Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 V 1



118 V 1

1. Urteil vom 26. März 1992 i.S. S. gegen Ausgleichskasse Basel-Landschaft
und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Art. 21, 22, 30, 33ter AHVG, Art. 55 AHVV. Berechnung der einfachen
Altersrente nach Ehescheidung im Falle von Versicherten, die vor dem
Bezug einer Ehepaar-Altersrente bereits eine einfache Altersrente
bezogen hatten. Die Berechnung hat grundsätzlich anhand der in diesem
Zeitpunkt geltenden Grundlagen zu erfolgen; die so berechnete Rente hat
indes umfangmässig zumindest der zuletzt bezogenen einfachen Rente unter
Einschluss der seitherigen Rentenanpassungen zu entsprechen. Änderung
der Rechtsprechung gemäss BGE 108 V 206 Erw. 2a.

Sachverhalt

    A.- Der am 18. Oktober 1921 geborenen Daisy S.-F. war mit Verfügung
vom 16. November 1983 durch die Ausgleichskasse Basel-Stadt ab 1.
November 1983 eine einfache Altersrente in der Höhe von monatlich
Fr. 868.-- zugesprochen worden. Diese im Rahmen der periodischen
Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung auf zuletzt Fr. 1'008.--
erhöhte einfache Altersrente erlosch, als der Ehemann der Versicherten im
Januar 1987 das 65. Altersjahr vollendet und ab 1. Februar 1987 seinerseits
Anspruch auf eine Ehepaar-Altersrente im Betrag von Fr. 2'160.-- erlangt
hatte. Auf Begehren erhielt Daisy S.-F. die Hälfte dieser Rente (monatlich
Fr. 1'080.--) an sich selber ausbezahlt.

    Nachdem die Eheleute S.-F. mit Urteil des Bezirksgerichts vom
13. Dezember 1990 rechtskräftig geschieden worden waren, sprach die
Ausgleichskasse Basel-Landschaft Daisy S.-F. mit Verfügung vom 6. Februar
1991 rückwirkend ab 1. Januar 1991 wiederum die einfache Altersrente,
diesmal im Betrag von monatlich Fr. 992.-- zu.

    B.- Beschwerdeweise beantragte Daisy S.-F. in Aufhebung dieser
Verfügung die Zusprechung einer höheren Rente, dies mit der Begründung,
die nunmehr auszurichtende Rente könne kaum niedriger als der bereits
1987 zugesprochene und in der Folge erhöhte Betrag ausfallen, zumal in
der Zwischenzeit weitere Rentenanpassungen stattgefunden hätten. Laut
angefochtener Verfügung beruhe ihre einfache Rente neuerdings auf einem
anrechenbaren Erwerbseinkommen von Fr. 21'120.--, während sie ursprünglich
auf der Grundlage von Fr. 22'320.-- berechnet worden sei.

    Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft wies die
Beschwerde mit Entscheid vom 24. April 1991 ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert Daisy S.-F. sinngemäss
ihre bereits im kantonalen Verfahren gestellten Anträge.

    Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) auf einen Antrag.

Auszug aus den Erwägungen:

      Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid die im
vorliegenden Fall massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen umfassend
und richtig dargelegt. Dies betrifft zunächst die allgemeinen
Anspruchsvoraussetzungen zum Bezug der einfachen (Art. 21 AHVG)
und Ehepaar-Altersrente (Art. 22 AHVG), die Abgrenzung zwischen
Voll- und Teilrente (Art. 29 Abs. 2 AHVG) mitsamt Umschreibung der
vollständigen Beitragsdauer (Art. 29bis AHVG) und die Vorschriften über
die Ermittlung des durchschnittlichen Jahreseinkommens (Art. 30 Abs. 1 und
2 AHVG). Dasselbe gilt auch für die besonderen Bestimmungen und die dazu
ergangene Rechtsprechung, nach welchen die einfache Altersrente einer
geschiedenen Frau zu berechnen ist: Beitragsdauer (Art. 29bis Abs. 2
AHVG); Voraussetzungen für die Verwendung der Berechnungsgrundlagen
der Ehepaar-Altersrente (Art. 31 Abs. 3 und 4 AHVG); Ermittlung des
durchschnittlichen Jahreseinkommens auf dem Wege der Vergleichsrechnung
(BGE 101 V 184; siehe ferner BGE 106 V 203 Erw. 1, 104 V 71). - Es kann
auf die vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen werden.

