Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 V 139



118 V 139

17. Auszug aus dem Urteil vom 27. April 1992 i.S. R. gegen Ausgleichskasse
des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich Regeste

    Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG. Eine kantonale Regelung, die für die
Zusprechung einer Parteientschädigung an eine vertretene Partei einen
Antrag verlangt, verletzt Bundesrecht (Änderung der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- In Art. 85 Abs. 2 AHVG wird die Regelung des Rekursverfahrens im
AHV-Bereich grundsätzlich - unter Vorbehalt gewisser vereinheitlichender
Richtlinien - den Kantonen anheimgestellt (vgl. bundesrätliche Botschaft
vom 24. Oktober 1958 zum Entwurf eines Bundesgesetzes betreffend die
Änderung des AHVG, BBl 1958 II 1285). Lit. f der zitierten Bestimmung
enthält die Vorschrift, dass der obsiegende Beschwerdeführer "Anspruch
auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und Vertretung nach gerichtlicher
Festsetzung" hat.

Erwägung 2

    2.- a) In der Praxis zu Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG ist dem
obsiegenden Beschwerdeführer für das kantonale Verfahren in der Regel
eine Parteientschädigung von Amtes wegen, d.h. ohne entsprechendes
Begehren der obsiegenden Partei, zuzugestehen, wenn eine anwaltsmässige
oder allenfalls eine andere, für das in Frage stehende Rechtsgebiet
besonders qualifizierte Vertretung vorliegt und wenn nicht anzunehmen
ist, dass sie kostenlos erfolgt (BGE 108 V 271 Erw. 2; ZAK 1991 S. 420
Erw. 3). Das Eidg. Versicherungsgericht hat auch entschieden, dass ein
Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung für den Fall des
Unterliegens das Begehren um Übernahme der Vertretungskosten durch den
Staat beinhaltet, für den Fall des Obsiegens aber zugleich - ohne dass
es eines besonderen Antrages bedarf - den Antrag auf Ausrichtung einer
Parteientschädigung zu Lasten der Gegenpartei (ZAK 1990 S. 139).

    b) Nach der Praxis der zürcherischen AHV-Rekurskommission wird
die Frage der Ausrichtung einer Parteientschädigung nur geprüft,
wenn eine solche vom Beschwerdeführer verlangt wird (MEYER HEINZ,
Verfahrensfragen bei AHV- und IV-Beschwerden, SZS 1981 S. 205). Das
Eidg. Versicherungsgericht hat diese kantonale Praxis bisher als
bundesrechtskonform erachtet mit der Begründung, Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG
enthalte den Grundsatz des Entschädigungsanspruches als solchen. Die nähere
Regelung, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch geltend gemacht
werden müsse, sei den Kantonen überlassen (BGE 110 V 137 Erw. 1 und 2).

    In der Lehre ist diese Rechtsprechung auf Kritik gestossen. Bernet legt
dar, ein kantonales Antragserfordernis beeinträchtige die Wirksamkeit des
bundesrechtlichen Anspruchs auf Parteientschädigung (BERNET MARTIN, Die
Parteientschädigung in der schweizerischen Verwaltungsrechtspflege, Diss.
Zürich 1986, S. 166, N. 4).

Erwägung 3

    3.- Im Verwaltungsgerichtsverfahren setzt das Bundesgericht die
Parteientschädigung gemäss Art. 159 OG von Amtes wegen fest. Das
Gericht führt aus, diese Regel entspreche einem allgemeinen
Rechtsgrundsatz. Art. 159 OG verlange als Voraussetzung für die
Zusprechung einer Parteientschädigung keinen besonderen Antrag durch die
obsiegende Partei. Der Wortlaut weise eher darauf hin, dass der Anspruch
auf Parteientschädigung die gesetzliche Folge des Obsiegens sei. Das
Bundesgericht spricht daher eine Parteientschädigung zu, ohne dass eine
Partei sie formell verlangt (BGE 111 Ia 156 Erw. 4).

    Wie Art. 159 OG räumt auch Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG der obsiegenden
Partei einen bundesrechtlichen Entschädigungsanspruch ein, ohne dass es
eines besonderen Antrages bedarf. Es rechtfertigt sich nicht, im Rahmen
von Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG für das kantonale Beschwerdeverfahren
von den vom Bundesgericht in Auslegung von Art. 159 OG entwickelten
Grundsätzen abzuweichen. An der bisherigen Rechtsprechung kann somit nicht
mehr festgehalten werden. Eine kantonale Regelung, die bei Fehlen eines
entsprechenden Antrages eine Parteientschädigung verweigert, stellt eine
Bundesrechtsverletzung dar.