Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 III 70



119 III 70

19. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
vom 5. Mai 1993 i.S. X. (Rekurs) Regeste

    Lohnpfändung (Art. 93 SchKG, Art. 19 SchKG, Art. 79 Abs. 1 OG und
Art. 84 Abs. 1 lit. a OG).

    1. Der Schuldner ist gegenüber dem Betreibungsamt zur Mitwirkung bei
der von Amtes wegen zu erfolgenden Feststellung seines Existenzminimums
verpflichtet, womit er allfällige Beweismittel bereits anlässlich der
Pfändung und nicht erst vor Bundesgericht anzugeben hat (E. 1).

    2. Mit dem Rekurs nach Art. 19 SchKG kann einzig die Missachtung von
Bundesrecht mit Einschluss von Staatsverträgen des Bundes vorgebracht
werden; die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist hingegen mit
staatsrechtlicher Beschwerde zu rügen (E. 2).

    3. Bei der Berechnung des Existenzminimums können die Kosten für
die Privatschule der Kinder nicht und die Wohnkosten des Schuldners nur
entsprechend seiner familiären Situation und den ortsüblichen Ansätzen
berücksichtigt werden; in beiden Fällen ist dem Schuldner der zur Anpassung
dieser Auslagen angemessene Zeitraum zuzugestehen (E. 3a-d).

Sachverhalt

    A.- Nachdem das Betreibungsamt Basel-Stadt am 16. Oktober 1992 für
die Pfändungsgruppe Nr. ... bei X. von seinem Einkommen Fr. 890.-- pro
Monat für die Zeit vom 1. Juli bis 15. Oktober 1993 gepfändet hatte,
prüfte es dessen Existenzminimum am 4. Januar 1993 erneut und setzte
den pfändbaren Lohnanteil ab diesem Zeitpunkt bis zum 1. Juli 1993 auf
Fr. 310.-- und anschliessend auf Fr. 1'050.-- pro Monat fest. Am 4. Januar
1993 pfändete das Betreibungsamt Basel-Stadt für die Pfändungsgruppe
Nr. ... das Einkommen von X. in der gleichen Höhe für die Dauer eines
Jahres, bis zum 15. Oktober 1993 jedoch nur einen allfälligen Überschuss
vorangehender Pfändungen.

    Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons
Basel-Stadt wies die gegen die Berechnung des Existenzminimums bei ihr
erhobene Beschwerde am 23. März 1993 ab.

    X. hat sich mit Rekurs vom 5. April 1993 an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts gewandt. Er verlangt die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung der Sache an die
kantonale Aufsichtsbehörde zur Neubeurteilung, eventualiter die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides und der Lohnpfändungen vom 4. Januar 1993
und vom 16. Oktober 1992 sowie die Feststellung, dass er fortan keiner
Lohnpfändung unterliege.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Betreibungsbeamte hat die tatsächlichen Verhältnisse, die
zur Ermittlung des pfändbaren Erwerbseinkommens nötig sind, von Amtes
wegen abzuklären. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Schuldner hier
von jeder Mitwirkungspflicht befreit ist. Es obliegt ihm im Gegenteil,
die Behörde über die wesentlichen Tatsachen zu unterrichten und die ihm
zugänglichen Beweise anzugeben (BGE 112 III 80 E. 2; 112 III 21 E. 2d);
dies hat bereits anlässlich der Pfändung und nicht erst im anschliessenden
Beschwerdeverfahren zu geschehen, wie der Rekurrent sich dies anscheinend
vorstellt. Soweit die kantonalen Behörden den massgeblichen Sachverhalt
genügend abgeklärt und für das Bundesgericht verbindlich festgestellt
haben, besteht kein Grund, die Angelegenheit zur Vervollständigung des
Sachverhaltes an die kantonale Aufsichtsbehörde zurückzuweisen, noch ist
dem Rekurrenten Gelegenheit zu geben, das von ihm erst vor Bundesgericht
angebotene schulpsychologische Gutachten beizubringen (Art. 79 Abs. 1 OG).

Erwägung 2

    2.- Mit dem Rekurs nach Art. 19 SchKG kann einzig geltend gemacht
werden, der angefochtene Entscheid beruhe auf einer Verletzung von
Bundesrecht mit Einschluss von Staatsverträgen des Bundes; wegen Verletzung
verfassungsmässiger Rechte des Bürgers bleibt die staatsrechtliche
Beschwerde vorbehalten (BGE 114 III 89 E. 2a; 107 III 12 E. 1). Soweit im
vorliegenden Verfahren die Verletzung des Willkürverbotes, des Verbotes
des überspitzten Formalismus, des rechtlichen Gehörs und des Grundrechtes
der persönlichen Freiheit geltend gemacht wird, ist auf die entsprechenden
Vorbringen nicht einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Anlass zum Rekurs gibt die Berechnung des Existenzminimums, soweit
der Betreibungsbeamte dabei die monatlichen Auslagen von Fr. 891.-- für
den Besuch der Rudolf-Steiner-Schule durch zwei Kinder des Schuldners
nicht und seine Wohnkosten nur mit Fr. 2'500.-- statt mit Fr. 4'311.--
berücksichtigt hat.