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall steht der Beschwerdeführerin
unbestrittenerweise eine als Vollrente nach Rentenskala 44 berechnete
einfache Altersrente zu. Streitig und im folgenden zu beurteilen ist
einzig die Höhe dieser Rente.

    Die Beschwerdeführerin bemängelt im wesentlichen, dass die ihr nach
der Scheidung zugesprochene einfache Altersrente nicht nur geringer sei
als der ihr zuvor ausgerichtete Anteil an der Ehepaar-Altersrente und die
von ihrem geschiedenen Mann nunmehr bezogene Rente, sondern gar weniger
betrage als ihre ursprüngliche, mehrmals angepasste einfache Altersrente.

Erwägung 3

    3.- Wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat, erfolgt die Berechnung
der einfachen Altersrente einer geschiedenen Frau grundsätzlich nach
den gleichen Regeln, wie sie für die einfache Altersrente von ledigen
Versicherten gelten (BGE 101 V 186 Erw. 1b). Die Rentenhöhe richtet
sich somit im Normalfall nach dem durchschnittlichen Jahreseinkommen
der Versicherten, also nach ihrem gesamten verabgabten Erwerbseinkommen
und der Zahl ihrer Beitragsjahre (Art. 30, 31 Abs. 1 AHVG und Art. 55
Abs. 1 AHVV), wobei Gesetz (Art. 29bis Abs. 2 AHVG) und Rechtsprechung
(Vergleichsrechnung gemäss BGE 101 V 184) der durch die traditionelle
Rollenverteilung bedingten erwerblichen Situation in gewisser Hinsicht
Rechnung tragen.

    Nur unter bestimmten Voraussetzungen wird der Berechnung der
einfachen Altersrente einer geschiedenen Frau das für die Berechnung der
Ehepaar-Altersrente massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen zugrunde
gelegt, sofern dies die Ausrichtung einer höheren Rente erlaubt (Art. 31
Abs. 3 AHVG). Insbesondere entsteht der Anspruch auf die so berechnete
Rente frühestens am ersten Tage des dem Tode des geschiedenen Mannes
folgenden Monats (Art. 31 Abs. 4 AHVG). Diese Voraussetzung ist vorliegend
nicht erfüllt. Ausgleichskasse und Vorinstanz haben demnach die streitige
Rente in Einklang mit Art. 29bis ff. AHVG ausschliesslich aufgrund
des eigenen durchschnittlichen Jahreseinkommens der Beschwerdeführerin
errechnet. Es besteht unter den hier gegebenen Umständen nach geltendem
Recht keine Möglichkeit, die Beschwerdeführerin als geschiedene Frau an
den Berechnungsgrundlagen der vorgängigen Ehepaar-Altersrente teilhaben
zu lassen.

    Der Beschwerdeführerin mag eingeräumt werden, dass damit eine
Benachteiligung gegenüber ihrem geschiedenen Mann einhergeht, obwohl
auch dessen Rente nach der Scheidung auf der Grundlage eines tieferen
Gesamteinkommens festgesetzt wird (Art. 32 Abs. 2 AHVG; ZAK 1978 S. 408,
Anm. 1). Ob sich dies im Lichte von Art. 4 Abs. 2 BV halten lässt, kann
indes dahingestellt bleiben. Denn es wäre dem Eidg. Versicherungsgericht
gemäss Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 BV verwehrt, einer vom
Bundesgesetzgeber getroffenen Regelung in einer wichtigen Systemfrage
die Anwendung wegen ihrer Bundesverfassungswidrigkeit zu versagen (BGE
111 V 361 Erw. 3a, ZAK 1989 S. 170).

