Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 118 II 313



118 II 313

62. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Juni 1992 i.S. A.
gegen v. B. und Mitbeteiligte (Berufung) Regeste

    Art. 396 Abs. 2, Art. 543 Abs. 3 OR. Vollmacht des Architekten,
der zugleich Mitglied der Bauherrschaft (Konsortium) ist.

    Die verbindliche Anerkennung von Unternehmerrechnungen durch
den Architekten setzt in der Regel eine ausdrückliche Vollmacht des
Bauherrn voraus. Auch die Übertragung der Bauleitung an den Architekten
berechtigt den Unternehmer nicht, allein aufgrund von Art. 396 Abs. 2
OR anzunehmen, der Architekt sei zur Anerkennung der von ihm geprüften
Rechnungen ermächtigt (E. 2). Die nach dem Gesellschaftsvertrag fehlende
Geschäftsführungsbefugnis des am Baukonsortium beteiligten Architekten
hat zur Folge, dass auch die Vollmachtsvermutung des Art. 543 Abs. 3 OR
nicht zum Tragen kommt (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Zum Zweck der Planung, Ausführung und Finanzierung eines
Bauvorhabens in Ebikon hatten F., A., Be. und Bi. im Jahr 1972 die
einfache Gesellschaft Konsortium H. gegründet. Der Architekturauftrag
einschliesslich Bauleitung war den beiden Gesellschaftern und Architekten
Be. und Bi. vom Konsortium gemeinsam erteilt worden (Ziff. 10 des
Gesellschaftsvertrags). Die am 18. Februar 1981 noch ausstehende
Werklohnforderung der vom Konsortium seinerzeit mit den Schreinerarbeiten
beauftragten Firma H. AG belief sich gemäss der von Bi. unterzeichneten
Bauabrechnung dieses Datums auf Fr. 286'009.15.

    B.- Als Abtretungsgläubiger der inzwischen in Konkurs gefallenen
H. AG klagte u.a. Christoph v. B. beim Kantonsgericht Nidwalden gegen
den Gesellschafter A. auf Zahlung dieses Betrags. Das Kantonsgericht
schützte die Klage am 19. Dezember 1990 für Fr. 106'009.15, entsprechend
der Werklohnrestanz gemäss Bauabrechnung abzüglich einer zur Verrechnung
zugelassenen Konkursforderung des Beklagten von Fr. 180'000.--. Dessen
Appellation wies das Nidwaldner Obergericht am 17. Oktober 1991 ab. Gegen
den Appellationsentscheid führt der Beklagte eidgenössische Berufung mit
der Begründung, entgegen der Auffassung der Vorinstanzen sei Bi. weder
als Architekt noch als Gesellschafter ermächtigt gewesen, durch seine
Unterschrift auf der Bauabrechnung die Werklohnschuld für die Mitglieder
des Baukonsortiums verbindlich anzuerkennen. Das Bundesgericht heisst die
Berufung gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die Sache
an die Vorinstanz zurück, damit diese die Höhe des Werklohns unabhängig
von der Bauabrechnung festsetze.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 396 Abs. 2 OR ist im Auftrag die Ermächtigung zu allen
Rechtshandlungen enthalten, die zu seiner Ausführung gehören. In welchem
Umfang der Architekt in einem in dieser Hinsicht den Regeln des einfachen
Auftrags unterstehenden umfassenden Architektenvertrag (BGE 110 II 382
E. 2 mit Hinweis) ermächtigt ist, den Bauherrn durch Willenserklärungen
gegenüber dem Unternehmer zu verpflichten, hängt deshalb in erster Linie
von den Aufgaben ab, die dem Architekten übertragen worden sind.

