (DESCHENAUX, aaO, S. 237, Anm. 86b; STARK,
Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. A., Zürich 1988, S. 233, N. 1092
und 1096; OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Besonderer
Teil, Bd. II/1, Zürich 1987, S. 111, N. 366; KELLER, Haftpflicht im
Privatrecht, Bd. II, Bern 1987, S. 246).

    Das Bundesgericht hat denn auch wiederholt entschieden, dass die
Zehnjahresfrist von Art. 60 wie auch von Art. 127 OR unabhängig von der
Kenntnis läuft, die der Gläubiger von seinem Anspruch hat; die Klage könne
daher verjährt sein, bevor der Gläubiger diesen Anspruch kenne (BGE 106
II 136 E. 2a mit Hinweisen). Diese Rechtsprechung stiess in bezug auf
vertragliche Ansprüche vereinzelt auf Vorbehalte (vgl. unter anderem die
Kritik von MERZ, Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im
Jahre 1980, in ZBJV 118/1982, S. 137). Was die auf Art. 955 ZGB gestützten
Ansprüche betrifft, hält die neuere Lehre eine absolute Verjährungsfrist
von zehn Jahren für zu kurz bemessen. Es bestehe mehr als in jedem andern
Bereich die Gefahr, dass der Schadenersatzanspruch verjähre, bevor der
Anspruchsberechtigte davon überhaupt Kenntnis erhalten habe (FRANZ JENNY,
aaO, S. 75, der in Anm. 45a die absolute Verjährungsfrist des deutschen
Rechts von dreissig Jahren für zweckmässiger und dem Verkehr dienlicher
hält; DESCHENAUX, aaO, S. 236 f.). Diese Konsequenz ist dem Gesetzgeber,
der bei der Festlegung der Verjährungsfristen ganz allgemein zwischen
den Interessen der Betroffenen an der Wiedergutmachung des zugefügten
Schadens und dem Rechtssicherheitsbedürfnis der Schuldner abzuwägen hatte,
nicht entgangen. Es steht dem Richter nicht zu, vom klaren Gesetzeswortlaut
abzuweichen, um die Folgen einer solchen Verjährungsregelung im Einzelfall
zu vermeiden (BGE 106 II 138 f. E. 2c; 87 II 160 f. E. 3a). Dass
dies uneingeschränkt für die Haftung nach Art. 955 Abs. 1 ZGB zu
gelten hat, verdeutlicht die im anschliessenden Absatz enthaltene
Regressregelung. Danach haben die Kantone eine Rückgriffsmöglichkeit
gegenüber jenen Beamten und Angestellten der Grundbuchverwaltung sowie
jenen Organen der unmittelbaren Aufsicht, denen ein Verschulden zur Last
fällt (Abs. 2). Eine solche Verschuldenshaftung verlangt ihrerseits nach
einer zeitlichen Beschränkung der Kausalhaftung des Kantons, weil nur
so dem Kanton, will er auf den verantwortlichen Beamten oder weitere
Angestellte Rückgriff nehmen, der Beweis eines Verschuldens möglich
sein wird. Hinzu kommt, dass es gerade für den Grundbuchverwalter
unerträglich wäre, bestünde für eine weit zurückliegende Verfehlung noch
eine Regressmöglichkeit (vgl. BGE 51 II 394 f. E. 4).

    bb) Zu beachten ist allerdings, dass die neuere Lehre die
vorschriftswidrige Eintragung oder Löschung im Grundbuch - soweit
sie an sich die Verantwortlichkeit des Staates nach sich zieht -
als ununterbrochenen Eingriff in die Rechte des möglichen Geschädigten
betrachtet, die fortdaure, bis der Schaden sich verwirkliche (DESCHENAUX,
aaO, S. 238; HANS-PETER FRIEDRICH, aaO, S. 144). In die gleiche
Richtung weist die Lösung von FRANZ JENNY (aaO, S. 75, Anm. 45a),
der die Verjährungsfrist erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen
lassen will, in welchem die aus der schadensstiftenden Handlung des
Grundbuchverwalters entstandene Unrichtigkeit des Grundbuchs nicht mehr
durch eine Richtigstellungsklage nach Art. 975 ZGB behoben werden könne.

    Weder die eine noch die andere Argumentation vermag indessen zu
überzeugen. Als Führung des Grundbuchs im Sinne von Art. 955 ZGB ist
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts die gesamte Tätigkeit des
Grundbuchführers in dieser Eigenschaft zu verstehen, so namentlich die
Buchungen in den Haupt- und Hilfsregistern und die Tätigkeit in Verbindung
mit der Ausstellung und Löschung von Pfandtiteln (BGE 110 II 41 E. 4a mit
Hinweisen; vgl. dazu die Kasuistik bei HOMBERGER, N. 3 zu Art. 955 ZGB).
Haftungsbegründend ist folglich nicht etwa der Grundbucheintrag, der
jederzeit mit der grundsätzlich unbefristeten Grundbuchberichtigungsklage
gemäss Art. 975 ZGB angefochten werden kann, sondern die rechtswidrig
erfolgende Eintragung - sei es nun eine Buchung oder Löschung - als
Vorgang, dessen Resultat erst der Grundbucheintrag ist. So hält das
Obergericht mit Recht fest, dass die Zehnjahresfrist des Art. 60 Abs. 1 OR
mit Abschluss des Eintragungsvorgangs zu laufen beginnt; gleicher Ansicht
ist der bernische Appellationshof in einem älteren Entscheid (ZBJV 66/1930,
S. 497). In dieser Beziehung unterscheidet sich eine rechtswidrig erfolgte
Eintragung denn auch vom Fall einer zu Unrecht unterlassenen Eintragung
oder Massnahme, wo die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, sobald der
Verantwortliche spätestens hätte handeln sollen (DESCHENAUX, aaO, S. 237;
allgemein OFTINGER/STARK, aaO, S. 111, N. 366, Anm. 528).

    Wie zu entscheiden wäre, wenn der Grundbuchverwalter seinerzeit während
noch laufender Verjährungsfrist von der Unrichtigkeit des Grundbucheintrags
erfahren, pflichtwidrig jedoch nicht auf dessen Berichtigung hingewirkt
hätte, kann offenbleiben, nachdem die Vorinstanz nirgends feststellt,
es habe sich so verhalten.