    a) Einkünfte können nur soweit gepfändet werden, als sie nicht nach
dem Ermessen des Betreibungsbeamten für den Schuldner und seine Familie
unumgänglich notwendig sind (Art. 93 SchKG). Das Gesetz behandelt
den Schuldner damit nicht als Einzelperson, sondern nimmt Rücksicht
auf dessen Zugehörigkeit zur Familie als wirtschaftliche Gemeinschaft
(LÜCHINGER, Begriff und Bedeutung der Familie im schweizerischen Recht,
Diss. Zürich 1987, S. 257). Die von den kantonalen Aufsichtsbehörden
erlassenen Weisungen zur Berechnung des Existenzminimums (für den Kanton
Basel-Stadt in BJM 1992, S. 139 ff.) richten daher den Grundbetrag nach
der familiären Wohnsituation aus, sehen für den Unterhalt von Kindern
altersmässig abgestufte Unterhaltszuschläge vor und berücksichtigen
auch besondere Auslagen für die Ausbildung von Kindern wie öffentliche
Verkehrsmittel und Schulmaterial. Nicht vorgesehen sind hingegen
Schulgelder, die durch den Besuch von entgeltlichen Lehranstalten anfallen.

    b) Ob der Rekurrent und seine Ehefrau der Unterhalts- und
Erziehungspflicht gegenüber ihren unmündigen Kindern (Art. 302 Abs. 1
und Art. 276 Abs. 1 ZGB) durch die Unterbringung in einer entgeltlichen
Privatschule nachkommen möchten, steht ihnen selbstverständlich frei. Bei
der Berechnung des Existenzminimums ist allerdings der tatsächliche,
objektive Notbedarf des Schuldners und seiner Familie, nicht etwa der
standesgemässe oder gar gewohnte Lebensaufwand zu berücksichtigen (AMONN,
Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. A. Bern 1993,
S. 185 N 54). Nur so ist es nämlich möglich, sowohl den Interessen
des Schuldners wie des Gläubigers Rechnung zu tragen (BGE 116 III
21 E. 2d). Dass den zwei Kindern des Rekurrenten der Besuch einer
unentgeltlichen, staatlichen Schule nicht möglich wäre oder sie nur
in der Rudolf-Steiner-Schule den ihrem Alter und ihren Fähigkeiten
entsprechenden Unterricht erhalten können, hat die Aufsichtsbehörde
nicht festgestellt. Der Rekurrent seinerseits beschränkt sich darauf,
seine Absicht darzulegen, diese beiden Kinder in der anthroposophischen
Lebensweise erziehen zu wollen. Die kantonale Aufsichtsbehörde
hat somit Bundesrecht nicht verletzt, als sie die monatlichen
Schulkosten von Fr. 891.-- bei der Berechnung des Existenzminimums
nicht berücksichtigte. Den Interessen des Rekurrenten ist sie gerecht
geworden, indem sie ihm diese Auslagen immerhin bis Ende des Schuljahres
zugestand. Es steht ihm auf diese Weise frei, auf Beginn des neuen
Schuljahres seine Kinder allenfalls auf eine staatliche Schule zu schicken
oder sich bei der Rudolf-Steiner-Schule um eine Anpassung des Schulgeldes
zu bemühen.

    c) Der Grundsatz, dass der von der Lohnpfändung betroffene
Schuldner seine Lebenshaltung einschränken und mit dem ihm zugestandenen
Existenzminimum auskommen muss, gilt auch in bezug auf die Wohnkosten. Die
hier effektiv anfallenden Auslagen können nur vollumfänglich berücksichtigt
werden, wenn sie der familiären Situation des Schuldners und den
ortsüblichen Ansätzen entsprechen. Ob es sich dabei um Aufwendungen für
eine Mietwohnung oder für ein Eigenheim handelt, spielt grundsätzlich
keine Rolle. In beiden Fällen ist dem Schuldner die Möglichkeit zu geben,
seine Wohnkosten innert einer angemessenen Frist den für die Berechnung des
Notbedarfs massgebenden Verhältnissen anzupassen (BGE 116 III 21 E. 2d).

    d) Was der Rekurrent in bezug auf seine Wohnkosten vorbringt, ist
nicht geeignet, der kantonalen Aufsichtsbehörde eine Verletzung von
Bundesrecht nachzuweisen. Das dem Betreibungsamt bei der Berechnung
des Existenzminimums zustehende Ermessen ist durch die Festsetzung
der monatlichen Wohnkosten auf Fr. 2'500.-- im vorliegenden Falle weder
überschritten noch missbraucht worden. Hingegen hat der Betreibungsbeamte
dem Rekurrenten keine Möglichkeit gelassen, die zur Senkung seiner
Wohnkosten nötigen Vorkehren zu treffen. Die Sache ist daher an
die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons
Basel-Stadt zurückzuweisen, damit sie den dem Rekurrenten für die Anpassung
seiner Wohnverhältnisse angemessenen Zeitraum zugestehe und in einem neuen
Entscheid festhalte, bis zu welchem Zeitpunkt die effektiven Wohnkosten
in das Existenzminimum aufzunehmen sind und wie hoch anschliessend die
pfändbare Quote ausfällt (Art. 64 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 81 OG).