    a) Wie das Bundesgericht in BGE 109 II 459 f. E. 5c ausgeführt
hat, zieht der Bauherr den Architekten bei als Fachmann für die
Planung und Projektierung sowie für die Leitung und Überwachung der
Bauausführung. Demgegenüber behält sich der Bauherr den Entscheid über
finanzielle Verpflichtungen im Normalfall selbst vor, braucht er doch
dazu nicht das besondere Fachwissen des Architekten. Daher gilt nach
der neueren Rechtsprechung in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre,
dass der Architekt für im Namen des Bauherrn abgegebene rechtsgeschäftliche
Erklärungen, welche wie die Anerkennung einer Schlussrechnung den Bauherrn
finanziell in erheblichem Mass verpflichten, einer ausdrücklichen
Ermächtigung bedarf (BGE aaO mit Hinweis auf SCHWAGER, Baurecht 1980
S. 36 f. und REBER, Rechtshandbuch, 4. A., S. 259 f. und 261).

    Dieser Grundsatz hat jedenfalls dann zu gelten, wenn der
Architekt seine Vollmacht allein aus Art. 396 Abs. 2 OR herleiten
kann (GAUCH, Der Werkvertrag, 3. A., S. 246 Rz. 864; SCHWAGER, Die
Vollmacht des Architekten, in: GAUCH/TERCIER, Das Architektenrecht,
S. 237 f. Rz. 812-814, sowie BRUNO STIERLI, Die Architektenvollmacht,
Diss. Freiburg 1988, S. 99 ff. Rz. 316-319, je mit Hinweisen). Aber
auch unter der SIA-Ordnung 102, die dem Architekten in Art. 4.4.4. die
Rechnungskontrolle überträgt, ist dieser nicht zur Anerkennung der
kontrollierten Unternehmerrechnungen ermächtigt (SCHWAGER, aaO, S. 238
Rz. 813; STIERLI, aaO, S. 170 f. Rz. 606 f.; GAUCH, aaO; aus der neuesten
Rechtsprechung vgl. die Urteile in Baurecht 1991 S. 41 f. Nr. 57 und
58). Der Lehrmeinung von HESS (Der Architekten- und Ingenieurvertrag,
Kommentar, insbesondere N. 45 und 56 zu Art. 1.4.3. SIA-Ordnung 102),
der bereits aufgrund von Art. 396 Abs. 2 OR und unbekümmert um die
finanziellen Konsequenzen für den Bauherrn eine umfassende Vertretungsmacht
des Architekten befürwortet, kann nicht gefolgt werden. Sie verkennt,
dass die aus Art. 396 Abs. 2 OR abgeleitete Ermächtigung zu direkter
oder indirekter Stellvertretung (BGE 41 II 271 E. 3) auf die für die
Auftragsausführung notwendigen Rechtshandlungen beschränkt ist (BGE 90 II
288 f. E. 1a). Während die Überprüfung von Unternehmerrechnungen auf ihre
sachliche und rechnerische Richtigkeit (STIERLI, aaO, S. 101 Rz. 319)
Fachkenntnis erfordert und deshalb zur Auftragsausführung gehört, darf
der Unternehmer im allgemeinen nicht davon ausgehen, die blosse Tatsache
der Auftragserteilung ermächtige den Architekten auch zur Anerkennung
des von ihm geprüften Rechnungsergebnisses.

    Weil der Unternehmer vielmehr davon auszugehen hat, der Bauherr habe
sich diese Rechtshandlung mit erheblichen finanziellen Konsequenzen
selbst vorbehalten, setzt eine verbindliche Schuldanerkennung durch
den Architekten regelmässig eine Sondervollmacht des Bauherrn an
den Architekten voraus. Eine - tatsächlich u. U. gar nie erteilte -
Vollmacht kann aber auch dadurch begründet werden, dass der Bauherr sie
dem gutgläubigen Unternehmer gegenüber kundgibt (Art. 33 Abs. 3 OR). Diese
Kundgabe erlangt namentlich Bedeutung im Bereich der gültig zum Bestandteil
von Werkverträgen erhobenen SIA-Norm 118 (vgl. das Urteil in Baurecht
1991 S. 41 f. Nr. 58 mit Anmerkung von GAUCH). Unter welchen besonderen
Umständen der Unternehmer ausnahmsweise zur Annahme berechtigt ist, der
Architekt sei trotz fehlender Sondervollmacht bzw. trotz unterbliebener
Vollmachtskundgabe des Bauherrn zur Anerkennung von Rechnungen ermächtigt
(zur Duldungs- und Anscheinsvollmacht vgl. GAUCH/SCHLUEP, OR Allgemeiner
Teil, Bd. I, 5. A., S. 264 Rz. 1411 ff.), kann im vorliegenden Fall
offenbleiben (E. 2b hienach).

