Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 119 IA 300



119 Ia 300

35. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
23. Juni 1993 i.S. Einwohnergemeinde Zauggenried gegen Regierungsrat des
Kantons Bern (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 15 und 18 RPG; Art. 23 RPV. Zulässigkeit einer Bestandeszone
für einzelne verstreute Bauten?

    Erforderlichkeit eines Siedlungszusammenhangs für die Festsetzung von
Weiler- oder Erhaltungszonen. Keine willkürliche Verneinung desselben im
vorliegenden Fall (E. 3a und b).

    Art. 24 Abs. 2 RPG; Nutzung leerstehenden Bauvolumens.

    Es entspricht den Zielsetzungen des Raumplanungsgesetzes, das
bestehende Bauvolumen besser auszunützen, anstatt wertvolles Kulturland
einzuzonen. Mitberücksichtigung dieser Tatsache bei der Erteilung
von Ausnahmebewilligungen nach Art. 24 Abs. 2 RPG, namentlich wenn die
Festsetzung einer Zone mangels eines Siedlungszusammenhangs nicht in
Betracht kommt (E. 3c).

Sachverhalt

    A.- Die Einwohnergemeinde Zauggenried hat am 15. Juni 1990 eine neue
Ortsplanung erlassen. Diese setzt in dem etwas ausserhalb des Dorfkerns
gelegenen Gebiet Moos drei sogenannte Bestandeszonen B fest. Art. 30
des Baureglements umschreibt die Funktion dieser Zone sowie die darin
zulässigen Nutzungen wie folgt:

    "Die Bestandeszone dient der Erhaltung der bestehenden Bauten. Sie
können
   im Rahmen der bestehenden Grundrisse und Volumen umgebaut, umgenutzt
   oder wieder aufgebaut werden. Dabei sind der Charakter des Gebäudes,
   seine

    Gestaltungselemente und der Aussenraum zu wahren. Zugelassen sind
   landwirtschaftliche, gewerbliche und Wohnnutzungen.

    Es gelten die Bestimmungen über die Empfindlichkeitsstufe III (Art. 43

    LSV). Kleine gewerbliche und landwirtschaftliche Nutzungen im Sinne von

    Art. 90 BauV sind zugelassen, wenn sie den Charakter der Bauten
und deren

    Umgebung nicht stören."

    Die Baudirektion des Kantons Bern verweigerte am 20. Dezember 1990
der Festsetzung der Bestandeszone B im Zonenplan und dem entsprechenden
Art. 30 des Baureglements die Genehmigung. Sie teilte das betreffende
Land der Landwirtschaftszone zu. Der Regierungsrat des Kantons Bern wies
am 22. Januar 1992 eine von der Einwohnergemeinde Zauggenried gegen den
Nichtgenehmigungsentscheid erhobene Verwaltungsbeschwerde ab.

    Die Einwohnergemeinde Zauggenried hat gegen den Entscheid des
Regierungsrats vom 22. Januar 1992 beim Bundesgericht eine staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung der Gemeindeautonomie eingereicht.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Der Regierungsrat hat die in der Ortsplanung der Gemeinde
Zauggenried vorgesehene Bestandeszone B nicht genehmigt, weil sie die
massgebenden gesetzlichen Anforderungen nicht erfülle. Es fehle an einem
ausreichenden Siedlungsansatz, um von einer Kleinsiedlung gemäss Art. 23
der Verordnung über die Raumplanung vom 2. Oktober 1989 (RPV; SR 700.1)
zu sprechen bzw. um die fraglichen Parzellen einer ordentlichen Bauzone
nach Art. 72 Abs. 5 des Baugesetzes vom 9. Juni 1985 (BauG) und Art. 15
des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG; SR 700)
zuzuweisen. In formeller Hinsicht sei die von Art. 23 RPV für eine solche
Zone verlangte Festsetzung im Richtplan nicht vorhanden.

    Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber geltend, die der
Bestandeszone B zugewiesenen Häuser bildeten eine zusammengehörige
Baugruppe, weshalb ein Siedlungsansatz nicht ohne Willkür verneint werden
könne. Die Festsetzung der nichtgenehmigten Bestandeszone B entspreche
im übrigen den Zielsetzungen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes,
weil sie es ermögliche, die vorhandene Bausubstanz optimal zu nutzen und
auf eine Einzonung von zusätzlichem wertvollem Kulturland zu verzichten.

