Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IB 412



119 Ib 412

42. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 9. Dezember 1993 i.S. X. gegen Schweizerische Asylrekurskommission
(III. Kammer) (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 60 VwVG, Art. 101 lit. a und b OG; Unzulässigkeit der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde (Praxisänderung).

    Wo die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid in der
Hauptsache ausgeschlossen ist, steht dieses Rechtsmittel nach dem Grundsatz
der Einheit des Prozesses (Art. 101 lit. a und b OG) auch nicht gegen
Disziplinarmassnahmen gemäss Art. 60 VwVG zur Verfügung.

Sachverhalt

    A.- Rechtsanwalt X. vertrat einen pakistanischen Asylsuchenden vor
der Schweizerischen Asylrekurskommission. Der zuständige Einzelrichter
wies dessen Beschwerde am 28. Januar 1993 im Namen der III. Kammer der
Rekurskommission ab.

    Am 19. Februar 1993 erteilte der Präsident der III. Kammer der
Asylrekurskommission Rechtsanwalt X. für sein Verhalten in diesem
Beschwerdeverfahren einen Verweis. Rechtsanwalt X. wurde zur Last gelegt,
er habe in Verletzung der verfahrensrechtlichen Sorgfaltspflichten von
seinem Klienten gelieferte Falschdokumente eingereicht und seiner Eingabe
eine mit der Sache in keinem Zusammenhang stehende Bestätigung eines
Arztes für einen anderen Patienten beigelegt.

    Das Bundesgericht tritt auf die von Rechtsanwalt X. gegen den Beschluss
des Präsidenten der III. Kammer der Asylrekurskommission vom 19. Februar
1993 erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht ein

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 97 OG in Verbindung mit Art. 5 VwVG ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde zulässig gegen Verfügungen, die sich auf
öffentliches Recht des Bundes stützen oder hätten stützen sollen, sofern
diese von den in Art. 98 OG genannten Vorinstanzen erlassen worden sind und
keiner der in Art. 99-102 OG oder in der Spezialgesetzgebung vorgesehenen
Ausschlussgründe gegeben ist (BGE 115 Ib 347 E. 1b S. 350 mit Hinweisen).

    a) Der angefochtene Verweis stützt sich auf Art. 60 des Bundesgesetzes
vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG; SR 172.021),
wonach die Beschwerdeinstanz Parteien oder deren Vertreter, die den
Anstand verletzen oder den Geschäftsgang stören, mit Verweis oder
mit Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.-- bestrafen kann. Der Entscheid des
Präsidenten der III. Kammer der Asylrekurskommission vom 19. Februar
1993 stellt grundsätzlich eine gemäss Art. 97 OG in Verbindung mit
Art. 5 VwVG anfechtbare Verfügung dar (vgl. BGE 108 Ia 11; 108 Ia 172;
103 Ia 426 E. 1b S. 428 f.).

    b) Nach Art. 11 Abs. 2 lit. a und b des Asylgesetzes vom 5. Oktober
1979 (AsylG; SR 142.31) beurteilt die Schweizerische Asylrekurskommission
Beschwerden gegen Verfügungen des Bundesamtes für Flüchtlinge über die
Verweigerung des Asyls und die Wegweisung endgültig. Entsprechend bestimmt
Art. 100 lit. b Ziff. 2 OG, dass die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen
Entscheide über die Gewährung oder Verweigerung des Asyls ausgeschlossen
ist. Es fragt sich, ob trotz des Ausschlusses der Weiterziehbarkeit in
der Sache gegen einen neben dem Hauptentscheid ausgesprochenen Verweis an
den Rechtsvertreter des Asylbewerbers die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zulässig ist.

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht hat die Frage in drei Entscheiden bejaht (nicht
veröffentlichte Urteile vom 3. Juni 1986 i.S. W. c. Eidg. Justiz- und
Polizeidepartement [A.373/1985] und vom 20. März 1987 i.S. G. c. Eidg.
Justiz- und Polizeidepartement [A.547/1986]; Urteil vom 8. März 1990
i.S. T. c. Département Fédéral de Justice et Police [2A.279/1989],
publiziert in: VPB 56/1992 Nr. 36). Diese Praxis bedarf einer Überprüfung.

