Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 III 85



119 III 85

25. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 9.
Juli 1993 i.S. ATAG Ernst & Young AG (Rekurs) Regeste

    Art. 128 Abs. 2 VZG; vorzeitige Verwertung einer Liegenschaft im
Konkurs.

    1. Zumindest bei der Beantwortung der Frage, ob berechtigte Interessen
verletzt würden, fällt der Umstand, dass die zweite Gläubigerversammlung
den Antrag der ausseramtlichen Konkursverwaltung auf vorzeitige Verwertung
abgelehnt hat, ins Gewicht (E. 3b).

    2. Die vorzeitige Verwertung rechtfertigt sich im vorliegenden
Fall nicht, weil dadurch voraussichtlich kein bedeutend höherer Erlös
erzielt wird und weil damit gerechnet werden muss, dass weder die zweite
Grundpfandgläubigerin noch die übrigen Gläubiger für ihre Forderungen
befriedigt werden (E. 4b).

Sachverhalt

    A.- Mit Eingabe vom 7. August 1992 stellte die ATAG Ernst & Young AG,
Zürich (nachstehend ATAG) als ausseramtliche Konkursverwaltung im Konkurs
der ICM (Switzerland) Ltd. beim Bezirksgericht Horgen das Gesuch, es sei
ihr gestützt auf Art. 128 VZG die vorzeitige Verwertung der Liegenschaft
Böhnirainstrasse 14/18 in Thalwil (Grundbuchblatt 757, Kat. Nr. 8343,
Plan 14a) zu bewilligen.

    Das Bezirksgericht Horgen gab ein Gutachten zu den streitigen
wirtschaftlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der vorzeitigen
Verwertung stellten, in Auftrag. Dieses Gutachten wurde der Schweizerischen
Bankgesellschaft (nachstehend SBG) und der Alleanza Farmaceutica Europea
AG (nachstehend AFE) in ihrer Eigenschaft als Pfandgläubigerinnen zur
Kenntnisnahme zugestellt. Die ATAG erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme
und bekräftigte in der Folge ihren Standpunkt, dass eine vorzeitige
Verwertung der erwähnten Liegenschaft durchzuführen sei.

    Anlässlich der zweiten Gläubigerversammlung vom 27. November
1992 lehnten 37 von 61 anwesenden Gläubigern den Antrag auf vorzeitige
Verwertung der Liegenschaft ab. Indessen erwog das Bezirksgericht Horgen,
dass die Konsequenzen dieses Beschlusses der zweiten Gläubigerversammlung
im Verfahren nach Art. 128 VZG offenbleiben könnten. Es erachtete die
Voraussetzungen für die vorzeitige Verwertung als erfüllt und erteilte
dementsprechend mit Beschluss vom 16. Dezember 1992 die Bewilligung,
um welche die ausseramtliche Konkursverwaltung ersucht hatte.

    B.- Die AFE rekurrierte mit Rechtsschrift vom 29. Dezember 1992 an das
Obergericht des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs. Dieses hob am 6. April 1993, in teilweiser
Gutheissung des Rekurses, den Beschluss des Bezirksgerichts Horgen vom 16.
Dezember 1992 auf und wies das Gesuch der ausseramtlichen Konkursverwaltung
um Bewilligung zur vorzeitigen Verwertung der Liegenschaft ab. Sodann
setzte das Obergericht die pauschale zweitinstanzliche Gerichtsgebühr auf
Fr. 800.-- fest, wobei diese zulasten der Konkursmasse ICM (Switzerland)
Ltd. von der ATAG zu beziehen sei.

    C.- Die ATAG zog den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich
nach Massgabe von Art. 19 Abs. 1 SchKG an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts weiter. Ihr Rekurs wurde (ausser
bezüglich der zweitinstanzlich auferlegten Kosten) abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 128 Abs. 1 VZG darf die Verwertung von Grundstücken
im Konkursverfahren selbst im Falle der Dringlichkeit erst stattfinden,
wenn allfällige Kollokationsprozesse über geltend gemachte Pfandrechte oder
andere beschränkte dingliche Rechte rechtskräftig erledigt sind. Diese
Bestimmung beruht auf der Überlegung, dass bei der Verwertung von
Grundstücken nur dann ein ihrem wahren Wert entsprechender Erlös erzielt
werden kann, wenn Klarheit über die zu überbindenden Lasten besteht
(BGE 111 III 78 E. 1 mit Hinweis auf BGE 107 III 90).

