Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IA 71



119 Ia 71

12. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24.
Februar 1993 i.S. Stürm gegen Instruktionsrichter I der Bezirke Ering und
Gundis und Kantonsgericht des Kantons Wallis (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Briefverkehr, Meinungsäusserungsfreiheit, Art. 8 und 10 EMRK;
Nichtweiterleitung von Briefen eines Untersuchungsgefangenen.

    Restriktive Auslegung der Regeln über die Eingriffsvoraussetzungen
bei Beschränkung des Briefverkehrs eines Untersuchungsgefangenen wegen
ungebührlicher oder beleidigender Äusserungen. Wann ein Brief deswegen
zurückbehalten werden darf, lässt sich nicht allgemein umschreiben,
sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Es ist zulässig,
einen Brief nicht weiterzuleiten, in dem der Untersuchungsgefangene den
Untersuchungsrichter als Schreibtischmörder im Stil eines Adolf Eichmann
und als Schwein bezeichnet.

Sachverhalt

    A.- Walter Stürm befindet sich im Kanton Wallis in
Untersuchungshaft. Im Juli 1992 war er aus gesundheitlichen Gründen in
die Gefängnisabteilung des Kantonsspitals Genf verlegt worden. Dort
verfasste er am 24. Juli 1992 einen Brief an Frau F., Redaktorin der
"Wochen-Zeitung" in Zürich, und am 27. Juli 1992 ein Schreiben an Frau
S., die für Amnesty International tätig ist. Der Instruktionsrichter I
der Bezirke Ering und Gundis teilte Stürm mit Verfügung vom 31. Juli 1992
mit, dass er die Schreiben wegen der darin enthaltenen unanständigen und
ehrverletzenden Äusserungen nicht an die Adressatinnen weiterleite. Stürm
legte dagegen am 6. August 1992 Beschwerde beim Kantonsgericht des
Kantons Wallis ein. Eine weitere Verfügung des Instruktionsrichters
hatte Stürm am 3. August 1992 mit einer Beschwerde beim Kantonsgericht
angefochten. Es handelte sich um die Verfügung vom 29. Juli 1992, mit
der es der Instruktionsrichter ablehnte, eine Tonbandkassette, die ein
Radioredaktor zusammen mit einem Brief und einem Fragebogen an Stürm
gesandt hatte, an diesen weiterzuleiten. Mit Urteil vom 2. Oktober 1992
wies das Kantonsgericht die Beschwerden vom 3. und 6. August 1992 ab,
büsste Stürm für die missbräuchliche Beschwerde vom 6. August 1992 mit
Fr. 80.-- und auferlegte ihm die Kosten des Beschwerdeverfahrens und
des Entscheids.

    Stürm reichte gegen das Urteil des Kantonsgerichts staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs und Verletzung
des Rechts auf freien Briefverkehr und freie Meinungsäusserung ein. Das
Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut und hebt den Entscheid
des Kantonsgerichts und die Verfügungen des Instruktionsrichters
auf, soweit sie die Nichtweiterleitung der Tonbandkassette und des
Briefes vom 24. Juli 1992, die Auferlegung einer Busse, der Kosten des
Beschwerdeverfahrens und derjenigen des kantonsgerichtlichen Entscheids
betreffen. Im übrigen weist es die Beschwerde im Sinne der Erwägungen ab,
soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die Meinungsäusserungsfreiheit ist durch das ungeschriebene
Verfassungsrecht des Bundes und durch Art. 10 Ziff. 1 EMRK
gewährleistet. Der Anspruch auf Achtung des Briefverkehrs bildet Teil
des Rechts auf freie Meinungsäusserung und gehört daher ebenfalls dem
ungeschriebenen Verfassungsrecht des Bundes an. Ausserdem ist er in
Art. 8 Ziff. 1 EMRK garantiert. Die Art. 8 und 10 EMRK räumen dem Bürger
keinen weitergehenden Schutz ein als das verfassungsmässige Recht auf
freie Meinungsäusserung (BGE 117 Ia 466, 477 E. 3b mit Hinweisen). Das
Bundesgericht berücksichtigt indessen bei der Konkretisierung dieses
Rechts die in den beiden Vorschriften der EMRK enthaltene Regelung sowie
die Rechtsprechung der Konventionsorgane (BGE 117 Ia 477/478 E. 3b mit
Hinweisen).

