Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 337



118 IV 337

59. Urteil des Kassationshofes vom 11. Dezember 1992
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen
C. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 63 und 41 StGB; Strafzumessung; Berücksichtigung der Grenze von
18 Monaten für die Gewährung des bedingten Strafvollzugs.

    Die Grenze von 18 Monaten für die Gewährung des bedingten
Strafvollzugs ist bei der Strafzumessung mitzuberücksichtigen, wenn eine
Freiheitsstrafe von nicht erheblich längerer Dauer in Betracht fällt und
die Voraussetzungen des bedingten Vollzugs im übrigen erfüllt sind (E. 2c).

Sachverhalt

    A.- Am 27. Februar 1992 sprach das Obergericht des Kantons
Zürich C. schuldig der Hehlerei sowie des Verbrechens gegen das
Betäubungsmittelgesetz gemäss Art. 19 Ziff. 1 Abs. 3-5 i.V.m. Art. 19
Ziff. 2 lit. b BetmG und bestrafte ihn mit 18 Monaten Gefängnis, bedingt
bei einer Probezeit von drei Jahren.

    B.- Dagegen führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen
Entscheid wegen Verletzung von Art. 63 StGB aufzuheben und die Sache zur
erneuten Bestimmung des Strafmasses an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin führt aus, die Vorinstanz habe zwar
den gesetzlichen Strafrahmen beachtet und alle für die Strafzumessung
massgeblichen Gesichtspunkte erkannt. Letztere seien jedoch unter
Missbrauch des richterlichen Ermessens falsch gewichtet worden. Die in
BGE 117 IV 314 ff. vorgenommene Praxisänderung hinsichtlich des schweren
Falls gemäss Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG bei Cannabis bedeute nicht,
dass die Haschischmenge verschuldensmässig nicht eine wesentliche
Rolle spiele. Je höher die umgesetzte Haschischmenge sei, desto höher
sei die Gefahr für die öffentliche Gesundheit. 300 Kilogramm Haschisch
stellten eine im Vergleich zu den sonst zu beurteilenden Haschischfällen
aussergewöhnlich hohe Drogenmenge dar. Der Beschwerdegegner habe die Drogen
nicht in einem Mal, sondern in insgesamt sechs Malen transportiert. Die
objektive Tatschwere sei daher erheblich. Eine Strafe, die den bedingten
Strafvollzug noch zulasse, liesse sich hier nur dann begründen, wenn
die sonstigen Umstände, namentlich auch die subjektive Tatschwere, sehr
günstig wären. Das sei nicht der Fall. Das Vorleben und die persönlichen
Verhältnisse rechtfertigten eine Strafe von nicht mehr als 18 Monaten
nicht.

Erwägung 2

    2.- a) Der Richter misst die Strafe nach dem Verschulden des Täters
zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen
Verhältnisse des Schuldigen (Art. 63 StGB). Dem Sachrichter steht bei der
Gewichtung der im Rahmen der Strafzumessung zu beachtenden Komponenten ein
erheblicher Spielraum des Ermessens zu. Das Bundesgericht greift in dieses
auf Nichtigkeitsbeschwerde hin, mit der ausschliesslich eine Verletzung von
Bundesrecht geltend gemacht werden kann (Art. 269 BStP), nur ein, wenn der
kantonale Richter den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten
hat, wenn er von rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausgegangen
ist oder wenn er wesentliche Gesichtspunkte ausser acht gelassen bzw. in
Überschreitung oder Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtet hat
(BGE 118 IV 15; 117 IV 114 mit Hinweisen).

    Der Richter hat im Urteil die wesentlichen schuldrelevanten Tat-
und Täterkomponenten so zu erörtern, dass festgestellt werden kann, ob
alle rechtlich massgebenden Gesichtspunkte Berücksichtigung fanden und
wie sie gewichtet wurden, d.h. ob und in welchem Grade sie strafmindernd
oder straferhöhend in die Waagschale fielen (BGE 117 IV 114/5). Diese
Rechtsprechung bedeutet nicht, dass der Sachrichter etwa in absoluten
Zahlen oder in Prozenten angeben müsse, inwieweit er einem bestimmten
Faktor straferhöhend bzw. strafmindernd Rechnung trug. Er muss aber
die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe angestellt hat, in
seinem Urteil in den Grundzügen darstellen. Er muss die Strafzumessung
so gut wie möglich nachvollziehbar machen (BGE 118 IV 16 f.). Je höher
die ausgefällte Strafe ist, desto höher sind auch die Anforderungen an
ihre Begründung (BGE 117 IV 115). Wo sich die Strafe unter Beachtung
aller relevanten Faktoren offensichtlich im Rahmen des dem Sachrichter
zustehenden Ermessens hält, kann der Kassationshof das angefochtene Urteil
bestätigen, auch wenn dieses in bezug auf die Erwägungen zum Strafmass
einzelne Unklarheiten und Unvollkommenheiten enthält. Wo anderseits Art und
Ausmass der verhängten Sanktion auffallen, ist eine besonders eingehende
Begründung zu verlangen (BGE 118 IV 17).

