Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 227



118 IV 227

41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. September
1992 i.S. X., Y. und Z. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 111, Art. 133, Art. 134 StGB; vorsätzliche Tötung, Raufhandel,
Angriff; Mittäterschaft.

    Richtet sich der Vorsatz des Teilnehmers an einem Raufhandel oder
Angriff auf Tötung oder Körperverletzung, so ist er neben Art. 133
oder Art. 134 StGB auch wegen Art. 111 ff. oder Art. 122 ff. StGB zu
verurteilen. War der Verletzte die einzige angegriffene Person, wird
Art. 134 durch den Verletzungstatbestand konsumiert (E. 5b).

    Für die Mittäterschaft genügt, dass der Beteiligte sich den Vorsatz
seines Mittäters zu eigen macht; eine Mitwirkung an der Enstchlussfassung
ist nicht erforderlich. Der Mittäter haftet nur bis zur Grenze seines
Vorsatzes; der Exzess des Mittäters kann ihm nicht angerechnet werden
(E. 5d).

Sachverhalt

    A.- Der Pakistani Z. wurde in der Nacht vom 20. Dezember 1988 vor
der Kaserne Zürich/Notschlafstelle für Asylbewerber von einer Gruppe
Inder verprügelt. In der Absicht, in gleicher Weise Vergeltung zu
üben, begab er sich zwei Tage später in Begleitung von X. und Y. sowie
ihres Landsmanns B. zur Tramhaltestelle am Central. Dort näherten sie
sich einer Gruppe Inder, in der Z. das spätere Opfer S. als einen der
Teilnehmer an der Schlägerei erkannte. Als sie auf die Gruppe zugingen,
zog S. ein Küchenmesser aus seiner Jacken-Innentasche hervor, mit welchem
er Stichbewegungen in Richtung der Pakistani führte und X. an der linken
Schulter verletzte. Dieser ergriff daraufhin das Butterfly-Messer des
B. Währenddessen schlug Z. dem S. mit seiner Jacke das Küchenmesser aus
der Hand.

    Nach seiner Entwaffnung ergriff S. sogleich die Flucht. Beim
unteren Teil der Tramhaltestelleninsel Central kam er zu Fall,
worauf die Verfolger über ihn herfielen. Z. versetzte dem wehrlosen
Opfer einen Stich mit dem Küchenmesser in die rechte Schulter und
trainierte es mit Faustschlägen und Fusstritten. X. fügte S. weitere
fünf Stichverletzungen mit dem Butterfly-Messer zu und Y. versetzte
ihm Faustschläge und Fusstritte. S. starb an den Folgen einer ihm von
X. zugefügten Stichverletzung.

    Mit Urteil vom 5. Juli 1991 sprach das Geschworenengericht des Kantons
Zürich X., Y. und Z. der vorsätzlichen Tötung schuldig und verurteilte sie
zu Strafen von 7 Jahren Zuchthaus für X. und Z. bzw. 6 Jahren Zuchthaus
für Y. Von der Anklage des Raufhandels sprach es sie frei.

    Gegen dieses Urteil führen X., Y. und Z. eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde, mit der sie Aufhebung des angefochtenen Urteils und
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur neuen Beurteilung beantragen.

    Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde des X. ab und
heisst diejenigen von Y. und Z. gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- b) Die Beschwerdeführer machen geltend, ihr Vorsatz habe sich
lediglich auf die Anzettelung einer Schlägerei oder allenfalls die
Durchführung eines Angriffs, nicht aber auf eine Tötung erstreckt.

    Die Art. 133 und 134 StGB stehen in Idealkonkurrenz zum
Verletzungsdelikt (TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht, Kurzkommentar,
Art. 133 N 8 und Art. 134 N 4; NOLL, Schweizerisches Strafrecht,
Bes. Teil I, S. 65; REHBERG, Strafrecht III, 5. Aufl., S. 57). Der
Vorsatz richtet sich bei Art. 133 und 134 StGB lediglich auf die
Beteiligung am Raufhandel bzw. am Angriff, nicht aber auf die Todes-
oder Verletzungsfolge. Ist die vorsätzliche oder fahrlässige Tötung
oder Körperverletzung eines Teilnehmers durch einen bestimmten anderen
Beteiligten an der tätlichen Auseinandersetzung nachgewiesen, ist dieser
neben Art. 133 auch nach Art. 111 ff. bzw. Art. 122 ff. zu verurteilen
(BGE 83 IV 192; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, §
4 N 38). Dasselbe gilt grundsätzlich auch für Art. 134 StGB. War jedoch
der Verletzte die einzige angegriffene Person, wird Art. 134 StGB durch
den Verletzungstatbestand konsumiert (REHBERG, aaO, S. 57; vgl. ferner
STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allg. Teil I, § 18 N 6).
   c) (Das Bundesgericht bejaht den Tötungsvorsatz beim Beschwerdeführer
   1).

