Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 IV 14



118 IV 14

4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. März
1992 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 63 ff. StGB.

    Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung. Kognition des
Bundesgerichts.

Sachverhalt

    A.- Das Kantonsgericht von Graubünden sprach K. am 28.  Oktober 1991
der Widerhandlung gegen Art. 19 Ziff. 1 BetmG in Verbindung mit Art. 19
Ziff. 2 lit. a BetmG sowie des untauglichen Versuchs dazu gemäss Art.
19 Ziff. 1 Abs. 7 BetmG in Verbindung mit Art. 19 Ziff. 2 lit. a BetmG
und Art. 23 Abs. 1 StGB, des Diebstahls (Art. 137 Ziff. 1 StGB), des
Hausfriedensbruchs (Art. 186 StGB), der Sachbeschädigung (Art. 145 Abs. 1
StGB) und der wiederholten Widerhandlung gegen Art. 17 Abs. 1 lit. a und i
des Jagdgesetzes (JSG; SR 922.0) schuldig und verurteilte ihn deswegen zu
2 Jahren Gefängnis, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft
von 137 Tagen. Es verweigerte dem Verurteilten die Jagdberechtigung für
die Dauer von 10 Jahren.

    B.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, der Entscheid des Kantonsgerichts sei aufzuheben und
er sei zu 18 Monaten Gefängnis, abzüglich 137 Tage Untersuchungshaft,
zu verurteilen, unter Gewährung des bedingten Strafvollzugs bei einer
richterlich anzusetzenden Probezeit von maximal 5 Jahren.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden hat unter Hinweis auf das
ihres Erachtens zutreffende Urteil des Kantonsgerichts auf Vernehmlassung
verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der Richter misst die Strafe nach dem Verschulden des
Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und
die persönlichen Verhältnisse des Schuldigen (Art. 63 StGB). Der
Kassationshof des Bundesgerichts kann auf Nichtigkeitsbeschwerde hin
in die Strafzumessung nur eingreifen, wenn der Richter den gesetzlich
vorgeschriebenen Strafrahmen über- oder unterschritt, wenn er von
rechtlich nicht massgebenden Gesichtspunkten ausging oder wenn er
wesentliche Gesichtspunkte ausser acht liess bzw. in Überschreitung
oder Missbrauch seines Ermessens falsch gewichtete (BGE 117 IV 114 mit
Hinweisen). Der Kassationshof stellt in seiner neuesten Rechtsprechung
höhere Anforderungen an die Begründung der Strafzumessung durch den
Sachrichter und greift häufiger korrigierend in die Strafzumessung ein als
früher. So hat er in BGE 116 IV 4 Grundsätze über die Bussenbemessung beim
haushaltführenden Ehegatten aufgestellt und den Entscheid der kantonalen
Instanz aufgehoben, da diese nicht von den bundesrechtlich massgebenden
Kriterien ausgegangen war. Er hat in BGE 116 IV 288 präzisiert, dass
er frei prüft, ob die ausgefällte Strafe Bundesrecht entspricht, aber
daran festgehalten, dass eine Strafzumessung, die von den gesetzlichen
Beurteilungskriterien ausgeht, nur dann Bundesrecht verletzt, wenn dem
Sachrichter Ermessensüberschreitung vorzuwerfen ist. Er hat in BGE 116
IV 294 erkannt, dass die Wirkungen des Einsatzes eines V-Mannes bei der
Strafzumessung auf eine umfassende Weise zugunsten des Angeschuldigten
zu berücksichtigen seien; er hat in einem zweiten Urteil vom 10. März
1992 in derselben Angelegenheit entschieden, dass die Vorinstanz in ihrem
neuen Urteil das (passive) Verhalten der V-Leute bei der Strafzumessung
zu stark zugunsten der Täter berücksichtigt habe und dass anstatt der
von der Vorinstanz vorgenommenen Herabsetzung der Strafen um rund einen
Viertel bzw. einen Fünftel bloss eine Reduktion der Strafen um weniger
als einen Zehntel in Betracht kommen könne. Er hat sich in BGE 116 IV 300
mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Strafe beim Zusammentreffen
von Strafmilderungsgründen und Strafschärfungsgründen zu bemessen ist,
und entschieden, dass ein vermindert zurechnungsfähiger Täter, der
einen Mord und daneben weitere Straftaten verübte, zu lebenslänglichem
Zuchthaus verurteilt werden kann. Er hat in BGE 117 IV 8 erkannt,
dass ein Kulturkonflikt die Tatschuld vermindern könne und dann
strafmindernd zu berücksichtigen sei. Der Kassationshof hat in einem
Urteil vom 12. April 1991 i.S. S. entschieden, die obere kantonale
Instanz, welche trotz Wegfalls eines nicht völlig untergeordneten
Schuldpunktes die erstinstanzliche Strafe bestätige, müsse die Gründe
hiefür im Urteil darlegen. Er hat in einem Urteil vom 16. Januar 1992
i.S. S. betreffend Betäubungsmittelhandel erkannt, dass es unzulässig sei,
die schuldangemessene Strafe aus Gründen der Generalprävention zu erhöhen;
zulässig sei die Berücksichtigung generalpräventiver Überlegungen nur
insoweit, als damit die schuldangemessene Strafe nicht überschritten
wird. Er hat im gleichen Urteil entschieden, das Handeln aus Angst vor
angedrohten wirtschaftlichen Repressalien lasse entgegen der Meinung
der Vorinstanz nicht auf eine verwerfliche Gesinnung schliessen, die
straferhöhend zu berücksichtigen ist.

