Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 42



118 II 42

9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. Januar 1992 i.S.
Eheleute R. gegen Eheleute M. und Obergericht des Kantons Luzern
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 266n OR. Separate Zustellung der Kündigung an den Ehegatten
des Mieters.

    Wie für die Kündigung selbst gilt auch für das dem Ehegatten
separat zuzustellende Kündigungsschreiben, dass empfangsbedürftige
Willenserklärungen dem Adressaten zugehen, sobald sie in seinen
Machtbereich gelangen. Zustellung an die Ehefrau durch Übergabe des an
sie adressierten Kündigungsdoppels an den Ehemann (E. 3).

Sachverhalt

    A.- F. R. lebt mit seiner Frau in einer von ihm gemieteten Wohnung in
Triengen, die dem Ehepaar als Familienwohnung dient. Aufgrund ihrer auf
Ende Juli 1991 ausgesprochenen, von den Eheleuten R. jedoch als nichtig
angefochtenen ausserordentlichen Kündigung wegen Zahlungsrückstand
(Art. 257d OR) verlangten die Eheleute M. als Vermieter die Ausweisung,
welche mit Rekursentscheid vom 22. Oktober 1991 vom Luzerner Obergericht
angeordnet wurde unter gleichzeitiger Feststellung der Gültigkeit der
Kündigung. Gegen den Rekursentscheid führen die Eheleute R. erfolglos
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- In materieller Hinsicht werfen die Beschwerdeführer dem Obergericht
vor, die nach Art. 266n OR erforderliche separate Zustellung der von
den Beschwerdegegnern ausgesprochenen Kündigung an die Ehefrau des
Mieters willkürlich bejaht und daher ebenso willkürlich die Nichtigkeit
dieser Kündigung verneint zu haben (Art. 266o OR). Dabei gehen die
Beschwerdeführer in Übereinstimmung mit dem Obergericht davon aus, dass
die Beschwerdegegner zwei ausgefüllte Kündigungsformulare in getrennten,
einerseits an den Ehemann und anderseits an die Ehefrau adressierten
Couverts verschickt haben, und zwar je mit eingeschriebener Post. Darüber
hinaus wird in der Beschwerde anerkannt, dass der Ehemann die beiden
Sendungen vom Briefträger ausgehändigt erhalten und entgegengenommen
hat. Aufgrund dieses Sachverhalts ist es aber keinesfalls unhaltbar
(BGE 117 Ia 15 E. 2c), sondern im Gegenteil offensichtlich richtig,
wenn das Obergericht annimmt, trotz der Entgegennahme des an die Ehefrau
adressierten Exemplars der Kündigung durch den Ehemann habe die Kündigung
als der Frau zugegangen und damit als separat zugestellt im Sinne von
Art. 266n OR zu gelten:

    a) Die Kündigung von Mietverträgen über Wohn- und Geschäftsräume
hat schriftlich (Art. 266l Abs. 1 OR) und seitens des Vermieters
auf dem Formular nach Art. 266l Abs. 2 OR zu erfolgen. Kündigt der
Vermieter eine Familienwohnung, so ist die Kündigung dem Mieter und
seinem Ehegatten separat zuzustellen (Art. 266n OR). Unterbleibt die
separate Zustellung oder werden die Formvorschriften nicht eingehalten,
so ist die Kündigung nichtig (Art. 266o OR). Das Mietrecht regelt hingegen
nicht, was als Zustellung im Sinne von Art. 266n OR zu gelten hat. Dafür
sind die allgemeinen Grundsätze über den Zugang empfangsbedürftiger
Willenserklärungen als Voraussetzung für deren Wirksamkeit heranzuziehen.

