Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 148



118 IV 148

28. Urteil des Kassationshofes vom 8. April 1992 i.S. V. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde). Regeste

    Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Begriff der Aneignung.

    Aneignung setzt voraus, dass der Täter einerseits den Willen auf
dauernde Enteignung des Eigentümers und anderseits den Willen auf zumindest
vorübergehende Zueignung der Sache an sich selbst hat. Dieser Wille muss
sich nach aussen manifestieren.

Sachverhalt

    A.- Am 25. Mai 1983 schloss V. einen Abzahlungsvertrag über einen
Mercedes 280 SE, Jahrgang 1975, ab. Der vereinbarte Eigentumsvorbehalt
wurde am 3. Juni 1983 in das Eigentumsvorbehaltsregister des
Betreibungsamtes Bern eingetragen. Im Dokument betreffend
den Abzahlungsvertrag wurden das Eigentum am Fahrzeug und die
Kaufpreisforderung an die Bank A. übertragen. Die erste Monatsrate
von Fr. 437.10 wurde am 30. Juni 1983 fällig. Gemäss dem Schreiben der
Bank vom 4. April 1984 schuldete V. zu diesem Zeitpunkt der Bank auf
den Gesamtkredit von Fr. 10'490.40 noch den Betrag von Fr. 8'886.60. V.
blieb den ausstehenden Betrag weiterhin schuldig. Somit wurden nur knapp
4 Monatsraten bezahlt. Diese Raten zahlte die Kommanditgesellschaft B.,
obwohl V. den Abzahlungsvertrag in seinem eigenen Namen abgeschlossen
hatte und er auch der Halter des Fahrzeugs war. Über die Firma B. wurde
am 11. Januar 1984 der Konkurs eröffnet, der am 21. Februar 1984 mangels
Aktiven eingestellt werden musste. V. verbrachte den Mercedes zu einem
nicht genau bestimmten Zeitpunkt in die Türkei, wo dieser sich spätestens
seit dem 11. Januar 1984 befindet. Es steht fest, dass V. den Wagen
am 24. Mai 1984 in der Türkei benutzte. Am 31. Januar 1986 ist das
Fahrzeug, das sich noch immer im Besitz von V. befand, vom türkischen
Zoll beschlagnahmt worden.

    B.- Das Obergericht des Kantons Solothurn sprach V. mit Urteil
vom 7./8./9. November 1990 der Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1
Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn mit 4 Monaten Gefängnis, bedingt
vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren. Die von der Bank A. gegen
V. erhobene Zivilforderung im Betrag von Fr. 8'886.60 wurde der Gläubigerin
zugesprochen.

    C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit
den Anträgen, der Schuldspruch wegen Veruntreuung und die Zusprechung
der Zivilforderung sowie die Kostenauflage seien aufzuheben.

    Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn
haben auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

             Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht des Kantons Solothurn erachtete den objektiven
und den subjektiven Tatbestand der Veruntreuung gemäss Art. 140 Ziff. 1
Abs. 1 StGB im wesentlichen mit der folgenden Begründung als erfüllt.
In objektiver Hinsicht habe der Beschwerdeführer das im Eigentum der Bank
stehende Fahrzeug seit spätestens dem 11. Januar 1984 benützt, ohne sich
nach dem Konkurs der B. weiter um die Ratenzahlungen zu kümmern; dies,
obwohl er sich persönlich im Abzahlungsvertrag verpflichtet habe. Aus
der Bemerkung des Verteidigers, dass das Fahrzeug in der Türkei zur
Verfügung stehe, gehe hervor, dass es sich heute noch immer im Besitz
des Beschwerdeführers befinde. Hinzu trete, dass der Beschwerdeführer den
Wagen in die Türkei verbracht habe, was der Bank die Durchsetzung ihrer
Eigentumsansprüche erschwert habe. Auch könne nicht ausser acht gelassen
werden, dass er das Fahrzeug bis zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung über
die Firma B. normalerweise nicht in die Türkei mitgenommen habe. Aus all
diesen Tatumständen ergebe sich, dass er das der Bank gehörende Fahrzeug
sich angeeignet habe. Auch der Einwand des Verteidigers, dass sein Mandant
das Auto habe zurückgeben wollen, dies jedoch durch die Verarrestierung
des Wagens durch den türkischen Zoll verunmöglicht worden sei, begründe
keinen Zweifel am Aneignungsvorsatz des Beschwerdeführers. Selbst wenn
diesem angesichts des wegen anderer Vorwürfe in der Schweiz gegen ihn
ausgestellten Haftbefehles nicht vorgehalten werden könne, dass er das
Fahrzeug nicht persönlich in die Schweiz zurückgebracht habe, hätten doch
andere Möglichkeiten der Regelung dieser Angelegenheit bestanden. Der
Beschwerdeführer habe jedoch weder mit der Bank Kontakt aufgenommen
bzw. die Raten bezahlt noch für die Rückführung des Fahrzeuges durch
Dritte gesorgt.

    Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, es gehe aus den Akten
hervor, dass er oft geschäftlich in die Türkei gereist sei. Er habe in
der Folge auch den Mercedes mit in die Türkei genommen, ihn aber auch
jeweils wieder zurück in die Schweiz gebracht. Auch als er sodann im
Dezember 1983 wieder in die Türkei gereist sei, habe er den Mercedes
mitgenommen. Anfang Februar 1984 sei er in der Schweiz zur Verhaftung
ausgeschrieben worden, weshalb er es vorgezogen habe, vorläufig nicht mehr
in die Schweiz zurückzukommen. Natürlich sei es ihm so auch nicht mehr
zumutbar gewesen, den noch nicht abbezahlten Mercedes zurück in die Schweiz
zu bringen. Die Qualifikation seines Verhaltens als Aneignungshandlung sei
unrichtig. In diesem Sinne habe auch die Staatsanwaltschaft betreffend den
Tatbestand der Veruntreuung klar auf Freispruch plädiert. Er habe mehrmals
betont bzw. durch seinen Vertreter immer wieder und auch anlässlich
der Hauptverhandlung geltend gemacht, dass er niemals die Absicht
gehabt habe, den Mercedes zu behalten. Hätte er diese Absicht gehabt,
hätte er den Wagen ja schon längst in der Türkei verkaufen können; dies
sei jedoch nie seine Absicht gewesen. Die Vorinstanz unterscheide nicht
zwischen den beiden Voraussetzungen der Aneignung, nämlich der Enteignung
einerseits und der Zueignung anderseits. Zwar reiche eine vorübergehende
Zueignung aus, doch müsse die Enteignung des bisherigen Eigentümers stets
eine dauernde sein. Es sei ihm aber nicht nachgewiesen worden, dass er
eine dauernde Enteignung gewollt haben könnte. Da der Mercedes in der
Türkei zur Verfügung stehe, erübrige sich auch die zu Gunsten der Bank
A. gutgeheissene Zivilforderung, welche nicht mehr begründet sei. Da er
freizusprechen sei, sei über die Zivilforderung nicht zu entscheiden.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 140 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer sich
eine ihm anvertraute fremde, bewegliche Sache aneignet, um sich oder
einen andern damit unrechtmässig zu bereichern. Es ist unbestritten,
dass das Fahrzeug dem Beschwerdeführer aufgrund des Abzahlungsvertrages
und des rechtsgültigen Eigentumsvorbehaltes als eine fremde, bewegliche
Sache anvertraut war. Streitig ist indessen, ob die Vorinstanz das
Tatbestandsmerkmal der Aneignung zu Recht bejahte.