    Die Verfügung des Instruktionsrichters, die Briefe des
Beschwerdeführers vom 24. und 27. Juli 1992 würden nicht an
die Adressatinnen weitergeleitet, bedeutet eine Beschränkung
des Rechts auf freien Briefverkehr und einen Eingriff in die
Meinungsäusserungsfreiheit. Ob auch die Verfügung betreffend die
Nichtweiterleitung der Tonbandkassette in den Schutzbereich von Art. 8
EMRK fällt, erscheint als fraglich, geht es doch hier nicht um eine
schriftliche Form des Verkehrs, sondern um eine mündliche Kommunikation
durch das Mittel eines Tonträgers. Die Frage kann indessen dahingestellt
bleiben, da die beanstandete Massnahme jedenfalls vom Anwendungsbereich
des Art. 10 EMRK erfasst wird und die in dieser Vorschrift genannten
Eingriffsvoraussetzungen im wesentlichen mit jenen von Art. 8 EMRK
übereinstimmen.

    b) Nach Art. 8 Ziff. 2 und Art. 10 Ziff. 2 EMRK - ebenso wie aufgrund
des ungeschriebenen Verfassungsrechts des Bundes (BGE 117 Ia 479 E. 3d) -
ist ein Eingriff in den Briefverkehr und in die Meinungsäusserungsfreiheit
nur statthaft, soweit er gesetzlich vorgesehen ist. Dass es sich dabei
um ein Gesetz im formellen Sinn handelt, ist nicht nötig. Es genügt ein
Gesetz im materiellen Sinn, etwa eine Verordnung oder ein Reglement (BGE
117 Ia 469; Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom
20. Juni 1988 i.S. Schönenberger/Durmaz, Serie A, Band 137, Ziff. 24,
vom 25. März 1983 i.S. Silver u.a., Serie A, Band 61, Ziff. 86, 89 =
EuGRZ 1984, S. 150, und vom 21. Februar 1975 i.S. Golder, Serie A, Band
18, Ziff. 45 = EuGRZ 1975, S. 100). Die hier in Frage stehenden Eingriffe
ergingen in Anwendung von Art. 73 Abs. 1 des Reglements vom 13. Juli
1983 über die Strafanstalten des Kantons Wallis, welche Vorschrift jeden
Verkehr des Untersuchungsgefangenen mit der Aussenwelt der Kontrolle des
Untersuchungsrichters und der Direktion unterstellt. Diese Norm bildet
nach der erwähnten Rechtsprechung eine genügende gesetzliche Grundlage
für eine Beschränkung des Briefverkehrs und der Meinungsäusserungsfreiheit.