    Der Richter hat im Urteil die wesentlichen schuldrelevanten
Tat- und Täterkomponenten so zu erörtern, dass festgestellt werden
kann, ob alle rechtlich massgebenden Gesichtspunkte Berücksichtigung
fanden und wie sie gewichtet wurden, d.h. ob und in welchem Grade sie
strafmindernd oder straferhöhend in die Waagschale fielen (BGE 117 IV
114/115). Entsprechendes gilt für die im Gesetz genannten Strafschärfungs-
und Strafmilderungsgründe, durch die erstens der Strafrahmen nach oben
und nach unten erweitert wird und welche zweitens jedenfalls straferhöhend
bzw. strafmindernd berücksichtigt werden müssen (BGE 116 IV 13/14, 302). So
hat der Kassationshof in seinen Urteilen vom 27. Februar 1992 i.S. P. und
vom 10. März 1992 i.S. B. die Herabsetzung der Freiheitsstrafe um einen
Elftel von 33 auf 30 Monate bzw. um einen Sechstel von 60 auf 50 Tage
bei einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit in mittlerem Grade als
nicht genügend erachtet.

    Die neuere Rechtsprechung bedeutet indessen nicht, dass der
Sachrichter etwa in absoluten Zahlen oder in Prozenten angeben müsse,
inwieweit er einem bestimmten Faktor straferhöhend bzw. strafmindernd
Rechnung trug. Das Bundesrecht verlangt nicht das Anstellen derartiger
Berechnungen (siehe auch BGE 116 IV 290 E. b). Solche wären im übrigen
schon deshalb wenig sinnvoll, weil ja dem Richter bei der Bestimmung der
sogenannten "Einsatzstrafe" als Ausgangspunkt der Berechnungen innerhalb
des weiten gesetzlichen Strafrahmens mangels allgemeingültiger "Tarife"
ein grosser Spielraum des Ermessens zukommt, in den der auf Rechtskontrolle
beschränkte Kassationshof nicht eingreifen kann. Der Sachrichter muss
aber die Überlegungen, die er bei der Bemessung der Strafe angestellt
hat, in seinem Urteil in den Grundzügen darstellen. Er muss die
Strafzumessung so gut wie möglich nachvollziehbar machen (siehe SCHUBARTH,
Qualifizierter Tatbestand und Strafzumessung in der neueren Rechtsprechung
des Bundesgerichts, BJM 1992 S. 57 ff., 65 unten). Die Begründung der
Strafzumessung muss so ausführlich gestaltet sein, dass erkennbar wird,
welche Gesichtspunkte der Richter in welchem Sinne berücksichtigt hat. Dann
ist es auch möglich zu prüfen, ob sich der Richter von zutreffenden
oder aber falschen Gesichtspunkten leiten liess bzw. ob er sich bei der
Gewichtung der relevanten Faktoren im Rahmen seines weiten Ermessens
hielt oder aber dieses überschritt oder missbrauchte. Bundesrechtlich
vorgeschrieben ist eine insoweit ausreichende Begründung, die es erlaubt,
die Überlegungen des Sachrichters zur Strafzumessung nachzuvollziehen. Der
Kassationshof ist sich bewusst, dass erstens die Strafzumessung als
solche und zweitens deren Erläuterung in sprachlichen Formeln äusserst
