Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 218



118 IV 218

39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. April 1992 i.S. S.
gegen Regierung des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 38 Ziff. 2 und Art. 47 StGB; bedingte Entlassung aus dem
Strafvollzug; Anordnung einer Schutzaufsicht.

    Die Schutzaufsicht soll dem Betroffenen vor allem eine Hilfe sein. Bei
der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug ist ihre Anordnung in weitem
Umfang zulässig (E. 2b).

Sachverhalt

    A.- S. befand sich im Strafvollzug zur Verbüssung dreier wegen
verschiedener Vermögensstraftaten verhängter Freiheitsstrafen von insgesamt
sechs Jahren und neun Monaten.

    Am 10. Dezember 1991 beschloss die Regierung des Kantons Graubünden,
S. nach zwei Dritteln der Strafzeit, d.h. auf den 19. Dezember 1991,
bedingt aus dem Strafvollzug zu entlassen. Die Probezeit setzte sie auf
drei Jahre fest. Zudem ordnete sie für deren Dauer eine Schutzaufsicht an.

    B.- Dagegen führt S. Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Er beantragt,
auf die Anordnung einer Schutzaufsicht sei zu verzichten.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Gemäss Art. 38 Ziff. 2 Satz 1 StGB bestimmt die zuständige
Behörde dem bedingt Entlassenen eine Probezeit, während der er unter
Schutzaufsicht gestellt werden kann. Unter welchen Voraussetzungen eine
Schutzaufsicht anzuordnen ist, sagt das Gesetz nicht. Der Behörde steht
insoweit deshalb ein erheblicher Ermessensspielraum zu.

    b) Der Inhalt und Zweck der Schutzaufsicht ist geregelt in Art. 47
StGB. Danach sucht sie den ihr Anvertrauten zu einem ehrlichen Fortkommen
zu verhelfen, indem sie ihnen mit Rat und Tat beisteht, namentlich bei
der Beschaffung von Unterkunft und Arbeit (Abs. 1). Sie beaufsichtigt die
ihr Anvertrauten unauffällig, so dass ihr Fortkommen nicht erschwert wird
(Abs. 2). Sie hat darauf zu achten, dass trunksüchtige, rauschgiftsüchtige
oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustandes zu Rückfällen
neigende Schützlinge in einer geeigneten Umgebung untergebracht und,
wenn nötig, ärztlich betreut werden (Abs. 3).

    An erster Stelle nennt das Gesetz bei der Regelung der Schutzaufsicht
somit den Beistand mit Rat und Tat; von der Beaufsichtigung spricht es
erst an zweiter Stelle. Die Schutzaufsicht soll dem Betroffenen demnach
vor allem eine Hilfe sein und sich zu seinen Gunsten auswirken. Ihre
Anordnung ist daher nicht an enge Voraussetzungen gebunden. In weitem
Umfang ist sie zulässig bei der bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug
nach Art. 38 StGB, vor allem nach längerer Freiheitsentziehung. Denn der
bedingt zu Entlassende befindet sich - vielfach anders als der zu einer
bedingten Freiheitsstrafe Verurteilte, der ebenfalls unter Schutzaufsicht
gestellt werden kann (Art. 41 Ziff. 2 Satz 1 StGB) - regelmässig in einer
schwierigen persönlichen Lage. Er muss sich, nachdem ihm die Freiheit
entzogen und er von der Aussenwelt getrennt war, in die Gesellschaft
wiedereingliedern und sich in der Freiheit zurechtfinden. Er muss
insbesondere seine persönlichen Verhältnisse regeln und, soweit das
nicht schon vor der Entlassung möglich war, eine Wohnung und Arbeit
finden. Das wird ihm, namentlich nach einem langen Freiheitsentzug,
vielfach schwerfallen. Eine Hilfe in Form einer Schutzaufsicht ist hier
im Hinblick auf die Verminderung der Rückfallgefahr oft notwendig und
sinnvoll.

    An die Anordnung einer Schutzaufsicht bei der bedingten Entlassung
sind auch deshalb nur geringe Anforderungen zu stellen, weil diese
Massnahme vor dem Hintergrund des Stufenstrafvollzugs gesehen werden
muss, bei dem der Betroffene allmählich an die Lebensverhältnisse in
Freiheit herangeführt wird und Beschränkungen der persönlichen Freiheit
schrittweise entfallen (vgl. Art. 37 Ziff. 3 StGB). Die bedingte Entlassung
bildet die letzte Stufe des Strafvollzugs; beendigt ist er erst mit der
endgültigen Entlassung (vgl. SCHULTZ, Einführung in den allgemeinen Teil
des Strafrechts, zweiter Band, 4. Aufl., S. 58). Auch mit Blick darauf
muss es gerechtfertigt sein, in Fällen, in denen der Betroffene mit dem
Übertritt in das Leben in Freiheit voraussichtlich Schwierigkeiten haben
wird, mit der bedingten Entlassung nicht sämtliche Beschränkungen des
Strafvollzugs aufzuheben, sondern eine Schutzaufsicht zu verfügen und
damit eine geringfügige strafvollzugsrechtliche Beeinträchtigung der
persönlichen Freiheit bis zur endgültigen Entlassung aufrechtzuerhalten.

    c) Der einschlägig vorbestrafte Beschwerdeführer befand sich
viereinhalb Jahre im Strafvollzug. Er ist bald 67 Jahre alt und an den
Rollstuhl gebunden. Vermögen hat er nicht. Unter diesen Umständen durfte
die Vorinstanz davon ausgehen, dass sich dem Beschwerdeführer mit der
Strafentlassung Probleme stellen können, für deren Bewältigung eine Hilfe
der Schutzaufsicht notwendig und sinnvoll sein kann. Mit deren Anordnung
hat sie ihr Ermessen folglich nicht überschritten. Die Beschwerde ist
daher abzuweisen.