Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 97



118 IV 97

19. Urteil des Kassationshofes vom 13. März 1992 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Zug gegen S. (Nichtigkeitsbeschwerde). Regeste

    Art. 41 Ziff. 1 StGB; bedingter Strafvollzug.

    Für den Entscheid über den bedingten Strafvollzug sind beim Tatbestand
des Fahrens in angetrunkenem Zustand die gleichen Kriterien zugrunde zu
legen wie bei anderen Delikten. Die Besonderheit des Straftatbestandes
und gegebenenfalls Rückfall sind nur Umstände, die neben allen anderen
bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind (E. 2c; Präzisierung
der Rechtsprechung).

    Berücksichtigung eines Führerausweisentzuges von zehn Monaten Dauer
(E. 2d).

Sachverhalt

    A.- S. fuhr am Nachmittag des 29. April 1990 in angetrunkenem
Zustand (Blutalkoholkonzentration im Unfallzeitpunkt mindestens 1,0
Gewichtspromille) von Horgenberg nach Sihlbrugg. Auf einer Verzweigung
prallte er gegen das Heck eines Personenwagens, welcher unmittelbar nach
seiner Anfahrt nochmals hatte anhalten müssen. Es entstand lediglich
Sachschaden. Nach einem kurzen Wortwechsel zwischen den Beteiligten
entfernte sich S., ohne sich um die Folgen zu kümmern, von der Unfallstelle
und fuhr mit seinem Personenwagen an seinen Wohnort in A.

    Das Polizeirichteramt des Kantons Zug bestrafte S. mit Strafbefehl
vom 10. Juli 1990 mit 20 Tagen Gefängnis unbedingt und einer Busse von
Fr. 1'000.--. Dagegen erhob der Verurteilte Einsprache, in welcher er
unter anderem geltend machte, er werde bereits sehr hart getroffen durch
den zehnmonatigen Ausweisentzug, der von ihm nicht angefochten werde.

    Mit Urteil vom 4. März 1991 sprach das Polizeirichteramt des Kantons
Zug S. schuldig der Verletzung von Verkehrsregeln, des Fahrens in
angetrunkenem Zustand, vollendeten Versuchs der Vereitelung einer Blutprobe
sowie pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall und verurteilte ihn zu einer
20tägigen unbedingten Gefängnisstrafe und einer Busse von Fr. 1'000.--.

    Das Strafgericht des Kantons Zug hiess am 14. Juni 1991 eine
Berufung des Verurteilten im Hauptpunkte gut und bestrafte ihn mit 20
Tagen Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges für eine
Probezeit von fünf Jahren sowie mit einer Busse von Fr. 1'500.--.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug erhebt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Strafgerichts
aufzuheben und die Sache zur Verweigerung des bedingten Strafvollzuges
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    S. beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten
sei.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Zur Frage der Gewährung des bedingten Strafvollzuges erwägt
die Vorinstanz, der Beschwerdegegner habe bei Trinkbeginn gewusst, dass
er noch mit seinem Auto nach Hause fahren müsse. Zu berücksichtigen sei
aber der relativ geringe Blutalkoholwert von 1,0 Promille. Zwar sei sein
Verschulden nicht zu bagatellisieren, doch könne bei diesem relativ tiefen
Blutalkoholwert noch nicht von einer Rücksichtslosigkeit gesprochen werden,
die auf eine grundsätzliche Charakterschwäche des Beschwerdegegners
schliessen lasse. Es handle sich um einen harmlosen Auffahrunfall,
der auf die Unaufmerksamkeit des Beschwerdegegners zurückzuführen sei;
Unfälle dieser Art seien häufig und es sei nicht erwiesen, dass dieser
Unfall im Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum des Beschwerdegegners
stehe. Erschwerend sei sein Verhalten nach dem Unfall zu gewichten. Aus
offensichtlich egoistischen Motiven habe er sich vom Unfallort entfernt,
ohne dem Geschädigten Namen und Adresse anzugeben. Ebenfalls erschwerend
sei zu berücksichtigen, dass er bereits am 16. Januar 1985 wegen Fahrens
in angetrunkenem Zustand mit zehn Tagen Gefängnis bedingt und einer Busse
von Fr. 500.--. bestraft worden sei. Ein Rückfall müsse jedoch nicht
automatisch den bedingten Strafvollzug ausschliessen. Schliesslich
seien die persönlichen Verhältnisse und das Vorleben des Täters
einzubeziehen. Mit Ausnahme der erwähnten Verurteilung weise der
Beschwerdegegner keine Vorstrafen auf. Er lebe in geordneten persönlichen
Verhältnissen und betreibe als Metzgermeister eine eigene Metzgerei. Gemäss
Leumundsbericht werde er selten in Restaurants gesehen und es bestünden
keinerlei Hinweise auf einen auffälligen Alkoholkonsum. Es könne mithin von
einem tadellosen Leumund gesprochen werden. Schliesslich sei dem Umstand
Rechnung zu tragen, dass der Beschwerdegegner aus beruflichen Gründen auf
den Führerausweis angewiesen sei und ihn der Entzug von zehn Monaten hart
getroffen habe. Seine Zusicherung, inskünftig nie mehr Alkohol zu trinken,
wenn er mit dem Auto unterwegs sei, erscheine daher durchaus glaubwürdig;
er erwecke den Eindruck, aus dem Vorgefallenen seine Lehren gezogen zu
haben. In Würdigung all dieser Umstände könne dem Beschwerdegegner eine
günstige Prognose gestellt werden, weshalb ihm der bedingte Strafvollzug
zu gewähren sei.

