Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IB 202



119 Ib 202

24. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
vom 26. Oktober 1993 i.S. Kotb c. Bundesamt für Flüchtlinge
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Internierung eines Ausländers.

    1. Voraussetzungen der Internierung gemäss Art. 14a und 14d ANAG
(E. 2).

    2. Vereinbarkeit mit Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren ist gegenüber
den Behörden unter verschiedenen Namen aufgetreten. So nannte er sich
Samir Kotb, Hassan Ali, Ali Aboucharaf und Mohamed Aboucharaf. Auch über
das Datum seiner Geburt - er soll am 7. September 1967, 1968, 1970 oder
1972 geboren sein - und über seine Herkunft machte er unterschiedliche
Angaben. So gab er an, palästinensischer Herkunft zu sein, bezeichnete
sich aber auch als libanesischen oder dann wieder als marokkanischen
Staatsangehörigen. Seine wahre Identität steht bis heute nicht fest.

    Der Beschwerdeführer wurde am 4. Juni 1990 von der Kantonspolizei
Genf mittellos und ohne Identitätsausweis aufgegriffen. Mit Urteil vom
22. Juni 1990 wurde er wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer zu 5 Tagen Gefängnis und
3 Jahren Landesverweisung verurteilt. Eine weitere Verurteilung zu 7
Tagen Gefängnis wegen Ladendiebstahls erfolgte am 25. Juli 1990. Da eine
Ausschaffung vorläufig nicht möglich war, wurde er am 9. August 1990 auf
Antrag der Behörden des Kantons Genf durch Verfügung des Bundesamtes
für Flüchtlinge vorläufig aufgenommen. Am 14. Februar 1991 sowie am
6. August 1991 reichte er unter zwei verschiedenen, zuvor nicht benutzten
Namen Asylgesuche ein, wobei er beide Male dem Kanton Zürich zugewiesen
wurde. Das Bundesamt für Flüchtlinge trat mit Verfügung vom 7. August 1992
auf die beiden Gesuche nicht ein und wies den Ausländer an, unverzüglich
in den Kanton Genf zurückzukehren, wo er vorläufig aufgenommen worden war.

    Sowohl vor wie auch nach Erlass dieser Verfügung wurde
der Beschwerdeführer immer wieder in der Zürcher Drogenszene
aufgegriffen. Mehrfach wurde er der Fremdenpolizei des Kantons Genf
zugeführt, kehrte aber jeweils umgehend wieder nach Zürich zurück. Mit
Strafbefehl der Bezirksanwaltschaft Zürich vom 22. Dezember 1992 wurde er
wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu 30 Tagen Gefängnis
bedingt verurteilt. Wegen Diebstahlversuchs und Nichtanzeigens eines Fundes
wurde er mit Strafbefehl vom 12. Januar 1993 erneut mit 30 Tagen Gefängnis
bedingt bestraft. Am 20. März 1993 erfolgte eine weitere Verzeigung wegen
Konsums und Vermittlung von Heroin. Ein Strafurteil liegt diesbezüglich
nicht bei den Akten.

    Auf Antrag der Fremdenpolizei des Kantons Zürich ordnete das Bundesamt
für Flüchtlinge mit Verfügung vom 21. April 1993 die Internierung an,
und zwar vorerst für sechs Monate bis zum 15. Oktober 1993. Die Verfügung
erwuchs in Rechtskraft.

    Mit einer weiteren Verfügung vom 27. September 1993 verlängerte
das Bundesamt für Flüchtlinge die Internierung um sechs Monate bis zum
15. April 1994.

    Das Bundesgericht weist die gegen diese Verfügung gerichtete
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist gegen Verfügungen über die
Internierung von Ausländern nicht ausgeschlossen (vgl. Art. 100 lit. b
OG). Sie kann unmittelbar gegen den erstinstanzlich vom Bundesamt für
Flüchtlinge erlassenen Entscheid erhoben werden (Art. 98 lit. c OG in
Verbindung mit Art. 20 Abs. 1bis des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über
Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG, SR 142.20] in der Fassung
des Gesetzes vom 20. Juni 1986). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
ist einzutreten.

Erwägung 2

    2.- a) Das Bundesamt für Flüchtlinge verfügt die vorläufige Aufnahme
oder Internierung, wenn der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung nicht
möglich, nicht zulässig oder nicht zumutbar ist (Art. 14a ANAG). Die
Internierung in einer geeigneten Anstalt setzt gemäss Art. 14d Abs. 2 ANAG
voraus, dass der Ausländer die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz
oder die innere Sicherheit eines Kantons gefährdet (lit. a) oder dass er
durch seine Anwesenheit die öffentliche Ordnung schwer gefährdet (lit. b).