    a) Art. 23 RPV sieht vor, dass zur Erhaltung bestehender
Kleinsiedlungen besondere Zonen nach Art. 18 RPG, insbesondere sogenannte
Weiler- oder Erhaltungszonen, festgesetzt werden können, wenn der kantonale
Richtplan dies vorsieht. Als Kleinsiedlung gilt eine als geschlossene
Einheit in Erscheinung tretende Baugruppe von mindestens fünf bis zehn
bewohnten Gebäuden in offener oder geschlossener Bauweise. Weiter wird
vorausgesetzt, dass die Kleinsiedlung eine gewisse Stützpunktfunktion
erfüllt und von der Hauptsiedlung räumlich klar getrennt ist (CHRISTOPH
BANDLI/LUKAS BÜHLMANN/FRANÇOISE NICATI/PIERRE TSCHANNEN, Zur neuen
Raumplanungsverordnung des Bundes, BR/DC 1990 24; ROBERT WOLF, Die neue
Raumplanungsverordnung vom 2. Oktober 1989, VLP-Schriftenfolge Nr. 53b,
1991, S. 10 f., 13 f.).

    Die nichtgenehmigte Bestandeszone B der Einwohnergemeinde Zauggenried
umfasst insgesamt acht bebaute Parzellen. Sie liegen alle im Moos
nordöstlich vom Dorfkern. Die vorhandenen Häuser entstanden für die
ärmere Bevölkerung nach der Melioration dieses Gebiets in der zweiten
Hälfte des letzten und in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts. Es
handelt sich grösstenteils um sogenannte Taunerhäuser mit einem Wohn-
und einem Ökonomieteil sowie mit einem gewissen Umschwung, der den
Bewohnern seinerzeit die Führung von Kleinbauernbetrieben im Nebenerwerb
erlaubte. Heute werden die Häuser praktisch ausschliesslich zu Wohnzwecken
benutzt.

    Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, die ehemaligen
Kleinbauernbetriebe im Moos stellten eine für Mittellandgemeinden
typische Siedlungsform ausserhalb des Dorfkerns dar. Im vorliegenden
Fall folge die Bebauung in lockerer Form entlang dem Bach Urtenen und
der Gemeindestrasse in Richtung Fraubrunnen. Alle der Bestandeszone
B zugewiesenen Parzellen seien bereits erschlossen. Insgesamt könne
durchaus von einer Weilerstruktur und damit von einem Siedlungsansatz
gemäss Art. 23 RPV gesprochen werden.

    Wenn die Bebauung im Gebiet Moos auch in einem gewissen historischen
und wirtschaftlichen Zusammenhang erfolgte, so ist sie nicht Ausdruck
einer geordneten Besiedlungsform, sondern viel eher einer ungeordneten
Zersiedelung. Ein Siedlungskern ist nicht erkennbar, und die Abstände
zwischen den einzelnen Häusern sind - wie es für Taunerhäuser typisch ist -
zu gross, um einen Siedlungszusammenhang herzustellen. Wie der von einer
Delegation des Bundesgerichts durchgeführte Augenschein gezeigt hat,
wird dieser Eindruck noch verstärkt durch das die fraglichen Parzellen
umgebende grossflächige Landwirtschaftsgebiet und den recht geschlossenen
Dorfkern von Zauggenried. Schliesslich zeigt auch die Tatsache, dass für
das ganze Gebiet drei verschiedene, voneinander getrennte Bestandeszonen
ausgeschieden werden mussten, dass die eingezonten Häuser nicht als Weiler
oder Kleinsiedlung im Sinne von Art. 23 RPV angesehen werden können.

    Der Regierungsrat konnte deshalb ohne Willkür das Vorliegen des für
eine Kleinsiedlung gemäss Art. 23 RPV erforderlichen Siedlungszusammenhangs
verneinen.

    b) Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, die Bestandeszone B könne
anstatt gestützt auf Art. 23 RPV auch gestützt auf Art. 15 RPG und Art. 72
Abs. 5 BauG genehmigt werden, da der mit ihrer Festsetzung verfolgte Zweck
- die Vermeidung einer zusätzlichen Einzonung von wertvollem Kulturland -
ganz im Sinne der Zielsetzungen des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes
liege.

    Die Rechtsprechung des Bundesgerichts betrachtet es als
zentrales Anliegen der eidgenössischen Raumplanungsgesetzgebung, die
Siedlungstätigkeit in Bauzonen zusammenzufassen und die Streubauweise für
nicht freilandgebundene Bauten zu verhindern. Kleinbauzonen erscheinen
im Blick auf diese Zielsetzung nicht nur als unzweckmässig, sondern
grundsätzlich als gesetzeswidrig. Eine einzelfallweise Einzonung
widerspricht überdies dem Prinzip der gesamthaften Betrachtung der
Ortsplanung (BGE 116 Ia 342 und 343 E. 4; 107 Ia 242 E. 3a; vgl. auch
KARL SPÜHLER, Die Nutzung leeren Gebäudevolumens ausserhalb der Bauzonen,
ZBJV 125/1989 339).