    Indessen sieht Art. 128 Abs. 2 VZG eine Ausnahme vor, wenn ganz
besondere Umstände eine unverzügliche Verwertung erfordern. Ist diese
Voraussetzung erfüllt, so können nur besonders wichtige Interessen die
Verweigerung der Bewilligung zur vorzeitigen Verwertung rechtfertigen. Der
Entscheid darüber, ob Art. 128 Abs. 2 VZG anzuwenden und die vorzeitige
Verwertung nach diesen Grundsätzen im einzelnen Fall gerechtfertigt
sei, liegt weitgehend im Ermessen der kantonalen Aufsichtsbehörde. Das
Bundesgericht kann nur eingreifen, wenn die kantonalen Behörden die
erwähnten Grundsätze verkannt oder bei ihrer Anwendung das ihnen zustehende
Ermessen überschritten haben (BGE 111 III 78 E. 1 mit Hinweis auf BGE 96
III 84 E. 1; siehe auch schon BGE 88 III 25 E. 2 mit weiteren Hinweisen).

    b) Art. 128 VZG schränkt die Gesetzesbestimmung des Art. 243 Abs. 2
SchKG ein (BGE 107 III 91 E. 1; recte Abs. 2). Deshalb kann dem Hinweis
der SBG auf die letztere Vorschrift und ihrem Argument, dass keine
Anzeichen für ein Ansteigen der Immobilienpreise in den nächsten vier
Jahren bestünden und dass mit "immensen" Aufwendungen für Unterhalt
und Hypothekarzinsen zu rechnen sei, vorweg nur beschränktes Gewicht
zukommen. Zudem fragt es sich, ob der Unterhalt für Liegenschaften
überhaupt als kostspieliger Unterhalt im Sinne des Art. 243 Abs. 2 SchKG
verstanden werden könne (JAEGER, N. 5 zu Art. 243 SchKG).

    Auf jeden Fall kann die SBG zugunsten ihrer Auffassung, dass die
Liegenschaft vorzeitig verwertet werden solle, nicht die Art. 240 und
270 Abs. 1 SchKG ins Feld führen. Es geht hier um die Frage, ob die
Voraussetzungen für die vorzeitige Verwertung im Sinne von Art. 128 Abs. 2
VZG erfüllt seien.

Erwägung 3

    3.- An der zweiten Gläubigerversammlung vom 27. November 1992 hat
die ausseramtliche Konkursverwaltung den folgenden Antrag gestellt:
                "Es sei die Liegenschaft Böhnirainstrasse 14/18, Thalwil,
           nach Vorliegen der Bewilligung der Aufsichtsbehörde bzw. nach
           Rechtskraft des Lastenverzeichnisses öffentlich zu versteigern."

    Dieser Antrag ist von der zweiten Gläubigerversammlung mit 37
Nein-Stimmen gegen 22 Ja-Stimmen und bei zwei Enthaltungen abgelehnt
worden.

    a) Der den Antrag der ausseramtlichen Konkursverwaltung ablehnende
Beschluss kann nicht, wie es die Rekurrentin versucht, dahingehend
ausgelegt werden, die zweite Gläubigerversammlung habe sich - in
Verletzung von Art. 256 Abs. 2 SchKG, welcher die Verwertung anders
als durch Verkauf an öffentlicher Steigerung von der Zustimmung der
Grundpfandgläubiger abhängig macht - grundsätzlich gegen eine öffentliche
Steigerung ausgesprochen. Die ausseramtliche Konkursverwaltung beantragte
die vorzeitige Versteigerung im Sinne von Art. 128 Abs. 2 VZG, was
schon dadurch belegt wird, dass sie in ihrem Antrag die Bewilligung
der Aufsichtsbehörde erwähnt hat. Darüber wurde denn auch Beschluss
gefasst und nicht über die Alternative öffentliche Steigerung oder
Freihandverkauf. Alle Argumente der Rekurrentin, welche auf der Bestreitung
dieser Tatsache beruhen, stossen somit ins Leere.