    Die Internierung stellt nach dieser Regelung eine Ersatzmassnahme für
den Fall dar, dass der Vollzug einer Weg- oder Ausweisung undurchführbar
ist. Sie setzt damit voraus, dass der Ausländer zur Ausreise verpflichtet
ist, dies aber zwangsweise (vorläufig) nicht durchgesetzt werden
kann. Zudem muss von der weiteren Anwesenheit des Ausländers eine
Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ausgehen.

    b) In seiner ersten Internierungsverfügung führte das Bundesamt für
Flüchtlinge aus, der Beschwerdeführer sei von der Fremdenpolizei des
Kantons Genf weggewiesen worden. Ob dies zutrifft, lässt sich den vom
Bundesamt eingereichten Akten nicht entnehmen. Hingegen ist aktenkundig,
dass gegen den Beschwerdeführer eine strafrechtliche Landesverweisung
vorliegt. Diese verpflichtet den Ausländer, das Land zu verlassen und
es für die angeordnete Dauer nicht mehr zu betreten. Sie ist insoweit
der fremdenpolizeilichen Ausweisung gleichzusetzen. Ist ihre zwangsweise
Vollstreckung nicht durchführbar, so kommt die vorläufige Aufnahme und
- sofern der Ausländer die öffentliche Ordnung schwer gefährdet - die
Internierung in Betracht.

    Die Identität des Beschwerdeführers ist bis heute nicht
geklärt. Er verfügt über keine Papiere, benutzte verschiedene Namen
und machte unterschiedliche Angaben zu seiner Herkunft. Er war bisher
nicht bereit, Angaben zu seiner Person zu machen, welche es erlaubt
hätten, die erforderlichen Papiere zu beschaffen. Die Vollstreckung der
Landesverweisung ist damit vorläufig unmöglich. Insoweit ging das Bundesamt
für Flüchtlinge zutreffend davon aus, dass nichts anderes verbleibt, als
die weitere Anwesenheit des Beschwerdeführers durch vorläufige Aufnahme
oder Internierung zu regeln.

    c) Es stellt sich damit die Frage, ob der Beschwerdeführer, wie das
Bundesamt annimmt, im Sinne von Art. 14d Abs. 2 ANAG die öffentliche
Ordnung schwer gefährdet. Nur wenn dies der Fall ist, kann an die Stelle
der vorläufigen Aufnahme die Internierung treten.

    Die gegen den Beschwerdeführer bisher ausgefällten Strafen erscheinen
als solche nicht von erheblichem Gewicht. Die erste gegen ihn verhängte
Strafe von 5 Tagen Gefängnis geht darauf zurück, dass er unter Verletzung
der Bestimmungen des ANAG in die Schweiz einreiste. Die zweite Strafe von
7 Tagen Gefängnis erfolgte wegen Ladendiebstahls. Sodann wurde mit 30
Tagen Gefängnis geahndet, dass der Beschwerdeführer erfolglos versucht
hatte, mit zwei gefundenen Bancomatkarten an einem Automaten Bargeld
zu beziehen. Schliesslich wurde der Beschwerdeführer ebenfalls mit 30
Tagen Gefängnis bestraft, weil er in der Zeit zwischen November 1991
und November 1992 täglich in der Zürcher Drogenszene eine Portion Heroin
bezogen, diese konsumiert und weil er zusätzlich zwischen dem 27. Oktober
und dem 1. November 1992 insgesamt an fünf kaufwillige Konsumenten
Betäubungsmittel vermittelt hatte. Diese deliktische Tätigkeit gefährdet
zwar die öffentliche Ordnung. Das Gesetz verlangt für die Anordnung der
Internierung aber, dass die Anwesenheit des Ausländers die öffentliche
Ordnung schwer gefährdet.

