Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 348



118 II 348

68. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 20. Juli 1992
i.S. Banco Nacional de Cuba gegen Banco Central de Chile (Berufung) Regeste

    Internationales Privatrecht. Bestimmung des anwendbaren Rechts.

    1. Intertemporale Abgrenzung zwischen altem und neuem Recht im Lichte
der Übergangsbestimmungen von Art. 196 und Art. 198 IPRG (E. 2b/E. 2c).

    2. Fehlt es an einer Rechtswahl, so ist das anwendbare Recht aufgrund
der für das Vertragsverhältnis charakteristischen Leistung und des Domizils
der sie erbringenden Partei zu bestimmen. Ausländisches öffentliches
Recht, das der Durchsetzung reiner Machtansprüche dienen soll, vermag
keinen Anspruch auf Anerkennung zu begründen (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1972 nahm die Zentralbank von Chile bei der Banque
Commerciale pour l'Europe du Nord einen grösseren Kredit in US-Dollar
auf. Aufgrund einer Absprache mit der Nationalbank von Kuba wurden
davon ... US-Dollar, entsprechend Fr. ..., zu deren Gunsten an die
Schweizerische Bankgesellschaft in Zürich überwiesen. Als das "deposit"
anfangs September 1973 auslief, befand sich Chile in Unruhe. Am 27.
September 1973 erliess der Staat Kuba mit Rückwirkung ab 11. September sein
Gesetz Nr. 1256, mit dem unter anderem auch das Guthaben der Zentralbank
von Chile eingefroren wurde.

    In Prosequierung eines in Zürich erwirkten Arrestes klagte die
Zentralbank von Chile im Juli 1981 beim Handelsgericht des Kantons Zürich
gegen die Nationalbank von Kuba auf Zahlung der von der kubanischen
Regierung aus politischen Gründen gesperrten Summe von Fr. ... nebst
Zins. Da vorerst über die von der Beklagten erhobene Einrede der
Rechtshängigkeit zu befinden war, blieb das Verfahren während längerer
Zeit sistiert. Mit Urteil vom 28. September 1990 hiess das Handelsgericht
die Klage im wesentlichen gut. Eine Nichtigkeitsbeschwerde der Beklagten
wies das Zürcher Kassationsgericht am 25. Oktober 1991 im Hauptpunkt
ab, soweit es darauf eintrat. Die Beklagte führt gegen das Urteil des
Handelsgerichts auch erfolglos Berufung beim Bundesgericht.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- b) Die übergangsrechtlichen Bestimmungen von Art. 196 und 198 IPRG
dienen der intertemporalen Abgrenzung zwischen altem und neuem Recht auf
unterschiedliche Weise. Sie stehen daher in keinem Konkurrenzverhältnis
und noch weniger im Widerspruch zueinander; vielmehr ergänzen sie
sich. Art. 198 IPRG beschränkt die Anwendung des neuen Kollisionsrechts
von vornherein auf diejenigen Streitigkeiten, die noch nicht über das
Stadium der Hängigkeit vor einer ersten Instanz hinaus gediehen sind. Die
Regelung des intertemporalen Kollisionsrechts in allen diesen dem neuen
Recht überhaupt zugänglichen Fällen bleibt damit den weiteren Bestimmungen
des IPRG und insbesondere auch dessen Art. 196 vorbehalten (SCHWANDER,
Einführung in das internationale Privatrecht, Allg. Teil, S. 176 Rz. 363;
SCHWANDER, Die Handhabung des neuen IPR-Gesetzes, in: Die allgemeinen
Bestimmungen des Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht,
St. Gallen 1988, S. 32; KNOEPFLER/SCHWEIZER, Précis de droit international
privé suisse, S. 242 f. N 791; SCHNYDER, Das neue IPR-Gesetz, 2. Auflage,
S. 150 f.).

    Dieser Auffassung wird freilich von BROGGINI (Das intertemporale
Recht der neuen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Bulletin
ASA 1988 S. 284 ff.) widersprochen mit dem Einwand, beide Artikel
enthielten gleichermassen Übergangsrecht; dass dabei die eine
intertemporalrechtliche Norm auf eine andere Anwendung finden solle, sei
nicht nur aussergewöhnlich, sondern schlechterdings nicht zu verstehen. Das
Begriffspaar weise vielmehr die gleiche rechtliche Bedeutung auf,
wobei Art. 196 IPRG lediglich eine missglückte Zusammenfassung der in
den Art. 1 bis 4 SchlT/ZGB enthaltenen Regeln und ihre Übertragung vom
nationalen Zivilrecht auf das intertemporale Kollisionsrecht darstelle,
während Art. 198 IPRG den in Art. 196 IPRG festgehaltenen Grundsatz
der Nichtrückwirkung wieder erheblich einschränke. Die Kritik vermag
indes nicht zu überzeugen. Dass der Gesetzgeber am einen Ort die vom
Gesetz nicht mehr erfassten, weil über die Hängigkeit in erster Instanz
hinaus gediehenen Fälle ausgrenzt und am andern für die übrigen Fälle
Regeln über die eingeschränkte Rückwirkung des neuen Rechts aufstellt,
ist weder systematisch abwegig noch im Ergebnis in sich widersprüchlich.

    c) Die vorliegende Streitsache war beim Inkrafttreten des IPRG
unbestrittenermassen nicht bereits wegen des erreichten Verfahrensstadiums
den Auswirkungen des neuen Rechts entzogen. Zu prüfen bleibt daher,
wie es sich mit dem Rückwirkungsverbot gemäss Art. 196 IPRG verhält.

