Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 200



118 IV 200

36. Urteil des Kassationshofes vom 2. Juni 1992 i.S. W. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde). Regeste

    Art. 19 und Art. 19a BetmG. Abgrenzung.

    1. Wer den Kontakt zwischen Kaufinteressenten und Drogenverkäufern
herstellt, um mit der aus dem nachfolgenden Drogengeschäft resultierenden,
aus einem Drogenanteil bestehenden Provision den Eigenkonsum zu sichern,
macht sich der Vermittlung im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG
schuldig (E. 2).

    2. Der privilegierte Tatbestand von Art. 19a BetmG erfasst nur jene
Beschaffungshandlungen, die ausschliesslich dem eigenen Drogenkonsum dienen
und somit eine Gefährdung Dritter ausschliessen. Nicht privilegiert sind
Beschaffungshandlungen, die zum Drogenkonsum Dritter führen oder konkret
führen können, wie insbesondere Verkauf, Vermittlung oder entsprechendes
Lagern (E. 3).

Sachverhalt

    A.- W. verkaufte unter anderem einem Dritten Tonopan als Heroin und
vermittelte verschiedenen Personen Heroin und Kokain zur Finanzierung
seines Eigenkonsums. Das Strafamtsgericht von Bern verurteilte ihn
am 19. Oktober 1989 wegen Betrugs, wiederholter und fortgesetzter
Widerhandlung gegen Art. 19a BetmG sowie weiterer Delikte zu vier Monaten
Gefängnis.

    B.- Auf Appellation des Bezirksprokurators des Mittellandes, vom
Generalprokurator des Kantons Bern darauf beschränkt, W. sei nicht in
Anwendung von Art. 19a, sondern von Art. 19 Ziff. 2 BetmG schuldig zu
sprechen und entsprechend höher zu bestrafen, verurteilte das Obergericht
des Kantons Bern W. am 23. Februar 1990 wegen Betrugs, wiederholter und
fortgesetzter Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 und 2 und Art. 19a
BetmG sowie weiterer Delikte zu 13 Monaten Gefängnis.

    C.- W. erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag,
das Urteil des Obergerichts sei hinsichtlich des Schuldspruches
wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz
sowie der Strafzumessung aufzuheben und die Sache sei an die Vorinstanz
zurückzuweisen mit der Weisung, die Drogendelikte unter den privilegierten
Tatbestand des Art. 19a BetmG zu subsumieren.

    Das Bundesgericht weist die Nichtigkeitsbeschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdeführer in der
Zeit von April bis Juli 1988 36 Gramm und von April bis Juli 1989 27
Gramm, insgesamt also 63 Gramm Heroin und von August 1988 bis Juni
1989 10 Gramm Kokain zum Zwecke des Eigenkonsums vermittelt hat. Er
habe aufgrund einer zumindest konkludenten Vereinbarung mit den Dealern
jeweils für die Vermittlung von drei Lappen-Briefchen als Vermittlerlohn
ein Lappen-Briefchen erhalten; er habe jeweils die Dealer angefragt und
für verschiedene Personen vermittelt; er habe Kaufinteressenten zum
Dealer gebracht; wenn mehr gekauft wurde, habe er auch eine grössere
Provision erhalten.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, seine Tätigkeit sei nicht
als "vermitteln" im Sinne von Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG, sondern als
straflose (weil nicht "öffentliche" im Sinne von Abs. 8) Bekanntgabe von
Gelegenheiten zum Drogenerwerb zu qualifizieren.

