Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 V 200



118 V 200

26. Urteil vom 27. Oktober 1992 in Sachen X gegen Ausgleichskasse des
Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 21 Abs. 1 und 21bis Abs. 2 IVG; Art. 14 lit. a IVV, Art.  2 Abs. 2
und Art. 9 Abs. 1 lit. a sowie Abs. 2 HVI, Ziff. 10 Ingress und Ziff.
10.04* HVI-Anhang. Soziallohnkomponenten schliessen die Annahme einer
existenzsichernden Erwerbstätigkeit im Sinne von Ziffer 10 Ingress
HVI-Anhang in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 lit. a HVI nicht aus.

Sachverhalt

    A.- X (geboren 1966), wohnhaft in Opfikon, welcher in der Firma
S. die kaufmännische Lehre absolviert und sich am 11. Oktober 1986
eine Tetraplegie zugezogen hatte, kam auf Anmeldung vom 21./31. Oktober
1986 bei der Invalidenversicherung u.a. in den Genuss von beruflichen
Massnahmen in Form einer betriebsinternen Aufbau- und Einarbeitungszeit
im Bereich Finanzwesen/Anlageberatung bei der Niederlassung Glattbrugg
der Firma S. in der Zeit vom 1. Juli 1988 bis 31. Juli 1990. Diese
Massnahme war u.a. mit der Übernahme der Fahrstuhltaxi-Kosten für die
täglichen Hin- und Rückfahrten vom Wohnort in Opfikon verbunden. Obwohl
die Eingliederungsbemühungen gemäss dem Bericht der Regionalstelle
in Zürich vom 15. Dezember 1989 nicht vollumfänglich zum angestrebten
Erfolg führten, fand sich die Arbeitgeberin bereit, X weiterhin auf einer
Salärbasis bis Ende 1990 von Fr. 45'000.-- zu beschäftigen (Schreiben vom
5. Oktober 1989), was sich bei dem vom Versicherten geleisteten zeitlichen
Einsatz in einem Lohn von zunächst Fr. 883.-- monatlich niederschlug
(Regionalstellenbericht vom 15. Dezember 1989). Durch Verfügung vom
22. Juni 1990 sprach die zuständige Ausgleichskasse X auf der Grundlage
eines Invaliditätsgrades von 75% eine ganze einfache Invalidenrente ab
1. Juli 1990 zu.

    Am 9. Juni 1990 ersuchte X die Verwaltung um weitere Vergütung
der Taxikosten (wie bisher im Rahmen der Eingliederung), obwohl sein
monatliches Einkommen ab Juli 1990 voraussichtlich nur etwa Fr. 800.--
bis Fr. 1'000.-- betragen werde. Am 28. Juni 1990 teilte die Verwaltung
ihm mit, solange er kein Erwerbseinkommen von mindestens Fr. 1'200.--
monatlich erziele, seien ab 1. Juli 1990 keine Leistungen seitens der
Invalidenversicherung im Zusammenhang mit dem Arbeitsweg mehr möglich,
weshalb die Ausgleichskasse des Kantons Zürich, nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens, die Übernahme der Reisekosten zur Überwindung des
Arbeitsweges mit Verfügung vom 3. Januar 1991 ablehnte.

    B.- Hiegegen legte X Beschwerde an die AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich ein. Er machte unter Einreichung des Lohnausweises für 1989/90
geltend, im zweiten Halbjahr 1990 Fr. 7'300.-- bei der Niederlassung
Glattbrugg verdient zu haben, was einem monatlichen Einkommen von
Fr. 1'216.65 entspreche; zufolge Übernahme zusätzlicher Aufgaben im Betrieb
(Ausbildung von Lehrlingen) werde sein monatliches Einkommen 1991 auf
Fr. 1'373.40 ansteigen, wodurch er die anspruchserhebliche Limite erfülle.

