Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 441



118 II 441

86. Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Dezember 1992 i.S. Susanne D. und
Mitbeteiligte gegen Martin K. (Berufung) Regeste

    Landwirtschaftliche Pacht. Zustandekommen des Pachtvertrags; Tod des
Pächters, Selbsteintritt des Verpächters (Art. 18 LPG).

    1. Der landwirtschaftliche Pachtvertrag kann auch stillschweigend
geschlossen werden. Art. 8 ZGB verleiht der beweisbelasteten Partei
nur insoweit einen Anspruch, zum Beweis zugelassen zu werden, als ihre
Beweisanträge rechtserhebliche Tatsachen betreffen (E. 1).

    2. Beim Tod des Pächters geht das Interesse der Hinterbliebenen
an einer Weiterführung der Bewirtschaftung der Entscheidungsfreiheit
des Verpächters hinsichtlich Auflösung oder Fortführung des Vertrags
grundsätzlich vor. Bewerben sich jedoch mehrere Hinterbliebene um
den Eintritt in den Pachtvertrag, so kann der Verpächter nach seinem
Belieben denjenigen bestimmen, der ihm genehm ist. Ist er zugleich Erbe
des verstorbenen Pächters, so kann er sich selbst an die Stelle eines
Miterben setzen (E. 2).

Sachverhalt

    A.- Susanne und Armin D. bewirtschafteten zusammen im Nebenerwerb
das landwirtschaftliche Anwesen Dürrenmühle. Über den Herbstnutzen und
das entsprechende Milchkontingent verfügte seit den siebziger Jahren der
Vater von Susanne D., Ernst K., der in St. Gallen ein eigenes Bauerngut
betrieb. Am 1. Mai 1982 verstarb Armin D. und hinterliess neben seiner
Ehefrau drei Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren. Da Susanne
D. dazu nicht in der Lage war, mähte in jenem Jahr Ernst K. das Gras
und brachte Heu und Emd in die Scheune auf Dürrenmühle ein. Während des
Winters überführte er das Heu je nach Bedarf auf seinen Hof. Als Entgelt
entrichtete er seiner Tochter Fr. 3'000.--. Auch in den folgenden Jahren
bewirtschaftete Ernst K. das betreffende Wiesland und entschädigte seine
Tochter für das bezogene Heu.

    Am 1. Mai 1988 kündigte Susanne D. das Pachtverhältnis
schriftlich. Mitte Mai 1988 focht Ernst K. die Kündigung mit der Begründung
an, die gesetzliche Kündigungsfrist sei nicht gewahrt. Am 24. Februar 1989
starb Ernst K., worauf sein Sohn Martin K. den väterlichen Betrieb übernahm
und seither für die Erbengemeinschaft führt. Ende April 1989 teilte Susanne
D. ihrem Bruder mit, es habe zwischen ihr und dem Vater hinsichtlich
des Wieslandes nie ein Pachtverhältnis bestanden. Vorsorglich sprach sie
gestützt auf Art. 18 des Bundesgesetzes über die landwirtschaftliche Pacht
vom 4. Oktober 1985 (LPG, SR 221.213.2) eine weitere Kündigung auf den
30. Oktober 1989 aus. Darauf erklärte Martin K., er trete gemäss Art. 18
Abs. 2 LPG in den Pachtvertrag ein.

    Susanne D. und ihre Kinder klagten im Juni 1989 auf Feststellung,
dass kein Pachtverhältnis bestehe. Das Bezirksgericht St. Gallen und
auf Appellation der Kläger auch das St. Galler Kantonsgericht wiesen die
Klage ab.

