Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 36



118 II 36

7. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Februar 1992 i.S. K.
(Berufung) Regeste

    Art. 58 OR. Haftung des Werkeigentümers.

    Wer den Besuchern eines Verkaufslokals eine Ausgangstüre zur Verfügung
stellt, hat für deren möglichst gefahrlose Benützbarkeit zu sorgen. Dazu
gehört auch, dass er unmittelbar jenseits der Türe lauernde Gefahren, wie
Glatteis auf dem Trottoir, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren beseitigt
oder zumindest mit einem Warnschild darauf aufmerksam macht. Frage der
Passivlegitimation (E. 3). Haftungsvoraussetzungen (E. 4).

Sachverhalt

    A.- Beim Verlassen eines Sportgeschäftes in Liestal stürzte Georges
K. am 27. Februar 1986 auf einer Eisschicht, die sich auf dem Trottoir
unmittelbar vor der Ausgangstüre gebildet hatte. Unter Berufung auf
die Haftung des Werkeigentümers gemäss Art. 58 OR belangt er die
Ladenbesitzerin für Schadenersatz im Betrag von Fr. 100'000.--. Das
Bezirksgericht Liestal wies die Klage von K., nachdem es das Verfahren
vorab auf die Frage der Haftung der Beklagten beschränkt hatte, mit Urteil
vom 16. November 1989 ab. Auf Appellation des Klägers bestätigte das
Obergericht des Kantons Basel-Landschaft am 18. Juni 1991 diesen Entscheid
"ohne neue Motive", d.h. indem es vollumfänglich auf die Erwägungen des
Bezirksgerichts verwies.

    B.- Das Bundesgericht heisst die Berufung des Klägers gut und weist
die Streitsache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte macht geltend, die kantonalen Instanzen hätten zu
Unrecht ihre Passivlegitimation bejaht. Zu diesem Einwand ist sie im
Rahmen der Berufungsantwort zwar befugt (BGE 61 II 125). Er erweist sich
aber als unbegründet:

    Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts steht das Trottoir,
auf dem sich der Unfall ereignet hat, im Eigentum der Beklagten. Diese
beruft sich indessen - unter Hinweis auf BGE 91 II 281 ff. und 51 II 207
ff. - darauf, dass zulasten der Eigentümerin ein öffentliches Fusswegrecht
eingetragen und dass nach Strassenreglement für die Reinigung des Trottoirs
die Gemeinde als Dienstbarkeitsberechtigte zuständig sei. Eine allfällige
Werkeigentümerhaftung träfe nach Ansicht der Beklagten daher nicht sie,
sondern die Gemeinde.

    Diese Argumentation überzeugt nicht. Wer einer unbestimmten Vielzahl
von Besuchern eines Lokals eine Ausgangstüre zur Verfügung stellt,
hat die nach den Umständen zumutbaren Vorkehren für deren möglichst
gefahrlose Benützung zu treffen. Dazu gehört auch, dass er unmittelbar
jenseits der Türe lauernde Gefahren im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren
beseitigt oder zumindest mit einem entsprechenden Warnschild auf sie
aufmerksam macht (im einzelnen E. 4 hienach). Im vorliegenden Fall ist
daher die Passivlegitimation der Beklagten aufgrund ihres Eigentums an
der Ausgangstüre aus ihrem Laden unabhängig davon zu bejahen, ob sie auch
hinsichtlich des Trottoirs als Werkeigentümerin im Sinne von Art. 58 OR
zu betrachten ist, wie dies die kantonalen Instanzen zumindest für den
Bereich des Zugangs zum Gebäude annehmen.

Erwägung 4

    4.- Das Bezirksgericht stellt in tatsächlicher Hinsicht fest, bei
der Türe, durch welche der Kläger den Laden der Beklagten verlassen habe,
habe es sich um einen Notausgang gehandelt, der zugleich als gewöhnlicher
Ladenein- und -ausgang gedient habe. Am 27. Februar 1986 sei der Boden
im Bereich dieser Türe wegen Eisbildung äusserst glitschig gewesen. Ein
Angestellter der Beklagten habe das Eis vor Ladenöffnung weggepickelt und
Salz gestreut. Später habe er nochmals gesalzen. Infolge Sonneneinwirkung
sei jedoch vom schneebedeckten Dach dauernd Wasser getropft, das am
Boden wieder gefroren sei und innert kürzester Frist eine neue Eisschicht
gebildet habe. Im übrigen habe die aussergewöhnliche Wetterlage am Morgen
des 27. Februar 1986 in Liestal überall zu Vereisungen geführt.

    Ausgehend von dieser Sachlage gelangen die kantonalen Instanzen
zum Ergebnis, die Beklagte habe mit dem Wegpickeln des Eises und dem
Streuen von Salz die zumutbaren Massnahmen ergriffen, um einen Schaden
zu vermeiden. Der Kläger rügt, diese Auffassung verstosse gegen Art. 58 OR.