    In der Vernehmlassung bezog sich die Verwaltung zur Begründung
ihres Antrages, die Beschwerde sei abzuweisen, u.a. auf einen im
Rentenrevisionsverfahren (welches keine anspruchsbeeinflussende Änderung
ergab) eingeholten Bericht der Niederlassung Glattbrugg vom 11. Februar
1991, worin die Arbeitgeberin "ca. 50% von Fr. 21.80 per Stunde" als
der Arbeitsleistung entsprechend bezeichnete und zur Begründung angab:
"Aus Solidarität, da Herr X ein langjähriger Mitarbeiter ist." Da von dem
seit August 1990 bis Februar 1991 monatlich bezogenen Durchschnitt von
Fr. 1'270.-- nur rund 50% Leistungslohn seien, erziele der Versicherte,
so die Verwaltung, kein existenzsicherndes Erwerbseinkommen, weshalb er
nach wie vor keinen Anspruch auf Übernahme von Transportkosten habe.

    In einer zusätzlichen Eingabe vom 25. Mai 1991 versuchte X, unter
Berufung auf den Direktor der Niederlassung, darzutun, dass "die 50%
Leistung meinerseits der Vergangenheit angehören (1988 bis Mitte 1990)",
wogegen er nunmehr seit einigen Monaten qualifizierte Arbeiten mit
Hilfe des PC zur vollsten Zufriedenheit seines Arbeitgebers erledige,
so dass er ein "Leistungssalär" und "keine soziale Leistung" beziehe. Im
entsprechenden Schreiben vom 26. Mai 1991 bezeichnete die Firma die von ihr
im Arbeitgeberbericht angegebenen 50% als "Durchschnittswert bis heute";
hinsichtlich des Einsatzes direkt am PC attestierte die Arbeitgeberin
X ein Leistungsvermögen von bis zu 90%, wobei er immer noch für die
Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten auf die Hilfe Dritter angewiesen sei.

    Die Rekurskommission nahm an, dass, selbst wenn auf die letzten
Darlegungen der Arbeitgeberin abgestellt werde, für die Zeit ab Juli 1990
bis Ende 1990 kein monatlicher Leistungslohn von mindestens Fr. 1'200.--
aus der Tätigkeit in der Firma S., Niederlassung Glattbrugg, nachgewiesen
sei; ob nach den Ausführungen der Firma über die in den letzten Monaten
eingetretene Leistungssteigerung die Verhältnisse seither geändert
hätten, könne dahingestellt bleiben, da dies nicht den massgeblichen
Prüfungszeitraum beschlage. Aus diesen Erwägungen heraus wies die
Rekurskommission die Beschwerde bezüglich des Anspruchs auf Vergütung der
Taxikosten für die Zeit von Juli bis Dezember 1990 ab, und sie überwies
die Akten an die Verwaltung zur Prüfung der Frage, ob 1991 ein Anspruch
auf Beiträge an die Überwindung des Arbeitsweges entstanden sei (Entscheid
vom 4. Juni 1992).

    C.- X lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheides und der angefochtenen
Ablehnungsverfügung; sinngemäss beantragt er die Vergütung der Taxifahrten
zur Überwindung des Arbeitsweges.

    Während die Ausgleichskasse auf eine ablehnende Stellungnahme der
Invalidenversicherungs-Kommission verweist, beantragt das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Auf die Rechtsschriften der Parteien und des BSV wird, soweit
erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Kognition)

Erwägung 2

    2.- a) Gestützt auf Art. 21 Abs. 1 IVG und Art. 14 lit. a IVV besteht
nach Ziffer 10 HVI-Anhang Anspruch auf Abgabe von Motorfahrzeugen und
Invalidenfahrzeugen für Versicherte, die voraussichtlich dauernd eine
existenzsichernde Erwerbstätigkeit ausüben und die zur Überwindung des
Arbeitsweges auf ein persönliches Motorfahrzeug angewiesen sind und dieses
gefahrlos bedienen können. Dazu zählen namentlich Automobile (Rz. 10.04*
HVI-Anhang). Für die Abgabeform massgeblich ist Art. 3 HVI (leihweise
oder zu Eigentum) und gegebenenfalls - gestützt auf Art. 21bis Abs. 1
IVG - Art. 8 HVI, welcher eine Kostenvergütung vorsieht, falls sich der
Versicherte das Hilfsmittel selber anschafft.

