Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 177



119 II 177

36. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 27. April 1993
i.S. X. AG gegen A., B. und C. (Berufung) Regeste

    Internationales Privatrecht; Übergangsrecht; Gerichtsstandsvereinbarung
(Art. 5 Abs. 1 und Art. 196 IPRG).

    1. Die Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung unterstehen dem
neuen Kollisionsrecht, soweit sie nach dem 1. Januar 1989 eingetreten sind
(Art. 196 IPRG; E. 3b).

    2. Ein nach Art. 5 Abs. 1 IPRG vereinbarter Gerichtsstand ist
ausschliesslich, sofern die Vereinbarung keinen Vorbehalt zugunsten eines
subsidiären Gerichtsstands enthält (E. 3d und e).

Sachverhalt

    A.- Am 19. August 1987 gewährte die M. Holding Anstalt in Vaduz A.,
B. und C. (Beklagte) je ein verzinsliches Darlehen, rückzahlbar in drei
Raten per 30. Juni 1989, 30. Juni 1990 und 30. Juni 1991. Als Gerichtsstand
für alle Streitigkeiten aus den Darlehensverträgen wurde Vaduz bestimmt
und liechtensteinisches Recht anwendbar erklärt.

    Mit schriftlicher Zessionserklärung vom 10. April 1990 trat die
Darlehensgeberin die per 30. Juni 1990 fälligen Rückforderungen samt Zins
für die Zeit vom 1. Juli 1989 bis 30. Juni 1990 an die X. AG (Klägerin) ab.

    Am 23. Mai 1990 klagte die X. AG vor Bezirksgericht Oberrheintal gegen
A., B. und C. auf Rückzahlung der noch ausstehenden Darlehensbeträge.

    Dieses hiess mit Urteil vom 20. August/10. Dezember 1991 die Klage
teilweise gut. Auf Berufung der Beklagten beschloss das Kantonsgericht
St. Gallen am 8. Oktober 1992, auf die Klage nicht einzutreten, da
ausschliesslicher Gerichtsstand Vaduz sei.

    Das Bundesgericht weist eine Berufung der Klägerin ab, soweit es
darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Klägerin rügt eine Verletzung von Art. 5 und Art. 196 IPRG. Die
Vorinstanz weiche zu Unrecht vom Grundsatz der Nichtrückwirkung gemäss
Art. 196 Abs. 1 IPRG und Art. 1 SchlT ZGB ab und gehe fälschlicherweise
von einem auf Dauer angelegten Rechtsvorgang im Sinn von Art. 196 Abs. 2
IPRG aus. Sie übersehe dabei, dass es vorliegend nur um die Auslegung
eines vor Inkrafttreten des IPRG abgeschlossenen Vertrags gehe, auf
welchen das neue Recht keine Anwendung finde. Ebenso sei Art. 5 Abs. 1
Satz 3 IPRG nicht anwendbar.

    a) Art. 196 IPRG enthält in Abs. 1 ein grundsätzliches Verbot der
Rückwirkung des neuen Kollisionsrechts auf Sachverhalte und Rechtsvorgänge,
die noch unter altem Recht entstanden und abgeschlossen sind. Demgegenüber
unterstellt Abs. 2 neuem Recht jene Sachverhalte und Rechtsvorgänge,
die zwar vor seinem Inkrafttreten entstanden, jedoch auf Dauer angelegt
sind. Wie das Bundesgericht in BGE 118 II 350 E. 2c ausführt, gibt diese
Bestimmung insofern Probleme auf, als sie die Meinung aufkommen lassen
könnte, es habe bei Dauerschuldverhältnissen ausnahmslos eine Aufspaltung
der Anknüpfung für die Zeit vor dem Inkrafttreten des IPRG und diejenige
nach ihm stattzufinden. Wie es sich damit verhält, braucht vorliegend
nur in bezug auf die Gerichtsstandsvereinbarung geprüft zu werden.

    b) Das Bundesgericht hatte sich bis anhin zur Frage des anwendbaren
Rechts hinsichtlich einer Gerichtsstandsvereinbarung, die vor dem 1. Januar
1989 abgeschlossen wurde, aber erst nach diesem Datum zum Tragen kommt,
noch nie zu äussern. Die gleiche Problematik stellt sich indessen
auch bei Schiedsabreden. Dazu wird mehrheitlich anerkannt, dass die
Übergangsbestimmungen von Art. 196 ff. IPRG - unter Beizug des bestehenden
bundesrechtlichen Übergangsrechts zur Auslegung der unklar formulierten
IPRG-Übergangsbestimmungen (BGE 115 II 101) - auch auf das 12. Kapitel
des IPRG über die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 176
ff. IPRG) Anwendung finden (vgl. etwa BUCHER, Die neue internationale
Schiedsgerichtsbarkeit in der Schweiz, S. 33 N. 66; KNOEPFLER/SCHWEIZER,
Précis de droit international privé suisse, S. 245 N. 800 ff.).

