Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 435



118 II 435

85. Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. November 1992 i.S. Eiport AG
gegen Genossenschaft für Landeiereinkauf (Berufung) Regeste

    Genossenschaftsrecht. Erwerb der Mitgliedschaft (Art. 839 OR).

    1. Berufungsfähigkeit gemäss Art. 44 ff. OG (E. 1).

    2. Zusammenfassung von Rechtsprechung und Lehre zu Art. 839 Abs. 2 OR
(E. 2).

    3. Selbständiger Anspruch auf Feststellung der Ungültigkeit einer
Statutenbestimmung? (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Eiport AG handelt mit Eiern, Geflügel und verwandten
Produkten. Als Importeurin muss sie gemäss Art. 17 der Verordnung über den
Eiermarkt und die Eierversorgung (Eierverordnung; SR 916.371) eine jährlich
neu festgesetzte Pflichtmenge von Eiern aus der geschützten inländischen
Produktion übernehmen. Für die Sammlung der für die Pflichtübernahme
bestimmten Inlandproduktion und deren Zuteilung auf die Importeure
bestehen zwei Sammelorganisationen, nämlich der Verband Schweiz. Eier-
und Geflügelverwertungsgenossenschaften (SEG) und die Genossenschaft
für Landeiereinkauf (GELA). In letzterer sind zwölf Eierimporteure in
Genossenschaftsform zusammengeschlossen. Die SEG sammelt 75%, die GELA 25%
der gesamten Pflichtmenge. Wegen der vom Bundesamt für Landwirtschaft
festgelegten, fixen jährlichen Sammelmenge führt eine Änderung in der
Anzahl Genossenschafter automatisch zu einer entsprechenden Veränderung
der jeweiligen Liefermenge der bestehenden Produzenten. Abgesehen von
zwei Sonderfällen können daher gemäss Art. 3 lit. b der Statuten der GELA
als neue Mitglieder nur Firmen aufgenommen werden, die im Besitze einer
Bestätigung des Bundesamtes sind, wonach die Gesamtsammelberechtigung der
GELA im Ausmass des Pflichteieranteils der neuen Mitgliedfirma erhöht wird.

    Nachdem die Eiport AG beim Bundesamt erfolglos eine solche Bestätigung
verlangt hatte, klagte sie beim Handelsgericht des Kantons Bern gegen
die GELA auf Feststellung, dass Art. 3 lit. b der Statuten nichtig
sei, sowie auf Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin als Mitglied
aufzunehmen. Das Handelsgericht wies die Klage am 2. April 1992 ab. Es
vertrat die Auffassung, unter dem Blickwinkel des Genossenschaftsrechts
sei die angefochtene Statutenvorschrift nicht zu beanstanden. Unter
jenem des Kartellgesetzes sei die Klage bereits mangels einer erheblichen
Wettbewerbsbehinderung im Sinne von Art. 6 KG abzuweisen; würde letzteres
bejaht, fehlte es am überwiegenden schutzwürdigen Interesse im Sinne von
Art. 7 Abs. 1 und 2 lit. c KG.

    B.- Die Eiport AG führt gegen das handelsgerichtliche Urteil
Berufung. Sie beantragt festzustellen, dass Art. 3 lit. b der GELA-Statuten
nichtig sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Den Streitwert beziffert die Klägerin auf mindestens Fr.
225'000.--, und aus den Akten ergeben sich Hinweise auf finanzielle
Interessen, die in dieser Grössenordnung liegen. Da somit der für
die Berufungsfähigkeit vermögensrechtlicher Zivilrechtsstreitigkeiten
geforderte Streitwert von wenigstens Fr. 8'000.-- bei weitem gegeben ist,
erübrigt sich eine nähere Prüfung der Frage, ob es sich vorliegend um
eine Streitigkeit vermögensrechtlicher Natur oder um eine solche nicht
vermögensrechtlicher Art handelt (vgl. BGE 108 II 78 E. 1a, 98 II 223 E. 1,
POUDRET, N. 1.3.4 zu Art. 44 OG mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Der Erwerb der Mitgliedschaft in einer Genossenschaft wird von
Art. 839 OR geregelt. Abs. 2 dieser Vorschrift hält fest, dass die Statuten
unter Wahrung des Grundsatzes der nicht geschlossenen Mitgliederzahl die
näheren Bestimmungen über den Eintritt treffen können; sie dürfen diesen
jedoch nicht übermässig erschweren.