    b) Die Beschwerdeführerin betont in ihrer einlässlichen
Beschwerdebegründung die negativen Faktoren, die gegen eine Gewährung
des bedingten Strafvollzuges sprechen, insbesondere das Verhalten des
Beschwerdegegners nach dem Unfall. Daraus sei auf eine grundsätzliche
Charakterschwäche zu schliessen, welche weitere Delikte als wahrscheinlich
erscheinen liesse. Auch nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung
seien an die Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei Rückfall strenge
Anforderungen zu stellen.

    c) Der Beschwerdegegner übernimmt im wesentlichen die Argumente der
Vorinstanz. Aus beruflichen Gründen auf den Führerausweis angewiesen,
sei er durch den Entzug für die Dauer von zehn Monaten besonders schwer
getroffen.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 41 Ziff. 1 StGB kann der Vollzug einer Freiheitsstrafe
von nicht mehr als 18 Monaten aufgeschoben werden, wenn Vorleben und
Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren
Delikten abgehalten. Der Richter hat also eine Prognose über das zukünftige
Verhalten des Täters anzustellen. Dabei steht dem Sachrichter ein
erhebliches Ermessen zu, bei dessen Ausübung er sich jedoch auf sachlich
haltbare Gründe stützen muss. Das Bundesgericht hebt den Entscheid der
Vorinstanz auf, wenn sie nicht von rechtlich massgebenden Gesichtspunkten
ausgegangen ist oder diese in Überschreitung oder Missbrauch ihres
Ermessens unrichtig gewichtet hat (BGE 117 IV 114 mit Hinweisen).

    b) Nach der früheren Rechtsprechung durfte dem angetrunkenen
Motorfahrzeugführer der bedingte Strafvollzug nur mit grosser Zurückhaltung
gewährt werden (BGE 98 IV 160 mit Hinweisen; bestätigt durch BGE 105 IV
291 mit Hinweisen). Wie allgemein bekannt sei, werde die Fahrtüchtigkeit
schon durch geringe Mengen Alkohol beeinträchtigt. Überdies sei
zu berücksichtigen, dass Motorfahrzeugführer, die unbekümmert um
dieses Wissen und trotz häufiger und eindringlicher Warnungen in den
Medien durch Angetrunkenheit am Steuer Leben und Sicherheit anderer
Verkehrsteilnehmer erheblich gefährden, in der Regel eine Gesinnung
bekunden, die als hemmungs- und rücksichtslos bezeichnet werden müsse und
auf einen Charakterfehler schliessen lasse. Deshalb seien an die Gewähr,
die ein wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand Verurteilter für künftiges
Wohlverhalten bieten müsse, aus spezial- und generalpräventiven Gründen
auch bei einer erstmaligen Verurteilung hohe Anforderungen zu stellen,
und zwar auch dann, wenn sein allgemeiner und automobilistischer Leumund
nicht zu beanstanden sei.