    Nach WENGER (Welchem Recht unterstehen die im Zeitpunkt des
Inkrafttretens des IPR-Gesetzes hängigen Schiedsverfahren? ASA 6/1988,
S. 309 ff., 310) gehören Schiedsabreden, die vor dem Inkrafttreten
des IPRG abgeschlossen worden sind, im Sinn von Art. 196 Abs. 2 IPRG
zu den vor Inkrafttreten dieses Gesetzes entstandenen, aber auf Dauer
angelegten Sachverhalten resp. Rechtsvorgängen. die Entstehung und
Wirkung solcher Vereinbarungen richten sich bis zum Inkrafttreten des
IPRG nach bisherigem, danach jedoch nach neuem Recht (Art. 196 Abs. 2
IPRG; in diesem Sinn auch BUCHER, aaO, S. 34 N. 68 und 70; BLESSING,
Intertemporales Recht zum 12. Kapitel IPRG, ASA 6/1988, S. 320 ff.,
324, 339; POUDRET, Arbitrage international - Droit transitoire, ASA
6/1988, S. 304 f.; ROSSEL, Le champ d'application dans le temps des
règles sur l'arbitrage international contenues dans le chapitre 12 de la
loi fédérale sur le droit international privé, ASA 6/1988, S. 292 ff.,
301; SCHNYDER, Das neue IPR-Gesetz, 2. Aufl. 1990, S. 151 f.). Dieser
Ansicht ist zuzustimmen; sie steht auch nicht in Widerspruch zum übrigen
Übergangsrecht. Insbesondere scheint es sachgerecht, die Gültigkeit von
Schiedsabreden von deren Wirkungen zu trennen, wenn die Abrede vor dem
1. Januar 1989 abgeschlossen worden ist, aber erst nach diesem Datum zur
konkreten Anwendung gelangt. Die gleichen Grundsätze hat das Bundesgericht
auch in BGE 115 II 390 ff. angewendet.

    Was für die Schiedsabrede übergangsrechtlich gilt, hat folglich
auch für die Gerichtsstandsvereinbarung zu gelten. Demnach richtet
sich die Frage der Gültigkeit einer Vereinbarung (etwa Konsens,
Willensmängel und persönliche Voraussetzungen zum Abschluss einer gültigen
Gerichtsstandsvereinbarung; dazu HANS REISER, Gerichtsstandsvereinbarungen
nach dem IPR-Gesetz, Diss. Zürich 1989, S. 66 ff.) nach altem Recht, das
heisst dem Recht im Zeitpunkt der Vereinbarung. Die Folgewirkungen dieses
Singulärereignisses unterstehen dem neuen Recht, soweit sie sich nach dem
1. Januar 1989 verwirklicht haben. Zu diesen Wirkungen gehört auch die
Frage nach dem Inhalt der Gerichtsstandsvereinbarung, insbesondere jene,
ob der vereinbarte Gerichtsstand ausschliesslich sei oder nicht.

    c) Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist die
Gerichtsstandsvereinbarung in Ziff. 6 Abs. 1 der Darlehensverträge vom 19.
August 1987 gültig zustande gekommen. Danach haben die Parteien vereinbart,
Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesen Verträgen sei Vaduz.

    Das Kantonsgericht wendet nun zu Recht das neue IPRG an. Wesentlich
ist, dass die Wirkungen der 1987 abgeschlossenen Vereinbarung erst nach
dem 1. Januar 1989 eingetreten sind: Die Klage wurde im Mai 1990 vor dem
derogierten Gericht anhängig gemacht, was die Beklagten veranlasste, die
Unzuständigkeitseinrede zu erheben. Dass die Gerichtsstandsvereinbarung
ungültig sei, wird von den Parteien nicht geltend gemacht. Entgegen der
Auffassung der Klägerin beurteilt sich die Gerichtsstandsvereinbarung
kollisionsrechtlich unabhängig vom Darlehensvertrag und steht nicht im
Zusammenhang mit der übrigen Vertragsauslegung. Vorliegend traten deren
Wirkungen erst 1990 mit der Klageeinleitung ein, weshalb neues Recht
massgebend ist.