    a) In BGE 98 II 225 ff. hat sich das Bundesgericht ausführlich mit
der Frage auseinandergesetzt, ob diese Gesetzesvorschrift dem Bewerber
ein Recht auf Aufnahme in die Genossenschaft gewähre. Zusammenfassend
hielt es fest, Art. 839 Abs. 2 OR könne nach Wortlaut, Sinn und
Entstehungsgeschichte nicht dahin ausgelegt werden, dass einem Anwärter ein
klagbares Recht auf Eintritt in eine Genossenschaft zustehe, selbst dann
nicht, wenn er die statutarischen Eintrittsvoraussetzungen erfülle. Die
Pflicht der Genossenschaft, neue Mitglieder aufzunehmen, müsse eine in
den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, wie dem Verbot des Rechtsmissbrauchs
und dem Schutz der Persönlichkeit, begründete Ausnahme bleiben.

    Dieser Entscheid aus dem Jahre 1972 wurde bis heute nicht in Frage
gestellt. Die seither erschienene Literatur begrüsst ihn durchwegs (PATRY,
SAG 45/1973 S. 170 f.; KUMMER, ZBJV 110/1974 S. 84 ff.; FORSTMOSER, N 16
zu Art. 839 OR; MEIER-HAYOZ/FORSTMOSER, Grundriss des schweizerischen
Gesellschaftsrechts, 6. Auflage, S. 335; GUHL/KUMMER/DRUEY, Das
schweizerische Obligationenrecht, 8. Auflage, S. 745; ROTHENBÜHLER,
Austritt und Ausschluss aus der Genossenschaft, Diss. Zürich 1984, S. 13).

    b) Das Prinzip der offenen Tür ist ebenfalls im deutschen
und im Österreichischen Genossenschaftsrecht verwirklicht. Auch
diesen beiden Rechtsordnungen ist indessen der Aufnahmezwang
fremd. Ein Rechtsanspruch auf Aufnahme wird grundsätzlich abgelehnt
(MEYER/MEULENBERGH/BEUTHIEN, N 4 zu § 1 des deutschen Gesetzes betreffend
die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften; KEINERT, Österreichisches
Genossenschaftsrecht, S. 79 ff., vor allem Rz. 112).

    c) Im vorliegenden Verfahren nicht zur Diskussion steht, ob die
Verweigerung der Aufnahme der Klägerin in die beklagtische Genossenschaft
gegen allgemeine Rechtsgrundsätze, insbesondere gegen die Art. 2 und
28 Abs. 1 ZGB, verstösst und aus diesem Grunde widerrechtlich wäre. Ein
solcher Einwand wurde vor dem Handelsgericht ebensowenig geltend gemacht
wie ein allfälliger statutarischer Anspruch auf Beitritt (vgl. FORSTMOSER,
N 19 zu Art. 839 OR).

Erwägung 3

    3.- Vor Bundesgericht wird nur noch die Feststellungsklage
aufrechterhalten. Zur Begründung dieses Begehrens bringt die Klägerin vor,
die angefochtene Statutenbestimmung verletze den genossenschaftsrechtlichen
Grundsatz der nicht geschlossenen Mitgliederzahl. Sie wirft dem
Handelsgericht vor, es sei der Frage, ob die Statutenbestimmung eine
übermässige Beitrittserschwerung im Sinne von Art. 839 Abs. 2 OR
bewirke, in keiner Weise nachgegangen. Eine Verletzung von Bundesrecht
sieht sie darin, dass die Vorinstanz den selbständigen Charakter des
Feststellungsbegehrens verkannt und dieses ausschliesslich unter dem
Gesichtspunkt der enger gefassten Voraussetzungen eines klagbaren
Beitrittsanspruchs geprüft und verworfen habe.

    Richtig verstanden macht die Klägerin einen vom Aufnahmebegehren
unabhängigen, selbständigen Anspruch auf Feststellung der Ungültigkeit
einer Statutenbestimmung geltend. Sie will verhindern, dass Art. 839
Abs. 2 OR toter Buchstabe bleibe, falls die darin gesetzte Schranke
nicht befolgt werde. Denn aus BGE 98 II 221 ergebe sich letztlich bloss
eine sanktionslose Verpflichtung der Genossenschaft, bei der Regelung
der Beitrittsvoraussetzungen in den Statuten Art. 839 Abs. 2 OR zu
beachten. Das Bundesgericht habe in jenem Entscheid die Möglichkeit eines
solchen Feststellungsanspruchs ausdrücklich erwähnt. Die Frage habe dort
jedoch offengelassen werden können.

