Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IB 148



119 Ib 148

17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
7. Juli 1993 i.S. X. gegen Kanton Zürich und Eidg. Schätzungskommission,
Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Umfang der Enteignung von Rechten des Pächters eines
landwirtschaftlichen Grundstückes.

    Der Pächter eines für öffentliche Zwecke beanspruchten Grundstücks
kann sich im enteignungsrechtlichen Entschädigungsverfahren nur insoweit
auf ein Pachterstreckungsrecht berufen, als ihm dieses gegenüber dem
Verpächter zugestanden hätte.

Sachverhalt

    A.- Für den Bau der Nationalstrasse N 4.2.9 Winterthur - Schaffhausen,
Teilstück Verzweigung N1/N4 - Henggart, sollen auf dem Gebiet der
Gemeinde Hettlingen ab Parzelle Nr. 00 2200 m2 vorübergehend in Anspruch
genommen und 260 m2 definitiv abgetreten werden. Das 16'390 m2 umfassende
landwirtschaftliche Grundstück, das zur Zeit der Planauflage im März 1990
im Eigentum von Y. stand und heute seinen Erben gehört, ist seit 1973 an X.
verpachtet. Nach Durchführung der Einigungsverhandlung regelten der Kanton
Zürich und die Grundeigentümer sämtliche Entschädigungsfragen in einem
Vergleich. Auch mit dem Pächter konnte eine weitgehende Einigung erzielt
werden. In einem unter Mitwirkung des Schätzungskommissions-Präsidenten
am 12. März 1991 abgeschlossenen Teilvergleich legten der Kanton Zürich
und X. fest, dass sich die bis zum Ablauf der vertraglichen Pachtdauer,
Ende der Kulturperiode 1994, zu bezahlende Ertragsausfall-Entschädigung auf
Fr. 55.-- pro Jahr und Are belaufe. Dagegen überliessen die Parteien gemäss
Ziffer 6 des Vergleichs den Entscheid darüber, ob diese Entschädigung - wie
vom Pächter verlangt - über den vertraglichen Ablauf der Pachtdauer hinaus
noch während einer einmaligen Erstreckungsdauer von sechs Jahren geschuldet
sei, der Eidgenössischen Schätzungskommission. Diese wies das Begehren des
Enteigneten um Zusprechung einer zusätzlichen Ertragsausfall-Entschädigung
für eine weitere Pachtdauer mit Entscheid vom 4. März 1992 ab. Die
hierauf vom Enteigneten erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird vom
Bundesgericht abgewiesen

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Es ist unbestritten, dass der Pachtvertrag für das teilweise
für den Nationalstrassenbau beanspruchte Grundstück letztmals im Herbst
1988 verlängert worden ist und die vertragliche Pachtdauer im Herbst 1994
abläuft. Der Beschwerdeführer räumt ebenfalls ein, dass ihm kein Recht auf
eine weitere vertragliche Pachtverlängerung zustehe und er deshalb nach
ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung keine Entschädigung dafür
verlangen könne, dass das Pachtverhältnis infolge der Enteignung nicht
fortgesetzt werde. Dagegen macht er geltend, aufgrund von Art. 26 ff. des
Bundesgesetzes über die landwirtschaftliche Pacht vom 4. Oktober 1985
(LPG; SR 221.213.2) stehe ihm ein Recht auf richterliche Pachterstreckung
zu. Da ihm dieser Anspruch durch die Enteignung ebenfalls entzogen werde,
sei ihm hiefür volle Entschädigung geschuldet und der zu vergütende
Ertragsausfall auf die erstreckte Pachtdauer zu berechnen. - Dieser
Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden.

    a) Nach Art. 5 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Enteignung vom
20. Juni 1930 (EntG; SR 711) bilden neben den dinglichen Rechten an
Grundstücken auch die persönlichen Rechte von Mietern und Pächtern
Gegenstand der Enteignung. Mieter und Pächter können daher, wie in
Art. 23 Abs. 2 EntG festgehalten wird, Ersatz allen Schadens verlangen,
der ihnen aus der vorzeitigen Aufhebung ihrer vor Einleitung des
Verfahrens abgeschlossenen Verträge entsteht. Dagegen erwächst den bloss
obligatorisch Berechtigten nach ständiger bundesgerichtlicher Praxis kein
Entschädigungsanspruch, wenn der Enteigner in den bestehenden Vertrag
eintritt, ihn sofort oder später auf den vertraglich vorgesehenen Termin
kündigt und dem Mieter oder Pächter bis zu diesem Zeitpunkt die volle
Nutzung der Sache überlässt; in diesem Fall wird nicht in vertragliche
Rechte eingegriffen (vgl. BGE 106 Ib 226 f. E. 2, 247 E. 4b und dort
zitierte Entscheide). Wird indessen der vertragsgemässe Gebrauch der
Sache zwar nicht entzogen, aber eingeschränkt und liegt insofern eine
Teilenteignung vor (Art. 5 Abs. 2 EntG), so hat der Enteigner die daraus
entstehenden Nachteile ebenfalls zu ersetzen. Auch in solchen Fällen ist
jedoch eine Entschädigung nur für die Zeit bis zum Vertragsablauf oder bis
zum Kündigungstermin geschuldet, wobei unerheblich ist, ob der Vertrag auf
diesen Zeitpunkt tatsächlich aufgelöst oder ob er erneuert wird (BGE 106
Ib 248 E. 4b). Kann demnach der Entschädigungsanspruch des Mieters oder
Pächters nicht über den Wert dessen hinausgehen, was ihm an Gebrauchs-
und Nutzungsrechten nach Inhalt und Dauer des abgeschlossenen Vertrages
tatsächlich zusteht, so ist hier zu untersuchen, bis zu welchem Zeitpunkt
der Pächter - wäre er nicht von einer Enteignung betroffen worden - nach
der gesetzlichen und vertraglichen Regelung gegenüber dem Verpächter,
der die Pacht beenden will, die Fortsetzung des Pachtverhältnisses hätte
erwirken können.