    Bei isolierter Betrachtung der vom Beschwerdeführer begangenen
Delikte lässt sich kaum auf eine schwere Gefährdung der öffentlichen
Ordnung schliessen. Das gilt nicht nur für den Ladendiebstahl und den
(dilettantisch begangenen) Diebstahlsversuch mit Bancomatkarten. Auch
die Betäubungsmitteldelikte des süchtigen Beschwerdeführers sind
eher untergeordneter Natur. Indessen ist in die Beurteilung auch die
besondere Problematik der offenen Zürcher Drogenszene miteinzubeziehen,
deren Auswirkungen die Wohnbevölkerung im Zürcher Stadtkreis 5 in
ausserordentlich schwerwiegender Weise belasten. Der Beschwerdeführer ist
nicht nur wegen Betäubungsmittelkonsums, sondern auch wegen Vermittlung
von Heroin verurteilt worden. Die strafrechtliche Verurteilung konnte ihn
nicht davon abhalten, weiter zu konsumieren und andere Drogensüchtige an
Händler zu vermitteln, wie sich dem Einvernahmeprotokoll der Stadtpolizei
Zürich vom 19. März 1993 entnehmen lässt. Mit seinem Verhalten hat
der Beschwerdeführer aktiv zum Funktionieren der offenen Drogenszene
beigetragen. Mag sein Anteil auch gering erscheinen, so muss doch in
Rechnung gestellt werden, dass es das gehäufte Auftreten untergeordneter
Drogendelinquenz ist, welches, zusammen genommen, die spezifische
Problematik der offenen Zürcher Drogenszene ausmacht. Unter diesen
konkreten Umständen und angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer
trotz mehrmaliger Rückführung in den Kanton Genf, wo ihm vorläufige
Aufnahme gewährt worden war, immer wieder nach Zürich zurückkehrte, ist
die Internierung mit den Anforderungen des Gesetzes vereinbar. Die schwere
Gefährdung der öffentlichen Ordnung, welche von dieser Szene ausgeht,
ist auch dem Beschwerdeführer zuzurechnen.

Erwägung 3

    3.- a) Zu prüfen bleibt, ob die angefochtene Internierung
menschenrechtskonform ist. Nach Art. 5 Ziff. 1 EMRK hat jedermann ein Recht
auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den
in der Bestimmung (lit. a-f) genannten Fällen entzogen werden. In Betracht
fällt vorliegend Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK. Danach kann einem Menschen
die Freiheit entzogen werden, wenn er rechtmässig festgenommen worden
ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in
das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden
Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist. Nicht anwendbar ist
vorliegend die Tatbestandsvariante des unberechtigten Eindringens in das
Staatsgebiet. Wohl wird hievon nicht nur der Ausländer erfasst, der sich
anschickt, in das Land unberechtigt einzudringen, sondern auch derjenige,
der bereits illegal eingereist ist (BGE 110 Ib 8). Dem Beschwerdeführer
ist aber die vorläufige Aufnahme gewährt worden, so dass seine Internierung
nicht mehr auf die illegale Einreise gestützt werden kann. Sie lässt sich
folglich nur damit begründen, dass ein Ausweisungsverfahren hängig sei.

    Die Internierung setzt zwar nach Art. 14a ANAG voraus, dass der
Vollzug einer Weg- oder Ausweisung nicht möglich, nicht zulässig oder nicht
zumutbar ist. Das braucht aber nicht zwingend auf längere Zeit oder gar
dauernd der Fall zu sein. Vielmehr genügt für die Internierung bereits,
dass der Vollzug vorläufig undurchführbar ist. Solange sich die Behörden
darum bemühen, die angeordnete Aus- oder Wegweisung zu vollziehen, liegt
im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK ein hängiges Ausweisungsverfahren
vor, welches den Entzug der Freiheit grundsätzlich zu rechtfertigen vermag.

    b) Mit einem hängigen Ausweisungsverfahren könnte die Internierung
allerdings nicht begründet werden, wenn feststeht, dass der Vollzug in
absehbarer Zeit nicht durchführbar ist oder wenn die Behörden den Vollzug
der Massnahme nicht mit der nötigen Beförderung vorantreiben würden.

    Diesbezüglich fällt in Betracht, dass der Beschwerdeführer bereits
seit sechs Monaten interniert ist und das Bundesamt für Flüchtlinge mit
der angefochtenen Verfügung die Internierung um weitere sechs Monate
verlängert hat. Diese lange Internierungsdauer ist jedoch weitgehend
auf das Verhalten des Beschwerdeführers selbst zurückzuführen, der sich
beharrlich weigert, sachdienliche Angaben zu seiner Herkunft zu machen. Den
Akten lässt sich im übrigen entnehmen, dass sich die Behörden intensiv
darum bemühen, die Identität des Beschwerdeführers zu klären. In der
Zwischenzeit (Mitte September) ist es ihnen gelungen, die marokkanische
Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers festzustellen; die marokkanische
Botschaft anerkennt dies, verlangt aber für die Ausstellung von Papieren
weitere Angaben. Angesichts dieser Bemühungen lässt sich nicht sagen,
das Verfahren werde nicht mit der nötigen Beförderung vorangetrieben. Die
weitere Internierung des Beschwerdeführers ist damit mit Art. 5 Ziff. 1
lit. f EMRK vereinbar.