    b) Nach diesen Grundsätzen geht eine Willenserklärung in Briefform
dem Empfänger zu, sobald sie in seinen Machtbereich gelangt. Bei einer
Sendung, die privat oder durch die Post uneingeschrieben zugestellt wird,
ist dies dann der Fall, wenn sie zu einer Zeit, in der mit der Leerung
gerechnet werden darf, in den Briefkasten des Adressaten gelegt wird
(SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 408 zu Art. 1 OR; KRAMER, N. 88 zu Art. 1
OR). Ob der Adressat auch tatsächlich von der Sendung Kenntnis nimmt,
ist dagegen nicht entscheidend. Insbesondere trägt der Adressat das
Risiko, dass ihm die mit der Leerung des Briefkastens betraute Person
die Sendung verheimlicht. Demzufolge bedeutet auch die Aushändigung
einer empfangsbedürftigen Willenserklärung an eine Drittperson Zugang,
sofern diese entweder nach dem Willen des Adressaten zur Entgegennahme
ermächtigt oder aber nach der Verkehrsauffassung als befugt und geeignet
anzusehen ist, die Erklärung in Empfang zu nehmen (SCHÖNENBERGER/JÄGGI,
N. 409 zu Art. 1 OR; KRAMER, N. 89 zu Art. 1 OR; vgl. auch BGE 32 II
286). Da insbesondere Ehegatten in einer gemeinsam bewohnten Wohnung als
zum Empfang berechtigt und geeignet zu betrachten sind, ergibt sich aus
den allgemeinen Grundsätzen für den vorliegenden Fall, dass der Ehefrau
das an sie adressierte Exemplar der Kündigung in dem Zeitpunkt zugegangen
ist, in dem der Ehemann es vom Briefträger entgegengenommen hat.

    Sinn und Zweck von Art. 266n OR erheischen keine Zugangserfordernisse,
die von den allgemeinen Grundsätzen abweichen würden. Zwar soll die
separate Zustellung der Kündigung nach Art. 273a Abs. 1 OR sicherstellen,
dass auch der Ehegatte des Mieters die Rechte ausüben kann, die dem Mieter
im Falle der Kündigung zustehen (Art. 273a Abs. 1 OR; SVIT-KOMMENTAR
MIETRECHT, N. 20 zu Art. 266l-o OR; vgl. auch BGE 115 II 362 f. E. 4
und 364 E. 4a). Indessen hat der Vermieter nicht dafür einzustehen,
dass sich gewisse Mieter weigern, dem anderen Ehepartner die an ihn
adressierte Post weiterzuleiten, würde doch sonst geradezu ein Anreiz
zu solchem Verhalten geschaffen. Vielmehr gilt auch im Bereich des
Mietrechts, dass empfangsbedürftige Willenserklärungen in der Regel
diesem anderen Ehepartner selbst dann wirksam zugehen, wenn ihm der
Empfänger die Post böswillig vorenthält (RUOSS, Der Einfluss des neuen
Eherechts auf Mietverhältnisse an Wohnräumen, ZSR 107/1988 I 75 ff.,
97 und Fn 130; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, N. 92 zu Art. 169 ZGB und 271a
OR). Könnte dem Vermieter die unterbliebene Übermittlung zwischen Ehegatten
entgegengehalten werden, so müsste er sich dadurch absichern, dass er
das an den Ehegatten des Mieters adressierte Exemplar der Kündigung mit
dem taxpflichtigen Zustellungsvermerk "eigenhändig" versieht (Art. 158
PVV; SR 783.01), während es nach den allgemeinen Grundsätzen beim Mieter
selbst genügt, dass die für ihn bestimmte Kündigung durch Übergabe an
den Ehegatten in seinen Machtbereich gelangt (HAUSHEER/REUSSER/GEISER,
N. 87 zu Art. 169 ZGB und Art. 271a OR; RUOSS, aaO). Diese unhaltbare
Folge bestätigt, dass nicht der Vermieter, sondern allein der an einer
persönlichen Zustellung interessierte Ehegatte für den tatsächlichen Zugang
der an ihn adressierten Kündigungserklärungen zu sorgen hat. Zu diesem
Zweck kann er der Post Weisungen über die Bezugsberechtigung erteilen
(Art. 146 Abs. 2, 147, 148 PVV).