    Die zweite Gläubigerversammlung hat schliesslich auch nicht einen
Beschluss "auf unbefristeten Aufschub der Verwertung" gefasst, wie die
Rekurrentin behauptet.

    b) Das Obergericht des Kantons Zürich hat im angefochtenen Beschluss
nicht ohne Grund dem Beschluss der zweiten Gläubigerversammlung Rechnung
getragen. In Fällen der vorzeitigen Verwertung (durch Freihandverkauf)
ist zwar schon vom Erfordernis der Zustimmung der Gläubiger abgesehen
worden. Doch geschah dies unter der Voraussetzung, dass der Verkauf zu
einem Preis erfolgte, der die Befriedigung bzw. Sicherstellung aller
Konkursgläubiger ermöglichte (BGE 88 III 39 E. 5; 72 III 32 E. 2),
welche Voraussetzung im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben
ist. Es ist auch nicht zu übersehen, dass die Verwertung der Aktivmasse
zwar Aufgabe der Konkursverwaltung ist, die zweite Gläubigerversammlung
aber bestimmt, wie die Konkursverwaltung dabei vorzugehen hat (AMONN,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. Auflage Bern 1993,
§ 47 N. 9). Zumindest bei der Beantwortung der Frage, ob berechtigte
Interessen verletzt würden, fällt der von der zweiten Gläubigerversammlung
bezüglich der vorzeitigen Verwertung gefasste Beschluss - entgegen der
Behauptung in der Vernehmlassung der SBG - ins Gewicht.

    c) Die Erklärung des Obergerichts, dass der Beschluss der zweiten
Gläubigerversammlung hätte angefochten werden können, ist zutreffend
(vgl. BGE 87 III 113 E. 3 mit Hinweisen). Von einem nichtigen Beschluss
kann entgegen dem Vorbringen der Rekurrentin keine Rede sein.

    Die Rüge von Willensmängeln bei der Beschlussfassung der zweiten
Gläubigerversammlung, die noch Gegenstand des angefochtenen Beschlusses
war, ist von der Rekurrentin vor Bundesgericht nicht wiederholt worden.

Erwägung 4

    4.- a) Das Obergericht des Kantons Zürich hat sich im angefochtenen
Beschluss darüber Rechenschaft gegeben, dass sämtliche Zahlen, die sich auf
den Verkaufserlös sowohl im jetzigen wie auch in einem späteren Zeitpunkt
beziehen, nur Schätzungen seien, die innerhalb einer gewissen Bandbreite,
je nach dem zu vertretenden Standpunkt, etwas höher oder etwas tiefer
angesetzt werden können. Der im vorliegenden Fall vom Gutachter berechnete
Mehrwert von Fr. 641'000.-- bei einem sofortigen Verkauf zu 11 Millionen
Franken stelle eine mögliche, aber keine sichere Grösse dar.

    Ein rascher Verkauf - hat das Obergericht weiter ausgeführt - diene
hauptsächlich der Einschränkung des Risikos eines weiteren Preiszerfalles.
Eindeutig zu bejahen wäre die Überdringlichkeit indessen nur, wenn man
von einem weitern Preiszerfall oder gleichbleibenden Preisen und einem
unverringerten Aufwandüberschuss ausgehen müsste. Es erscheine nicht
unproblematisch, die Versteigerung zu befürworten, obwohl angenommen
werden müsse, dass sich ausser der Hauptpfandgläubigerin niemand daran
beteiligen werde, gleichzeitig aber innert weniger Monate mit einer
Trendwende zu rechnen sei.

    Für das Obergericht bedeutet der Entscheid der zweiten
Gläubigerversammlung primär, dass sich eine Mehrheit der Gläubiger am
27. November 1992 dafür entschieden habe, vorläufig die weitere Entwicklung
des Immobilienmarktes abzuwarten. Der Beschluss sage nichts darüber aus,
bis zu welchem Zeitpunkt daran festgehalten werde. Nachdem der Vertreter
der ATAG im Anschluss an den ablehnenden Entscheid bemerkt habe, man würde
- auf dem Zirkularweg oder anlässlich einer dritten Gläubigerversammlung
- neue Vorschläge unterbreiten, bedürfe es diesbezüglich auch keiner
näheren Abklärung. Unter diesen Umständen könne der Entscheid der zweiten
Gläubigerversammlung weder als ungerechtfertigter Aufschub der Verwertung
noch als Verstoss gegen Art. 256 Abs. 2 SchKG bezeichnet werden.

