Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 III 113



119 III 113

33. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1993 i.S.
B. gegen Obergericht des Kantons Solothurn (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Art. 4 BV, Art. 191 und 230 SchKG; unentgeltliche Rechtspflege im
Konkursverfahren; Kriterium der fehlenden Aussichtslosigkeit bei einer
Insolvenzerklärung.

    1. Der Schuldner kann im Konkursverfahren zufolge Insolvenzerklärung
die unentgeltliche Rechtspflege unter den allgemeinen Voraussetzungen
beanspruchen (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 2).

    2. Erfordernis der fehlenden Aussichtslosigkeit der Insolvenzerklärung
im Sinne von Art. 191 SchKG für einen direkt aus Art. 4 BV ableitbaren
Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege (E. 3a). Die Insolvenzerklärung
ist aussichtslos, wenn feststeht, dass der Schuldner keine Aktiven besitzt.
Hingegen kann sie nicht zum vornherein als aussichtslos bezeichnet werden,
wenn der Schuldner glaubhaft gemacht hat, dass er wenigstens über so
viele Vermögenswerte verfügt, wie für eine Verhinderung der durch Art. 230
SchKG drohenden Einstellung des Konkurses erforderlich sind (E. 3b).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Dem angefochtenen Entscheid ist zu entnehmen, dass dem
Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtspflege für das Konkursverfahren
wegen Aussichtslosigkeit seiner Insolvenzerklärung verweigert worden
ist. Der Beschwerdeführer erachtet diesen Entscheid als willkürlich und
Art. 4 BV widersprechend.

    Den Anknüpfungspunkt für seine Rüge der Verletzung von Art. 4 BV sieht
der Beschwerdeführer in der mit BGE 118 III 27 ff. vollzogenen und mit BGE
118 III 33 ff. bestätigten Änderung in der Rechtsprechung. Danach ist neu
der aus Art. 4 BV abgeleitete Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege
grundsätzlich auch für das Konkursverfahren zufolge Insolvenzerklärung
gewährleistet. Allein mit dem Hinweis auf die Besonderheiten des
Konkursverfahrens oder auf den Umstand, dass weder das SchKG noch der
dazugehörige Gebührentarif das Armenrecht ausdrücklich vorsehen (BGE 55
I 363 S. 366), lässt sich deshalb die unentgeltliche Rechtspflege nicht
mehr verweigern. Nachdem das Obergericht seinen Entscheid ausdrücklich
auf diese neue Rechtsprechung stützt, ist eine Auseinandersetzung mit der
daran geübten Kritik in Lehre und kantonaler Gerichtspraxis (vgl. BlSchK
56/1992, S. 148 f. und 209 ff.) nur insoweit erforderlich, als die im
vorliegenden Fall anstehenden Fragen dort ebenfalls behandelt worden sind.

    Die unentgeltliche Rechtspflege befreit im Verfahren der
Konkurseröffnung zufolge Insolvenzerklärung und des Konkurses bis zur
ersten Gläubigerversammlung ganz oder teilweise von der Bezahlung der
Verfahrenskosten und damit auch von der Bezahlung eines Kostenvorschusses,
sofern die ersuchende Partei bedürftig ist, ihr Rechtsbegehren nicht zum
vornherein aussichtslos erscheint und die verlangten Prozesshandlungen
nicht unzulässig sind (BGE 118 III 27 E. 3c). Das deckt sich mit den
üblichen Voraussetzungen für die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
gestützt auf Art. 4 BV, wie sie ohne Unterschied für das Zivil- und
Verwaltungsverfahren gelten (BGE 118 Ia 369 E. 4 bzw. 117 Ia 277 E. 5).

Erwägung 3

    3.- Ob mit Blick auf die Feststellungen des Obergerichts, nachdem
die Bedürftigkeit des Gesuchstellers feststeht, auch das Erfordernis der
fehlenden Aussichtslosigkeit als erfüllt zu betrachten sei, wie das der
Beschwerdeführer behauptet, prüft das Bundesgericht in rechtlicher Hinsicht
mit freier Kognition (BGE 119 Ia 11 E. 3a mit Hinweisen; 117 Ia 277 E. 5b).

    a) Es ist allerdings nicht Aufgabe des Bundesgerichts, dem Sachrichter
vorgreifend zu prüfen, ob das vom Beschwerdeführer im kantonalen
Verfahren gestellte Konkursbegehren zu schützen sei oder nicht. Bei der
Abklärung, ob die fehlende Aussichtslosigkeit als Voraussetzung für einen
grundrechtlichen Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege gegeben ist,
hat der Verfassungsrichter lediglich zu prüfen, ob der vom Bedürftigen
verfolgte Rechtsstandpunkt grundsätzlich im Rahmen des sachlich
Vertretbaren liegt bzw. nicht zum vornherein unbegründet erscheint
(BGE 118 Ia 369 E. 4; 117 Ia 277 E. 5b/dd mit Hinweis). Massgebend ist,
ob eine Partei, welche in der gleichen Lage wie der Gesuchsteller ist,
jedoch über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger
Überlegung zu einem Prozess entschliessen oder aber davon absehen würde;
denn eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und
Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie
nichts kostet (BGE 109 Ia 5 E. 4 mit Hinweisen).