    b) Gemäss Art. 21bis Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 14 lit. c
IVV hat der Versicherte nach Art. 9 Abs. 1 HVI anderseits Anspruch auf
Vergütung der ausgewiesenen invaliditätsbedingten Kosten für besondere
Dienstleistungen, die von Dritten erbracht werden und anstelle eines
Hilfsmittels u.a. notwendig sind, um den Arbeitsweg zu überwinden
(Art. 9 Abs. 1 lit. a HVI). Dabei darf die monatliche Vergütung weder
den Betrag des monatlichen Erwerbseinkommens des Versicherten noch den
anderthalbfachen Mindestbetrag der ordentlichen einfachen Altersrente
übersteigen (Art. 9 Abs. 2 HVI).

    c) Ziffer 10 Ingress HVI-Anhang knüpft die gemäss Rz. 10.01* bis 10.05*
abzugebenden Hilfsmittel an die Anspruchsvoraussetzung der voraussichtlich
dauernden Ausübung einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit. Eine solche
liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn der Versicherte in der
Lage ist, ein Einkommen in der Höhe des Mittelbetrages zwischen Minimum
und Maximum der ordentlichen einfachen Altersrente monatlich zu erzielen
(BGE 110 V 269 Erw. 1c, 105 V 65 Erw. 2c).

    Die Vorinstanz ist ohne weiteres davon ausgegangen, dass das
Erfordernis einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit gemäss Ziffer 10
Ingress HVI-Anhang auch für den Anspruch auf Vergütung der Kosten aus
Dienstleistungen Dritter gelte. Diese Betrachtungsweise trifft zu. Denn
der Anspruch auf Vergütung der Kosten aus Dienstleistungen Dritter setzt
voraus, dass der Versicherte sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für
das in Frage stehende Hilfsmittel erfüllt, dieses jedoch aus Gründen,
die in seiner Person liegen, nicht benützen kann (BGE 112 V 11), was
Art. 9 Abs. 1 Ingress HVI übrigens mit der Wendung "und anstelle eines
Hilfsmittels notwendig sind" zum Ausdruck bringt. Nur diese Auffassung
wird dem subsidiären Charakter des Dienstleistungs-Vergütungsanspruches im
Verhältnis zu den Hilfsmitteln gerecht: Nach der gesetzlichen Regelung
ist der Anspruch auf Kostenvergütung für Dienstleistungen Dritter
ausschliesslich substitutiver Natur (unveröffentlichtes Urteil C. vom
30. Januar 1991).

Erwägung 3

    3.- a) Aufgrund der Akten darf davon ausgegangen werden, dass der
Beschwerdeführer im hier massgeblichen Prüfungszeitraum von Juli 1990
bis anfangs Januar 1991 durchschnittliche Arbeitseinkünfte in Höhe von
Fr. 1'200.-- (dem bis Ende 1991 gültig gewesenen Mittelwert von Minimum
und Maximum der vollen einfachen Altersrente) erzielt hat, und zwar
bei der Niederlassung Glattbrugg, wohin der Arbeitsweg führt; der im
Fragebogen für die Rentenrevision erwähnte Lohn von Fr. 500.-- betrifft
einen Zusatzerwerb, was die Vorinstanz übersah. Dass die Einkünfte diese
Grenze in einzelnen Monaten, namentlich bei Arbeitsbeginn, geringfügig
unterschritten, tut keinen Abbruch, weil eine voraussichtlich dauernde
existenzsichernde Erwerbstätigkeit auch dann anzunehmen ist, wenn die
massgebende Einkommensgrenze invaliditätsbedingt vorübergehend (oder
zunächst) unterschritten wird, aber damit gerechnet werden kann, dass
sie innert verhältnismässig kurzer Zeit wieder erreicht wird (ZAK 1989
S. 562). Insbesondere die nach Verfügungserlass eingetretene positive
Entwicklung des Arbeitsverhältnisses unterstreicht die Richtigkeit
dieser Prognose im Zeitpunkt des Verfügungserlasses (BGE 110 V 102 oben,
mit Hinweis), weswegen sie berücksichtigt werden darf (BGE 99 V 102
mit Hinweisen).