    Die Kläger führen gegen das kantonsgerichtliche Urteil vom 28. April
1992 Berufung mit dem Antrag, es aufzuheben und die Klage gutzuheissen
bzw. die Sache zur Ergänzung der Tatsachenfeststellung und anschliessenden
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung gut, hebt den angefochtenen
Entscheid auf und schützt die Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Durch den landwirtschaftlichen Pachtvertrag verpflichtet
sich der Verpächter, dem Pächter ein Gewerbe oder ein Grundstück zur
landwirtschaftlichen Nutzung zu überlassen, und der Pächter, dafür einen
Zins zu bezahlen (Art. 275 Abs. 1 aOR; Art. 4 Abs. 1 LPG). Der Pachtvertrag
kann wie jeder andere nicht formbedürftige Vertrag nicht nur durch
ausdrückliche Willensäusserung der Parteien, sondern auch stillschweigend
durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden. Ein solches Verhalten ist
hier, wie vom Kantonsgericht zutreffend erkannt, darin zu erblicken, dass
Ernst K. das betreffende Wiesland ungehindert gemäht hat und die Kläger
für das weggeführte Heu ein Entgelt entgegengenommen haben. Damit waren
die wesentlichen Elemente der landwirtschaftlichen Pacht grundsätzlich
erfüllt und das Vertragsverhältnis begründet. Die Kläger werfen der
Vorinstanz zwar eine Verletzung von Art. 8 ZGB vor, doch betreffen die
Beweisanträge, denen das Kantonsgericht nicht stattgegeben haben soll,
von einer Ausnahme abgesehen, keine rechtserheblichen Tatsachen. Der
bundesrechtliche Beweisführungsanspruch verleiht der beweisbelasteten
Partei aber nur insoweit einen Anspruch darauf, zum Beweis zugelassen zu
werden, als ihr Beweisantrag rechtserhebliche Tatsachen betrifft.

    Die Ausnahme betrifft den Zeitpunkt des Vertragsbeginns. Dieser
ist an sich für die Frage entscheidend, bis wann die erste Pachtdauer
von sechs Jahren dauerte und auf welchen Termin das Pachtverhältnis
folglich kündbar war. Das Kantonsgericht nimmt an, es habe bereits 1982
ein Pachtvertrag vorgelegen, und eine im April 1988 auf das Frühjahr 1989
ausgesprochene Kündigung wäre daher auf jeden Fall verspätet erfolgt. Die
Kläger machen in ihrem Eventualstandpunkt demgegenüber geltend, von einem
gültigen Vertrag könne erst ab 1983 gesprochen werden. Vorher habe Ernst
K. die Bewirtschaftung des Landes nach dem plötzlichen Tod von Armin
D. aus reiner Gefälligkeit übernommen. Ein Entgelt habe er erst in einem
späteren Zeitpunkt und lediglich auf Betreiben der Vormundschaftsbehörde
hin entrichtet. Das Kantonsgericht habe trotz entsprechendem Antrag
darauf verzichtet, bezüglich der ersten Zahlung von Fr. 3'000.-- eine
Amtsauskunft bei der betreffenden Behörde einzuholen. Die Frage nach dem
Vertragsbeginn braucht indessen nicht abschliessend entschieden zu werden,
da Berufung und Klage aus einem Grund gutzuheissen sind, bei dem es nicht
darauf ankommt, ob der Beginn des Pachtvertrags mit Ernst K. ins Jahr
1982 oder erst ins Jahr 1983 fällt.

Erwägung 2

    2.- Abgesehen von den Bestimmungen über die Mindestpachtdauer gilt
das LPG auch für Pachtverträge, die vor seinem Inkrafttreten am 20.
Oktober 1986 geschlossen worden sind (Art. 60 Abs. 1 LPG). Soweit das
Spezialgesetz nicht anwendbar ist oder keine besonderen Bestimmungen
enthält, gilt das OR (Art. 1 Abs. 4 LPG).

    a) Stirbt der Pächter, so treten nach den allgemeinen Regeln des
Erbrechts dessen Erben in den Pachtvertrag ein. Da den persönlichen
Beziehungen zwischen den Vertragsparteien sowie der Eignung und den
Fähigkeiten des Pächters für die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses
grosse Bedeutung zukommt, sind jedoch sowohl der Verpächter wie auch die
Erben des Pächters berechtigt, sich durch Kündigung der vertraglichen
Bindung zu entledigen (Art. 18 Abs. 1 LPG, desgl. Art. 297 aOR). Neu
eröffnet Art. 18 Abs. 2 LPG dem Ehegatten oder einem Nachkommen des
Pächters im Falle der Kündigung die Möglichkeit, den Eintritt in das
Pachtverhältnis zu verlangen. Der Verpächter kann das nur verhindern,
wenn der Eintretende keine Gewähr für die ordnungsgemässe Bewirtschaftung
bietet oder wenn für ihn die Fortführung der Pacht aus andern Gründen
unzumutbar ist (Art. 18 Abs. 3 LPG). Grundsätzlich kann der Verpächter
jedoch verpflichtet werden, die Pacht mit einer bestimmten Person,
nicht aber mit der ganzen Erbengemeinschaft oder mehreren Pächtern,
fortzuführen (MANUEL MÜLLER, Die privatrechtlichen Bestimmungen des
LPG, in: ZBJV 123/1987 S. 6; CLAUDE PAQUIER-BOINAY, Le contrat de bail à
ferme agricole: conclusion et droit de préaffermage, Diss. Lausanne 1991,
S. 175 Fn. 56). In diesem Sinne wird das Interesse der Hinterbliebenen
des Pächters an einer Weiterführung der Bewirtschaftung vom Gesetzgeber
höher eingestuft als die Entscheidungsfreiheit des Verpächters hinsichtlich
Auflösung oder Fortführung des Vertrags.