    d) Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 IPRG ist das vereinbarte Gericht
ausschliesslich zuständig, sofern aus der Gerichtsstandsvereinbarung nichts
anderes hervorgeht. Eine Prorogation ist aber nur insoweit zulässig,
als sie einer Partei einen Gerichtsstand des schweizerischen Rechts nicht
missbräuchlich entzieht (Art. 5 Abs. 2 IPRG; HABSCHEID, Schweizerisches
Zivilprozess- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl. 1990, S. 128 N. 233;
SCHNYDER, aaO, S. 24 Ziff. 4; KNOEPFLER/SCHWEIZER, aaO, S. 198 N. 612 und
614; REISER, aaO, S. 111 ff.). Nach herrschender Ansicht regelt Art. 5
Abs. 1 IPRG neben der Prorogation eines schweizerischen Gerichts auch
die Derogation, das heisst die Vereinbarung der Unzuständigkeit eines
international zuständigen schweizerischen Gerichts (HABSCHEID, aaO, S. 128
N. 233; VON OVERBECK, Les élections de for selon la loi fédérale sur le
droit international privé du 18 décembre 1987, FS Max Keller, Zürich 1989,
S. 616). Anderer Ansicht ist REISER (aaO, S. 25); danach statuiere Art. 5
Abs. 1 IPRG einzig die Prorogation, wogegen die Derogation sich aus Art. 1
Abs. 1 und 2 IPRG e contrario ergebe. Dass Art. 5 Abs. 1 IPRG ebenfalls
die Derogation erfasst, ergibt sich implizite auch aus der Botschaft zum
neuen IPRG. Artikel 5 sei hinsichtlich der Vereinbarung einer ausländischen
Behörde insoweit von Bedeutung, als das allenfalls (fälschlicherweise)
angerufene schweizerische Gericht seine Zuständigkeit gestützt auf diese
Bestimmung ablehnen könne (Botschaft zum IPR-Gesetz vom 10. November 1982,
BBl 1983 I 263 ff., 301). Dass neben dem prorogierten Gericht subsidiär
auch die Zuständigkeit des natürlichen Richters des Beklagten gegeben
sein soll, sei ausdrücklich zu vereinbaren (BBl 1983 I 301). Indem
der Gesetzgeber das vereinbarte Gericht als ausschliesslich zuständig
bezeichnet, wendet er sich gegen die altrechtliche Praxis, wonach in
Zweifelsfällen der ordentliche Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten
nicht ausgeschlossen war (BGE 89 I 69; dazu auch GULDENER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 1979, S. 105 Anm. 100; VON OVERBECK, aaO,
S. 612, 619; vgl. auch GABRIELLE KAUFMANN-KOHLER, La clause d'élection
de for dans les contrats internationaux, Diss. Basel 1979, S. 105 f.,
110 f.). Die Unsicherheit über den massgeblichen Gerichtsstand bei einer
Gerichtsstandsvereinbarung wurde damit beseitigt, ebenso jene über die
Zulässigkeit der Prorogation eines Gerichtsstands. Diese beurteilte sich
unter dem Regime des alten Rechts nach kantonalem Recht, selbst dann,
wenn ein dispositiver Gerichtsstand des Bundesrechts wegbedungen wurde
oder Streitverhältnisse einen internationalen Bezug aufwiesen (BGE 116
II 625 mit weiteren Hinweisen; VON OVERBECK, aaO, S. 611).

    Wird nun das derogierte Gericht angerufen und unter Berufung auf
die Prorogation die Unzuständigkeitseinrede erhoben, so hat dieses nach
seinem eigenen Recht darüber zu entscheiden, ob die Derogation zulässig
gewesen und wirksam erfolgt ist (WALDER, Einführung in das Internationale
Zivilprozessrecht der Schweiz, § 5 N. 24; GULDENER, aaO, S. 96). Bei
fehlender Zuständigkeit darf auf die Sache nicht eingetreten werden
(SCHWANDER, Einführung in das internationale Privatrecht, 2. Aufl. 1990,
S. 316 Rz. 676).

    e) Nach dem Gesagten betrachtet das Kantonsgericht die
Gerichtsstandsvereinbarung zu Recht als ausschliesslich im Sinn von Art. 5
Abs. 1 Satz 3 IPRG. die Vereinbarung entspricht der üblichen Formulierung
und enthält keinen Vorbehalt zugunsten eines subsidiären Gerichtsstands
am Wohnsitz des Beklagten. Es geht unter dem Regime des IPRG nicht an
anzunehmen, im Fall einer gültigen Gerichtsstandsvereinbarung könne die
Klage gleichwohl am ordentlichen Gerichtsstand erhoben werden. Die Rüge
der Klägerin ist daher unbegründet.

    Die Voraussetzungen, unter denen eine ausländische Behörde die
Prorogation annimmt, richten sich nach der betreffenden lex fori (BBl 1983
I 301). Ob die Gerichtsstandsvereinbarung nach liechtensteinischem Recht
gültig ist und dessen Formerfordernissen entspricht, ist vom Bundesgericht
in einem Berufungsverfahren über vermögensrechtliche Streitigkeiten nicht
zu prüfen (Art. 43 Abs. 1 und Art. 43a Abs. 2 OG). Die Klägerin macht
auch nicht geltend, der angefochtene Entscheid wende nicht ausländisches
Recht an, wie es das internationale Privatrecht vorschreibe (Art. 43a
Abs. 1 lit. a OG).