Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 365



118 II 365

72. Urteil der I. Zivilabteilung vom 14. Juli 1992 i.S. D. AG gegen
L. und Z. (Berufung) Regeste

    Überprüfung der subjektiven Vertragsauslegung im Berufungsverfahren.

    Auch wenn der kantonale Richter den tatsächlichen Parteiwillen aufgrund
von Indizien festgestellt hat, ist im Berufungsverfahren eine Überprüfung
dieser Feststellung unter Vorbehalt der Ausnahmen von Art. 63 Abs. 2 und
Art. 64 OG ausgeschlossen (E. 1).

Sachverhalt

    A.- Aufgrund eines "Software-Lizenzvertrags" erhoben die beiden
EDV-Fachleute L. und Z. gegen ihre Vertragspartnerin, die D. AG, beim
Zürcher Handelsgericht u.a. Klage auf Zahlung von Lizenzgebühren, die
das Handelsgericht mit Urteil vom 25. Oktober 1991 guthiess. Die Beklagte
ficht dieses Urteil erfolglos mit eidgenössischer Berufung an.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Inhalt eines Vertrags bestimmt sich in erster Linie durch
subjektive Auslegung, d.h. nach dem übereinstimmenden wirklichen
Parteiwillen (Art. 18 Abs. 1 OR). Nur wenn eine tatsächliche
Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, sind zur Ermittlung des
mutmasslichen Parteiwillens die Erklärungen der Parteien aufgrund
des Vertrauensprinzips so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durften
und mussten (BGE 117 II 278 E. 5a). Während das Bundesgericht die
objektivierte Vertragsauslegung nach dem Vertrauensprinzip als Rechtsfrage
im Berufungsverfahren frei prüft (BGE 117 II 278 f. E. 5a), beruht die
subjektive Vertragsauslegung auf Beweiswürdigung, die vorbehältlich der
Ausnahmen von Art. 63 Abs. 2 und Art. 64 OG der bundesgerichtlichen
Überprüfung im Berufungsverfahren auch dann entzogen ist, wenn der
kantonale Richter den tatsächlichen Parteiwillen aufgrund von Indizien wie
dem nachträglichen Parteiverfahren festgestellt hat (BGE 107 II 418 E. 6).

    Trotz der in einem Teil der Literatur geäusserten Kritik ist an dieser
Beschränkung festzuhalten (KRAMER, N. 74 ff. zu Art. 18 OR mit weiteren
Hinweisen; vgl. auch POUDRET, COJ N. 4.4.4 zu Art. 63 OG). Sie ergibt
sich schon aus der verfassungsmässigen Ordnung, nach der die Berufung
allein die Sicherstellung der einheitlichen Anwendung des formellen
und materiellen Bundesprivatrechts bezwecken kann (Art. 114 BV) und
nicht in die kantonale Prozesshoheit (Art. 64 Abs. 3 BV) eingreifen
darf. Für erhebliche Tatsachenbehauptungen gibt das Bundesrecht zwar
einen Anspruch auf Zulassung zum Beweis (BGE 114 II 290 f. E. 2a),
im übrigen sind jedoch sowohl die Abnahme wie die Würdigung von
Beweisen (KUMMER, N. 10 und N. 111 zu Art. 8 ZGB) ausschliesslich vom
kantonalen Prozessrecht beherrscht, das nicht Gegenstand der Berufung
sein kann (Art. 55 Abs. 1 lit. c a. E. OG). Dass der Richter beim
Indizienbeweis aufgrund von Erfahrungssätzen aus dem Indiz auf die
rechtlich zu beurteilende Tatsache schliesst (KUMMER, N. 93 zu Art. 8
ZGB), kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn hätte bereits das
Abstellen auf Erfahrungssätze zur Folge, dass die Beweiswürdigung auf
Berufung hin zu überprüfen wäre, könnte jede Beweiswürdigung mit diesem
Rechtsmittel angefochten werden, beruht doch Beweiswürdigung stets auch
auf richterlicher Lebenserfahrung. Entsprechend der verfassungsmässigen
Ordnung hat die Überprüfung von Erfahrungssätzen im Berufungsverfahren
daher auf Sätze der allgemeinen Lebenserfahrung beschränkt zu bleiben,
die sich generell abstrakten Rechtsnormen nähern, weil sie dem Richter
über den konkreten Einzelfall hinaus als allgemeingültiger Massstab für
die Beurteilung von Tatsachen dienen (BGE 69 II 204 ff. E. 5; POUDRET,
COJ N. 4.2.4 zu Art. 63 OG mit weiteren Hinweisen). Dazu gehören die
Erfahrungssätze, die der Richter bei der Ermittlung des tatsächlichen
Parteiwillens im Rahmen der subjektiven Vertragsauslegung heranzieht,
indessen nicht (POUDRET, COJ N. 4.4.4 zu Art. 63 OG).