    b) Diese Begründung des Obergerichts erscheint nicht zuletzt im
Hinblick auf die einschlägige Rechtsprechung als bundesrechtskonform: Wie
das Obergericht im angefochtenen Beschluss selber ausgeführt hat, wirkte
sich in BGE 111 III 77 ff. neben der Belastung der Konkursmasse durch
laufende Hypothekarzinsen die zeitliche Befristung einer Baubewilligung
erheblich zugunsten der vorzeitigen Verwertung aus. In BGE 96 III 83
ff. wurde die Bewilligung für die vorzeitige Verwertung erteilt, weil
sich aus dem Ertrag des für Rechnung der Konkursmasse weitergeführten
Hotelbetriebes neben den laufenden Unkosten nicht auch noch die
Grundpfandzinsen bestreiten liessen. Sodann wurde der Ausnahmefall des
Art. 128 Abs. 2 VZG in BGE 75 III 103 E. 2 ohne jeden Zweifel bejaht,
weil die von einem Brand heimgesuchte Liegenschaft in den Wintermonaten
wachsenden Schaden zu nehmen drohte, für den die Brandversicherungsanstalt
nicht aufkommen wollte.

    In den Regesten zu BGE 111 III 77 ff. wird festgehalten,
dass die Verwertung von Grundstücken im Konkurs vor Erledigung der
Kollokationsprozesse nur angezeigt ist, wenn bei sofortigem Verkauf ein
bedeutend höherer Erlös erzielt werden kann als bei Zuwarten mit der
Verwertung bis nach Abschluss der Prozesse. Dass diese Voraussetzung -
Erzielung eines bedeutend höheren Erlöses - im vorliegenden Fall gegeben
wäre, geht weder aus dem Gutachten, dessen Missachtung dem Obergericht
vorgeworfen wird, noch aus den Vorbringen der Rekurrentin und der SBG
hervor. Es ist übereinstimmend die Rede von einem Verkaufserlös von
11 Millionen Franken im Jahr 1992 und von 12,1 Millionen Franken im
Jahr 1994 sowie von einem Mehrerlös von Fr. 641'000.--, wenn vorzeitig
verwertet würde. Die ATAG weist sodann in ihrer Rekursschrift noch
auf die Grundstückgewinnsteuer von schätzungsweise Fr. 464'000.-- hin,
ohne indessen darzutun, weshalb bei deren Berücksichtigung (in beiden
Zeitpunkten) von einem bedeutend höheren Erlös gesprochen werden könnte.

    Gemäss BGE 88 III 37 E. 4 kann und muss ein Ausnahmefall im Sinne
des Art. 128 Abs. 2 VZG dann angenommen werden, wenn ein ernsthaftes
Kaufsangebot zu einem Preise vorliegt, der neben der Deckung der Kosten
und Massaschulden die vollständige Befriedigung aller angemeldeten und
noch nicht rechtskräftig abgewiesenen Konkursforderungen gestattet. Dass
man im vorliegenden Fall weit von dieser Voraussetzung entfernt ist, ist
offensichtlich. Zwar entspricht es - wie die SBG in ihrer Vernehmlassung
erklärt - dem Wesen des Pfandrechtes, dass die Pfandgläubiger vor
den übrigen Gläubigern befriedigt werden. Hieraus lässt sich aber
entgegen der Meinung der SBG nicht schliessen, dass der Schutz der nicht
pfandgesicherten Gläubiger unter dem Gesichtswinkel des Art. 128 Abs. 2
VZG keine entscheidende Rolle spiele. Wenn vorauszusehen ist, dass nicht
einmal die zweite Pfandgläubigerin für ihre im Konkurs angemeldete
Forderung befriedigt wird und dass die übrigen Gläubiger schon gar
nicht mit einem Verwertungserlös zu ihren Gunsten rechnen können,
besteht für die vorzeitige Verwertung kein Anlass; denn dadurch würden
die berechtigten Interessen der Mehrzahl der Gläubiger verletzt. Daran
ändert die Möglichkeit, dass auch bei einer Verwertung erst nach Abschluss
der Kollokationsprozesse für die zweite Pfandgläubigerin und die nicht
pfandgesicherten Gläubiger kein besseres Ergebnis herausschaut, nichts.

    Das Obergericht des Kantons Zürich hat mit dem angefochtenen Beschluss
jedenfalls die Grundsätze, von denen die Anwendung des Art. 128 Abs. 2
VZG geleitet wird, nicht verkannt und das ihm zustehende Ermessen nicht
in einer Art und Weise überschritten, welche (wie oben E. 2a dargelegt)
ein den Sachentscheid des Obergerichts korrigierendes Urteil der
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts erfordern würde.