Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 II 12



119 II 12

4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. Februar 1993 i.S. C.
gegen C. (Berufung) Regeste

    Art. 152 ZGB und Art. 43 Abs. 2 OR. Sicherstellung einer der
geschiedenen Ehefrau gestützt auf Art. 152 ZGB zugesprochenen Rente.

    Die Rente gemäss Art. 152 ZGB ist nicht schadenersatzrechtlicher
Natur wie jene nach Art. 151 Abs. 1 ZGB, sondern als nacheheliche
Solidaritätsverpflichtung über die Auflösung der Ehe hinaus geschuldet,
weil die Beistandspflicht des leistungsfähigen Ehegatten aus Billigkeit
und aus sozialen Gründen fortbesteht. Art. 43 Abs. 2 OR, welcher die
Sicherheitsleistung für Schadenersatz in Gestalt einer Rente vorsieht,
kann deshalb auf Bedürftigkeitsrenten keine entsprechende Anwendung
(Art. 7 ZGB) finden (E. 2c/bb).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- c) bb) Laut BGE 107 II 396 ff. ist Art. 43 Abs. 2 OR (i.V.m. Art. 7
ZGB) auf Renten gemäss Art. 151 ZGB entsprechend anwendbar; unter
bestimmten Voraussetzungen kann deshalb der Schuldner einer auf Art. 151
ZGB abgestützten Rente zu deren Sicherstellung verhalten werden. Teils
ohne jede Begründung, teils unter Bezugnahme auf den erwähnten Entscheid
geht die Lehre davon aus, eine solche Sicherstellungspflicht gelte
sinngemäss auch für die Bedürftigkeitsrente nach Art. 152 ZGB (HEINZ
HAUSHEER, Grundeigentum und Ehescheidung aus zivilrechtlicher Sicht,
ZBGR 65/1984 S. 275 f.; HEGNAUER/BREITSCHMID, Grundriss des Eherechts,
2. A. Bern 1987, S. 125 N. 12.81; BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar,
Ergänzungsband, N. 63 zu Art. 151 ZGB mit Verweis auf die vorgenannten
Autoren). In seiner Besprechung hält BERNHARD SCHNYDER zutreffend fest,
das Bundesgericht sei in jenem Entscheid nicht auf die Frage eingegangen,
ob die Sicherstellungspflicht auch bei Renten gemäss Art. 152 ZGB geboten
sein könnte. Ein Teil der Lehre scheine dies nicht auszuschliessen. Die
Analogie würde sich dann allerdings nur auf die Zusprechung einer Rente
und nicht auf den Schadenersatz beziehen. Gehe es doch bei der Rente
gemäss Art. 152 ZGB gerade nicht um Schadenersatz (Die privatrechtliche
Rechtsprechung des Bundesgerichts 1981, ZBJV 119/1983 S. 65). Mit diesem
Argument hat das Obergericht das Begehren der Klägerin auf Sicherstellung
der Bedürftigkeitsrente abgewiesen. Die Rentenverpflichtung nach Art. 152
ZGB sei als nacheheliche Solidaritätsverpflichtung über die Auflösung der
Ehe hinaus geschuldet, weil die Beistandspflicht des leistungsfähigen
Ehegatten aus Billigkeit und aus sozialen Gründen fortbestehe (unter
Hinweis auf BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 4 zu Art. 152 ZGB);
die haftpflichtrechtliche Regelung des Art. 43 Abs. 2 OR könne also nicht
analog angewendet werden.