    b) Anderseits steht nach der Aktenlage fest und kann, entgegen
den Vorbringen in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, nicht mit
Erfolg bestritten werden, dass in den von der Firma S. ausbezahlten
Entgelten, zumindest im Prüfungszeitraum des zweiten Halbjahres 1990,
Soziallohnkomponenten enthalten sind, über deren Höhe die Auffassungen
auseinandergehen. Wie es sich damit verhält, kann offenbleiben, weil
der massgebliche Grenzwert jedenfalls nur dann eingehalten ist, wenn die
gesamten Entgelte der Arbeitgeberin berücksichtigt werden können.

    c) Es stellt sich damit die Frage, ob für die Annahme einer
existenzsichernden Erwerbstätigkeit nur jene Lohnbestandteile in Anschlag
gebracht werden können, welche als adäquate Entschädigung der vom invaliden
Versicherten erbrachten Leistung zu betrachten sind (Leistungslohn),
wovon Vorinstanz und Durchführungsstelle, im Unterschied zum BSV, ausgehen.

    Zu prüfen ist zunächst der Wortlaut von Ziffer 10 Ingress HVI-Anhang,
welcher, wie dargetan (Erw. 2c), in bezug auf das Erfordernis einer
existenzsichernden Erwerbstätigkeit auch für die Vergütung der Kosten
von Dienstleistungen Dritter massgeblich ist. Die Erwerbstätigkeit muss
existenzsichernd sein, d.h. sie muss ein Einkommen einbringen, welches
dem Versicherten erlaubt, damit seinen Lebensunterhalt zu fristen. Diese
Existenzsicherung wird dann bejaht, wenn die Tätigkeit dem Versicherten ein
Einkommen in der Höhe des Mittelwertes zwischen Minimum und Maximum der
einfachen Altersrente einbringt. Dagegen ist die Existenzsicherung nicht
auf die Erwerbsfähigkeit bezogen, d.h. es wird nach dem Wortlaut dieser
Bestimmung nicht verlangt, dass der Versicherte imstande sein müsse, durch
Leistungen, also durch Erbringung eines seiner (Rest-)Erwerbsfähigkeit
entsprechenden Einsatzes, zumindest Fr. 1'200.-- zu verdienen. Art. 9
Abs. 2 HVI (Erw. 2b in fine) spricht nicht gegen diese Interpretation,
weil es sich hiebei um eine Bemessungsvorschrift handelt und nicht um eine
Normierung der Anspruchsvoraussetzung der existenzsichernden Tätigkeit. Es
spielt ferner keine Rolle, ob der Versicherte ausschliesslich aus eigener
Leistung oder aus eigener Leistung in Verbindung mit einem sozialen
Entgegenkommen des Arbeitgebers in der Lage ist, sich seine Existenz
zu sichern. Oder wie das BSV zutreffend sagt: "Das Erfordernis der
existenzsichernden Erwerbstätigkeit hat zum Ziel, die Verhältnismässigkeit
zwischen Mitteleinsatz der Invalidenversicherung und wirtschaftlichem
Ergebnis sicherzustellen. Der Umstand, dass das Erwerbseinkommen eine
Sozialkomponente enthält, ist dabei unerheblich." Sofern und soweit sich
ein Arbeitgeber findet, der bereit ist, einen Versicherten in Höhe des
geforderten Mittelwertes, aus welchen Gründen auch immer, zu entschädigen,
gilt dessen Existenz im Sinne der Rechtsprechung als gesichert. Dass ein
Arbeitgeber auf seine zuvorkommende Haltung zurückkommen kann, spricht
nicht gegen diese Schlussfolgerung, weil jedes Arbeitsverhältnis, auch
dasjenige, in welchem einem Behinderten nur Leistungslohn ausgerichtet
wird, durch voraussetzungslose Kündigung seitens des Arbeitgebers aufgelöst
werden kann.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der
Entscheid der AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich vom 4. Juni 1992
und die angefochtene Verfügung aufgehoben, und es wird die Sache an
die Ausgleichskasse des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie über
den Anspruch des Beschwerdeführers auf Vergütung der Taxifahrkosten für
die Überwindung des Arbeitsweges mit Wirkung ab Juli 1990 in masslicher
Hinsicht verfüge.