    Andererseits wurde bereits in dieser Rechtsprechung betont, dass
auch im Strassenverkehr, wie überall, wo Art. 41 StGB anzuwenden
ist, beim Entscheid über den bedingten Strafvollzug in erster Linie
der Grundsatz der Spezialprävention massgeblich ist. Deshalb darf
nicht aus generalpräventiven Überlegungen bei der Beurteilung der
Bewährungsaussichten ein derart strenger Massstab angelegt werden, dass
angetrunkenen Fahrzeuglenkern der bedingte Strafvollzug praktisch zum
vornherein verschlossen bleibt. Unzulässig ist es aber auch, unter den
nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Umständen einzelnen
eine vorrangige Bedeutung beizumessen und andere zu vernachlässigen oder
überhaupt ausser acht zu lassen, also etwa einseitig nur auf die Umstände
der Tat abzustellen. Vielmehr sind auch beim Tatbestand des Fahrens in
angetrunkenem Zustand neben den Tatumständen das Vorleben und der Leumund
sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des
Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen, in die Beurteilung
miteinzubeziehen, um aufgrund einer Gesamtwürdigung darüber zu entscheiden,
ob der Verurteilte für dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet oder nicht.

    c) Die Tatsache, dass ein Fahrzeugführer bei Trinkbeginn weiss, dass
er später Auto fahren werde, ist nur ein Faktor neben anderen, der im
Rahmen der Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen ist. Dasselbe gilt für
den Rückfall. Dabei können sowohl die Umstände der früheren wie auch der
neuen Trunkenheitsfahrt, ebenso die Dauer seit der früheren Tat respektive
deren Verurteilung eine Rolle spielen. Weiter kann bedeutsam sein, dass
der Täter auch bei Gewährung des bedingten Strafvollzuges eine Busse,
die nach der Praxis vieler kantonaler Gerichte gerade bei der Gewährung
des bedingten Strafvollzuges ausgesprochen wird und die aufgrund der
finanziellen Verhältnisse des Täters zu bemessen ist (vgl. BGE 116
IV 4), zu bezahlen hat. Überdies wird ihm nach Art. 16 Abs. 3 lit. b
i.V.m. Art. 17 Abs. 1 lit. b und d SVG der Führerausweis für die Dauer
von mindestens zwei Monaten entzogen, bei einem Rückfall innert fünf
Jahren seit Ablauf eines früheren Entzuges wegen Fahrens in angetrunkenem
Zustand für mindestens ein Jahr. Für den Führerausweisentzug sieht das
Gesetz die Möglichkeit des bedingten Aufschubs des Vollzuges nicht vor.

    Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass bei der Gewährung oder
Verweigerung des bedingten Strafvollzuges beim Tatbestand des Fahrens
in angetrunkenem Zustand die gleichen Kriterien zugrunde zu legen sind
wie bei anderen Delikten. Die Besonderheit des Straftatbestandes und
gegebenenfalls dass es sich um einen Rückfall handelt, sind nur Umstände,
die neben allen anderen bei der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind.

    d) Im Lichte dieser Erwägungen hat die Vorinstanz kein Bundesrecht
verletzt, wenn sie dem Beschwerdeführer den bedingten Strafvollzug
gewährte. Sie hat in einer gründlichen Analyse der verschiedenen Faktoren,
die im vorliegenden Fall entscheidend sind, einerseits die Umstände der
Tat und vor allem auch die Tatsache des Rückfalles berücksichtigt. Dabei
hat sie nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer sich aus offensichtlich
egoistischen Motiven vom Unfallort entfernt hat, ohne dem Geschädigten
Namen und Adresse anzugeben. Wenn sie weder aufgrund der Umstände der Tat
noch aus der Tatsache des Rückfalles auf einen automatischen Ausschluss
des bedingten Strafvollzuges schliesst, verletzt sie kein Bundesrecht. Im
Gegenteil wäre es mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren, einzig mit dieser
Begründung, also unter Ausschluss aller weiteren für den Prognoseentscheid
massgeblichen Faktoren den bedingten Strafvollzug auszuschliessen.

    Die Vorinstanz stellt der Tat und ihren Umständen sowie dem Rückfall
diejenigen Faktoren gegenüber, die für die Gewährung des bedingten
Strafvollzuges sprechen. Sie gewichtete dabei die für und gegen die
Gewährung des bedingten Strafvollzuges sprechenden Faktoren nicht in
Überschreitung ihres Ermessens unrichtig. Zwar ist einzuräumen, dass,
worauf die Beschwerdeführerin besonders hinweist, das Verhalten des
Beschwerdegegners unmittelbar nach der Tat zu erheblichen Bedenken
Anlass gibt. Die Vorinstanz durfte jedoch auch die weitere Entwicklung
des Beschwerdegegners berücksichtigen. Dabei hat sie zutreffend auch dem
Umstand Rechnung getragen, dass ihn der zehnmonatige Führerausweisentzug
hart getroffen hat, weil er beruflich auf den Ausweis angewiesen ist.