    Das Obergericht hat dieses Erfordernis anhand der im vorliegenden
Fall gegebenen Beweis- und Rechtslage summarisch geprüft. Mit Bezug
auf das eingereichte Armenrechtsformular hat es zunächst festgestellt,
der Gesuchsteller sei bedürftig, dann aber hat es auch ausgeführt, er
verfüge über keine verwertbaren Aktiven. Dass letztere Feststellung mit
den Akten in klarem Widerspruch stehe (BGE 118 Ia 28 E. 1b mit Hinweisen),
wird vom Beschwerdeführer nirgends dargetan. Nun hat aber das Obergericht
aus dem Fehlen verwertbaren Vermögens gefolgert, der einmal eröffnete
Konkurs könnte nicht abgewickelt, sondern müsste mangels Aktiven wieder
eingestellt werden. Verfüge der Rekurrent (und heutige Beschwerdeführer)
über keine verwertbaren Aktiven, müsse ihm die unentgeltliche Rechtspflege
wegen Aussichtslosigkeit verweigert werden. Demgegenüber hält der
Beschwerdeführer sein Begehren in der Sache für nicht aussichtslos. Infolge
der vorhandenen Schulden - so der Beschwerdeführer - sei nämlich
sein Begehren auf Insolvenzerklärung gutzuheissen und es sei die
Konkurseröffnung auszusprechen; die Aussprechung einer Insolvenzerklärung
sei rechtlich zulässig. Abgesehen davon, dass sich das angefochtene Urteil
zu den Schulden des Beschwerdeführers nicht äussert und daher dessen
diesbezüglich neue Behauptung nicht zu hören ist (BGE 118 Ia 20 E. 5a
mit Hinweis), hat das Obergericht nun aber ganz offensichtlich nicht die
Insolvenzerklärung als solche für unzulässig gehalten, was einer formellen
Beanstandung oder der Anzweiflung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners
gleichgekommen wäre. Vielmehr hat es die vom Beschwerdeführer angestrebte
Konkurseröffnung zufolge Insolvenzerklärung als aussichtslos beurteilt.

    b) Nach Art. 191 SchKG kann der Schuldner die Konkurseröffnung
bewirken, indem er sich beim Gericht zahlungsunfähig erklärt. Gibt der
Schuldner eine solche Insolvenzerklärung ab, hat er dieser Bestimmung
in materieller Hinsicht bereits Genüge getan, und er muss insbesondere
nicht auch noch seine Zahlungsunfähigkeit belegen (AMONN, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5. A., Bern 1993, S. 308 f., N 27;
FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem
Recht, Bd. II, 3. A., Zürich 1993, S. 94, N 14; GILLIÉRON, Poursuite
pour dettes, faillite et concordat, 3. A., Lausanne 1993, S. 268). Die
Abgabe einer Insolvenzerklärung kommt indessen nicht der Konkurseröffnung
gleich; es bedarf dazu vielmehr eines richterlichen Erkenntnisses
(Art. 175 in Verbindung mit Art. 194 SchKG). Über ein Konkursbegehren
ist gemäss Art. 25 Ziff. 2 SchKG im summarischen Prozessverfahren zu
entscheiden. Mit Recht nimmt das Obergericht daher an, dass hier - wie
in jedem anderen gerichtlichen Verfahren - die Prozessvoraussetzungen
erfüllt sein müssen, damit überhaupt ein Sachurteil gefällt werden
kann. Zu den Prozessvoraussetzungen, deren Vorliegen der Richter stets
von Amtes wegen zu prüfen hat, wird das Rechtsschutzinteresse gezählt.
Erweist sich, dass der Ansprecher kein solches schutzwürdiges Interesse an
der Beurteilung seines Rechtsstandpunktes hat, tritt der Richter auf das
Rechtsbegehren nicht ein (GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht,
3. A., Zürich 1979, S. 221; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts,
4. A., Bern 1984, S. 86 f.; VOGEL, Grundriss des Zivilprozessrechts,
3. A., Bern 1992, S. 170, N 14).

    aa) Das Obergericht hält dafür, dem um das Armenrecht nachsuchenden
Schuldner dürfte es mangels verwertbaren Vermögens am Rechtsschutzinteresse
gebrechen, weshalb sein Konkursbegehren wohl für prozessual unzulässig
gehalten werden müsste. Ob ein Rechtsschutzinteresse im konkreten Fall
fehlt oder nicht, beurteilt sich für ein auf Art. 191 SchKG gestütztes
Konkursbegehren nach Bundesrecht; denn das Bundesrecht regelt in seinem
Anspruchsbereich die Prozessvoraussetzung des Rechtsschutzinteresses
abschliessend (BGE 116 II 196 E. 1a und 351 E. 3a mit Hinweis). Der Richter
soll und darf nicht bemüht werden mit Prozessen, die überflüssig sind, zum
vornherein Unerreichbares anstreben oder prozessfremde Zwecke verfolgen.
Wer richterlichen Schutz anruft, muss daher ein nach vernünftigem Ermessen
wesentliches Interesse daran haben, dass ihm sein Rechtsstandpunkt
gerichtlich bestätigt werde (KUMMER, aaO, S. 104 f.).

    bb) Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Schuldner mit seiner
Insolvenzerklärung die Durchführung eines Konkurses ohne Aktiven anstrebt.

