Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 III 1



119 III 1

1. Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 19. Februar
1993 i.S. Manoirial SA (Rekurs) Regeste

    Rechtsverzögerung.

    Bestehen auf einem Konkursamt wegen Personalmangels
Geschäftsrückstände, so soll die kantonale Aufsichtsbehörde Massnahmen
anordnen. Im vorliegenden Fall hätte sie, gestützt auf kantonales
Recht, auf der Beiziehung von Angestellten bestehen und dafür sorgen
können, dass ein Gesuch um Verlängerung der Frist für die Beendigung
des Konkursverfahrens vorgelegt wird. Sodann hätte sie das Konkursamt
einladen können, das verzögerte Konkursverfahren innert nützlicher Frist
abzuschliessen (E. 2).

    Der Kanton, welcher die Organisation des Betreibungs- und Konkurswesens
in personeller Hinsicht vernachlässigt, macht sich unter Umständen
haftpflichtig (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Namens der Manoirial SA liess die Hofer Treuhand AG mit Schreiben
vom 3. Dezember 1992 die Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen
für den Kanton Bern wissen, dass im Konkursverfahren der U.L. seit Ende
März 1990 nichts mehr vorangegangen sei.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde behandelte das Schreiben als
Rechtsverzögerungsbeschwerde und hiess diese am 29. Dezember 1992 gut. In
der Begründung des Entscheides hielt sie allerdings fest, dass das
Betreibungs- und Konkursamt Nidau im Rahmen seiner Möglichkeiten alles
unternehme, um seinem gesetzlichen Auftrag nachzukommen. Infolge der
Sparanstrengungen des Kantons Bern würden weitere notwendige Hilfskräfte
zur Zeit nicht bewilligt, und Bemühungen der Betreibungs- und Konkursämter
sowie der kantonalen Aufsichtsbehörde um zusätzliches Personal endeten
leider erfolglos. Aus diesen Gründen setzte die kantonale Aufsichtsbehörde
dem Betreibungs- und Konkursamt Nidau keine Fristen und sah von der
Anordnung disziplinarischer Massnahmen ab.

    B.- Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts,
an welche die Manoirial SA die Sache weiterzog, hiess den Rekurs gut
aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 270 SchKG soll das Konkursverfahren binnen sechs
Monaten seit der Eröffnung des Konkurses durchgeführt werden. Im Hinblick
darauf, dass der Konkurs über U.L. am 25. Januar 1990 eröffnet worden ist,
muss festgestellt werden, dass die vom Gesetzgeber vorgesehene Frist im
jetzigen Zeitpunkt um zweieinhalb Jahre überschritten worden ist.

Erwägung 2

    2.- Den Akten ist zu entnehmen, dass wegen der durch den Personalmangel
verursachten Geschäftsrückstände bei den Betreibungs- und Konkursämtern
im allgemeinen und beim Betreibungs- und Konkursamt Nidau im besonderen
Korrespondenz zwischen den Behörden des Kantons Bern geführt worden ist. So
hat sich die Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen
für den Kanton Bern insbesondere mit einem Schreiben vom 9. März
1992 an den Justizdirektor des Kantons Bern gewandt und darin auf die
Bundesrechtswidrigkeit der Geschäftserledigung hingewiesen, zu der es
wegen des Personalmangels kommen könnte. Der Justizdirektor des Kantons
Bern hat darauf am 27. März 1992 geantwortet, dass der Regierung angesichts
der vom Grossen Rat getroffenen Sparbeschlüsse die Hände gebunden seien.

    Sosehr sich die kantonale Aufsichtsbehörde genötigt gesehen hat,
bei der Kantonsregierung vorstellig zu werden, kann sie sich doch im
Hinblick auf den vorliegenden Fall nicht darauf beschränken. Es ist
daran zu erinnern, dass gemäss Art. 13 des Einführungsgesetzes für den
Kanton Bern zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs dem
Betreibungsbeamten die Beiziehung von Angestellten gestattet werden
kann, sofern die ihm obliegenden Arbeiten von ihm nicht allein besorgt
werden können. Die kantonale Aufsichtsbehörde hätte darauf bestehen
können, dass dieser Vorschrift Nachachtung verschafft werde (BGE 107
III 6 E. 3). Auch hat sie dafür zu sorgen, dass ihr - gemäss Art. 27
des Einführungsgesetzes - Gesuche um Verlängerung der Frist für die
Beendigung eines Konkursverfahrens vorgelegt werden, wenn die nachgesuchte
Verlängerung einzeln oder unter Hinzurechnung früherer Verlängerungen
drei Monate überschreitet.

    Es steht nichts entgegen, dass die kantonale Aufsichtsbehörde
das Betreibungs- und Konkursamt Nidau einlädt, das Konkursverfahren
der U.L. innert nützlicher Frist abzuschliessen, wenngleich sie - zur
Wahrung der Rechtsgleichheit (BGE 107 III 6 E. 2) - dem Amt nicht gerade
eine bestimmte Frist ansetzen kann. Die Rüge der Rekurrentin, dass die
Gutheissung ihrer Rechtsverzögerungsbeschwerde im kantonalen Verfahren
nicht mit der Anordnung von Massnahmen begleitet sei, und ihr Antrag
Ziff. 2 erweisen sich unter diesem Gesichtspunkt als begründet.

Erwägung 3

    3.- Die Organisation der Betreibungs- und Konkursämter ist Sache
der Kantone (Art. 2 und 3 SchKG). Es ist deshalb der Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts noch weniger als der kantonalen
Aufsichtsbehörde möglich, unmittelbar auf die Behebung des personellen
Missstandes einzuwirken (vgl. BGE 107 III 7 E. 3).

    Das vorliegende Urteil wird indessen, entsprechend dem Antrag
Ziff. 3 der Rekurrentin, dem Regierungsrat des Kantons Bern zur Kenntnis
gegeben. Die Behörden des Kantons Bern werden daran erinnert, dass der
Kanton seinen Bürgern gegenüber zur Gewährung einer ordnungsgemässen
Rechtspflege - wozu auch das Betreibungs- und Konkurswesen gehört -
verpflichtet ist. Es bleibt für den Kanton nicht ohne finanzielle Folgen,
wenn er sich dieser Verpflichtung entzieht und für seine Versäumnisse
haftbar gemacht wird (BGE 107 III 7 E. 3).