    c) Ausserdem ist ein Eingriff in das verfassungsmässige Recht auf
freie Meinungsäusserung nur dann zulässig, wenn er im öffentlichen
Interesse liegt und verhältnismässig ist (BGE 117 Ia 479 E. 3d mit
Hinweisen). Im gleichen Sinne, jedoch etwas detaillierter werden diese
Eingriffsvoraussetzungen in den Art. 8 Ziff. 2 und 10 Ziff. 2 EMRK
umschrieben. Danach sind Beschränkungen des Rechts auf freien Briefverkehr
und freie Meinungsäusserung statthaft, wenn sie eine Massnahme darstellen,
die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutze eines der in
Art. 8 Ziff. 2 und Art. 10 Ziff. 2 EMRK angeführten Zwecke notwendig
ist. Als Zweck eines Eingriffs werden in diesen Vorschriften u.a. die
Verteidigung bzw. Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhinderung
von strafbaren Handlungen sowie der Schutz der Rechte und Freiheiten
anderer genannt. Damit eine Massnahme "in einer demokratischen
Gesellschaft notwendig" ist, muss sie nach der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) einem "dringenden
sozialen Bedürfnis" entsprechen und in einem angemessenen Verhältnis zum
verfolgten berechtigten Zweck stehen (Urteile des EGMR vom 20. Juni 1988
i.S. Schönenberger/Durmaz, aaO, Ziff. 27, vom 24. März 1988 i.S. Olsson,
Serie A, Band 130, Ziff. 67 = EuGRZ 1988, S. 598, und vom 25. März 1983
i.S. Silver u.a., aaO, Ziff. 97c = EuGRZ 1984, S. 151/152). In der
Beschwerdesache Silver und Mitbeteiligte stellte sich die Frage, ob es
mit Art. 8 EMRK vereinbar sei, Briefe von Strafgefangenen, in denen die
Gefängnisverwaltung in einer ungehörigen und beleidigenden Ausdrucksweise
kritisiert wurde, nicht weiterzuleiten. Sie wurde verneint. Dass
in einem Brief Ausdrücke verwendet werden, die darauf abzielen, die
Behörden verächtlich zu machen oder absichtlich zu beleidigen ("visant
à attirer le mépris sur les autorités" ou usant de "termes délibérément
injurieux pour les autorités pénitentiaires"), genügt nach der Ansicht
des EGMR für sich allein nicht, um ihn zurückzubehalten. Anders ist es,
wenn der Briefschreiber mit Gewaltanwendung droht. In einem solchen
Fall erachtet der EGMR die Nichtweiterleitung des Briefes als notwendig
für die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren
Handlungen (Urteil des EGMR vom 25. März 1983 i.S. Silver u.a., aaO,
Ziff. 64, 99c und 103 = EuGRZ 1984, S. 152 f.; ARTHUR HAEFLIGER,
Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993,
S. 216). Die restriktive Auslegung von Art. 8 Ziff. 2 EMRK in bezug auf
Beschränkungen des Briefverkehrs wegen ungebührlicher oder beleidigender
Äusserungen gilt nach einem Urteil des EGMR vom 25. Februar 1992 auch für
die Korrespondenz von Untersuchungsgefangenen. In diesem Urteil hatte die
Kontrollbehörde jene Passagen des Briefes einer Untersuchungsgefangenen
unleserlich gemacht, in denen die Haftbedingungen und das Verhalten
von Wachebeamten des Gefängnisses kritisiert und dabei die Ausdrücke
"Affenpack" und "Spanner" verwendet worden waren. Der EGMR hielt die
Massnahme für unverhältnismässig und bejahte eine Verletzung von Art. 8
EMRK (Urteil vom 25. Februar 1992 i.S. Pfeifer und Plankl, Serie A,
Band 227, Ziff. 43-48 = EuGRZ 1992, S. 101). In ähnlicher Weise wie der
Strassburger Gerichtshof geht das Bundesgericht bei der Beurteilung der
Frage, wann der Brief eines Untersuchungsgefangenen wegen ungebührlichen
Inhalts zurückbehalten werden darf, von einer engen Interpretation
des Begriffs der Ungebühr aus und erachtet diese nur dann als gegeben,
wenn die schriftlichen Mitteilungen geeignet sind, den Haftzweck oder
die Gefängnisordnung zu gefährden (BGE 99 Ia 288; 101 Ia 148; Urteil
vom 3. Dezember 1975, publ. in EuGRZ 1976, S. 84). Gegen eine allzu
freizügige Praxis, nach der auch beleidigende Kritik an Behörden es
nicht rechtfertigen würde, ein Schreiben eines Untersuchungsgefangenen
zurückzubehalten, werden in der Literatur gewisse Vorbehalte angebracht
(ROBERT HAUSER, Die Untersuchungshaft im Lichte des Verfassungsrechts und
der Menschenrechtskonvention, ZStR 95/1978, S. 267; BRUN-HAGEN HENNERKES,
Die Grundrechte des Untersuchungsgefangenen, Diss. Freiburg i.Br. 1966,
S. 97/98). Nach der Auffassung HAUSERS bleibt es den Anstaltsinsassen kaum
unbekannt, wenn ehrverletzende Briefe geduldet und weitergeleitet werden,
und dadurch kann nach der Meinung dieses Autors die Ordnung verletzt oder
gefährdet werden. Das ungehinderte Durchlassen grob unkorrekter Briefe
untergrabe nämlich die Autorität der zensurierenden Behörde und stelle eine
straffe Führung der Untersuchung und der Anstalt in Frage. Ferner dürfe
auch ein Justizbeamter verlangen, dass er in seiner Menschenwürde geachtet
werde. Beleidigungen vermöchten das Minimum von gegenseitigem Einvernehmen
nicht zu gewährleisten, sondern führten zu Verstimmungen, worunter
schliesslich die Erforschung der materiellen Wahrheit zu leiden habe. In
ähnlichem Sinne argumentiert HENNERKES, der sich auf den Standpunkt stellt,
kein Grundrecht gestatte die Begehung von Straftaten (Ehrverletzungen) oder
die Verbreitung lügenhafter Aussagen, und wenn Briefe mit beleidigenden
oder offensichtlich unwahren Äusserungen zurückgehalten würden, bedeute
das keine Verletzung eines Rechts des Untersuchungsgefangenen.