    d) Im folgenden ist zu prüfen, ob die Vorinstanz zu Recht angenommen
hat, die Beschwerdeführer 2 und 3 hätten sich den Eventualvorsatz
des Beschwerdeführers 1 zu eigen gemacht und bei ihrem Vorgehen gegen
S. als dessen Mittäter gehandelt. Dabei ist zu beachten, dass nach den
Feststellungen der Vorinstanz die Messerstiche, Faustschläge und Fusstritte
mehr oder weniger gleichzeitig erfolgten und sich der ganze Vorfall sehr
schnell abspielte.

    aa) Nach der Rechtsprechung ist Mittäter, wer bei der Entschliessung,
Planung, oder Ausführung eines Deliktes vorsätzlich und in massgebender
Weise mit anderen Tätern zusammenwirkt, so dass er als Hauptbeteiligter
dasteht (BGE 108 IV 92). In der Literatur wird demgegenüber stärker auf
die Tatherrschaft abgestellt. Danach kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag
nach den Umständen des konkreten Falles für die Ausführung des Deliktes so
wesentlich ist, dass sie mit ihm steht oder fällt (STRATENWERTH, Allg. Teil
I, § 13 N 55; vgl. auch NOLL/TRECHSEL, Schweizerisches Strafrecht,
Allg. Teil I, 3. Aufl., S. 159 f.; BERNHARD PETER, Zur Mittäterschaft
nach schweizerischem Strafrecht, Zürich 1984, S. 38 ff., 53 f.). Das
Bundesgericht betonte, dass das blosse Wollen der Tat, der subjektive
Wille allein, zur Begründung von Mittäterschaft nicht genüge; daraus
ergebe sich aber nicht, dass Mittäter nur sei, wer an der eigentlichen
Tatausführung selber beteiligt sei, bzw. diese - allenfalls aus Distanz
- zu beeinflussen vermöge. Ob darin, wie TRECHSEL (Kurzkommentar, N 11
vor Art. 24) meint, eine Absage an die Tatherrschaftslehre liegt, ist
zweifelhaft (vgl. NOLL/TRECHSEL, aaO, S. 159). In BGE 111 IV 53 wurde für
die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Gehilfenschaft ausdrücklich darauf
abgestellt, dass der Gehilfe keine Herrschaft über den Tatablauf besitze.

    Mittäterschaft setzt unter anderem einen gemeinsamen Tatentschluss
voraus. Dieser muss indes nicht ausdrücklich bekundet werden; es genügt,
wenn er konkludent zum Ausdruck kommt (BGE 115 IV 161), wie etwa dann,
wenn mehrere in stillschweigendem Einverständnis auf einen anderen
einzuschlagen beginnen (STRATENWERTH, Allg. Teil I, § 13 N 50). Dabei ist
nicht erforderlich, dass der Mittäter bei der Entschlussfassung mitwirkte;
es genügt, dass er sich später den Vorsatz seines Mittäters zu eigen macht
(TRECHSEL, aaO, N 12 vor Art. 24 mit Verweis auf BGE 111 IV 77).

    Wenn die Rechtsprechung angenommen hat, Mittäterschaft könne auch
darin liegen, dass einer der Teilnehmer massgeblich bei der Entschliessung
oder Planung des Deliktes mitgewirkt hat, so darf daraus nicht geschlossen
werden, Mittäterschaft sei ausschliesslich möglich, wenn die Tat im voraus
geplant und aufgrund eines vorher gefassten gemeinsamen Tatentschlusses
ausgeführt werde (so schon BGE 108 IV 92). Mittäterschaft ist nämlich
jedenfalls dann gegeben, wenn einer der Beteiligten bei der konkreten
Ausführung an der Erfüllung des Tatbestandes mitwirkt und zugleich den
Vorsatz bezüglich der Tatbegehung hat (vgl. STRATENWERTH, Allg. Teil I,
§ 13 N 50).

    bb) Die Vorinstanz ging davon aus, dass die vier Pakistani
zu Beginn der Begebenheit gemeinsam entschlossen waren, den Inder
S. zusammenzuschlagen. Aufgrund der Gegenwehr von S. mit einem Messer
und der Verletzung des Beschwerdeführers 1 ist das Geschehen in der Folge
offensichtlich eskaliert. Die gemeinsame Verfolgung des Inders durch
die Beschwerdeführer und B. ist grundsätzlich, wie die Beschwerdeführer
zu Recht geltend machen, als gemeinsamer Angriff im Sinne von Art. 134
StGB zu werten. Indem sich alle vier Pakistani nach der Fluchtergreifung
des Inders unverrichteter Dinge an dessen Verfolgung machten, brachten
sie konkludent zum Ausdruck, dass sie S. gemeinsam angreifen wollten. In
dieser Hinsicht ist Mittäterschaft zu bejahen.

