Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 V 56



118 V 56

7. Auszug aus dem Urteil vom 30. Januar 1992 i.S. J. AG gegen Bundesamt
für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des Innern Regeste

    Art. 35 Abs. 1 VwVG, Art. 13 und 16 Vo VIII: Verfügung des Bundesamtes
für Sozialversicherung betreffend Aufnahme eines Arzneimittels in die
Spezialitätenliste.

    - Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) ist in der Begründung
seiner Verfügungen frei und nicht an die Stellungnahmen der Eidg.
Arzneimittelkommission (EAK) gebunden (Erw. 5a).

    - Eine Verfügung des BSV, welche sich auf gutachtliche Stellungnahmen
der Experten der EAK stützt, enthält eine ausreichende Begründung, wenn
sie auch für Nichtfachleute nachvollziehbar ist (Erw. 5a).

    - Das summarische Protokoll über die Sitzungen der EAK und
ihrer Ausschüsse hat die wesentlichen Gründe der Experten für ihre
Schlussfolgerungen aufzuzeigen. Liegen reine Beschlussesprotokolle vor, so
sind die wesentlichen Entscheidungsgrundlagen in einem Beschwerdeverfahren
nachzuliefern (Erw. 5b).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- a) Das BSV, welches auch im Bereich der Spezialitätenliste
die Verantwortung für seine Verfügungen selber trägt, ist nicht an die
Stellungnahmen der EAK gebunden. Insoweit es sich an deren Empfehlungen
hält, ist es gleichwohl in der Art der Begründung seiner Verfügungen
frei; es kann sich an die Begründung der EAK halten bzw. diese im
Wortlaut übernehmen oder sie abändern und ergänzen. In jedem Fall aber
muss der in die Form einer beschwerdefähigen Verfügung zu kleidende
Entscheid des Bundesamtes eine ausreichende, d.h. auch für Nichtfachleute
nachvollziehbare Begründung enthalten (Art. 35 Abs. 1 VwVG; Art. 16 Vo
VIII). Der blosse Hinweis auf die von der EAK vertretene Auffassung kann
genügen, wenn diese ihrerseits hinreichend begründet ist und der von
der Verfügung betroffenen Firma bekanntgemacht wird (vgl. BGE 108 V 139
Erw. 4c/cc).

    b) Die Streitpunkte im vorliegenden Fall betreffen vor allem
medizinische und pharmazeutische Fragen, deren Beantwortung besondere
Fachkenntnis und Erfahrung voraussetzt. Bei der richterlichen
Überprüfung von Entscheiden, welche auf solchen Fachkenntnissen
beruhen, ist praxisgemäss eine gewisse Zurückhaltung am Platze,
dies jedenfalls so lange, als nicht ernsthafte Gründe allenfalls
ein Abweichen von der Expertenmeinung rechtfertigen (vgl. BGE 108 V
140 Erw. 4c/dd). Ob begründeter Anlass besteht, an der Richtigkeit
eines Entscheides zu zweifeln, kann aber nur beurteilt werden, wenn
die Experten ihre fachtechnischen Überlegungen und Schlussfolgerungen
auch für Nichtfachleute nachvollziehbar darlegen. Aus rechtsstaatlichen
Gründen sind die summarischen Protokolle über die Sitzungen der EAK
und ihrer wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Experten (Art. 13 Vo
VIII) so abzufassen, dass sie die massgeblichen Entscheidungsgrundlagen
aufzeigen. Liegen reine Beschlussesprotokolle vor, so sind die wesentlichen
Argumente in einem Beschwerdeverfahren nachzuliefern.

    Diese Pflicht zur nachträglichen Offenlegung leitet sich aus den
Mindestanforderungen ab, welche an die Begründung von Verfügungen zu
stellen sind: Die betroffene Firma soll wissen, weshalb die Behörde ihr
Gesuch abgelehnt hat. Sie muss sich über die Tragweite des Entscheides
Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache weiterziehen
können. Die sachgerechte Überprüfung eines Entscheides setzt voraus,
dass sich auch die Rechtsmittelinstanz über die Begründetheit des
Entscheides ein Bild machen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz
die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Verwaltung leiten liess
und auf welche sich ihr Entscheid stützt. Dabei kann sich die Begründung
einer Verfügung auf die wesentlichen Gesichtspunkte beschränken. Zudem
kann durch die Verpflichtung zur Offenlegung der Entscheidgründe verhindert
werden, dass sich die Verwaltung von unsachlichen Motiven leiten lässt. Die
Begründungspflicht erscheint in diesem Lichte nicht nur als bedeutsames
Element transparenter Entscheidfindung, sondern dient zugleich auch der
wirksamen Selbstkontrolle der verfügenden Behörde (BGE 112 Ia 109 Erw. 2b
mit Hinweisen, 114 Ia 242 Erw. 2d; vgl. auch BGE 113 II 205 Erw. 2,
110 V 114 Erw. 4b).

    Aus dem Gesagten folgt, dass sich das Eidg. Departement des Innern
in seiner Vernehmlassung zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einfach
darauf beschränken kann, die Beschlussesprotokolle der EAK und ihrer
Ausschüsse wiederzugeben und sich auf deren Fachkompetenz zu berufen,
ansonst die im letztinstanzlichen Verfahren erhobenen Rügen gar nicht
auf ihre Stichhaltigkeit überprüfbar sind.