    b) Der Schutz des Pächters von landwirtschaftlichen Gewerben oder
Grundstücken ist während des zweiten Weltkriegs ausgebaut und später
verschiedentlich erweitert worden, doch sind zugleich Ausnahmeklauseln
zur Absicherung gewisser Rechte des Grundeigentümers sowie - was hier
interessiert - der öffentlichen Interessen geschaffen worden:

    Unter dem Vollmachtenregime wurde erstmals eine Minimalpachtdauer
festgelegt und das Kündigungsrecht eingeschränkt. Weiter sah der Bundesrat
abweichend von den allgemeinen Bestimmungen des OR vor, dass bei Wechsel
im Eigentum am verpachteten Grundstück der neue Eigentümer ohne weiteres
in das Pachtverhältnis eintritt, mit anderen Worten, dass Kauf die Pacht
nicht bricht (vgl. Art. 39 ff. des Bundesratsbeschlusses über Massnahmen
gegen die Bodenspekulation und die Überschuldung sowie zum Schutz der
Pächter vom 19. Januar 1940, AS 1940 S. 85; s.a. Art. 33 ff. bzw. Art. 2
f. der Änderungsbeschlüsse vom 7. November 1941 und vom 25. März 1946,
AS 1941 S. 1255, AS 1946 S. 390). Nach Kriegsende wurden sowohl die
Minimalpachtdauer wie auch der Grundsatz "Kauf bricht Pacht nicht"
zum Schutze des Pächters ins ordentliche Recht überführt (vgl. Art. 23
des Bundesgesetzes über die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom
12. Juni 1951 [EGG] und die durch Art. 26 dieses Gesetzes vorgenommenen
Ergänzungen von Art. 281 OR, AS 1952 S. 410 und 411). Als Ausgleich sah
jedoch der Gesetzgeber im 1951 neu geschaffenen Art. 281ter OR bestimmte
Fälle vor, in welchen der Käufer ohne Rücksicht auf die Vertragsdauer die
Pacht unter Beobachtung einer kürzeren Frist kündigen kann, nämlich bei
Verkauf eines Grundstücks zu Bauzwecken oder zu öffentlichen Zwecken oder
wenn der Käufer das Land zur Selbstbewirtschaftung erwirbt. In diesen
Fällen soll, wie der Bundesrat damals ausführte, das dingliche Recht
des neuen Eigentümers vor dem obligatorischen des Pächters den Vorrang
haben (Botschaft des Bundesrates zum Entwurf eines Bundesgesetzes über
die Erhaltung des bäuerlichen Grundbesitzes vom 30. Dezember 1947 S. 60
f.). Dem Pächter wurde indessen gegenüber dem Verpächter ein Anspruch auf
Ersatz allen Schadens eingeräumt, der ihm aus der vorzeitigen Aufhebung
des Pachtvertrages erwächst (Art. 281ter Abs. 1 aOR).

    Bei der Änderung des bäuerlichen Zivilrechtes im Jahre 1972 hat der
Gesetzgeber die Mindestpachtdauer von drei auf sechs Jahre verlängert und
für Härtefälle eine richterliche Erstreckung vorgesehen. Andererseits
ist die Möglichkeit, die Pacht von für öffentliche Zwecke bestimmten
Liegenschaften ungeachtet der Pachtdauer zu kündigen, verallgemeinert und
nicht mehr von der Veräusserung des Pachtgegenstandes abhängig gemacht
worden. Nach dem neu eingeführten Art. 24quater EGG konnten nämlich
Pachtverträge über Liegenschaften, die für öffentliche Zwecke benötigt
wurden, gemäss Art. 290 Abs. 2 OR in der damaligen Fassung gekündigt
werden (Abs. 1) und durfte der Pächter Ersatz des Schadens verlangen, der
ihm aus der vorzeitigen Aufhebung des Pachtvertrages entstand (Abs. 2)
(vgl. Bundesgesetz über Änderungen des bäuerlichen Zivilrechtes vom
6. Oktober 1972, AS 1973 S. 98 f.).