    Dieser Einwand ist unbegründet. Wer, wie der Beschwerdeführer, den
Kontakt zwischen Dealer und Kaufinteressenten herstellt, der erfüllt den
Tatbestand der Vermittlung. In diesem Verhalten liegt mehr als das blosse
Auffordern zum Betäubungsmittelkonsum oder die Bekanntgabe der Gelegenheit
zum Erwerb von Betäubungsmitteln. Auch die vom Beschwerdeführer getroffene
Vereinbarung betreffend seinen Provisionsanteil ist nicht typisch für
das Aufforderungsdelikt gemäss Abs. 8, sondern ist ein weiteres Indiz
für das Vermitteln im Sinne von Abs. 4. Im übrigen liegt in der Tätigkeit
des Beschwerdeführers zumindest eine Teilnahme am In-Verkehr-Bringen von
Betäubungsmitteln, was als weiteres Argument dafür spricht, sein Verhalten
unter Abs. 4 zu subsumieren.

Erwägung 3

    3.- a) Die vorsätzliche Vermittlung von Betäubungsmitteln ist
nach Art. 19 Ziff. 1 BetmG mit Gefängnis oder Busse zu bestrafen,
in schweren Fällen mit Zuchthaus oder Gefängnis nicht unter einem
Jahr, womit eine Busse bis zu einer Million Franken verbunden werden
kann. Demgegenüber sieht der privilegierte Tatbestand von Art. 19a Ziff. 1
BetmG eine Strafdrohung von Haft oder Busse bis Fr. 5'000.-- vor für die
vorsätzliche Konsumation von Betäubungsmitteln sowie für die Begehung
einer Widerhandlung im Sinne von Art. 19 "zum eigenen Konsum".

    Die Vorinstanz will den privilegierten Tatbestand nur auf solche
Beschaffungshandlungen anwenden, die ausschliesslich dem eigenen
Konsum dienen, nicht aber auf die Vermittlung von Drogenkäufern an
Dealer. Nach Ansicht des Beschwerdeführers sind demgegenüber alle in
Art. 19 BetmG aufgezählten Handlungen, also auch der Drogenverkauf und
die Drogenvermittlung, ausschliesslich nach Art. 19a BetmG zu ahnden,
sofern sie den eigenen Konsum ermöglichen sollen.

    b) Das Bundesgericht hat angenommen, nur ausschliesslich für
den Eigenkonsum bestimmte Vorbereitungshandlungen würden unter den
privilegierten Tatbestand fallen (BGE 108 IV 196; vgl. bereits BGE 102
IV 196 f.). Die Anwendung des privilegierten Tatbestandes kommt deshalb
nicht in Betracht, sobald die Verstösse gegen Art. 19 BetmG zum Konsum von
Dritten führen müssen oder einen solchen Konsum neben dem Eigenverbrauch
gestatten sollen.

    c) Massgebende Richtlinie bei der Auslegung des privilegierten
Tatbestandes ist in der Lehre und Rechtsprechung die Gefährdung
Dritter. Dementsprechend wird überwiegend hervorgehoben, dass Art. 19a
Ziff. 1 BetmG blosse Beschaffungshandlungen, diese aber umfassend
privilegiere, während Weitergabehandlungen nach Art. 19 BetmG zu bestrafen
seien. Danach seien nur jene Widerhandlungen im Sinne von Art. 19 BetmG,
die mit eigenem Konsum überhaupt vereinbar sind (Herstellen, Ausziehen,
Umwandeln, Verarbeiten, Lagern, Ein-, Aus-, Durchführen, Befördern,
Besitzen, Aufbewahren, Kaufen, Erlangen) als blosse Übertretungen anzusehen
(vgl. GÜNTER HEINE, in JÜRGEN MEYER (Hrsg.): Betäubungsmittelstrafrecht
in Westeuropa, Freiburg i.Br. 1987 S. 580 f. mit Hinweisen).