    d) Es ist im Lichte dieser Erwägungen zu prüfen, ob die
Nichtweiterleitung der hier in Frage stehenden Briefe eine notwendige
Massnahme im Sinne der Art. 8 Ziff. 2 und 10 Ziff. 2 EMRK darstellt.

    aa) In seinem Brief vom 24. Juli 1992, der an Frau F., Redaktorin der
"Wochen-Zeitung", gerichtet ist, schreibt der Beschwerdeführer, dass er
am 22. Juli 1992 "durch die Bullen hierher ins Kantonsspital Genf gekarrt"
worden sei, dass die Haftbedingungen auch hier der Menschenrechtskonvention
nicht entsprächen und dass seine Familie eine Reise durch die ganze
Schweiz machen müsse, um ihn in Genf zu besuchen. Er führt in diesem
Zusammenhang aus: "Aber wenn der Nilper in Sitten denkt, er könne mich
durch derartige Schikanen klein kriegen, dann ist der falsch gewickelt,
aber das ist er ja auf jeden Fall." Im weiteren enthält das Schreiben
die folgende Passage: "Wegen der Briefbeilage, die der X. uns geklaut
hat, musste ich eine staatsrechtliche Beschwerde ans Bundesgericht
schreiben. Denn den Krähen gleich, die einander ja bekanntlich kein Auge
aushacken, hat das Kantonsgericht meine Beschwerde gegen den X. unter
abenteuerlichsten juristischen Verrenkungen abgewiesen. Die Begründung
dieser X.-Kollegen war derart, dass ich in der staatsrechtlichen Beschwerde
die Frage stellen musste, ob diese Herren nur einfach blöd seien oder ob
die mich verarschen wollten."

    Im Brief vom 27. Juli 1992, der an die für Amnesty International
tätige S. adressiert ist, kritisiert der Beschwerdeführer zunächst die
Haftbedingungen im Falle des Mitangeschuldigten R. Er führt aus, dieser
habe 75 Monate unter der Verantwortung von Untersuchungsrichter X. unter
"allerübelsten Haftbedingungen" im Kanton Wallis in Untersuchungshaft
gesessen, bis er endlich vor Gericht gestellt worden sei. Zufolge dieser
"unendlich lange andauernden Folterhaftbedingungen" sei R. im Februar
1992 nicht mehr in der Lage gewesen, allein zu duschen, und praktisch
unfähig gewesen, sich zu artikulieren. Im Anschluss daran schreibt der
Beschwerdeführer: "Für mich sind deshalb Leute wie der UR X. nichts
anderes als Schreibtischmörder, die sich von einem Adolf Eichmann nur
durch die Anzahl der Opfer unterscheiden." Hernach kritisiert er die
Haftbedingungen in seinem Fall und hält dabei fest: "So dauerte mein
Aufenthalt in diesem Folterloch nur einige Wochen, die aber genügten,
um zu begreifen, dass das Schwein nicht der mich fälschlicherweise
belastende R. war." Im weiteren erwähnt er, dass er beim Kantonsgericht
Beschwerde gegen einen Entscheid des Instruktionsrichters vom 16. Juni
1992 eingereicht habe, mit dem dieser einen von ihm aufgegebenen Brief
nicht weitergeleitet, sondern in den Papierkorb geworfen habe. Er schreibt
in diesem Zusammenhang: "Da aber im Wallis die Polizei und die Justiz
eine grosse Familie ist, wo, den Krähen gleich, keiner dem andern ein
Auge aushackt, hat das Kantonsgericht meine Beschwerde abgewiesen. Die
Begründung dieser Abweisung war derart haarsträubend, dass ich in der dann
gemachten Beschwerde an das Bundesgericht schreiben musste, ich müsse mich
nach dem Lesen dieser Begründung fragen, ob man beim Kantonsgericht nur
einfach blöd sei oder ob man mich verarschen wolle, eine andere Deutung
dieses kantonsrichterlichen Geschreibes sei nicht möglich."