    b) Die Vorinstanz legt dar, das Verschulden des Beschwerdegegners wiege
nicht leicht. Er sei am professionell betriebenen Handel mit ungefähr 300
Kilogramm Haschisch beteiligt gewesen. Andererseits sei er durch M. F. in
die Drogendelinquenz geraten. Seine Taten stünden im Zusammenhang mit
seinem freundschaftlichen Verhältnis zu dessen Schwester R. F. und seien
zumindest anfangs Gefälligkeitshandlungen gewesen. Der Beschwerdegegner
sei offensichtlich der gefügige Laufbursche des M. F. gewesen. Sein
Tatbeitrag habe sich auf den Transport der Drogen beschränkt. Immerhin sei
er vorübergehend auch bereit gewesen, Geld einzuziehen. Strafschärfend
falle die Hehlerei ins Gewicht. Hier habe er durch die Übernahme von
Kleidungsstücken im Wert von ca. Fr. 13'660.-- auch selber erheblich
profitiert. Strafmindernd seien sein weitgehend ungetrübter Leumund
sowie sein vollumfängliches Geständnis zu berücksichtigen. Er zeige
Reue und Einsicht. Die Überweisungen von insgesamt Fr. 2'000.-- an zwei
gemeinnützige Institutionen liessen die positive Bewusstseinsänderung
ebenfalls erkennen. Das Verhalten des Beschwerdegegners nach der Tat
könne ganz erheblich strafmindernd gewertet werden. In Würdigung aller
Strafzumessungsgründe erscheine eine Strafe von 18 Monaten Gefängnis -
eine Strafe, die den bedingten Vollzug noch zulasse - als angemessen.

    c) Der Grenze von 18 Monaten für die Gewährung des bedingten
Strafvollzuges gemäss Art. 41 Ziff. 1 StGB hat die Vorinstanz bei
der Strafzumessung zu Recht Rechnung getragen. Das Bundesgericht hat
bereits in BGE 117 IV 106 auf den sachlichen Zusammenhang zwischen der
Strafzumessung und der Frage des bedingten Strafvollzuges hingewiesen. Es
führte aus, wenn in einem angefochtenen Entscheid bei der Gewährung des
bedingten Strafvollzuges eine längere Freiheitsstrafe, gegebenenfalls
verbunden mit einer Busse, ausgesprochen worden sei, als dies im Falle
der Verweigerung des bedingten Strafvollzuges der Fall gewesen wäre,
dann habe die Gutheissung einer eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Gewährung des bedingten
Strafvollzuges richtete, nicht zur Folge, dass die kantonale Instanz auf
die Dauer der Freiheitsstrafe und die ausgesprochene Busse nicht mehr
zurückkommen könne. In der in BGE 118 IV 14 ff. nicht veröffentlichten
Erwägung 3 des Urteils vom 27. März 1992 in Sachen K. legte das
Bundesgericht sodann dar, die gesetzliche Grenze von 18 Monaten dürfe
bei der Strafzumessung als Umstand mitberücksichtigt werden. Auch SCHULTZ
(Einführung in den Allgemeinen Teil des Strafrechts, 2. Band, 4. Aufl.,
S. 101) bezweifelt, ob es angezeigt sei, nach der herrschenden Lehre
die beiden Schritte der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe und
der Gewährung des bedingten Vollzuges scharf zu trennen; die Praxis gehe
oft anders vor und berücksichtige sogleich, ob die in Aussicht genommene
Strafe bedingt vollzogen werden könne oder nicht (vgl. dazu auch TRECHSEL,
Kurzkommentar zum StGB, N 7 zu Art. 41; zur Rechtsnatur des bedingten
Strafvollzuges: STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil
II, § 4 N 7 und 8; zur entsprechenden Praxis im Kanton Genf: CHRISTIAN
WALLACH, Die Handhabung des bedingten Strafvollzuges bei Verurteilung wegen
Diebstahls im Kanton Genf, Diss. Basel 1988, S. 112 ff.); die Ansicht der
Praxis verdiene den Vorzug, weil die Strafzumessung eine Einheit bilde,
die auch die möglichen Bedingungen bedingt vollziehbarer Strafen zu
berücksichtigen habe.