    Allerdings ist nicht zu übersehen, dass diese Auffassung zu
Konsequenzen führt, die der Gesetzgeber von 1975 offenbar nicht
vorausgesehen hat (vgl. HEINE, aaO, S. 581; GUIDO JENNY, Strafrecht
in der Drogenpolitik: Eine kritische Bilanz, in: BÖKER/NELLES (Hrsg.):
Drogenpolitik wohin? Bern 1991, S. 171): Bei Drogenabhängigen, die ihren
Konsum auch durch Drogenhandel finanzieren, was bei einem Grossteil der
Betroffenen der Fall sein dürfte, kann der privilegierte Tatbestand kaum
angewendet werden. Hinzu kommt, dass je länger ein Drogenabhängiger seinen
Konsum aus dem Drogenhandel finanziert und je grösser dementsprechend
die Menge der in Verkehr gebrachten Betäubungsmittel ist, desto eher der
qualifizierte Tatbestand (Art. 19 Ziff. 2) anzuwenden ist, jedenfalls dann,
wenn man der Auslegung von Ziff. 2 die Summe der insgesamt gehandelten
Menge zugrunde legt, weshalb die restriktive Auslegung des privilegierten
Tatbestandes auch kritisiert wird (vgl. ALBRECHT, Die strafrechtliche
Beurteilung von Drogenkonsumenten, BJM 1983 S. 217 ff.).

    d) Der Kritik ist insoweit beizupflichten, als die strikte Beschränkung
des privilegierten Tatbestandes auf ausschliesslich für den Eigenkonsum
bestimmte Vorbereitungshandlungen es praktisch verunmöglicht, den
privilegierten Tatbestand auf den süchtigen Konsumenten anzuwenden,
dem es einzig um die Beschaffung des für ihn selbst benötigten
Stoffes geht, der jedoch aufgrund der Realitäten praktisch gezwungen
ist, weitergehende Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz
vorzunehmen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass bei einer Anwendung
des privilegierten Tatbestandes auf sämtliche Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz, die mit dem Endziel des Eigenkonsums erfolgen,
der Kleinhandel in einem Ausmass privilegiert würde, das mit der ratio
von Art. 19 ff. StGB nicht zu vereinbaren ist.

    Grundsätzlich schaffen auch alle Widerhandlungen gegen Art. 19 BetmG,
die allein zum Zwecke des Eigenkonsums begangen werden, eine abstrakte
Gefahr für die geistige und körperliche Integrität und Gesundheit der
Bevölkerung. Würde bereits diese eine Privilegierung nach Art. 19a BetmG
ausschliessen, bliebe kein Raum für die Anwendung dieser Bestimmung. Der
Umstand, dass Handlungen zum ausschliesslichen Zwecke des Eigenkonsums
aber nicht die gleich hohe Gefährdung für Dritte bedeuten, rechtfertigt
deren Privilegierung durch den Gesetzgeber. Wie der Eigenverbrauch
der Drogen deren Weitergabe ausschliesst, schliesst aber auch umgekehrt
die Weitergabe den Eigenverbrauch aus. Jenem, der - sei es auch nur zur
Befriedigung des eigenen Bedarfs - Handel treibt, d.h. Drogen verkauft
oder vermittelt und somit Dritten bzw. potentiellen Konsumenten zugänglich
macht (vgl. BGE 117 IV 60/1 E. 2a), kann der privilegierte Tatbestand
von Art. 19a BetmG nicht zugute kommen. Das gleiche muss gelten, wenn
durch Widerhandlungen gegen Art. 19 BetmG zum Zwecke des eigenen Konsums
eine entsprechende konkrete - und damit eindeutig eine grössere als die
in Art. 19 BetmG gesetzlich vermutete - Gefahr des Zugänglichwerdens von
Drogen für Dritte (z.B. durch entsprechendes Lagern) geschaffen wird.

    Überdies hat der Richter, wie das Bundesgericht in seiner jüngeren
Rechtsprechung verschiedentlich festgestellt hat, bei der Auslegung von
Straftatbeständen auch der angedrohten Sanktion Rechnung zu tragen (BGE
116 IV 315 E. aa). Wer in einem Ausmass wie der Beschwerdeführer sich auf
Provisionsbasis an der Weiterverteilung von harten Drogen beteiligt hat,
hat Leben und Gesundheit seiner Mitmenschen in einem Ausmass gefährdet,
das mit der Übertretungsstrafdrohung von Art. 19a Ziff. 1 BetmG nicht
abgegolten ist.