    a) Werden die Statuten einer Genossenschaft unter dem Blickwinkel
des Prinzips der offenen Tür in Zweifel gezogen, so geht es der
klagenden Partei in aller Regel um eine Aufnahme in die betreffende
Gesellschaft. Mit andern Worten fehlt es dem Kläger normalerweise
an einem selbständigen Feststellungsinteresse. Ob überhaupt die
Möglichkeit eines separaten Feststellungsanspruchs bestehen könne, hat das
Bundesgericht in BGE 98 II 229 E. 4d entgegen der klägerischen Formulierung
offengelassen. Die Frage braucht auch heute nicht abschliessend entschieden
zu werden. Denn im vorliegenden Fall hat der blosse Feststellungsanspruch
ohnehin zurückzutreten, weil die Klägerin einen kartellrechtlichen
Mitgliedschaftsanspruch behauptet und Art. 9 Kartellgesetz diesfalls
einen Leistungsanspruch auf Mitgliedschaft im Kartell gibt (SCHLUEP, in:
SCHÜRMANN/SCHLUEP, N III/2 zu Art. 9 KG).

    b) Es fehlt aber nicht nur am Feststellungsinteresse der Klägerin,
sondern ebenso an der Durchsetzbarkeit eines allfälligen die Nichtigkeit
der Statutenbestimmung feststellenden Gerichtsurteils. Die Auffassung
von GUTZWILLER (N 25 zu Art. 839 OR), wonach die Nichtigkeit ein
Hindernis beseitigt und den Weg freimacht für die Befolgung eines
gesetzlichen Befehls, dem nach erneutem Aufnahmegesuch auch ohne
richterliches Zutun nachgelebt werden müsste, widerspricht der eigenen
Meinung des Autors (aaO), wonach unumwunden zuzugeben ist, dass an
sich die Nichtigkeitsfeststellung wegen Übertretung eines gesetzlichen
Imperativs den Weitsprung zur Aufnahmeverpflichtung nicht zu rechtfertigen
vermag. Zu Recht halten indessen GUHL/KUMMER/DRUEY (aaO, S. 745) fest, da
dem Bewerber kein durchsetzbarer Rechtsanspruch gegen die Genossenschaft
auf Aufnahme zustehe, könne er ebensowenig vom Richter überprüfen lassen,
ob die Eintrittserschwerungen übermässig im Sinne von Art. 839 Abs. 2 OR
seien. Die gleiche Ansicht vertritt FORSTMOSER (N 24 f. zu Art. 839), wenn
er aus der bundesgerichtlichen Praxis und der herrschenden Lehre folgert,
dass der Abgewiesene kein Rechtsmittel ergreifen kann, auch wenn er die
Aufnahmevoraussetzungen erfüllt, es sei denn, der Beitrittswillige könne
sich auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, ein Spezialgesetz oder ein
statutarisch vorgesehenes Beitrittsrecht stützen.

    c) Art. 839 Abs. 2 OR verbietet nur die übermässige Erschwerung des
Eintritts in eine Genossenschaft. Es darf kein faktischer Numerus clausus
eingeführt werden. Wann Eintrittsbedingungen übermässig erschwerend sind,
lässt sich nicht allgemein umschreiben. Vielmehr kommt es auf den konkreten
Fall an (FORSTMOSER, N 33 zu Art. 839 OR; GUTZWILLER, N 22 zu Art. 839
OR). Die Klägerin macht sinngemäss geltend, das Handelsgericht habe die
Güterabwägung falsch vorgenommen. Sie legt aber nicht dar, inwiefern die
angefochtene Statutenbestimmung das erträgliche Mass vermissen lässt,
sich als unerträglich, unzumutbar erweist. Es wird lediglich ausgeführt,
aufgrund des zwingenden Charakters der gesetzlichen Sammelquoten und der
unstreitigen Tatsache, dass die Eierimporte, wie in der Vergangenheit,
so auch in Zukunft eher rückläufig seien oder zumindest stagnieren
würden, stehe fest, dass die in den Statuten verlangte Bescheinigung
des Bundesamtes kaum jemals werde beigebracht werden können, bzw. dass
ein Beitritt auf Jahre hinaus gänzlich ausgeschlossen werde. Diese
Behauptungen genügen indes den Anforderungen gemäss Art. 55 Abs. 1 lit. c
OG an die Begründung einer Berufung nicht, abgesehen davon, dass die
Behauptung, die statutarische Beitrittsvoraussetzung schliesse einen
Beitritt auf Jahre hinaus gänzlich aus, ein unzulässiges Novum darstellt.

    Auch aus diesen Gründen kann somit auf die Berufung nicht eingetreten
werden.