Erwägung 4

    4.- a) Das Eidg. Versicherungsgericht hat wiederholt entschieden,
dass die nach der Scheidung eine Ehepaar-Altersrente ablösende einfache
ordentliche Altersrente selbst dann aufgrund der in diesem Zeitpunkt
geltenden Berechnungsvorschriften neu festzusetzen ist, wenn der oder
die Versicherte bereits vor Entstehung des Ehepaar-Altersrentenanspruchs
eine einfache Altersrente bezogen hatte. Nach dieser Rechtsprechung kommt
ein Wiederaufleben der früheren einfachen Altersrente nach Massgabe der
damaligen Berechnungselemente - anders als bei der Witwenrente (Art. 23
Abs. 2, 3 in fine AHVG in Verbindung mit Art. 46 Abs. 3 AHVV) - wegen
Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage nicht in Frage. Die
vom Gesetzgeber in den Übergangsbestimmungen zu den AHV-Revisionen
regelmässig angelegten Besitzstandsgarantien, wonach die neue Rente
nicht niedriger sein darf als die bisher ausgerichtete (lit. b Abs. 3
der Übergangsbestimmungen zur 9. AHV-Revision gemäss BG vom 24. Juni
1977), betreffen nur die Anpassung der bei Inkrafttreten des revidierten
Rechts bereits laufenden Renten, während sie auf die Festsetzung
derjenigen Renten, die erst nach diesem Zeitpunkt neu entstehen oder
infolge Änderung der Rentenart neu festzusetzen sind, ohne Einfluss sind
(zum Ganzen vgl. BGE 108 V 206 Erw. 2a, 103 V 62 mit Hinweisen; ZAK 1979
S. 220 Erw. 1).

    b) Die Berechnung gemäss dieser vom kantonalen Gericht befolgten
Rechtsprechung führt im vorliegenden Fall zu einer Rente, die verglichen
mit den früheren Betreffnissen tiefer ausfällt. Zwar hat sich bei der
Beschwerdeführerin gegenüber der 1983 verfügten einfachen Altersrente
weder hinsichtlich der Summe der anrechenbaren Erwerbseinkommen
(Variante I: Fr. 272'487.--, Variante II: Fr. 94'650.--) noch bezüglich
der Beitragsdauer (Variante I: 35 Jahre, Variante II: 9 Jahre [1948 bis
1956]) irgendeine Änderung ergeben. Die von Ausgleichskasse und Vorinstanz
errechnete geringere Rentenhöhe ist vorliegend im Ergebnis einzig auf
die Anwendung eines tieferen Aufwertungsfaktors zurückzuführen. Statt
des 1983 massgeblichen Aufwertungsfaktors 2,1 ist anlässlich der auf
den 1. Januar 1991 erfolgten Neufestsetzung praxisgemäss der für dieses
Jahr zu beachtende Faktor 2,003 verwendet worden, woraus nach der für die
Beschwerdeführerin günstigeren (zweiten) Berechnungsvariante - bei neun
Beitragsjahren - ein durchschnittliches Jahreseinkommen von Fr. 21'120.--
resultiert (Rententabellen des BSV in der ab 1. Januar 1991 geltenden
Fassung, Bd. 1, S. 28, 44 [Tabelle II], und in der ab 1. Januar 1983
geltenden Fassung, Bd. 1, S. 22).