schwierige Aufgaben sind und dass drittens die Bemessung und die
Begründung der Strafe schwieriger sind als das Aufdecken von Fehlern in
der schriftlichen Begründung. Nur um eine Begründung der Strafzumessung,
die man sich anders oder eingehender wünschte, zu verbessern, kann
eine Nichtigkeitsbeschwerde nicht gutgeheissen werden (BGE 117 IV 115,
116 IV 292 oben). Die Begründung des Strafmasses ist mit andern Worten
nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Je höher die ausgefällte
Strafe ist, desto höher sind auch die Anforderungen an ihre Begründung
(BGE 117 IV 115). Das gilt insbesondere auch dann, wenn innerhalb eines
sehr weiten Strafrahmens eine vergleichsweise sehr hohe Strafe ausgefällt
wird (BGE 117 IV 403 E. 4). Dementsprechend sind Strafzumessungsfaktoren,
denen im konkreten Fall eine gewichtige Bedeutung zukommt, eingehender zu
erläutern als Faktoren von untergeordneter Bedeutung, welche beispielsweise
nur einen Tatbestand neben andern, schwerer wiegenden betreffen. Bei
der Beantwortung der Frage, ob die Begründung des Strafmasses ausreicht
und nachvollziehbar ist, muss auch die tatsächlich ausgefällte Strafe
berücksichtigt werden. Wo diese sich unter Beachtung aller relevanten
Faktoren offensichtlich im Rahmen des dem Sachrichter zustehenden Ermessens
hält, kann der Kassationshof das angefochtene Urteil bestätigen, auch wenn
dieses in bezug auf die Erwägungen zum Strafmass einzelne Unklarheiten
und Unvollkommenheiten enthält. Wo anderseits Art oder Ausmass der
verhängten Sanktion auffallen, ist eine besonders eingehende Begründung zu
verlangen. Der bereits mehrfach zitierte BGE 117 IV 112 ff. betraf einen
Täter, der wegen gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls in 40 Fällen und
mit einer Deliktssumme von insgesamt Fr. 530'000.-- sowie gewerbsmässiger
Hehlerei zu einer Zuchthausstrafe von 8 Jahren verurteilt worden war,
was dem Kassationshof als eine "für Vermögensdelikte ausgesprochen hohe
Freiheitsstrafe" erschien (BGE 117 IV 117). Die blosse Auflistung einiger
Strafzumessungsfaktoren mit der Bemerkung, unter diesen Umständen sei die
ausgefällte Strafe angemessen, reicht nicht aus; denn bei einer solchen
Begründung kann nicht überprüft werden, von welchen Überlegungen sich
der Sachrichter bei der Festsetzung der Strafe leiten liess (siehe PETER
ALBRECHT, Die Strafzumessung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis,
ZStrR 108/1991, S. 45 ff., 50, 60).

    Im Lichte dieser neueren Rechtsprechung des Kassationshofes ist die
Begründung der Strafzumessung im angefochtenen Urteil noch ausreichend. Was
der Beschwerdeführer vorbringt, ist nicht geeignet, eine Verletzung von
Bundesrecht darzulegen. (Dies wird in den nachfolgenden Erwägungen im
einzelnen begründet.)