Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 305



118 IV 305

54. Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1992 i.S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau gegen B. (Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 6 Ziff. 1 StGB; Umwandlung einer nach ausländischem Recht
auszusprechenden Sanktion in eine solche des schweizerischen Rechts.

    Der schweizerische Richter, der ausländisches Strafrecht anzuwenden
hat, muss die Sanktion, die nach ausländischem Recht auszusprechen wäre,
in eine gleichartige und gleichwertige Sanktion des schweizerischen Rechts
umwandeln (E. 3a). Die gleichzeitige Anwendung von in- und ausländischen
Strafrechtsregeln ist ausgeschlossen (E. 2b).

    Umwandlung einer Freiheitsstrafe von 1 Monat (gemäss § 38 dStGB)
mit bedingtem Strafvollzug und einer Weisung (§§ 56, 56a und 56c dStGB)
in eine Gefängnisstrafe gemäss Art. 36 i.V.m. Art. 41 Ziff. 1 und 2 StGB
(E. 3b).

Sachverhalt

    A.- Das Bezirksgericht Aarau sprach die Schweizerin B. der Doppelehe
im Sinne von § 171 des deutschen Strafgesetzbuches (dStGB) schuldig und
verurteilte sie in Anwendung dieser Bestimmung sowie von Art. 6 Ziff. 1
StGB, Art. 35 Abs. 1 lit. a IRSG und § 46 dStGB zu einer Gefängnisstrafe
von einem Monat, unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges mit einer
Probezeit von 2 Jahren gemäss §§ 56 und 56a dStGB. Ferner erteilte es
ihr im Sinne von § 56c dStGB die Weisung, sich wöchentlich einmal in
psychotherapeutische Behandlung zu begeben und sich halbjährlich bei der
Staatsanwaltschaft über die erfolgte Behandlung auszuweisen.

    Eine dagegen eingereichte Berufung der Staatsanwaltschaft wies das
Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 14. Juli 1992 ab, wobei
es von Amtes wegen in der Ziff. 2 des Dispositivs des erstinstanzlichen
Urteils den Begriff "Gefängnisstrafe" durch "Freiheitsstrafe" ersetzte.

    B.- Gegen diesen Entscheid führt die Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit der sie beantragt,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
im Sinne der Beschwerdebegründung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das
Obergericht des Kantons Aargau und B. verzichteten auf Gegenbemerkungen.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Ausfällung einer
"Freiheitsstrafe" nach deutschem Recht anstelle einer Gefängnisstrafe
verletze Bundesrecht. Konsequenterweise müsste eine "Freiheitsstrafe"
auch nach den Regeln des deutschen Rechts vollzogen werden. Es sei
aber unvorstellbar, wie sich eine solche Praxis gestalten sollte,
insbesondere wenn etwa Sanktionen aus fremden Rechtskulturen vollzogen
werden müssten. Ferner überzeuge auch die Anwendung des deutschen Rechts
bezüglich der Gewährung des bedingten Strafvollzuges und einer damit
verbundenen Weisung nicht. Die Vorinstanz vertrete in dieser Hinsicht
die Auffassung, mit der Frage des anwendbaren Rechts für die materielle
Tatbeurteilung sei zwangsläufig auch die Entscheidung über das anwendbare
Recht für die Gewährung des bedingten Strafvollzuges getroffen. Sie setze
sich somit nicht mit der Frage auseinander, ob das deutsche Recht in
dieser Hinsicht das mildere sei. Wenn man aber davon ausgehen wolle, dass
grundsätzlich auch in diesem Bereich die ausländischen Strafrechtsregeln,
sofern für den Angeklagten günstiger, zu übernehmen seien, müsse in
bezug auf diesen Punkt die Frage des anwendbaren Rechts gesondert,
d.h. unabhängig von dem bei der materiellen Beurteilung der begangenen
Straftaten gefällten Entscheid, geprüft werden. Im zu beurteilenden Fall
ergebe sich für die Beschwerdegegnerin aus der Anwendung des deutschen
Rechts in diesem Bereich keine Vorteile. Wenn das deutsche Recht aber
nicht das mildere sei, müsse schweizerisches Recht angewendet werden.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Auffassung des Bezirksgerichtes Aarau hat die
Beschwerdegegnerin sowohl den Tatbestand der mehrfachen Ehe gemäss Art. 215
StGB als auch denjenigen der Doppelehe gemäss § 171 dStGB erfüllt,
indem sie in Hamburg S. heiratete, obwohl sie noch rechtsgültig mit
B. verheiratet war. Es erachtete die Voraussetzungen von Art. 6 Ziff. 1
StGB als erfüllt und betrachtete das deutsche Recht als das mildere, weil
Art. 215 StGB (in der Fassung gemäss BG vom 23.6.1989) Gefängnis androhe,
während die deutsche Gesetzesbestimmung wahlweise die Bestrafung mit einer
Freiheitsstrafe oder mit einer Geldstrafe erlaube und im konkreten Fall
eine Bestrafung mit einer Busse nicht zum vornherein ausgeschlossen sei.