    c) Die Verwendung des für 1991 geltenden, gegenüber 1983 tieferen
Aufwertungsfaktors erweist sich im Lichte der dargelegten Rechtsprechung
als folgerichtig. Denn der Aufwertungsfaktor gilt als wesentliches Element
der Rentenberechnung (Art. 30 Abs. 4 AHVG; vgl. ZAK 1983 S. 517 ff.), so
dass diesbezüglich ebenso wie bei den übrigen Berechnungsgrundlagen auf die
im Zeitpunkt der Neufestsetzung gültigen Regeln abzustellen ist. Von diesem
durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsatz abzuweichen, besteht kein
genügender Anlass (zu den Voraussetzungen der Praxisänderung vgl. BGE 111
V 170 Erw. 5b mit Hinweisen sowie BGE 110 V 124 Erw. 2e, 108 V 17 Erw. 3b;
107 V 3 Erw. 2 und 82 Erw. 5a mit Hinweisen; RKUV 1990 Nr. U 106 S. 277
Erw. 2c). Doch ist nicht zu übersehen, dass diese Rechtsprechung in vielen
Fällen - nicht nur wegen der Verwendung eines tieferen Aufwertungsfaktors,
sondern vermehrt wegen den zwischenzeitlich neu erstellten Rententabellen,
die für den Rentenbetrag höhere massgebliche durchschnittliche
Jahreseinkommen voraussetzen - zu niedrigeren Rentenbetreffnissen
wegen und nach Zivilstandswechseln führt. Diese somit sachfremd
begründete - weil nicht auf einen dem sozialversicherungsrechtlichen
Rentensystem innewohnenden Umstand, sondern auf eine äussere Zufälligkeit
zurückzuführende - Rechtsfolge weiter hinzunehmen, besteht kein Anlass,
und zwar um so weniger, als diesen durch die Rechtsprechung bewirkten
unbefriedigenden Folgen - gemäss bundesrätlichem Reformvorschlag -
nunmehr gar auf dem Wege der Gesetzgebung begegnet werden soll. Dabei
soll insbesondere auch jenen Versicherungsfällen Rechnung getragen
werden, die noch unter dem bisherigen Recht entstanden sind (Botschaft
über die 10. Revision der AHV vom 5. März 1990, BBl 1990 II S. 1
ff., insbesondere S. 92, 158, 177 [Art. 31 Abs. 3 des Entwurfs in
Verbindung mit Ziff. 1 Abs. 9 der Übergangsbestimmungen]). Im Sinne
einer Übergangslösung bis zum Inkrafttreten jener Bestimmungen sind
daher in Änderung der bisherigen Rechtsprechung der Neuberechnung der
einfachen Altersrente nach erfolgter Ehescheidung zwar weiterhin die in
diesem Zeitpunkt massgeblichen Berechnungsfaktoren zugrunde zu legen;
dabei hat jedoch die so berechnete Rente betragsmässig zumindest der
zuletzt bezogenen einfachen Rente unter Einschluss der seitherigen
Rentenanpassungen (Art. 33ter AHVG) zu entsprechen. Einer solchen Lösung
lässt sich die im Schrifttum vertretene Auffassung nicht entgegenhalten,
sie führe zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung gegenüber
denjenigen weiblichen Versicherten, die unmittelbar nach Vollendung
ihres 62. Altersjahres an einer Ehepaar-Altersrente partizipieren und
sich hernach scheiden lassen (KOHLER, La situation des femmes dans
l'AVS, Lausanne 1986, S. 201, Fn. 28). Denn abgesehen davon, dass sich
die nachteiligen Folgen der bisherigen Rechtsprechung auch zu Lasten
geschiedener männlicher Versicherter entfalten konnten, verbietet sich
jener Vergleich gerade deshalb, weil im hier zu beurteilenden Fall noch vor
der Ehepaar-Altersrente bereits ein Anspruch auf eine einfache Altersrente
entstanden war.

Entscheid:

       Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

    Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen,
dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Landschaft
vom 24. April 1991 sowie die angefochtene Verfügung vom 6. Februar 1991
aufgehoben werden und die Sache an die Ausgleichskasse Basel-Landschaft
zurückgewiesen wird, damit diese über den Rentenanspruch im Sinne der
Erwägungen neu verfüge.