Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 91



118 II 91

19. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 4. März 1992 i.S. R. J.
gegen B. AG (Berufung) Regeste

    Berufung gegen einen Zwischenentscheid (Art. 50 OG).

    Voraussetzungen (E. 1a). Die Nichtanfechtung eines Vor- oder
Zwischenentscheides führt zu keinem prozessualen Nachteil (E. 1b).

Sachverhalt

    A.- R. J. erlitt am 3. August 1983 bei einem Verkehrsunfall ein
Schleudertrauma der Halswirbelsäule. Sie klagte am 8. Oktober 1986 beim
Appellationshof des Kantons Bern gegen die B. AG auf Zahlung eines Fr.
15'000.-- übersteigenden Betrages nebst Zins. In der Folge wurden
verschiedene ärztliche Gutachten über die Auswirkungen des Unfalles
auf die von Frau J. geltend gemachten Beschwerden eingeholt. Am
23. August 1990 verfügte der Instruktionsrichter mit Zustimmung der
Parteien die Beschränkung des Verfahrens auf die Fragen der Haftung
und des Invaliditätsgrades sowie die Beurteilung dieser Fragen in einem
selbständigen Zwischenentscheid.

    Der Appellationshof stellte mit Urteil vom 20. Februar 1991 fest,
dass die Beklagte die Haftung dem Grundsatz nach anerkannt habe und dass
die Klägerin infolge des Unfalles vom 3. August 1983 in der beruflichen
Tätigkeit zu 100% und in der Tätigkeit als Hausfrau zu 50% eingeschränkt
sei.

    B.- Gegen diesen Entscheid führt die B. AG Berufung und beantragt
die Aufhebung des Urteils und Abweisung der Klage.

    Das Bundesgericht tritt auf sie nicht ein

Auszug aus den Erwägungen:

                  aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Beim angefochtenen Urteil handelt es sich um einen selbständigen
Vor- oder Zwischenentscheid, gegen den die Berufung gemäss Art. 50 Abs. 1
OG nur zulässig ist, wenn dadurch sofort ein Endentscheid herbeigeführt
und ein so bedeutender Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren erspart werden kann, dass die gesonderte Anrufung des
Bundesgerichts gerechtfertigt erscheint. Das Bundesgericht entscheidet
über diese Voraussetzungen nach freiem Ermessen (Art. 50 Abs. 2 OG). Bei
der Ermessensbetätigung sind die Gesamtumstände zu würdigen, was nach
einer gewissen Flexibilität ruft. Auf eine Berufung kann von vornherein
nicht eingetreten werden, wenn der Berufungskläger überhaupt nicht dartut,
warum ein Ausnahmefall vorliegt, mithin die Eintretensfrage schlechthin
übersieht. Wo er aber ausdrücklich geltend macht, die Bedingungen
von Art. 50 OG seien erfüllt, ist zu differenzieren. Liegt es klar
auf der Hand, dass ein bedeutender Aufwand an Zeit und Kosten für ein
weitläufiges Beweisverfahren erforderlich sein wird, d.h. geht das bereits
unzweifelhaft aus dem angefochtenen Urteil oder aus der Natur des Falles
hervor, so darf auf lange Ausführungen verzichtet werden. Andernfalls
hat der Berufungskläger im einzelnen darzutun, welche Tatfragen offen
sind und welche weitläufigen Beweiserhebungen in welchem zeitlichen und
kostenmässigen Umfang erforderlich sind (BGE 116 II 741 E. 1). Zudem hat
er unter Angabe der Fundstelle nachzuweisen, dass er die betreffenden
Beweise im kantonalen Verfahren bereits angerufen oder entsprechende
Anträge in Aussicht gestellt hat.

    b) Art. 50 Abs. 1 OG enthält eine Ausnahmebestimmung, die restriktiv
auszulegen ist. Das gilt umso mehr, als die Prozessparteien keiner Rechte
verlustig gehen, wenn sie einen Vor- oder Zwischenentscheid der obern
kantonalen Gerichte oder sonstigen Spruchbehörden nicht anfechten. Sie
können mithin sämtliche Einwendungen in einer Berufung gegen den
letztinstanzlichen Endentscheid gemäss Art. 48 Abs. 1 OG vorbringen.

    Diese Möglichkeit steht ihnen selbstredend auch offen, wenn das
Bundesgericht auf eine Berufung nach Art. 50 Abs. 1 OG nicht eingetreten
ist. Art. 48 Abs. 3 OG zweiter Halbsatz kommt in einem solchen Fall nicht
zum Tragen.

    c) Vorliegend sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die Behandlung
der Berufung gegen den Zwischenentscheid des Appellationshofes nicht
rechtsgenüglich dargetan. Die Beklagte macht lediglich geltend, bei
Klageabweisung erübrige sich ein Beweisverfahren. Inwieweit dieses
weitläufig, zeitaufwendig oder kostspielig sein soll, ist weder dargetan
noch offenkundig.

Erwägung 2

    2.- Bei diesem Ausgang kann grundsätzlich offenbleiben, ob es im
aktuellen Fall nicht schon am Nachweis fehlt, dass die Beurteilung
der Berufung sofort zu einem Endentscheid führt. Der Appellationshof
hat im angefochtenen Zwischenentscheid lediglich Tatfragen beurteilt,
nämlich die Arbeitsunfähigkeit (BGE 111 II 301 E. 3) und den natürlichen
Kausalzusammenhang (BGE 113 II 351 E. a). Soweit in einer Berufung
zulässige Sachverhaltsrügen (offensichtliches Versehen, Verletzung
bundesrechtlicher Beweisvorschriften, unvollständige Feststellung des
Sachverhalts; vgl. dazu BGE 115 II 485 E. 2a) vorgebracht werden, kann
das Bundesgericht in der Regel nicht selbst einen Entscheid fällen,
sondern muss den Fall an die Vorinstanz zur Neubeurteilung unter den
Gesichtspunkten des zu berichtigenden oder zu ergänzenden Sachverhalts
zurückweisen.