    b) Die Anwendung von § 171 dStGB war im kantonalen Berufungsverfahren
nicht streitig; der erstinstanzliche Entscheid ist im Schuldspruch
somit in Rechtskraft erwachsen. Der Schuldspruch gemäss § 171 dStGB
ist auch im bundesgerichtlichen Verfahren nicht angefochten. Ob die
Vorinstanz nach dem Grundsatz der lex mitior zu Recht ausländisches
Recht angewendet hat, ist daher nicht zu prüfen. Damit ist entgegen der
Auffassung der Beschwerdeführerin auch festgelegt, dass hinsichtlich der
Strafzumessung und der Gewährung des bedingten Strafvollzuges deutsches
Recht zur Anwendung gelangt, da die gleichzeitige Anwendung von in-
und ausländischen Strafrechtsregeln grundsätzlich ausgeschlossen ist
(BGE 109 IV 93 E. c; TRECHSEL, Kurzkommentar zum StGB, N 11 a.E. zu
Art. 2). Dies folgt im übrigen schon aus der konkreten Methode zur
Ermittlung des milderen Rechts, bei der in einer Gesamtbeurteilung unter
Einschluss der Strafzumessungsregeln sowie der Bestimmungen über die
Gewährung des bedingten Strafvollzuges der Sachverhalt sowohl nach in-
wie nach ausländischem Recht zu beurteilen und danach festzustellen ist,
welche Lösung die mildere ist (vgl. dazu TRECHSEL, aaO, N 11 zu Art. 2
und die dort zitierten Bundesgerichtsentscheide).

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin wendet indes zu Recht ein, die Vorinstanz
hätte keine Strafe nach deutschem Recht aussprechen dürfen, sondern
dieselbe in eine solche nach schweizerischem Recht umwandeln müssen.

    a) Nach einhelliger Lehre kann der schweizerische Richter,
der ausländisches Strafrecht anzuwenden hat, nur eine Sanktion des
schweizerischen Rechts aussprechen. Er muss daher die Sanktion, die
nach ausländischem Recht auszusprechen wäre, in eine gleichartige
und gleichwertige Sanktion des schweizerischen Rechts umwandeln
(JEAN-LUC COLOMBINI, La prise en considération du droit étranger
dans le jugement pénal, Diss. Lausanne 1983, S. 110 N 167; HAFTER,
Lehrbuch des schweizerischen Strafrechts, Allg. Teil, 2. Auflage, S.
59; G.F. VON CLERIC, Die Anwendung ausländischen Strafrechts durch
den inländischen Richter, ZStrR 37/1924, S. 72; vgl. auch THORMANN/VON
OVERBECK, Schweiz. Strafgesetzbuch, Band 1, N 14 zu Art. 5). Für die
stellvertretende Rechtspflege gemäss Art. 85 IRSG bestimmt Art. 86
Abs. 2 Satz 2 IRSG denn auch ausdrücklich: "Der Richter kann nur die im
schweizerischen Recht vorgesehenen Sanktionen verhängen" (vgl. allgemein
zur Umwandlung: DIETRICH OEHLER, Internationales Strafrecht, 2. Aufl.,
S. 595 ff.). Diese Regelung drängt sich im übrigen aus naheliegenden
Gründen auf, da die Schweiz andernfalls verpflichtet wäre, für den Vollzug
ausländischer Sanktionen besondere Vollzugsverfahren oder gar spezielle
Vollzugsanstalten zu schaffen.

    b) Die Freiheitsstrafe von 1 Monat, unter Gewährung des bedingten
Strafvollzuges mit einer Probezeit von 2 Jahren und einer Weisung gemäss §§
56, 56a und 56c dStGB, hätte die Vorinstanz somit in eine gleichartige und
gleichwertige Sanktion des schweizerischen Rechts umwandeln müssen. Die
Nichtigkeitsbeschwerde ist daher gutzuheissen, der angefochtene Entscheid
aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung im Strafpunkt an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Vorinstanz wird eine Gefängnisstrafe nach Art. 36 StGB zu
verhängen haben, da diese im zu beurteilenden Fall einer einmonatigen
Strafe am besten der Einheitsfreiheitsstrafe gemäss § 38 dStGB (vgl. dazu
SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 24. Aufl., Vorbem. §§
38 ff. N 26 und 34) entspricht. Beim bedingten Strafvollzug, der Probezeit
und der in diesem Zusammenhang erteilten Weisung darf die deutsche Regelung
der Strafaussetzung zur Bewährung gemäss §§ 56 ff. dStGB als jener des
schweizerischen Rechts nach Art. 41 Ziff. 1 und Ziff. 2 StGB gleichwertig
betrachtet werden, so dass die Umwandlung insoweit in Anwendung dieser
schweizerischen Bestimmungen zu erfolgen haben wird.