    a) Gemäss Art. 58 Abs. 1 OR haftet der Werkeigentümer für den Schaden,
der durch fehlerhafte Anlage oder Herstellung oder durch mangelhaften
Unterhalt des Werks verursacht wird. Ob ein Werk fehlerhaft angelegt
oder mangelhaft unterhalten ist, ist im Hinblick auf den Zweck zu
beurteilen, den es zu erfüllen hat. Der Werkeigentümer hat insbesondere
dafür einzustehen, dass das Werk bei bestimmungsgemässem Gebrauch
genügende Sicherheit bietet. Er hat allerdings nicht jeder denkbaren
Gefahr vorzubeugen, sondern darf Risiken ausser acht lassen, welche von
den Benützern des Werks mit einem Mindestmass an Vorsicht vermieden
werden können. An die Sicherheit öffentlicher Gebäude oder privater
Gebäude mit Publikumsverkehr sind dabei jedoch höhere Anforderungen
zu stellen (BGE 117 II 399 E. 2; 116 II 423 E. 1; 88 II 420 E. 2, je
mit Hinweisen). Bei Verkaufslokalen ist zudem zu berücksichtigen, dass
das zur Schau gestellte Warenangebot nach allgemeiner Lebenserfahrung
geeignet ist, beim Besucher zu einer gewissen Zerstreuung und damit
zu einer verminderten Aufmerksamkeit zu führen. Der Eigentümer solcher
Räumlichkeiten darf daher von vornherein nicht mit einer sehr grossen
Vorsicht der Ladenbesucher rechnen. Vielmehr hat er im Rahmen des
Zumutbaren (BGE 100 II 139 mit Hinweisen) entsprechend wirksame Vorkehren
zu deren Schutz vor Unfallgefahren zu treffen. Das gilt umso mehr,
wenn - wie im vorliegenden Fall - die Gefährdung zutage tritt, für den
Werkeigentümer mithin ohne weiteres erkennbar ist.

    Eine Türe dient dem Durchgang von einem baulich umgrenzten Raum in
einen andern oder ins Freie. Der Gebäudeeigentümer hat deshalb dafür zu
sorgen, dass das Durchschreiten der Türe nicht mit Gefahren verbunden
ist, die durch zumutbare Sicherheitsvorkehren hätten vermieden werden
können. Dabei hat er bei Türen, die ins Freie führen, auch Gefahren im
Auge zu behalten, welche den Benützer beim Durchschreiten der Türe auf
der Aussenseite des Gebäudes überraschen könnten. Ein Werkmangel wäre
daher beispielsweise zu bejahen, wenn - insbesondere bei einem Gebäude
mit Publikumsverkehr - eine Türe so angelegt wäre, dass die Benützer beim
ersten Schritt ins Freie ohne Vorwarnung auf die Fahrbahn einer stark
frequentierten Strasse gelangten und der Gefahr eines Verkehrsunfalls
ausgesetzt würden. Entsprechendes hat zu gelten, wenn die Besucher eines
Ladenlokales unmittelbar jenseits der Ausgangstüre ohne Vorwarnung auf
eine glitschige Eisschicht geraten und Gefahr laufen, beim ersten Schritt
ins Freie darauf auszurutschen.

    b) Im Lichte dieser Kriterien kann sich die Beklagte entgegen der
Auffassung der kantonalen Instanzen ihrer Haftung als Werkeigentümerin
nicht entziehen. Das Eis auf dem Trottoir unmittelbar vor der Ausgangstüre
stellte nach dem Gesagten eine Gefahr dar, vor welcher die Beklagte die
Besucher ihres Ladens durch geeignete Sicherheitsmassnahmen zu beschützen
hatte. Wohl ist die Beklagte diesbezüglich nicht untätig geblieben,
sondern hat durch einen ihrer Angestellten das Eis vor Ladenöffnung
wegpickeln und wiederholt Salz streuen lassen. Es war für sie aber ohne
weiteres erkennbar, dass damit die Gefahr nicht behoben war, weil vom
Dach tropfendes Wasser, das am Boden sogleich wieder gefror, innert
kürzester Frist zur Bildung einer neuen Eisschicht führte. Der Umstand,
dass sie in der Absicht, die Gefahr zu beseitigen, Massnahmen getroffen
hat, reicht für sich allein nicht aus, die Beklagte von ihrer Haftpflicht
zu befreien, zumal sie erkennen musste, dass die getroffenen Massnahmen
ihren Zweck nicht erreichten. Zutreffend hält das Bezirksgericht zwar
fest, dass eine Schliessung der Türe wegen deren Bedeutung als Notausgang
nicht in Betracht fiel. Hingegen kann ihm nicht gefolgt werden, wenn es
von vornherein ausschliesst, dass die vom Eis ausgehende Rutschgefahr mit
anderen Massnahmen, wie dem Legen eines Teppichs, hätte beseitigt werden
können; gerade Teppiche werden in Situationen wie der hier zu beurteilenden
häufig mit Erfolg verwendet. Jedenfalls aber durfte die Beklagte die
Besucher ihres Ladens nicht ohne Vorwarnung dem Risiko eines Sturzes
aussetzen. War dem Eis weder mit Pickeln noch mit Salzen beizukommen
und konnte die Türe auch nicht geschlossen werden, so musste es sich
vielmehr geradezu aufdrängen, die Ladenbesucher mit einem Warnschild auf
die Gefahr aufmerksam zu machen und sie zu entsprechender Vorsicht oder
zur Benützung des offenbar weniger gefährlichen zweiten Ladenausgangs
anzuhalten. Dass diese einfache Massnahme der Beklagten ohne weiteres
zuzumuten gewesen wäre, lässt sich im Ernst nicht bestreiten. In ihrer
Unterlassung ist deshalb, wie der Kläger mit Recht geltend macht, ein
mangelhafter Unterhalt im Sinne von Art. 58 Abs. 1 OR zu erblicken. Daran
vermag auch nichts zu ändern, dass sich die Beklagte auf die am Unfalltag
herrschenden aussergewöhnlichen Witterungsverhältnisse beruft, hätte
angesichts dieser besonderen Umstände für sie doch gegenteils umso mehr
Anlass bestanden, der sicheren Benützbarkeit ihres Ladenausgangs die
gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.