    a) Aneignung bedeutet, dass der Täter die fremde Sache oder den
Sachwert wirtschaftlich seinem eigenen Vermögen einverleibt (BGE 104 IV
158 E. 1b), sei es, um sie zu behalten oder zu verbrauchen, sei es, um
sie an einen andern zu veräussern (BGE 85 IV 19 E. 2, 114 IV 136 E. 2a),
bzw. dass er wie ein Eigentümer über die Sache verfügt, ohne diese
Eigenschaft zu haben (BGE 95 IV 4, auch 81 IV 234). In der Lehre wird
bei der Aneignung zwischen der negativen Seite der Enteignung und der
positiven der Zueignung unterschieden. Der Täter muss einerseits einen
Willen auf dauernde Enteignung des bisherigen Eigentümers und anderseits
einen Willen auf mindestens vorübergehende Zueignung an ihn selbst,
d.h. auf Verwendung der Sache zu seinen eigenen Zwecken, haben. Dabei
genügt es aber nicht, dass der Täter den Aneignungswillen hat, er muss
ihn vielmehr auch betätigen; denn strafbar ist niemals der Wille als
solcher, sondern immer nur ein bestimmt geartetes Verhalten (STRATENWERTH,
Schweizerisches Strafrecht, Bes. Teil I, § 8 N 20 ff., insbesondere N 35
und 36; REHBERG, Strafrecht III, 5. Aufl. 1990, S. 64; NOLL, Strafrecht,
Bes. Teil, S. 147; NOLL, Der Einfluss von Kompensation und Retention bei
den Delikten gegen das Eigentum, ZStrR 71/1956, S. 148 ff., 164; SCHUBARTH,
Kommentar zum schweizerischen Strafrecht, Art. 137 N 80 ff., Art. 141
N 5 ff.; PETER DUERST, Der Begriff der Aneignung im Schweizerischen
Strafgesetzbuch, Diss. Bern 1955, S. 21 ff.). Das Erfordernis, dass sich
der Aneignungswille in einem bestimmten Verhalten manifestiere, ergibt
sich schon aus dem Schuldprinzip (vgl. zur entsprechenden Problematik bei
der Mordqualifikation BGE 117 IV 389 E. 17). Der Gedanke, dass sich die
Tathandlung nach aussen manifestieren muss, wird auch deutlich aus deren
Umschreibung im Tatbestand der Veruntreuung von Pfandsachen (Art. 147
Abs. 1 StGB). Wirtschaftlich gesehen stellt eine unter Eigentumsvorbehalt
gekaufte Sache ein Pfand dar, das im Besitz des Schuldners bleibt (vgl. BGE
80 III 26 f.).

    b) Der Beschwerdeführer hat das Fahrzeug nach der Konkurseröffnung
über die Firma B. weiter für seine eigenen Zwecke verwendet, ohne sich
um die Ratenzahlungen zu kümmern. Mit Recht bestreitet er nicht, sich
damit das Fahrzeug zumindest vorübergehend zugeeignet zu haben; er stellt
aber seinen Willen auf dauernde Enteignung in Frage. Ob er den Willen
manifestiert habe, den Mercedes der rechtmässigen Eigentümerin für dauernd
zu enteignen, kann der Kassationshof mangels hinreichender tatsächlicher
Feststellungen im angefochtenen Urteil nicht überprüfen. Die Vorinstanz
trifft die von der Lehre zu Recht geforderte Unterscheidung zwischen
der dauernden Enteignung einerseits und der vorübergehenden Zueignung
anderseits nicht. Deshalb ist nicht klar, ob und aus welchen Umständen sie
auf einen Willen auf dauernde Enteignung der rechtmässigen Eigentümerin
geschlossen habe. Dabei kann zwar nicht gefordert werden, dass der Täter
einen Akt vornimmt, aus dem sich unzweideutig - auch für jeden Dritten -
der Aneignungswille im dargelegten Sinne ergibt. Erforderlich ist also nur,
aber immerhin ein Verhalten, durch das der - vorhandene! - Aneignungswille
manifestiert, eben betätigt wird (so STRATENWERTH, aaO, § 8 N 38).

    Der angefochtene Entscheid ist daher in Anwendung von Art. 277 BStP
aufzuheben. Die Vorinstanz wird in ihrem neuen Entscheid darüber zu
befinden haben, ob und aus welchen Tatumständen auf einen auf dauernde
Enteignung der Eigentümerin gerichteten Willen des Beschwerdeführers zu
schliessen ist. Sie wird dann auch die Zivilforderung neu zu beurteilen
haben.