    Zusammenfassend ergibt sich somit, dass Art. 19a BetmG nur jene
Beschaffungshandlungen erfasst, die ausschliesslich dem eigenen
Drogenkonsum dienen, und dass ein Drogenkonsument nach Art. 19 BetmG
zu bestrafen ist, sofern und soweit seine Beschaffungshandlungen für
den Eigenkonsum tatsächlich auch zum Drogenkonsum Dritter führen oder im
Sinne einer konkreten Gefahr dazu führen können. Ob davon eine Ausnahme zu
machen ist, wenn die Weitergabe an Dritte nur ein unbedeutendes Nebendelikt
darstellt, kann offenbleiben, da die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen
Handlungen offensichtlich mehr als ein blosses Nebendelikt sind.

    e) Dem Beschwerdeführer kann darin beigepflichtet werden, dass dem
drogenabhängigen Konsumenten nach heutiger Anschauung therapeutische
und fürsorgerische Alternativen angeboten werden sollen (vgl. dazu
ALBRECHT, BJM 1983 S. 222 unten). Er übersieht aber, dass dies mit der
rechtlichen Qualifikation der Tat nichts zu tun hat. Auch wenn der
Drogenkonsument nach Art. 19 BetmG verurteilt wird, hat der Richter
die Möglichkeit, den Strafvollzug aufzuschieben und eine ambulante
oder stationäre Massnahme anzuordnen (Art. 44 Ziff. 1 StGB), womit dem
Resozialisierungsgedanken Rechnung getragen ist. Diese Möglichkeit stand
im übrigen dem Beschwerdeführer offen, doch war er nicht bereit, eine
Massnahme anzutreten. Den Akten ist sodann zu entnehmen, dass er von
Dezember 1988 bis April 1989 schon einmal in einer Methadonbehandlung
stand, die nach dem Arztbericht indessen "gänzlich erfolglos" verlief
und abgebrochen werden musste, weil er während der Behandlung Kokain zu
sich nahm und sich den ärztlichen Kontrollen entzog. Nach dem Arztbericht
vom 26. Juli 1989 kann nur eine Internierung den Beschwerdeführer zum
Entzug bringen. Der Beschwerdeführer hat also von den ihm gebotenen
therapeutischen und fürsorgerischen Massnahmen zuerst keinen nützlichen
und im vorliegenden Verfahren überhaupt keinen Gebrauch gemacht, so dass er
sich nicht darüber beklagen kann, dass ihm keine derartigen Möglichkeiten
geboten worden seien.

    f) Die Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 Abs. 1-6 BetmG ist als
abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestaltet (BGE 117 IV 60 E. 2). Unter
diesem Gesichtspunkt sind die weiteren Einwände des Beschwerdeführers
unbehelflich. So kommt es für die Anwendung dieses Tatbestandes
nicht darauf an, ob durch die Tathandlung, hier das Vermitteln, neue
Abnehmerkreise von (noch) nicht süchtigen Personen erschlossen werden
oder ob die vermittelten Abnehmer bereits Süchtige sind. Ebensowenig
kann eine Rolle spielen, ob der Täter die Betäubungsmittel nur einem
Abnehmer, ganz wenigen oder vielen Personen geliefert habe (dazu BGE 111
IV 31). Unerheblich für die Subsumtion ist sodann auch, ob der Täter die
für den eigenen Konsum benötigten Drogen durch Verkauf oder Vermittlung
erwirtschaftet. Das gleiche gilt schliesslich für das vom Beschwerdeführer
angeführte Argument, dass die von ihm vermittelten Interessenten auch
ohne seine Vermittlertätigkeit die von ihnen gewünschten Drogen erworben
hätten, und dass umgekehrt die Dealer ihren Stoff auch ohne seine Tätigkeit
abgesetzt hätten.