    Durch das heute geltende Bundesgesetz über die landwirtschaftliche
Pacht vom 4. Oktober 1985 sind insbesondere die Mindestdauer bei
Fortsetzung der Pacht wie auch die Dauer der behördlichen Pachterstreckung
verlängert worden. Die richterliche Pachterstreckung von drei bis sechs
Jahren kommt nunmehr praktisch einer einmaligen Kündigungsaufhebung gleich,
da sie stets anzuordnen ist, falls der Verpächter nicht nachweist, dass
die Fortsetzung der Pacht für ihn unzumutbar oder aus anderen Gründen nicht
gerechtfertigt ist (Art. 26 und 27 LPG). Was die Widmung eines verpachteten
Grundstücks für öffentliche Zwecke anbelangt, so ist grundsätzlich die
Regelung von Art. 281ter OR übernommen worden. Demnach kann der Erwerber
den Pachtvertrag unter Einhaltung einer Frist von mindestens einem Jahr
auflösen, wenn er den Pachtgegenstand zu öffentlichen Zwecken erwirbt
(Art. 15 Abs. 1 LPG). Neu gilt allerdings auch in diesem Fall, dass
der Pächter auf Erstreckung der Pacht - um mindestens sechs Monate und
höchstens zwei Jahre - klagen kann. Die Pacht ist jedoch nur zu erstrecken,
wenn die Beendigung für den Pächter oder seine Familie eine Härte zur
Folge hat, die auch unter Würdigung der Interessen des neuen Eigentümers
nicht zu rechtfertigen ist (Art. 15 Abs. 3 LPG). Der Verpächter hat dem
Pächter den Schaden zu ersetzen, der aus der vorzeitigen Beendigung der
Pacht entsteht (Art. 15 Abs. 4 LPG).

    c) Dem Pächter steht somit nicht in jedem Fall ein grundsätzlicher
Anspruch auf Erstreckung der Pacht um eine weitere ordentliche Pachtdauer
zu. Wird das Pachtgrundstück für öffentliche Zwecke erworben, so ist
der Pachtvertrag - falls nicht ausnahmsweise die "kleine" Erstreckung
gewährt wird - auflösbar und erwächst dem Pächter dem Verpächter
gegenüber lediglich ein Anspruch auf Schadenersatz. Diese Ordnung,
die vom Gesetzgeber in Abwägung der sich widerstreitenden Interessen
selbst getroffen worden ist, muss der Pächter auch im Enteignungsfall
gegen sich gelten lassen. Er kann gegenüber dem Enteigner, der stets im
öffentlichen Interesse handelt, nicht mehr Rechte geltend machen, als sie
ihm bei freihändigem Verkauf der für einen öffentlichen Zweck bestimmten
Pachtsache gegenüber dem Verpächter zustünden. Wohl ist Art. 15 LPG,
wie hier der Beschwerdeführer vorbringt, im Enteignungsverfahren nicht
direkt anwendbar. Das bedeutet indessen nur, dass sich die Wirkungen der
Enteignung nach dem Enteignungsrecht bestimmen; deshalb kann gegenüber
dem Enteigner nicht auf Erstreckung des Pachtverhältnisses geklagt
werden und entsteht der Entschädigungsanspruch nur diesem gegenüber
und nicht (auch) gegenüber dem Verpächter (vgl. STUDER/HOFER, Das
landwirtschaftliche Pachtrecht, Brugg 1987, S. 113 zu Art. 115 Abs. 2
LPG; s.a. OSER/SCHÖNENBERGER, Kommentar zu Art. 259 aOR und N. 26 zu
Art. 281 aOR). Für die Entschädigungsfolge muss dagegen, wie dargelegt,
ausschlaggebend sein, ob und inwiefern in das gesetzliche oder vertragliche
Recht des Pächters auf Weiterführung des Pachtverhältnisses eingegriffen
wird. Dies beurteilt sich, da die Verwendung der Pachtsache für einen
öffentlichen Zweck in Frage steht, gemäss der Spezialvorschrift von
Art. 15 LPG. Danach kann der Pächter vom an die Stelle des Verpächters
tretenden Enteigner nur verlangen, dass er ihm den Schaden ersetze,
der ihm aus der vorzeitigen Beendigung der Pacht - bis zum Ablauf
der ordentlichen Pachtdauer - entsteht (Art. 15 Abs. 4 LPG). Das auf
Art. 26 LPG gestützte Begehren des Beschwerdeführers um zusätzliche
Ertragsausfall-Entschädigung für eine erstreckte Pachtdauer von
weiteren sechs Jahren ist mithin von der Schätzungskommission zu Recht
abgewiesen worden. Ob der beschwerdeführende Pächter bei freihändiger
Veräusserung des Pachtgrundstücks gemäss Art. 15 Abs. 3 LPG allenfalls
eine Pachterstreckung von höchstens zwei Jahren hätte erwirken können und
inwiefern diesem Umstand im Enteignungsverfahren Rechnung zu tragen sei,
kann hier offenbleiben, da auch bei solcher Erstreckung die Pacht den
Zeitpunkt des ordentlichen Pachtablaufs, Ende 1994, nicht überdauert hätte.