    Art. 196 IPRG enthält in Abs. 1 ein grundsätzliches Verbot der
Rückwirkung des neuen Kollisionsrechts auf Sachverhalte und Rechtsvorgänge,
die noch unter altem Recht entstanden und abgeschlossen sind. Demgegenüber
unterstellt Abs. 2 neuem Recht jene Sachverhalte und Rechtsvorgänge,
die zwar vor seinem Inkrafttreten entstanden, jedoch auf Dauer angelegt
sind. Diese Bestimmung gibt insofern Probleme auf, als sie die Meinung
aufkommen lassen könnte, es habe bei Dauerschuldverhältnissen ausnahmslos
eine Aufspaltung der Anknüpfung für die Zeit vor dem Inkrafttreten
des IPRG und diejenige nach ihm stattzufinden, d.h. eine abgestufte
unterschiedliche Beurteilung von Beziehungen, die ohne Unterbruch
fortdauern. In der Literatur wird eine solche Spaltung abgelehnt und das
nachträgliche Eingreifen des neuen Rechts in vorbestandene vertragliche
Schuldverhältnisse verneint (SCHWANDER, Die Handhabung des neuen
IPRG-Gesetzes, S. 29; SCHNYDER, aaO, S. 151 f.; ROSSEL, L'application
dans le temps des règles de droit international privé, in: Le juriste
suisse face au droit et aux jugements étrangers, Freiburg 1988, S. 343;
BROGGINI, Regole intertemporali del nuovo diritto internazionale privato
svizzero, in: Conflits et harmonisation, Mélanges von Overbeck, Freiburg
1990, S. 460; zurückhaltend und auf den Schutz erworbener Rechte bedacht
KNOEPFLER/SCHWEIZER, aaO, S. 244 Rz. 797). Das Bundesgericht hatte sich
bisher mit der Problematik von Art. 196 Abs. 2 IPRG nicht einlässlich zu
befassen (vgl. BGE 117 II 495 E. 3, 115 III 152 E. 2). Sie braucht auch
hier nicht abschliessend behandelt zu werden, da in Übereinstimmung mit
Vorinstanz und Klägerin davon auszugehen ist, dass das Schuldverhältnis
beim Inkrafttreten des IPRG als solches beendet war; auf die Dauer der
anschliessenden Auseinandersetzung über die Schlussliquidation der aus dem
Geschäft verbliebenen Ansprüche kann es nicht ankommen. Im massgeblichen
Zeitpunkt war das von der Klägerin als Darlehen und von der Beklagten als
Depositum aufgefasste Rechtsverhältnis schon seit Jahren gekündigt. Was
auch immer die Parteien gemäss Darstellung der Beklagten danach vereinbart
haben sollen, war offensichtlich auf die Modalitäten der Rückführung
der übertragenen Vermögenswerte gerichtet, selbst wenn es sich um ein
naturgemäss nicht auf Dauer angelegtes "call-account" gehandelt haben
sollte. Schon vor Einreichung der Klage im Jahre 1981 stand jedenfalls
fest, dass die Klägerin auch ein solches nicht aufrechterhalten, sondern
das überlassene Geld zurückerstattet haben wollte.

    Die Vorinstanz hat daher kein Bundesrecht verletzt, wenn sie die
Bestimmungen des IPRG, insbesondere dessen Art. 13, 15, 17 und 19, nicht
angewandt hat.

    Schliesslich ist zur Problematik um Art. 196 IPRG hervorzuheben, dass
Abs. 2 zumindest mit Bezug auf die Hauptanknüpfung dann ohne Auswirkung
bleibt, wenn altes und neues Kollisionsrecht auf dieselbe Rechtsordnung
hinweisen (KNOEPFLER/SCHWEIZER, aaO, S. 244 Rz. 797 in fine). Das trifft
vorliegend zu, ist doch im Vertragsrecht bei Fehlen einer Rechtswahl
sowohl nach IPRG (Art. 117) wie auch gemäss früherer Praxis (BGE 111 II
278, 110 II 158) auf die charakteristische Leistung und das Domizil der
sie erbringenden Partei abzustellen.