    bb) Das Kantonsgericht hielt im angefochtenen Entscheid fest, der
Beschwerdeführer äussere sich in diesen Schreiben unnötig und ungebührlich
über die Walliser Justizbehörden, werfe ihnen Vetternwirtschaft vor
und bezeichne sie als blöd. Den Untersuchungsrichter bezeichne er als
"Nilper", "Schwein" und "Schreibtischmörder", der sich "von einem Adolf
Eichmann nur durch die Anzahl der Opfer" unterscheide. Das Kontrollrecht
des Instruktionsrichters gemäss Art. 73 Abs. 1 des Reglements über die
Strafanstalten des Kantons Wallis umfasse auch das Recht, Briefe eines
Untersuchungsgefangenen mit ausschliesslich oder vorwiegend ehrenrührigem
oder drohendem Inhalt nicht weiterzuleiten. Wer sich auf den freien
konventionskonformen Briefverkehr als Grundrecht berufe, dürfe nicht
gleichzeitig die Grundrechte Dritter verletzen. Der Vorwurf an einen
Richter, ein Schreibmörder im Stil eines Adolf Eichmann zu sein, sei
offensichtlich ehrverletzend. Der Instruktionsrichter habe sich daher
mit guten Gründen geweigert, den Brief weiterzuleiten.

    cc) Was den Brief vom 27. Juli 1992 anbelangt, so behauptet
der Beschwerdeführer, er habe die Formulierung betreffend den
Schreibtischmörder "in mindestens 10 andern Briefen an Medienschaffende
benutzt", ohne dass die Kontrollbehörde das beanstandet hätte. Diese
Behauptung wird in keiner Weise belegt, weshalb darauf nicht näher
einzugehen ist. Unbehelflich sind ferner die Ausführungen, mit
denen der Beschwerdeführer darzutun versucht, dass die Behauptung des
Kantonsgerichts, er habe den Instruktionsrichter als "Schreibtischmörder"
und als "Schwein" bezeichnet, unzutreffend sei. Es kommt nicht darauf an,
wie er selber die in seinem Brief vom 27. Juli 1992 gemachten Äusserungen
interpretieren will. Massgebend ist einzig, wie sie von einem unbefangenen
Leser nach den Umständen verstanden werden mussten. Geht man hievon aus,
so ist dem Text des Briefes klar zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer
darin den Instruktionsrichter als "Schreibtischmörder", der sich "von
einem Adolf Eichmann nur durch die Anzahl der Opfer" unterscheide, und
ausserdem als "Schwein" bezeichnete. Der gegenüber einem Richter erhobene
Vorwurf, ein Schreibtischmörder im Stil eines Adolf Eichmann zu sein,
stellt eine massiv ehrverletzende Äusserung dar. Auch die Behauptung,
der Instruktionsrichter sei ein Schwein, muss als krass ehrverletzend
eingestuft werden, geht es doch hier um eine grobe Beschimpfung. Das
Bundesgericht warf im Urteil BGE 101 Ia 148 die Frage auf, ob nicht auch
Briefe eines Untersuchungsgefangenen als "ungebührlich" zurückbehalten
werden dürften, die "krass unanständige Bemerkungen" oder "unflätige
Beleidigungen" enthielten. Es liess die Frage damals offen, weil sich
in jenem Fall in den beanstandeten Briefen keine derartigen Äusserungen
fanden. Im hier zu beurteilenden Fall betrifft nun der gerügte Eingriff
einen Brief, der solche "unflätigen Beleidigungen" oder anders ausgedrückt
krass ehrverletzenden Äusserungen enthält. Wird ein Schreiben, das
einen krass ehrverletzenden Inhalt aufweist, von der Kontrollbehörde
nicht angehalten, so wird sich das unter den Anstaltsinsassen rasch
herumsprechen, und es könnte andere dazu animieren, in gleicher Art zu
korrespondieren. Das könnte zu einer Spannung zwischen den Gefangenen
und dem Anstaltspersonal führen und damit die Ordnung im Gefängnis
gefährden. In diesem Sinne erachtete es das Bundesgericht im Hinblick
auf die Aufrechterhaltung der Ordnung als zulässig, dass der Brief eines
Strafgefangenen nicht weitergeleitet wurde, dem ein von Anstaltsinsassen
unterzeichnetes Rundschreiben mit ehrverletzendem Inhalt beigefügt war
(Urteil vom 24. Januar 1992 i.S. B., E. 3b/bb, publ. in Rivista di diritto
amministrativo e tributario ticinese II-1992, Nr. 23, S. 51 f.). Sodann
findet das Grundrecht des Untersuchungsgefangenen, sich in Briefen frei
zu äussern, seine Schranken in dem Recht der persönlichen Ehre der mit
der Strafsache befassten Beamten. Wohl mag der Untersuchungsgefangene
ein besonderes Bedürfnis haben, dem aufgestauten Unmut über seine
Situation in der Weise Luft zu machen, dass er in seinen Briefen zu
wenig schmeichelhaften Ausdrücken greift, mit denen er seiner Kritik
an den Gefängnisbehörden, dem Haftrichter oder andern Beamten Ausdruck
verleiht. Dem ist Rechnung zu tragen, und der Brief eines Häftlings
darf deshalb nicht schon dann zurückbehalten werden, wenn er eine
unsachliche, unanständige, ungehörige oder ungebührliche Kritik an einem
Justizbeamten enthält (vgl. den Bericht der Europäischen Kommission für
Menschenrechte vom 11. Oktober 1980 i.S. Silver u.a., Serie B, Band 51,
S. 87 u. 96, N. 356 u. 406). Wann die zulässige Grenze überschritten
ist, kann nicht allgemein umschrieben werden, sondern hängt von den
Umständen des Einzelfalls ab. Im hier zu beurteilenden Fall wurde die
zulässige Grenze überschritten, denn die vom Beschwerdeführer gegenüber
dem Instruktionsrichter erhobenen Vorwürfe, ein "Schreibtischmörder"
im Stil eines "Adolf Eichmann" und ein "Schwein" zu sein, stellen einen
schwerwiegenden Angriff auf die Ehre dieses Beamten dar. Was das Vorgehen
der Kontrollbehörde anbelangt, so wäre es wohl vorzuziehen gewesen,
wenn sie entweder die beanstandeten Ausdrücke unkenntlich gemacht und
den Brief hernach in dieser korrigierten Form weitergeleitet hätte, oder
aber den Brief unter genauem Hinweis auf die unzulässigen Passagen an
den Beschwerdeführer zurückgesandt hätte, um diesem Gelegenheit zu geben,
eine verbesserte Fassung des Briefes an die Adressatin abzusenden. Es steht
indes der Behörde in diesem Bereich ein gewisser Spielraum des Ermessens
offen, weshalb nicht gesagt werden kann, es sei eine unverhältnismässige
Massnahme, dass der Instruktionsrichter keine dieser Möglichkeiten gewählt,
sondern sich zur Nichtweiterleitung des Briefes entschlossen hat. Die
Beschwerde ist in diesem Punkt im Sinne der Erwägungen abzuweisen.