    Die umstrittenen drei Bestandeszonen B der Einwohnergemeinde
Zauggenried umfassen lediglich fünf (Kat.Nrn. 72, 92, 122, 159 und 173)
bzw. zwei Parzellen (Kat.Nrn. 58 und 157); eine Bestandeszone weist sogar
nur ein Grundstück (Kat.Nr. 146) auf. Es handelt sich somit um Klein- und
Kleinstbauzonen, welche nach der angeführten Rechtsprechung grundsätzlich
unzulässig sind.

    In einem neueren Entscheid hat das Bundesgericht freilich präzisiert,
dass sich bei sogenannten Erhaltungszonen, in denen keine Neubauten
zugelassen sind und welche der Erhaltung wertvoller Bausubstanz dienen,
unter Umständen eine weniger strenge Betrachtungsweise aufdrängen könne
(BGE 118 Ia 451 E. 2c). Allerdings wurde auch in diesem eine Bündner
Maiensässe betreffenden Fall zumindest das Bestehen einer Kleinsiedlung
und damit eines Siedlungszusammenhangs vorausgesetzt. Wie gezeigt liegt
ein solcher für das den Bestandeszonen B zugewiesene Gebiet in der Gemeinde
Zauggenried nicht vor. Überdies dient hier die Bestandeszone nur am Rande
der Erhaltung bestehender wertvoller Bausubstanz, in erster Linie dagegen
der Schaffung zusätzlichen Wohnraums.

    Die Feststellung des Regierungsrats, die Bestandeszonen B widersprächen
planerischen Grundsätzen, ist demzufolge nicht willkürlich und verletzt
die Gemeindeautonomie der Beschwerdeführerin nicht.

    c) Trotz dieses Ergebnisses erscheint das Anliegen der Gemeinde
Zauggenried, das bestehende Bauvolumen besser auszunutzen anstatt
wertvolles Kulturland neu einzuzonen, raumplanerisch sinnvoll. Es steht
insbesondere im Einklang mit Art. 3 Abs. 2 lit. a RPG, wonach die
Ortsplanung der Landwirtschaft genügende Flächen geeigneten Kulturlandes
erhalten soll. Der von der Gemeinde gewählte Weg zur Verwirklichung ihres
Anliegens erscheint jedoch nicht sachgerecht, da eine planerische Lösung -
wie gezeigt - stets einen gewissen Siedlungszusammenhang voraussetzt,
der hier fehlt. Für den von der Gemeinde und den Eigentümern der
betreffenden Grundstücke geäusserten Wunsch, das bestehende Bauvolumen
besser auszunutzen, steht indessen die erleichterte Ausnahmebewilligung
nach Art. 24 Abs. 2 RPG und Art. 83 BauG zur Verfügung. Der Umwandlung der
ehemaligen Ökonomieteile in Wohntrakte sind zwar auf diesem Wege gewisse
Grenzen gesetzt, da die Baute nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts
ihre Identität in den wesentlichen Zügen bewahren muss (vgl. BGE 115
Ib 482 E. 2c; 113 Ib 317 E. 3; 112 Ib 97 E. 3). Von der Festlegung
einer quantitativen Grenze hat die Rechtsprechung jedoch abgesehen
und statt dessen auf eine alle massgeblichen Faktoren einbeziehende
Gesamtbetrachtung abgestellt. Dabei darf auch berücksichtigt werden,
dass die Nutzung bestehenden Bauvolumens in Fällen wie dem vorliegenden
den Zielsetzungen des Raumplanungsgesetzes entspricht (SPÜHLER, aaO,
S. 344 f.). Vorliegend fällt zudem in Betracht, dass die sogenannten
Taunerhäuser nie allein landwirtschaftlichen Zwecken dienten, sondern auch
Wohn- und kleingewerbliche Funktionen übernahmen, so dass eine Erweiterung
dieser letzteren die Wesenszüge der bestehenden Bauten nicht grundlegend
ändert. Die Pflicht zur Wahrung des Charakters der Gebäude und ihrer
Gestaltungselemente entspricht im übrigen auch den Vorstellungen der
Gemeinde Zauggenried, wie aus der für die umstrittenen Bestandeszonen
festgesetzten Vorschrift des Baureglements (Art. 30) hervorgeht.

    Es ergibt sich somit, dass die von der Beschwerdeführerin verfolgten
Zielsetzungen zum grossen Teil über die Erteilung von Ausnahmebewilligungen
nach Art. 24 Abs. 2 RPG und Art. 83 BauG verwirklicht werden können.