    b) Die Sicherung der Weiterführung der Bewirtschaftung in der
bisherigen Weise tritt jedoch, zumindest im hier gegebenen Fall der
Zupacht, in den Hintergrund, wenn mehrere der Hinterbliebenen in den
Pachtvertrag eintreten möchten. Diesfalls steht dem Verpächter ein
Wahlrecht zu (Art. 18 Abs. 2 LPG). Das Gesetz liefert dabei keine
weiteren Auswahlkriterien. Der Botschaft vom 11. November 1981 zum
LPG ist zu entnehmen, dass der Verpächter in einem solchen Fall den
ihm zusagenden Bewerber bezeichnen kann (BBl 1982 I 281; vgl. auch
STUDER/HOFER, Le droit du bail à ferme agricole, Brugg 1988, S. 152). Die
bundesgerichtliche Rechtsprechung und die Literatur haben sich sonst
mit dieser Wahlmöglichkeit bis heute nicht näher befasst. Ist davon
auszugehen, dass der Verpächter unter mehreren Bewerbern nach seinem
Belieben denjenigen bestimmen kann, der ihm genehm ist, so kommt dem
Hoferben in bezug auf die Weiterführung der Pacht keine Vorzugsstellung
zu. Ebensowenig sind Gründe ersichtlich, die gegen einen Selbsteintritt
des Verpächters sprechen könnten.

    Das denkbare Gegenargument, der Verpächter verzichte für die Dauer
des Pachtvertrags unwiderruflich auf das ihm als Eigentümer zustehende
Bewirtschaftungsrecht, sticht nicht. Denn beim Tod des Pächters tritt eine
neue rechtliche Situation ein. Räumt dabei das Gesetz dem Verpächter die
Möglichkeit ein, einen von mehreren Anwärtern zu bestimmen, so bleibt ihm,
sofern er zugleich Erbe des verstorbenen Pächters ist, unbenommen, sich
selbst an die Stelle eines anderen, ihm missliebigen Miterben zu setzen.

    Werden auf diese Weise die Verpächter- und die Pächtereigenschaft in
einer Person vereinigt, so fällt der Pachtvertrag dahin (Art. 118 OR).

    c) Zu prüfen bleibt, ob das an die Erbengemeinschaft des verstorbenen
Pächters adressierte Schreiben der Verpächter vom 28. April 1989 eine
Eintrittserklärung im Sinne von Art. 18 Abs. 2 LPG darstellt. Die
Vorinstanz ging auf den Inhalt des Briefes nicht näher ein. Sie schloss
vielmehr, es handle sich schon deshalb nicht um eine solche Erklärung,
weil das Schreiben nicht an die Verpächter, also die Kläger, gerichtet
sei. In der Berufung wird dagegen eingewendet, das Kantonsgericht habe das
Schreiben der Kläger zu Unrecht nicht als Erklärung eines Selbsteintritts
gewertet.

    Den Klägern vorzuhalten, sie hätten sich selbst einen Brief
schreiben sollen, ist völlig weltfremd. Es gilt vielmehr, das Schreiben
vom 28. April 1989 nach dem Vertrauensprinzip auszulegen. Die Kläger
erklärten darin zwar nicht ausdrücklich, sie wollten die Wiesen fortan
selbst bewirtschaften. Aus den Umständen ergibt sich indessen, dass es
ihnen immer nur um die Möglichkeit ging, ihr Land selbst bestellen zu
können. Davon ging in seiner Berufungsantwort auch der Beklagte aus. Von
einer anderweitigen Verpachtung war nie die Rede.

    Ging es den Klägern jedoch nur um die Selbstbewirtschaftung ihres
Wieslandes und war dies dem Beklagten auch bekannt, so genügt das erwähnte
Schreiben den Anforderungen von Art. 18 Abs. 2 LPG.

    Es ergibt sich somit, dass zufolge gültigen Selbsteintritts der
Kläger in den Vertrag mit Ernst K. mit dem Beklagten kein Pachtverhältnis
zustandegekommen ist.