Erwägung 3

    3.- Das Handelsgericht hat das Rechtsverhältnis zwischen
den Parteien als Darlehen qualifiziert und chilenisches Recht für
anwendbar erklärt. Die Beklagte wirft ihm eine unrichtige rechtliche
Qualifikation und entsprechend eine unrichtige objektive Anknüpfung bei
der Bestimmung des anwendbaren Rechts vor. Ihrer Meinung nach liegt ein
Hinterlegungsvertrag vor und ist kubanisches Recht anzuwenden. Aufgrund
des erfolglos mit staatsrechtlicher Beschwerde angefochtenen und daher
gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhalts
ist davon auszugehen, dass die Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien
nicht auf Begründung eines im Interesse der Klägerin angestrebten sicheren
depositum irregulare bei der Beklagten, sondern darauf ausgerichtet waren,
dieser einen Geldbetrag zur Verwendung nach ihren Bedürfnissen und zu
späterer Rückerstattung zur Verfügung zu halten. Dabei wäre es auch dann
geblieben, wenn die Parteien später ein "call-account" vereinbart haben
sollten. Die beantragte Beweisführung, deren Verhinderung die Beklagte
der Vorinstanz als Verletzung von Art. 8 ZGB anlastet, vermöchte daran
offensichtlich nichts zu ändern. Vermag aber die Abnahme weiterer Beweise
zum massgeblichen Beweisergebnis nichts mehr beizutragen, so konnte
das Handelsgericht darauf verzichten, ohne gegen die bundesrechtliche
Beweisvorschrift zu verstossen. Bleibt es somit beim Sachverhalt
gemäss angefochtenem Urteil, so handelte es sich bei der Geldhingabe
eindeutig um ein Darlehen. Bei diesem besteht die charakteristische
Leistung in der Hingabe durch den Darlehensgeber, dessen Domizil damit
das anzuwendende Recht bestimmt (BGE 78 II 191 mit Hinweisen; VISCHER/VON
PLANTA, Internationales Privatrecht, 2. Auflage, Basel 1982, S. 179). Nach
schweizerischem Kollisionsrecht untersteht das streitige Rechtsverhältnis
folglich chilenischem Recht. Dieses verlangt unbestrittenermassen die
Rückzahlung abgelaufener oder gekündigter Darlehen.

    a) Das kubanische Gesetz Nr. 1256 ist naturgemäss nicht Bestandteil
des chilenischen Rechts und kann dieses daher inhaltlich nicht
beeinflussen. Die Beklagte legt jedoch Wert auf den Umstand, dass dieses
Gesetz die Erfüllung unter Androhung schwerer Strafen verbietet, weshalb
ein eigentliches Erfüllungshindernis vorliege. Ein solches vermag zwar
den unverschuldet von ihm betroffenen Schuldner, der durch die Auswirkung
einer ausländischen Eingriffsnorm faktisch in eine Zwangslage gerät,
zu entlasten (HEINI, Ausländische Staatsinteressen und internationales
Privatrecht, ZSR 100/1981 I S. 73; VISCHER, Internationales Vertragsrecht,
S. 210). Die Beklagte verkennt indes, dass von ihr, soweit es um die
Arrestprosequierung geht, kein aktives Handeln erwartet wird und in
Wirklichkeit eine Unmöglichkeit gar nicht vorliegt, weil die Klägerin
ohne Dazutun der Beklagten auf das Arrestsubstrat greifen kann. In einem
entsprechend gelagerten Fall hat denn auch das Bundesgericht bereits
im Jahre 1935 erklärt, die Frage nach dem Vorliegen einer Zwangslage -
und damit nach der Wirkung einer zwingenden ausländischen Eingriffsnorm
überhaupt - erübrige sich unter solchen Umständen (BGE 61 II 249). Die
gleiche Begründung hat auch für den vorliegenden Fall zu gelten.

    b) Selbst wenn die Vertragsbeziehungen im Sinne der Beklagten
kubanischem Recht unterstünden, hätte dies nicht zwingend die momentane
Abweisung der Klage zur Folge. Weder nach dem IPRG noch nach der früheren,
gegenüber öffentlichrechtlichem Eingriffsrecht noch zurückhaltenderen
Rechtsprechung und Lehre kann ausländisches öffentliches Recht, das
der Durchsetzung von Machtansprüchen dienen soll, einen Anspruch auf
Anerkennung begründen (BGE 95 II 114, 82 I 197 f., 61 II 246; HEINI, aaO,
S. 83; VISCHER, aaO, S. 209). Und selbst wenn es das würde, stellte
sich die Frage, ob nicht schweizerischer Ordre public den Behörden ein
Handbieten zur Durchsetzung solchen Rechts verböte, widerspricht es
doch schweizerischem Rechtsempfinden zutiefst, dass ein Schuldner oder
der Staat, dem er angehört, nach eigenem Belieben darüber befindet,
welche Gläubiger er befriedigen will und welche nicht (vgl. etwa zur
Diskriminierung von Juden durch ungarisches Devisenrecht BGE 95 II 115).
Letztlich braucht dies jedoch nicht entschieden zu werden, da das
Vertragsverhältnis ohnehin nicht kubanischem Recht unterstellt ist.