    b) Der zwischen dem Baukonsortium H. und den Architekten Bi. und Be.
abgeschlossene Architekturvertrag übertrug den beiden Architekten
auch die Bauleitung, so dass ein umfassender Architekturauftrag
vorlag. Daraus schloss das Obergericht zu Recht, nach allgemeiner Usanz
sei auch die Rechnungsprüfung übertragen worden. Nach dem Gesagten zum
vornherein nicht zutreffen kann jedoch die vorinstanzliche Annahme, als
bauleitender Architekt des Konsortiums, dem auch der Beklagte angehörte,
sei Bi. aufgrund von Art. 396 Abs. 2 OR ermächtigt gewesen, durch seine
Unterschrift auf der Bauabrechnung vom 18. Februar 1981 mit Wirkung für
die Bauherrschaft gegenüber der H. AG als Unternehmerin eine Werklohnschuld
in der Höhe von Fr. 286'009.15 anzuerkennen.

    Diese Annahme kann sich auch nicht auf eine Sondervollmacht, eine
kundgegebene Vollmacht oder einen vertrauensbegründenden Tatbestand
abstützen. Entscheidend für die Zusprechung der um Fr. 180'000.--
reduzierten Werklohnforderung von Fr. 286'009.15 war für beide
kantonalen Instanzen die Qualifikation der von Bi. unterzeichneten
Bauabrechnung als einer Werklohnanerkennung. Auch die Kläger stellen
in ihrer Berufungsantwort entscheidend auf die Unterschrift von Bi. auf
diesem Schriftstück ab, dem die Bedeutung einer vorbehaltlosen und damit
auch die Bauherrschaft verpflichtenden Schuldanerkennung zukomme. Nach
der im Berufungsverfahren zu prüfenden Auslegung dieses Schriftstücks
nach dem Vertrauensgrundsatz (BGE 116 II 696 E. 2a mit Hinweis)
kann es diese Bedeutung aber nicht haben. Gegen eine das Konsortium
bindende Werklohnanerkennung spricht, dass die Bauabrechnung lediglich
die Unterschriften von Bi. und eines Vertreters der H. AG trägt, während
die für die Unterschrift der Bauherrschaft bestimmte Rubrik "Genehmigt -
Die Bauherrschaft" leer blieb, obgleich auf der Bauabrechnung als Bauherr
ausdrücklich das Baukonsortium H. aufgeführt ist. Damit brachte der
Architekt gegenüber der Unternehmerin zum Ausdruck, dass die Anerkennung
des von ihm geprüften Rechnungsbetrags dem Konsortium vorbehalten,
seine Unterschrift also gerade nicht als solche zu verstehen sei. Eine
verbindliche Werklohnanerkennung, die nach dem vorstehend Ausgeführten
grundsätzlich eine ausdrückliche oder unmissverständlich bekundete
Ermächtigung vorausgesetzt hätte, durfte die H. AG in der Bauabrechnung um
so weniger erblicken, als die Mitglieder des Konsortiums über Bauerfahrung
verfügten und ein erhebliches, für die Unternehmerin erkennbares Interesse
daran hatten, sich die Genehmigung selbst vorzubehalten. Die Unternehmerin
hatte nämlich nur für einen Teil der Schreinerarbeiten Preise offeriert,
so dass die Höhe des Werklohns weitgehend nach Ergebnis (Art. 374 OR)
festzusetzen und bereits vor Unterzeichnung der Abrechnung entsprechend
umstritten war.