    Hinsichtlich der Tötung verletzte die Vorinstanz indessen Bundesrecht,
wenn sie aufgrund ihrer tatsächlichen Feststellungen Mittäterschaft der
Beschwerdeführer 2 und 3 bejahte. Diese wirkten bei der Tötungshandlung
nicht in einem Ausmass mit dem Beschwerdeführer 1 zusammen, dass sie als
Hauptbeteiligte erscheinen würden. Einen gemeinsamen Tatentschluss hat die
Vorinstanz verneint. Ferner leisteten weder der Beschwerdeführer 2 noch
der Beschwerdeführer 3 Tatbeiträge, die für die Ausführung des Deliktes von
derart wesentlicher Bedeutung waren, dass diese mit ihnen stand oder fiel.

    cc) Hinsichtlich des Beschwerdeführers 3 nahm die Vorinstanz an, der
Tötungsvorsatz ergebe sich daraus, dass er das Küchenmesser des Inders
mitgenommen und damit auf das Opfer eingestochen habe. Sie führte aus,
hiefür sei kein anderer Grund ersichtlich, als dass er das Messer auch
habe einsetzen wollen. Mit seinem Handeln habe er seine grundsätzliche
Absicht kundgetan, die Auseinandersetzung nun mit Messern fortzuführen,
unabhängig davon, ob dies den Tod des Inders zur Folge haben könne oder
nicht. Da er überdies gewusst habe, dass auch der Beschwerdeführer 1 bei
der gemeinsamen Verfolgung ein Messer mit sich führte, habe er mit der
Möglichkeit der Tötung des Opfers rechnen müssen und dies auch in Kauf
genommen, auch wenn es ihm in erster Linie um Vergeltung und Rache gegangen
und der Tod des Opfers für ihn eine unerwünschte Nebenfolge gewesen sei.

    Der Beschwerdeführer 3 verletzte das Opfer nach den Feststellungen der
Vorinstanz mit dem Küchenmesser in der rechten Schulter und traktierte
es mit Fusstritten und Faustschlägen. Da Messerstiche, Faustschläge
und Fusstritte in schneller Abfolge mehr oder weniger gleichzeitig
erfolgten, kann nicht gesagt werden, er hätte die Messerstiche, die der
Beschwerdeführer 1 ausführte, beobachten und sich darüber klar werden
können, dass er sich an einer Tötung beteiligte. Ferner ist zu beachten,
dass nach der Entwaffnung und Flucht des späteren Opfers nichts mehr
im Wege stand, bloss die ursprüngliche Absicht zu verwirklichen, den
Widersacher zusammenzuschlagen. Der Beschwerdeführer 3 machte sich
daher, wenn er seinerseits auf das Opfer einschlug, den Tötungsvorsatz
des Beschwerdeführers 1 auch nicht nachträglich zu eigen (sukzessive
Mittäterschaft). Aus dem blossen Wissen, dass der Beschwerdeführer 1
bei der Verfolgung des Inders ein Messer mit sich führte, lässt sich
dies nicht ableiten. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass er selber
ein Messer trug und damit einmal nicht gezielt auf das Opfer einstach,
ohne es aber tödlich zu verletzen. Da der Mittäter nur bis zur Grenze
seines Vorsatzes haftet, liegt somit hinsichtlich der Stichverletzungen,
die zum Tod des Inders führten, ein Exzess des Beschwerdeführers 1 vor,
für den der Beschwerdeführer 3 nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann
(ROXIN, Leipziger Kommentar, 10. Aufl., § 25 N 121).

    Aus seinem Handeln ergibt sich jedoch, dass sein Vorsatz über die
Ausführung eines Angriffs hinausging. Wer einem Wehrlosen mit einem
Messer einen Stich in die Schulter versetzt, nimmt in Kauf, dass er
diesem eine Verletzung zufügt. Ob sich der Vorsatz des Beschwerdeführers
3 in bezug auf seine eigene Handlung auf die Tötung des S. erstreckte,
wobei in seinem Fall lediglich Versuch in Frage käme, ist unklar. Da
der Tötungsvorsatz des Beschwerdeführers 1 dem Beschwerdeführer 3 nicht
angerechnet werden kann, verletzt jedenfalls der Schuldspruch wegen
(vollendeter) vorsätzlicher Tötung Bundesrecht. Das angefochtene Urteil
ist daher hinsichtlich des Beschwerdeführers 3 aufzuheben und an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird in ihrer Neubeurteilung abzuklären
haben, ob der Vorsatz des Beschwerdeführers 3 sich auf die Zufügung einer
(schweren) Körperverletzung oder auf eine Tötung richtete.

    dd) Auch hinsichtlich des Beschwerdeführers 2 verstösst die Zurechnung
des Tötungsvorsatzes des Beschwerdeführers 1 gegen Bundesrecht. Da dieser
lediglich mit Händen und Füssen auf den wehrlosen S. einprügelte, blieb
er im Rahmen des nach der Entwaffnung des Inders konkludent geschlossenen
Vorsatzes auf Durchführung eines Angriffs.