    dd) Anders verhält es sich hinsichtlich der Nichtweiterleitung
des Schreibens vom 24. Juli 1992, in welchem keine Ausdrücke wie
"Schreibtischmörder" oder "Schwein" verwendet werden. Der Beschwerdeführer
bezeichnet in diesem Brief den Instruktionsrichter als "Nilper". Was mit
diesem Wort gemeint ist, weiss man nicht und kann auch dahingestellt
bleiben, da es jedenfalls nicht zulässig wäre, das Schreiben deswegen
zurückzubehalten. Im weiteren wird die Formulierung verwendet,
der Instruktionsrichter habe die Briefbeilage (die er damals nicht
weitergeleitet, sondern in den Papierkorb geworfen hatte) "geklaut". In
Anbetracht des Umstandes, dass es hier nicht um das Briefpapier als Sache,
sondern um die Weiterleitung einer brieflichen Mitteilung ging (vgl.
das Urteil des Bundesgerichts vom 23. Oktober 1992 i.S. Stürm, S. 10), kann
angenommen werden, der Beschwerdeführer wolle mit dem genannten Ausdruck
nicht die Anschuldigung eines Diebstahls erheben, sondern bloss behaupten,
der Instruktionsrichter habe das Schriftstück verschwinden lassen. Es
kann in diesem Punkt nicht von einer ehrverletzenden und schon gar nicht
von einer krass ehrverletzenden Äusserung gesprochen werden. Das gleiche
gilt für die Kritik, die der Beschwerdeführer gegenüber dem Walliser
Kantonsgericht im Zusammenhang mit einem abweisenden Beschwerdeentscheid
vorbringt. Die Nichtweiterleitung des Briefes vom 24. Juli 1992 stellte
daher keine notwendige Massnahme im Sinne der Art. 8 und 10 EMRK dar. In
diesem Punkt ist die Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf freien
Briefverkehr und freie Meinungsäusserung gutzuheissen.