    Nach dem Wortlaut des Art. 7 ZGB sind die allgemeinen Bestimmungen des
Obligationenrechtes auch auf andere zivilrechtliche Verhältnisse anwendbar.
Herrschende Lehre und Rechtsprechung gehen von einer analogen Anwendung
aus. Dem Richter obliegt es, den Sinn der betreffenden Vorschrift
des OR sowie die Besonderheiten des zivilrechtlichen Verhältnisses,
auf das sie anzuwenden ist, zu ergründen und dann entsprechend zu
entscheiden. Im Rahmen dieser Wertung können die Besonderheiten eines
zivilrechtlichen Verhältnisses zu einer Einschränkung oder Modifizierung
der anzuwendenden Vorschriften des OR führen (vgl. BGE 118 II 5 E. 5a mit
Hinweisen; HENRI DESCHENAUX, Der Einleitungstitel, SPR II, Basel 1967,
S. 58 und 62; FRIEDRICH, Berner Kommentar, N. 51 zu Art. 7 ZGB). Analogie
heisst nach MAX KELLER (Die Anwendung obligationenrechtlicher Regeln auf
den Anspruch gemäss Art. 151 I ZGB, FS Cyril Hegnauer, Bern 1986, S.
217 f.) die "Anwendung einer Regel auf einen Tatbestand, für den sie
nicht geschaffen worden ist, soweit dieser dem, für den sie geschaffen
worden ist, in allen wesentlichen Merkmalen entspricht (d.h. gleich oder
gleichwertig ist). Die Übernahme darf m. a. W. nur erfolgen, sofern und
soweit ein allfälliger sachlicher Unterschied zwischen dem Tatbestand,
für den die Regel geschaffen worden ist, und dem anderen, auf den sie
übertragen werden soll, sie zulässt sofern und soweit der besondere,
d.h. der eherechtliche Charakter des Anspruchs sie zulässt."

    Von der letzteren Umschreibung ist im Ergebnis auch das Bundesgericht
ausgegangen. Es hat im erwähnten Entscheid ausdrücklich festgehalten,
Art. 7 ZGB sei richtigerweise so auszulegen, dass Art. 43 Abs. 2 OR auch
im Rahmen des ZGB entsprechende Anwendung finden solle, wo es um die
Leistung von Schadenersatz gehe (BGE 107 II 399 E. a). Im Unterschied zu
den Beiträgen, welche die Eltern an den Unterhalt eines nicht in ihrer
Obhut stehenden Kindes und damit in Erfüllung einer ihnen gesetzlich
obliegenden Unterhaltspflicht leisteten (Art. 276 Abs. 2 ZGB), würden
durch die Rente gemäss Art. 151 ZGB Ansprüche entschädigt, welche der
Berechtigte infolge der Scheidung verliere; es handle sich um eine Art von
Schadenersatz und Art. 43 OR, welcher die Bestimmung des Schadenersatzes
regle, lasse sich daher auf Entschädigungsleistungen gemäss Art. 151 ZGB
anwenden, nicht aber auf die Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflicht
gegenüber Kindern (S. 400 E. b). Wenn das Bundesgericht auch bezüglich
der Voraussetzungen der Sicherstellungspflicht von Art. 43 OR teilweise
abgewichen ist (S. 400 E. c; dazu KELLER, aaO, S. 228), so hat es doch
dem schadenersatzrechtlichen Charakter als wesentlichem Merkmal beider
Tatbestände für die Zulässigkeit entsprechender Anwendung von Art. 43 OR
auf Ansprüche nach Art. 151 ZGB entscheidendes Gewicht beigemessen. Daran
ist festzuhalten. Gleich wie die schadenersatzrechtliche Natur der
Ansprüche aus Art. 151 Abs. 1 ZGB in der jüngeren Rechtsprechung
immer wieder betont worden ist (dazu etwa BGE 117 II 359 ff. und
521 E. c), hat es das Bundesgericht nicht unterlassen, die soziale
Ausrichtung der Bedürftigkeitsrente im Sinne einer fortdauernden
(nach-)ehelichen Beistandspflicht hervorzuheben (vgl. BGE 114 II 11
E. a). Der Tatbestand des Art. 43 OR und jener nach Art. 152 ZGB sind
insofern nicht gleichwertig; insbesondere kann aus Art. 43 Abs. 2 OR kein
allgemeingültiger Anspruch auf Sicherstellung eines Unterhaltsbeitrages,
unabhängig von dessen Rechtsgrund, hergeleitet werden. Es muss vielmehr
dem Gesetzgeber überlassen bleiben, für die Bedürftigkeitsrente eine
solche Sicherstellungspflicht vorzuschreiben, wie er dies beispielsweise
1976 in Art. 292 ZGB hinsichtlich künftiger Unterhaltsbeiträge der Eltern
für die Kinder getan hat.