Erwägung 3

    3.- Es bleibt die Frage, ob Bi. in seiner Eigenschaft als Mitglied
des Konsortiums den beklagten Gesellschafter durch die Unterzeichnung
der Bauabrechnung vom 18. Februar verpflichtet hat.

    a) Schliesst ein Gesellschafter mit einem Dritten Geschäfte ab, so
werden die übrigen Gesellschafter dem Dritten gegenüber nur berechtigt
und verpflichtet, wenn der Gesellschafter im Namen der Gesellschaft
oder sämtlicher Gesellschafter handelt und ihm auch die entsprechende
Vertretungsmacht zusteht (Art. 543 Abs. 2 OR). Im Namen des Konsortiums
hatte Bi. die Bauabrechnung jedoch nicht unterzeichnet. Aufgrund des
Schriftstücks musste der H. AG als Unternehmerin vielmehr klar sein,
dass Bi. unterschieden hatte zwischen der zwar aufgeführten, jedoch
nicht unterzeichnenden Bauherrschaft einerseits und dem unterzeichnenden
Architekten anderseits. Die Situation war keine andere, als wenn statt
eines Mitglieds des Konsortiums ein aussenstehender Architekt die
Bauabrechnung unterzeichnet hätte.

    b) Zu einer Werklohnanerkennung im Namen der Gesellschaft wäre Bi. auch
nicht ermächtigt gewesen. Wohl wird die Ermächtigung zur Vertretung der
Gesellschaft vermutet, sobald dem Gesellschafter die Geschäftsführung
der Gesellschaft überlassen ist (Art. 543 Abs. 3 OR). Gemäss Ziff. 11
des Gesellschaftsvertrags sollte die "Geschäftsführung" jedoch durch
alle Gesellschafter gemeinsam erfolgen. Im dritten Absatz dieser Ziffer
war sogar ausdrücklich vereinbart, dass für sämtliche Werkverträge und
Anweisungen aus dem Baukredit die Unterschriften sowohl der Architekten
als auch der Gesellschafter erforderlich seien. Dementsprechend hatte
Bi. laut Ziff. 10 des Gesellschaftsvertrags den Architekturauftrag
nur "in Arbeitsgemeinschaft" mit Be. erhalten, und zwar nicht als
"Geschäftsführung", sondern bloss als "Dienstleistung". Bi. allein sollten
nach der gleichen Ziffer einzig die Dienstleistungen der "Buchführung
und Abschlüsse" obliegen. Sonst hatte dieser keinerlei Einzelkompetenzen
und damit auch keine gesellschaftsvertragliche Befugnis zur Anerkennung
von Werklöhnen.

    Fehlte es nach dem Gesellschaftsvertrag an der
Geschäftsführungsbefugnis, kann auch die zu Verträgen und
Gesellschaftsbeschlüssen subsidiäre gesetzliche Regelung nicht zum Tragen
kommen, welche die Geschäftsführung allen Gesellschaftern zugesteht
(Art. 535 Abs. 1 OR; SIEGWART, N. 24 zu Art. 535 OR, VON STEIGER, SPR
VIII/1, S. 398). Damit entfällt aber die gegenüber gutgläubigen Dritten
unwiderlegbare Vollmachtsvermutung des Art. 543 Abs. 3 OR (BGE 116 II 709
E. 1b). Unter welchen Voraussetzungen es die geduldete Geschäftsführung
eines Gesellschafters den übrigen Gesellschaftern nach Art. 2 ZGB
verwehrt, sich auf die fehlende Geschäftsführungsbefugnis zu berufen
(BGE 79 II 392 f. E. 1), kann offenbleiben, nachdem für die Unternehmerin
schon aus der Bauabrechnung selbst ersichtlich war, dass Bi. sie nicht
als Gesellschafter, sondern als vom Konsortium beauftragter Architekt
unterzeichnet hatte.