    Das Strafrecht dient in erster Linie nicht der Vergeltung, sondern
der Verbrechensverhütung. Dies bringt der Gesetzgeber nicht nur mit
der Bezeichnung der Resozialisierung als Ziel des Strafvollzuges
(Art. 37 Ziff. 1 Abs. 1 StGB; TRECHSEL, aaO, N 1 zu Art. 37) zum
Ausdruck, sondern vor allem auch mit der bei der StGB-Teilrevision
von 1971 erfolgten Ausweitung der Möglichkeit der Anordnung von
Massnahmen. Deshalb sind Sanktionen, die die Besserung oder Heilung
des Täters gewährleisten, zu verhängen und solche, die dem Anliegen der
Verbrechensverhütung zuwiderlaufen, möglichst zu vermeiden. Das gilt nicht
nur im Massnahmerecht, sondern für das strafrechtliche Sanktionensystem
insgesamt. Der Richter hat sich aus diesem Grunde aber dort, wo er
eine Freiheitsstrafe von nicht erheblich mehr als 18 Monaten in Betracht
zieht und die Voraussetzungen des bedingten Strafvollzuges gemäss Art. 41
Ziff. 1 StGB im übrigen gegeben sind, mit der Frage auseinanderzusetzen,
ob angesichts der persönlichen Verhältnisse des Schuldigen der Vollzug
einer unbedingten Freiheitsstrafe nicht dem Zweck der Verbrechensverhütung
zuwiderlaufe. Bejaht er das - etwa weil sich der Täter im Urteilszeitpunkt
in einer gefestigten beruflichen Stellung befindet und in günstigen
familiären Verhältnissen lebt, durch den Strafvollzug aus diesem günstigen
Umfeld oder einer vorteilhaften Entwicklung herausgerissen würde und damit
entsozialisiert werden könnte -, hat er dem gemäss Art. 63 StGB unter
dem Gesichtspunkt der persönlichen Verhältnisse strafmindernd Rechnung
zu tragen (vgl. dazu STRATENWERTH, aaO, § 7 N 53 ff.). Im gleichen
Sinne ist ein Verhalten des Täters nach der Tat zu berücksichtigen,
das - wie die Vorinstanz im vorliegenden Fall feststellte - auf Reue
und Einsicht schliessen lässt oder sonst aufzeigt, dass er bereits die
nötigen Lehren gezogen und durch einen anderen Lebenswandel weiteren
strafbaren Handlungen vorgebeugt hat; andernfalls würde ein solcher
Täter, der sich aufgefangen und sich z.B. von einer Sucht gelöst hat,
gegenüber jenem, der gegebenenfalls einer mit dem Strafvollzug nicht
zu vereinbarenden ambulanten Behandlung bedarf, in ungerechtfertigter
Weise benachteiligt. Die erwähnten Strafminderungsgründe und die
folgenorientierten Überlegungen bei der Anordnung der Sanktion dürfen aber
nicht dazu führen, dass in allen Fällen, in denen angesichts der günstigen
Prognose der bedingte Strafvollzug gewährt werden könnte, unabhängig von
der Schwere des Tatunrechts und der Tatschuld auf eine Freiheitsstrafe
von höchstens 18 Monaten erkannt wird, damit der bedingte Strafvollzug
gewährt werden kann. Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden,
ob er die Möglichkeit des bedingten Strafvollzuges auch für längere
Freiheitsstrafen vorsehen will.

    d) Die Strafzumessung, die gegenüber dem Beschwerdegegner zu einer
den bedingten Strafvollzug ermöglichenden Strafe von 18 Monaten Gefängnis
führte, ist aus diesen Gründen bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Die
Vorinstanz hat die hiefür massgebenden Gesichtspunkte berücksichtigt und
ihr Ermessen bei deren Gewichtung nicht überschritten.

    Der Drogenmenge kommt hier schon deshalb nicht das von der
Beschwerdeführerin geforderte Gewicht zu, weil Haschisch nach dem
derzeitigen Stand der Erkenntnisse auch in grossen Mengen nicht geeignet
ist, die körperliche und seelische Gesundheit vieler Menschen in eine
naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen (BGE 117 IV 314 ff.). Im
übrigen hat die Drogenmenge bei der Strafzumessung auch sonst keine
vorrangige Bedeutung. Sie ist nur ein Gesichtspunkt der Strafzumessung
neben anderen (BGE 118 IV 348). Daher überschritt oder missbrauchte
die Vorinstanz ihr Ermessen auch nicht, wenn sie unter Berücksichtigung
aller Umstände das Tatunrecht und die Tatschuld nicht als derart schwer
betrachtete, dass eine Strafdauer von 18 Monaten, die die Gewährung des
bedingten Strafaufschubes erlaubt, ausgeschlossen wäre.