    Dafür stellt indessen Art. 230 Abs. 1 SchKG ein unüberwindliches
Hindernis dar. Nach dieser Bestimmung macht das Konkursamt beim
Konkursgericht Anzeige, wenn bei der Inventaraufnahme gemäss Art. 221
SchKG keinerlei verwertbare Aktiven vorgefunden worden sind, und das
Konkursgericht beschliesst sodann die Einstellung des Verfahrens. Das
Bundesgericht hat erst kürzlich festgehalten, dass der Schuldner selbst im
Falle der Gewährung des Armenrechts nicht davon entbunden sei, im Sinne
dieser Bestimmung verwertbares Vermögen vorzuweisen, um die Einstellung
des Verfahrens zu verhindern (BGE 119 III 28 E. 2b/bb). Während ein
Schuldner nach der Leistung des Kostenvorschusses, welcher gestützt
auf Art. 169 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 194 SchKG bzw. Art. 35 der
bundesgerichtlichen Verordnung über die Geschäftsführung der Konkursämter
(KOV; SR 281.32) einverlangt wurde, ein solches Minimum an Konkursmasse
vorweisen kann, das primär für die Verfahrenskosten haftet (vgl. Art. 262
Abs. 1 SchKG), fehlt es daran zum vornherein im Falle unentgeltlicher
Rechtspflege. Ihre Gewährung kann auch nach der neuesten Rechtsprechung
des Bundesgerichts nicht dazu dienen, dem Schuldner Konkurssubstrat zu
verschaffen (in diesem Sinne auch BlSchK 56/1992, S. 149, Anmerkung der
Redaktion zu BGE 118 III 27 ff.). Das bedeutet freilich, dass die an sich
mögliche Konkurseröffnung beim vermögenslosen Schuldner - unabhängig
von der Gewährung des Armenrechts - nicht zum Verfahrensziel führt,
weil der Konkurs nach der bereits erwähnten Vorschrift gleich wieder
eingestellt werden muss. Damit fehlt aber einem vermögenslosen Schuldner
bereits das schutzwürdige Interesse an der Konkurseröffnung, welches für
ihn ausschliesslich in der Durchführung des Konkurses liegt; denn nur in
diesem Fall werden Verlustscheine an die Gläubiger ausgestellt und der
Schuldner kommt ihnen gegenüber in den Genuss der Einrede mangelnden
neuen Vermögens gemäss Art. 265 SchKG (FRITZSCHE/WALDER, aaO, S. 98;
JAEGER, Kommentar SchKG, Zürich 1911, Bd. I, N 3 zu Art. 191 SchKG;

CHRISTOPH RUDOLF STOCKER, Entscheidungsgrundlagen für die Wahl des
Verfahrens im Konkurs, Diss. Zürich 1984, S. 210).

    cc) Um die Konkurseröffnung im vorne dargestellten Sinne bewirken zu
können, hat der um das Armenrecht nachsuchende Schuldner daher bereits
vor dem Konkursgericht darzutun, dass er wenigstens über so viele
Vermögenswerte verfügt, wie für eine Verhinderung der durch Art. 230
SchKG drohenden Einstellung des Konkurses erforderlich sind. Dabei hat
sich das Konkursgericht mit einer Glaubhaftmachung zu begnügen, weil erst
nach der vom Konkursbeamten vorzunehmenden Inventaraufnahme grössere
Klarheit darüber bestehen kann, wieviel verwertbares Schuldnervermögen
tatsächlich vorhanden ist (vgl. BGE 113 III 116 E. 3d). Vermag der
Schuldner Vermögenswerte, die zumindest für die Deckung der Kosten
des summarischen Konkursverfahrens reichen, nicht vorzuweisen, so hat
das - gleich wie bei der Nichtleistung oder verspäteten Leistung des
Kostenvorschusses (BGE 118 III 27 E. 2b mit Hinweis) - zur Folge, dass
der Konkurs nicht eröffnet werden darf.

    Im vorliegenden Fall steht wie gesagt fest, dass der Schuldner keine
Aktiven besitzt und mithin der Konkurs nach der Eröffnung gleich wieder
eingestellt werden müsste. Der hier aus den Akten hervorgehende Zweck der
Bereinigung, nämlich der eines Neubeginns nach der Haftentlassung, liesse
sich somit auch nicht erreichen. Das Obergericht hat folglich Art. 4
BV nicht verletzt, indem es Aussichtslosigkeit der Insolvenzerklärung
angenommen hat.