    a) Nach dem Grundsatz der Einheit des Prozesses ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, wenn sie in der Hauptsache unzulässig
ist, grundsätzlich auch gegen alle Zwischenverfügungen des betreffenden
Verfahrens ausgeschlossen (Art. 101 lit. a OG; BGE 111 Ib 73 E. 2a
S. 75; FRITZ GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., Bern 1983,
S. 106 f., 237, 331). Dieselbe Regel gilt nach Art. 101 lit. b OG für
Verfügungen über Verfahrenskosten und Parteientschädigungen. Unter
"Zwischenverfügungen" gemäss Art. 101 lit. a OG sind nicht nur
verfahrensleitende Anordnungen im engeren Sinn zu verstehen, sondern auch
allfällige Teilentscheide und Nichteintretensentscheide sowie Verfügungen
über die Gewährung oder Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege (BGE
111 Ib 73 E. 2a S. 74 f.; PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht
des Bundes, Basel 1979, S. 84; GYGI, aaO, S. 237). Unter die Regel
von Art. 101 lit. a OG müssen nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift
aber auch prozessdisziplinarische Massnahmen gemäss Art. 60 VwVG
(Verweis oder Ordnungsbusse bis zu Fr. 500.--) fallen. Diese haben
ebenfalls keinen selbständigen Charakter, sondern sie dienen der
Aufrechterhaltung der Prozessdisziplin in einem bestimmten, vor der
sanktionierenden Behörde durchgeführten Verfahren. Die Bindung dieser
Massnahmen an ein bestimmtes Verfahren ergibt sich aus dem Wortlaut von
Art. 60 VwVG, wonach die urteilende Beschwerdeinstanz "die Parteien oder
deren Vertreter" disziplinieren kann. Solche Sanktionen erscheinen somit
als begleitende Anordnungen zu einem hängigen Hauptverfahren und sind
daher den Zwischenverfügungen gemäss Art. 101 lit. a OG gleichzustellen,
d.h. ein allfälliger Ausschluss der Weiterziehbarkeit in der Hauptsache
gilt auch für diese Nebenentscheide.

    b) Dass Disziplinarmassnahmen gemäss Art. 60 VwVG nicht bloss die
Partei selber, sondern auch deren Vertreter treffen können, steht einer
solchen Einstufung nicht entgegen. Ebenso können sich Verfügungen über
die Gewährung oder Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege zugleich
an den Anwalt richten, ohne dass sie deswegen von der Regel des Art. 101
lit. a bzw. lit. b OG ausgenommen wären (GYGI, aaO, S. 331).

    c) Für die vorstehende Auslegung sprechen noch weitere
Überlegungen: Wären prozessdisziplinarische Massnahmen nach Art. 60
VwVG unabhängig von der Weiterziehbarkeit der Hauptsache gesondert
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbar, könnte ihre Beurteilung
nicht selten eine aufwendige Auseinandersetzung mit dem gesamten
vorinstanzlichen Prozess erfordern, obwohl der Gesetzgeber in der
betreffenden Materie eine Anrufung des Bundesgerichtes an sich gerade
ausschliessen wollte. Vollends fragwürdig wäre eine solche Regelung
aber insbesondere im Bereich des Asylwesens, wo dem Betroffenen in der
Sache selber, obwohl für ihn existentielle Interessen auf dem Spiel
stehen, der Zugang zum Bundesgericht verwehrt ist, hingegen für eine im
Rahmen des gleichen Verfahrens ergangene, gemessen an der Tragweite des
Sachentscheides völlig geringfügige Disziplinarmassnahme gegen den Anwalt
(oder die Partei selber) dieser Rechtsweg offenstünde. Eine Anwendung des
Grundsatzes der Einheit des Verfahrens auch auf Massnahmen nach Art. 60
VwVG vermeidet derartige sinnwidrige Konsequenzen. Wo nach der Regelung des
Bundesgesetzgebers die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid
in der Hauptsache ausgeschlossen ist, steht dieses Rechtsmittel auch
nicht gegen Disziplinarmassnahmen gemäss Art. 60 VwVG zur Verfügung. An
der gegenteiligen bisherigen Rechtsprechung kann nicht festgehalten werden.

Erwägung 3

    3.- Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist demnach nicht
einzutreten.

    Da die neue Praxis im vorliegenden Fall erstmals zur Anwendung gelangt
und der Beschwerdeführer gestützt auf die bisherige Praxis damit rechnen
durfte, dass auf seine Beschwerde eingetreten werde, rechtfertigt es sich,
entgegen dem Ausgang des Verfahrens auf eine Kostenauflage zu verzichten
(Art. 156 Abs. 1 OG). Auf eine Parteientschädigung besteht, da der
Beschwerdeführer in eigener Sache handelte und die Angelegenheit für ihn
mit keinem besonderen Aufwand verbunden war, kein Anspruch (BGE 110 V 132).